Würth: „Innovation ist ein Helfer, damit unsere Kunden produktiver arbeiten“

Die Holzschraube ASSY4 ist die neueste Innovation von Würth. Ein weiterentwickeltes Gewinde, eine neue Spitze und ein verbesserter Schaltfräser sorgen für leichteres Versenken im Holz © Würth.

Die Würth-Gruppe ist ein weltweit führender Handels- und Industriekonzern für Montage- und Befestigungsmaterial. Über 79.000 Mitarbeiter erwirtschaften in mehr als 400 internationalen Gesellschaften in über 80 Ländern rund 14 Mrd. EUR Umsatz. Mutterunternehmen, Keimzelle und größte Einzelgesellschaft der Würth-Gruppe ist die Adolf Würth GmbH & Co. KG – hier fing vor 75 Jahren alles an. Die Unternehmeredition sprach mit Norbert Heckmann, Sprecher der Geschäftsleitung der Adolf Würth GmbH & Co. KG, über Erfolgs- und Wachstumsstrategien. INTERVIEW EVA RATHGEBER

Unternehmeredition: Das Unternehmen Würth hat sich seit seiner Gründung im Jahr 1945 von einer kleinen Schraubenhandlung im deutschen Künzelsau zum weltweit führenden Handels- und Industriekonzern für Montage- und Befestigungsmaterial entwickelt. Wie ist diese einzigartige Erfolgsgeschichte möglich gewesen?
Norbert Heckmann:
Es ist sicher eine Erfolgsgeschichte des deutschen Wirtschaftswunders, die bekanntlich eng verbunden ist mit dem Namen Reinhold Würth. Er hat den Zweimannbetrieb seines Vaters Adolf Würth 1954 übernommen und dessen Geschäftsmodell konsequent weiterentwickelt. Die Familie Würth hatte es natürlich auch verstanden, zur richtigen Zeit das richtige Geschäft zu betreiben. Aber Reinhold Würth hat sich zudem nie auf seinem Erfolg ausgeruht. Er war nicht nur neugierig, sondern auch extrem ehrgeizig und visierte immer schon das nächste Ziel und die nächste Umsatzmarke an. Dabei war es ihm sehr wichtig, diesen Ehrgeiz auch bei seinen Mitarbeitern und in der Unternehmenskultur zu verankern. Zu unseren ganz besonderen Erfolgsrezepten zählt, dass wir uns immer so wandeln, wie sich unsere Kunden weiterentwickeln.

Adolf Würth und Reinhold Würth (links) beim gemeinsamen Waldspaziergang. © Würth

Unternehmeredition: Können Sie uns ein Beispiel für diese Anpassungsfähigkeit geben?
Heckmann: Unsere gesamte Unternehmensentwicklung steht dafür. Begonnen haben wir ja mit dem Verkauf von Schrauben. Unterschiedliche Industriezweige, nehmen wir zum Beispiel Auto- und Metallindustrie, benötigen unterschiedliche Schrauben. Die Bedürfnisse unserer Kunden haben sich diesbezüglich mit der Zeit immer weiter ausdifferenziert – und so haben auch wir im Laufe der Zeit immer mehr Divisionen für neue Bereiche aufgebaut. Ein aktuelles Beispiel: Das Handwerk unterteilt sich immer mehr in sehr große Betriebe, die sich ständig weiter konsolidieren, und kleine Betriebe, die mit maximal zwei bis drei Personen unterwegs sind. Unsere Vertriebsstruktur haben wir daran angepasst. Ein wenig weg von fest zugeteilten Verkaufsgebieten, und stärker in Richtung Key Accounts und der Betreuung kleinerer Kunden.

