Heimlicher Krisentreiber?

Das Fundament aller digitalen Geschäftsmodelle ist der „echte“ Kundennutzen. Denn Kunden wollen begeistert, ihr „Bedürfnis-Hotspot“ getroffen werden. Start-ups schaffen das sehr gut. Wie sollten mittelständische, etablierte Unternehmen darauf reagieren?

Der Ansatz, einen Anbieter aus dem Hotspot seines Kundenbedarfsfeldes zu verjagen, ist sehr sportlich, jedoch eher selten und als „disruptive“ Wettbewerbsstrategie zu bezeichnen. Am häufigsten erfolgen die Angriffe auf historisch gewachsene Geschäftsmodelle – nicht frontal, sondern durch die Unterwanderung und die Übernahme von Teilprozessen. Branchenfremde suchen gezielt nach Skalierbarkeitsvorteilen, Zusatznutzen durch neue Informationen – also immer nach Dingen, die nicht nur an die vorliegende Struktur gebunden sind, sondern auch in anderer Umgebung besser und billiger funktionieren.

Die Eindringlinge kommen also meist über wenig beachtete Nebenthemen wie Distribution, Zahlungsverkehr, spezielle Aspekte des Erlösmodells oder aber auch über die Bereiche Ersatzteile, Verbrauchsmaterial und Service. In der Wertschöpfung können die Angriffe etwa primär durch schnelle und einfache Steuerungs-Apps kommen. Sie können komplexe Steuerungssysteme zuerst punktuell unterstützen, langfristig aber auch grundsätzlich überflüssig machen. Rückläufige Beachtung beim Kunden ist meist der erste Hinweis darauf: Ein bisher Fremder stiftet besseren Kundennutzen – Piraten sind an Bord!

Konvergenz und Skalierbarkeit

Damit diese Fremden gar nicht erst an Bord kommen, sollte das Thema Konvergenz in den Mittelpunkt der Diskussion rücken. Damit ist nicht nur das Zusammenwachsen unterschiedlicher Technologien gemeint, sondern auch die qualitative Veränderung von Prozessen und Strukturen durch deren Vernetzung. Statische, hierarchisch aufgebaute Strukturen und Entscheidungshierarchien müssen künftig durch fundierte Adhoc-Entscheidungen auf Basis von Echtzeitdaten und -informationen ersetzt werden. Die Konvergenz ermöglicht damit eine größere Nutzenqualität oder qualitativ gänzlich andere Angebote. Zum anderen gewinnt die Skalierbarkeit neue Bedeutung. Sie beantwortet die Frage nach der Kostendegression bei Volumensteigerung. Hinzu kommt: Viele Prozesse verursachen bei richtigem Prozessdesign per se überhaupt keine Kosten – sie laufen auf vorhandenen Strukturen mit.

Das A und O: Die interne Vernetzung

Der Tod jeder wettbewerbswirksamen Digitalisierung ist „Silodenken“. Digitale Lösungen und Produkte liegen dann zwar vor – jedoch als singuläre Inseln. Die Folge sind digitale Parallelwelten ohne nutzenstiftende Vernetzung. Die richtige unternehmensinterne Integration von Datenströmen, Prozessen und dem physikalischen Materialfluss ist somit das A und O einer digitalen Strategie. Erst dann können die Informationen aus einem digitalisierten Produkt- und Service-Portfolio wirklich genutzt und daraus zusätzlicher Kundennutzen generiert werden. Erst auf Basis dieser vertikalen Integration kann eine horizontale Vernetzung mit den Wertschöpfungspartnern erfolgen. An die Stelle bisher ineinandergreifender Zahnräder tritt künftig ein sich fortlaufend änderndes Puzzle, das in jedem Augenblick die nutzenorientiert sinnvollste Form annimmt.

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