Es ist paradox: Die Mehrzahl der mittelständischen Unternehmen erkennt zwar Potenziale des digitalen Wandels. Je nach Branche sieht sich auch schon jedes zweite Unternehmen von neuen Geschäftsmodellen bedroht. Doch die wenigsten werden aktiv.
86 Prozent der mittelständischen Unternehmen in Deutschland sehen Digitalisierung als große Chance für den Industriestandort. Gleichzeitig meinen 63 Prozent, dass sie sie selbst vernachlässigen. Das könnte daran liegen, dass den Unternehmen andere Themen eher unter den Nägeln brennen: Als eine der wichtigsten Problemfelder gaben sie bei der Studie „Management im Wandel: Digitaler, effizienter, flexibler“ der Commerzbank Kosteneinsparungen und Steigerung der Produktivität an. Am meisten macht den Unternehmen der Fachkräftemangel zu schaffen (63 Prozent). Die Umfrage fand unter 4.000 Unternehmen ab 2,5 Mio. Euro Umsatz statt.
Dabei wäre beim Thema Digitalisierung dringend Handlungsbedarf angesagt: Vor allem der Einzelhandel sieht sich einem starken Verdrängungswettbewerb ausgesetzt. Hier geben bereits 48 Prozent der Unternehmen an, dass die digitale Entwicklung bewährte Geschäftsmodelle bedroht. Doch die wenigsten denken über neue Vertriebs- und Absatzwege oder neue Produkte nach. Digitalisierung ist zwar angekommen – meist aber nur in der Administration. Auch in der Produktion steht sie erst am Anfang.
Auch ein Problem: Die meisten Unternehmen beobachten erst, was sich in ihrer Branche digital so tut. Und stellen dann ad hoc je nach Kundenwunsch auf digitale Modelle um. Als Stolperstein bei solchen plötzlichen Entscheidungen gestaltet sich aber oft die Finanzierung. „Die Unternehmen sind beim Thema Digitalisierung zu deutsch: Sie sind zu vorsichtig und trauen sich nicht“, sagt Marc Starzmann, Niederlassungsleiter der Mittelstandsbank München. Das könne nach hinten losgehen, denn auch US-amerikanische Firmen schliefen nicht. „Sie spezialisieren sich vor allem auf digitale Dienstleistungen – und da kommt die eigentliche Wertschöpfung her“, warnte er.
Die Studie wurde am Abend des 16. Juni in der BMW-Welt in München vorgestellt. Teil des Abends war eine Talkrunde mit Alexander Brand, Gründer von windeln.de, Prof. Dr. Gunther Reinhart von der TU München, Dr. Thomas Lessing von den Egger Holzwerken und Michael Kotzbauer, Bereichsvorstand der Mittelstandsbank der Commerzbank. Als reines Online-Unternehmen ist windeln.de ein Beispiel für digitale Innovatoren. Als solche bezeichnet die Studie Unternehmen, die bereits in hohem Maße von digitalen Trends profitieren, unter anderem von der Vernetzung der Wertschöpfungskette (81 Prozent), der administrativen Optimierung (76 Prozent) und von neuen Geschäftsmodellen (63 Prozent). Auch Kundenkommunikation wird durch digitale Technologien revolutioniert. Einig waren sich die Diskutanten in einem Punkt: Der stationäre Handel wird so schnell nicht verschwinden. www.unternehmerperspektiven.de
Verena Wenzelis war bis Juli 2016 Redakteurin bei der Unternehmeredition.