Unternehmeredition: Würth zählt nicht nur zu den größten, sondern auch zu den beliebtesten nicht-börsennotierten Familienunternehmen in Deutschland. In einer Onlineumfrage des Wirtschaftsmagazins Focus Money erhielt die Unternehmensgruppe in der Bewertung der Verbraucher die Note „sehr gut“. Was genau schätzen Ihre Kunden an Würth?
Heckmann: Wir sind C-Teile-Hersteller – auf den ersten Blick ist das die uninteressanteste Lieferantengruppe. Es gehört schon einiges dazu, sich hier trotzdem zum Hauptlieferanten zu entwickeln. Ein Kunde, der ein Auto zusammenbaut, wünscht sich gerade in diesem Bereich Versorgungssicherheit, denn wenn ein C-Teil fehlt, lässt sich das Auto nicht fertigstellen. Auch wenn es hier nur um Cent-Artikel geht, steht die Produktion ohne diese Teile still. Zuverlässigkeit, Berechenbarkeit und Qualität sind deshalb Werte, die unsere Kunden an uns schätzen. Eine weitere wichtige Eigenschaft ist unsere Innovationsfähigkeit: Kunden bekommen von uns ganz schnell individuelle Lösungen. Und man kann uns auf jedem Kanal ansprechen. Mit dem Direktvertrieb hat alles begonnen – heute verfügen wir mit 550 Outlets über den größten stationären Handel. Darüber hinaus haben wir eine Onlineversorgungsqualität, wie sie in unserer Branche auch nicht üblich ist.

Unternehmeredition: Welche Auswirkungen hat die Coronakrise auf das Geschäft der Adolf Würth GmbH & Co. KG? Wie sichern Sie in diesen Zeiten Ihre Liquidität und Ihr Eigenkapital?
Heckmann: Wir hatten Glück, dass wir von der Krise im Vergleich zu anderen Unternehmen und Branchen weniger betroffen waren, denn das Handwerk hatte und hat ja Systemrelevanz. Die Nachfrage ist also nicht gesunken und wir konnten die Handwerksbetriebe zuverlässig mit Material versorgen. Unsere Lieferketten konnten wir fast durchgehend aufrechterhalten – weil wir zum einen den überwiegenden Teil unserer Waren aus Europa beziehen und zum anderen mittlerweile 50% unserer Handelswaren selbst herstellen. Natürlich haben wir ein paar Investitionen in diesem „heißen“ zweiten Quartal zurückgestellt, darunter die eine oder andere Instandsetzung oder bauliche Investition. Das haben wir mittlerweile aber alles wieder angetriggert. Bereits seit August befinden wir uns wieder auf Vor-Corona-Niveau. In den Monaten Oktober und November konnten wir sogar ein zweistelliges Wachstum einfahren und sind daher sicher, dass wir in diesem Jahr in Deutschland über 4% wachsen werden. Zwar hatten wir für dieses Jahr ursprünglich 6% Wachstum geplant, nach +6,3% und +7,5% in den Vorjahren. Dennoch stimmt uns die Entwicklung mit Blick auf die allgemeine Abschwächung der Konjunktur zufrieden.

Der junge Reinhold Würth (Zweiter von links) mit Otto Hempel, Hans Hügel und Artur Herold, seinen ersten drei Verkäufern © Würth

Unternehmeredition: Die Würth-Gruppe hat im Krisenmonat Mai die größte Anleihe ihrer Firmengeschichte über 750 Mio. EUR erfolgreich platziert. Welche Strategie steckt hinter diesem Schritt?
Heckmann: Zum einen haben wir mit der Ausgabe dieser Anleihe eine fällige Anleihe in Höhe von 500 Mio. EUR refinanziert. Zum anderen haben wir damit – vor allem mit Blick auf die aktuelle Situation und die nicht absehbare Entwicklung der Coronapandemie – unsere Mittel zur Sicherung unserer Liquidität um 250 Mio. EUR aufgestockt. Die Emission stärkt also die langfristige Finanzierungs- und Liquiditätsbasis der Würth-Gruppe als Grundlage für das zukünftige Konzernwachstum – und sie ist auch ein Zeichen für das Vertrauen des Kapitalmarkts in die Stabilität der Würth-Gruppe, auch in unruhigen Zeiten.

Unternehmeredition: Warum kam für Würth eigentlich nie ein Börsengang infrage?
Heckmann: Wir wollen keine externen Anteilseigner haben. Das entspricht nicht unserem Verständnis von einem Familienunternehmen und es passt nicht zu unserer Unternehmenskultur. Wir sind sehr dankbar, dass es nur geringe Entnahmen gibt und dass der größte Teil unserer Gewinne ins Unternehmen reinvestiert wird. Mit dieser Reinvestition sichert Würth das Unternehmen ab und sorgt dafür, dass weiter in nachhaltiges Wachstum investiert werden kann, was wiederum für uns Mitarbeiter ein großer Vertrauensbeweis ist.

