Das droht nach dem Austritt
| Unternehmeredition Personal, Strategie 201548 Strategie Flucht aus dem Tarifvertrag B ei vielen Unternehmen ist die Sor- ge vor überzogenen Entgelterhö- hungen Anlass für Überlegungen, aus dem Arbeitgeberverband auszu- treten oder über eine sogenannte OT- Mitgliedschaft, also ohne Tarifbindung, nachzudenken. Die Vorteile scheinen auf der Hand zu liegen: Die gefürchte- te Bindung an künftige Tarifabschlüsse entfällt. Auf der anderen Seite schei- nen die Nachteile gering, da auch die Vollmitgliedschaft mit Tarifbindung im Arbeitgeberverband keinen umfassen- den Schutz davor bietet, als einzelnes Unternehmen etwa bei Umstrukturie- rungen Ziel eines Streiks zu werden. Gegen einen ansonsten drohenden Mit- gliederschwund haben die allermeisten Arbeitgeberverbände die sogenannte OT-Mitgliedschaft eingeführt, um den Unternehmen eine Möglichkeit zum Ver- bleib im Verband zu geben, ohne sich an die Tarifverträge zu binden. Angesichts vieler drohender Streiks scheint für viele Unternehmen der Ausstieg aus dem Arbeitgeberverband verlockend. Doch die Vorteile sind spärlicher, als sie auf den ersten Blick erscheinen mögen. VON DR. GUDRUN GERMAKOWSKI Nachbindung und Nachwirkung Entgegen der Vorstellung in manchen Unternehmen erhöht ein Wechsel in die OT-Mitgliedschaft oder ein Ver- bandsaustritt selbst jedoch noch nicht die Entscheidungsfreiheit des Unter- nehmens. Denn keines von beiden kann für sich die zwingende gesetzliche Bin- dung an den Tarifvertrag beenden. Es bleibt vielmehr zunächst unverändert dabei, dass die im Zeitpunkt des Endes der Vollmitgliedschaft bestehenden Tarifverträge zwingend weiter gelten. Dies bedeutet auch, dass es dem Un- ternehmen – wie zuvor – verboten ist, einzelvertraglich zum Nachteil der Ar- beitnehmer vom Tarifvertrag abzuwei- chen. Dieser Zustand endet erst, wenn der Tarifvertrag von den Tarifpartnern gekündigt oder geändert wird. Hierbei führt schon eine geringfügige Ände- rung – also beispielsweise eine neue Regelung zu Jubiläumszahlungen – das Ende der Tarifbindung herbei. Damit sind die tarifvertraglichen Re- gelungen aber noch immer nicht vom Tisch. Der Tarifvertrag wechselt nur von der Nachbindung in die sogenann- te Nachwirkung. Dies bedeutet einer- seits, dass der Tarifvertrag nicht mehr automatisch für Neueinstellungen gilt und andererseits, dass mit allen Arbeit- nehmern vom Tarifvertrag (nachteilig) abweichende Regelungen vereinbart werden können. Einzige Ausnahme ist der Sonderfall des Verlustes der Tarif- bindung durch Betriebsübergang: Hier gilt eine einjährige Änderungssperre. Bevor es jedoch eine neue individuel- le Regelung gibt, gelten – um keine in- haltsleeren Arbeitsverhältnisse entste- hen zu lassen – die tarifvertraglichen Regelungen, wie sie beim Verbandsaus- tritt bestanden, quasi als arbeitsver- tragliche Regelungen fort. Erste Überraschung: Bindung an das betriebliche Entgeltschema Meist machen Unternehmen von der neu gewonnenen Freiheit zunächst da- durch Gebrauch, dass sie bei Neuein- stellungen die Konditionen verändern und mit den neu geworbenen Mitarbei- tern beispielsweise ein vom Tariflohn abweichendes Entgelt vereinbaren. Tarifrechtlich steht dem ja auch nichts mehr entgegen. Umso überraschter zeigen sich viele Unternehmen, wenn daraufhin ihr Betriebsrat vor der Tür steht und eine Verletzung seines Mitbe- stimmungsrechts rügt. Während der Dauer der Tarifbin- dung spielt der Betriebsrat in Sachen Vergütungsregelung in der Regel keine Rolle. Sozusagen durch die Hintertür hat sich aber durch die Anwendung der tariflichen Entgeltstruktur eine betriebsverfassungsrechtliche Bin- dung eingeschlichen. Jede Änderung ZUR PERSON Dr. Gudrun Germakowski ist Part- nerin von McDermott Will & Emery Rechtsanwälte Steuerberater LLP und gehört dem arbeitsrechtlichen Dezernat des Standorts Düsseldorf an. Sie ist Fachanwältin für Arbeitsrecht und Co-Autorin eines Kommentars zur Arbeitnehmerüberlassung. www.mwe.com Der Tarifvertrag wechselt nur von der Nachbindung in die sogenann- te Nachwirkung.