Zweite Chance wird immer seltener

Foto: © Miha Creative_AdobeStock
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Die Auswirkungen der Inflation und des hohen Zinsniveaus der letzten beiden Jahre spiegeln sich deutlich in der aktuellen Insolvenzlandschaft wider. Laut einer Analyse der Unternehmensberatung Falkensteg stieg die Zahl der Insolvenzen von Großunternehmen (Umsatz über 10 Mio. EUR) im ersten Halbjahr 2024 um 41%. Gleichzeitig sei die Erfolgsquote bei Sanierungsversuchen gesunken. Die Quote der Betriebsschließung oder Masseunzulänglichkeiten stieg um 43% gegenüber dem Vorjahreszeitraum. Jonas Eckhardt, M&A-Experte und Partner der Unternehmensberatung Falkensteg, erklärt: „Die Rettung von Unternehmen aus der Insolvenz gestaltet sich zunehmend komplexer. Hohe Zinsen machen den Erwerb insolventer Firmen teurer oder unattraktiv. Ferner schrecken unsichere Umsätze aufgrund der allgemeinen Wirtschaftslage potenzielle Investoren ab.“ Besonders betroffen seien Automobilzulieferer und der Maschinenbau. In diesen Industriezweigen lagen die positiven Ausgänge um ein Drittel unter dem Durchschnitt. In den Branchen Fashion und Einzelhandel verdoppelten sich die Betriebsschließungen im Vergleich zu den letzten fünf Jahren.

Trend wird anhalten

Jonas Eckhardt, Foto: Falkensteg
Jonas Eckhardt, Foto: Falkensteg

Eckhardt betont die Notwendigkeit umfassenderer operativer Sanierungen statt reiner Notfallmaßnahmen: „Ein reines Ansanieren reicht nicht mehr aus, wenn es an Käufern mangelt, aber eine Unternehmensfortführung vorteilhaft erscheint. Das Sanierungswerkzeug der Insolvenzordnung muss ohne Scheuklappen Anwendung finden. Will man einen Investor finden, sind Organisationsstrukturen und Mannschaftstärke schon im Verfahren an die veränderten Marktverhältnisse und -positionierung anzupassen.“ Die Nachwirkungen der Coronapandemie, ein stotternder Konjunktur-Motor, geopolitische Spannungen, verschärfte Finanzierungsbedingungen und branchenspezifische Herausforderungen seien die Hauptgründe für den Anstieg der Insolvenzen bei den Großunternehmen im ersten Halbjahr 2024. Jonas Eckhardt prognostiziert, dass dieser Trend langfristig anhalten wird: „Viele Unternehmen müssen sich wandeln, um in der Dynamik des internationalen Handels bestehen zu können. Doch übermäßige Regulierung, hohe Energiepreise und Steuern, mangelhafte Infrastruktur und unzuverlässige Förderprogramme bremsen die erforderliche Transformation.“

IWH-Insolvenztrend: Firmenpleiten gehen zurück

Die Zahl der Insolvenzen von Personen- und Kapitalgesellschaften in Deutschland ist im Juni erneut gesunken. Laut dem Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) sank die Zahl der Insolvenzen im Juni um 8% im Vergleich zum Vormonat Mai. Im Jahresvergleich stieg diese Zahl jedoch um 11% und liege zudem sogar 24% über dem Durchschnitt der Jahre 2016 bis 2019 –  also vor der Coronapandemie. Der Rückgang bei den Insolvenzen ist laut IWH in allen Branchen zu beobachten. Im Juni lagen die Zahlen in den meisten Branchen deutlich unter den Höchstwerten der vergangenen Jahre. Besonders auffällig sei die Entspannung in Branchen, die in den letzten Jahren stark von Insolvenzen betroffen waren.

Im langfristigen Vergleich zeige sich, dass die Zahl der von Insolvenzen betroffenen Arbeitsplätze im Juni 2024 geringer sei als im Durchschnitt der Jahre 2016 bis 2019. In diesen Jahren waren durchschnittlich etwa 11.000 Arbeitsplätze im Juni von Insolvenzen betroffen. Diese Entwicklung zeigt eine gewisse Stabilisierung auf dem deutschen Arbeitsmarkt, trotz der Herausforderungen der letzten Jahre. Das IWH prognostiziert eine Unsicherheit bei der weiteren Entwicklung des Insolvenzgeschehens im Sommer.

DIHK-Mittelstandsexperte Marc Evers äußerte sich auch zu den aktuell steigenden Insolvenzzahlen: „Der bedenkliche Negativtrend bei den Unternehmensinsolvenzen beschleunigt sich. Seit nunmehr fast zwei Jahren gibt es bei den Unternehmensinsolvenzen im jeweiligen Vorjahresvergleich zweistellige Zuwachsraten. In diesem Jahr könnte die Marke von 20.000 Unternehmenspleiten sogar durchbrochen werden – erstmals seit 2017. Eine schwache Binnenkonjunktur und handfeste strukturelle Herausforderungen halten die Wirtschaft im Griff. Das ist auch eine zentrale Botschaft der aktuellen DIHK-Konjunkturumfrage mit mehr als 24.000 Unternehmensantworten.“

Bau und Industrie kommen schwerer an Kredite

Unternehmen kommen etwas schwerer an neue Kredite. Das geht aus einer Umfrage des ifo Instituts hervor. 27,1% jener Unternehmen, die gegenwärtig Verhandlungen führen, berichteten im Juni von Zurückhaltung bei den Banken. Im März waren es 2% weniger. Besonders stark stieg die Vorsicht im Baugewerbe und in der Industrie. „Mit Blick auf die Investitionsschwäche in Deutschland wäre ein leichterer Zugang zu Krediten wünschenswert“, sagt Klaus Wohlrabe, Leiter der ifo Umfragen. Der Anstieg bei der ifo Kredithürde wurde getrieben von der Industrie, vom Bauhauptgewerbe und vom Großhandel. Nur bei den Dienstleistern habe es einen Rückgang gegeben.

Autorenprofil

Als Redakteur der Unternehmeredition berichtet Alexander Görbing regelmäßig über Unternehmen und das Wirtschaftsgeschehen. Zu seinen Schwerpunkten gehören dabei Restrukturierungen, M&A-Prozesse, Finanzierungen sowie Tech-Startups.

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