Unternehmeredition: Beim Vertrieb Ihrer 125.000 Produkte an über 650.000 Kunden aus Handwerk und Industrie setzen Sie auf eine Multikanalstrategie, einen Mix aus Direktvertrieb, stationärem Handel und E-Business. Wie hat sich diese Strategie in Krisenzeiten bewährt?
Heckmann: Vor 25 Jahren wurden 85% aller Umsätze vom Verkäufer geschrieben; heute sind es noch 35%. Der Rest läuft über diese multikanalen Bereiche, wobei der stationäre Handel knapp 40% und der E-Commerce-Anteil knapp 20% ausmachen. Heute sucht sich der Kunde aus, über welche Kanäle er Bestellungen mit uns austauscht. Der Direktbesuch durch den Verkäufer war ja während des Lockdowns zwei Monate lang nicht mehr möglich. Da haben sich unsere Verkäufer ans Telefon gesetzt und den Kunden alternative Wege angeboten. Einige Kunden haben Liquidität generiert, indem sie ihr eigenes Lager heruntergefahren und unsere Niederlassungen als Lager für C-Teile genutzt haben, und sehr viele Kunden sind auf unsere Onlinekanäle umgestiegen. Unsere Multikanalität hat sich also in dieser schweren Krise im zweiten Quartal als absoluter „Life-Saver“ bewährt.

Wuerth-Hauptverwaltung in Kuenzelsau © Wuerth

Unternehmeredition: Welche Arten von Online-Services werden denn genutzt?
Heckmann: Welcher Service zum Einsatz kommt, hängt vom Kunden ab. Ein großer Kunde möchte digital voll angebunden sein. Wenn er eine Bestellung aus seinem System abschickt, dann werden da keine Faxe oder E-Mails mehr verschickt, sondern alles läuft eins zu eins über eine Datenschnittstelle. Auftragsbestätigung und Lieferschein werden digital generiert und auch die Rechnung und Bezahlung laufen dunkel. Dieses sogenannte E-Procurement, das heißt die Anbindung System an System, gibt es in allen Formen. Beispielsweise nutzen wir modernste Technik, um die Shops 24 Stunden für unsere Kunden begehbar zu machen. Außerhalb der Öffnungszeiten können unsere Kunden die Ladentür mit einem QR-Code über die Würth-App öffnen und unsere Produkte über ein Scannersystem einkaufen – also auch mitten in der Nacht oder ganz früh am Morgen.

Unternehmeredition: Im März 2019 haben Sie mit der Errichtung eines Innovationszentrums am Standort des Mutterunternehmens in Künzelsau begonnen. Welche Rolle spielt für Sie Innovation?
Heckmann: Unsere Kunden kämpfen zurzeit mit verschiedenen Themen. Erstens fehlt es an qualifiziertem Nachwuchs – das heißt, es gibt im Moment leider nicht genügend junge Menschen, die sich eine Ausbildung im Handwerk vorstellen können. Zweitens ist das Arbeitspensum der Handwerkinnen und Handwerker derzeit sehr hoch und drittens sorgen sie sich um die Aufrechterhaltung ihrer Mitarbeiterkompetenzen. In allen drei Bereichen versuchen wir, unseren Kunden durch akademische Weiterbildung zu helfen. Die wichtigste Hilfe aber ist, dass wir dem Kunden Tätigkeiten abnehmen, die nichts mit dem Handwerk an sich zu tun haben. Dazu zählt Unterstützung im Prozess der Digitalisierung und bei administrativen Aufgaben. Dazu zählt aber auch, dass wir die Arbeit auf der Baustelle oder in der Produktion durch neue, intelligente Lösungen und Produkte deutlich schneller gestalten, und dass wir Leerprozesse durch extrem hohe Zuverlässigkeit sowie durch intelligentes Lager- und Dienstleistungsmanagement gegen null laufen lassen. Auf diesem Weg bekommen unsere Kunden aus ihren acht bis zehn Stunden Arbeit pro Tag 7,5 bis 9,5 Stunden Handwerk raus. Innovation ist also ein Helfer für unsere Kunden, damit diese ihrer Arbeit produktiver, schneller und qualitativ besser nachgehen können.

Illustration des im Bau befindlichen Würth-Innovationszentrums am Standort Künzelsau © Obermayer Planen + Beraten

Unternehmeredition: Geben Sie uns doch mal ein konkretes Beispiel für eine Produktinnovation „made by Würth“.
Heckmann: Ein gutes Beispiel für unsere Innovationsfähigkeit sind unsere Assy-Holzschrauben, die sowohl für den Schreiner als auch für den konstruktiven Holzbau im Dachaufbau genutzt werden. Die produzieren wir hier in Deutschland bei unserer Tochter SWG und sie wurden durch Ingenieure und Techniker von Würth entwickelt. Die Eintrittsgeschwindigkeit dieser Schrauben ist etwa doppelt so hoch wie die einer solchen, die Sie im Baumarkt kaufen können. Ein weiteres Beispiel sind unsere Akkuschrauber. Unsere Kunden haben uns deutliche Signale gegeben, dass sie sich noch leistungsfähigere Akkus von uns wünschen. Aus diesem Grund haben wir eine eigene Produktion für Akkus aufgebaut und deutlich leistungsfähigere Akkus entwickelt. Das sind nur zwei Beispiele dafür, wie wir in den letzten zwei Jahren Forschung und Entwicklung betrieben haben und unseren Kunden in den für sie relevanten Bereichen einen Innovationssprung und damit Produktivitätsreserven ermöglicht haben.

Unternehmeredition: Wie wichtig ist Nachhaltigkeit für Würth?
Heckmann: In den letzten zwei bis drei Jahren hat dieses Thema einen ganz neuen Stellenwert bekommen. In jeder Branche gibt es zwei bis drei Initiativen, um eine nachhaltige Bauweise zu befördern, die wir teilweise auch mitgestalten. Heute werden Bauprojekte so aufgebaut, dass am Ende Nullenergie rauskommt. Wir als Unternehmen reduzieren unseren ökologischen Fußabdruck jährlich um mehr als 10%. Dazu tragen wir mit zahlreichen Maßnahmen bei: Beispielsweise schneiden wir unter hohem technologischen Aufwand Kartons ein, damit wir Materialien sparen. Wir haben ein zentrales Außenlager gebaut, mit dem wir die Anzahl der Packstücke um circa 15% reduzieren und was dazu führt, dass auf den Straßen von Deutschland Tausende von Lkws weniger unterwegs sind. Wir produzieren Produkte im Cradle-to-Cradle-Verfahren, die nicht recycelt, sondern rückgebaut und wiederverwendet werden. Und so schließt sich der ökologische Kreislauf, der ein Teil der Nachhaltigkeitsstrategie der Würth-Gruppe ist. Wenn wir das Thema jetzt noch auffächern und auf das soziale Engagement der Würth-Gruppe, insbesondere auf Themen wie Schulentwicklung, Kunst und Kultur oder die Aktivitäten der Würth-Stiftung eingingen, dann würde sich da, wie Sie sicher wissen, noch mal ein großer Blumenstrauß unseres nachhaltigen Wirkens auftun.

Unternehmeredition: Wie sieht ansonsten Ihre Zukunftsstrategie aus?
Heckmann: Wir wollen den Service für unsere Kunden und die Qualität unserer Produkte natürlich immer weiter erhöhen und verbessern. Daher setzen wir in Zukunft verstärkt darauf, Produkte selbst zu entwickeln oder weiterzuentwickeln. Gleichzeitig bauen wir unser Vertriebsnetz weiter aus und setzen dabei auf die sinnvolle Verzahnung der unterschiedlichen Kanäle. Der weitere Ausbau unseres Onlinegeschäfts spielt ebenfalls eine zentrale Rolle. Hier setzen wir auf E-Procurement und scannergestützte Bestellsysteme, die dem Kunden Arbeit abnehmen sollen und somit eine Zeitersparnis bringen, weil er sich eben nicht um den Einkauf von C-Teilen kümmern muss. Der Außendienstmitarbeiter bleibt dabei das Rückgrat unseres Vertriebs. Er soll sich aber immer weiter zum Partner und vor allem zum Berater des Kunden entwickeln: also ein wenig weg vom klassischen Verkäufer, hin zum Lösungsanbieter und Kümmerer. Denn auch wenn vieles bereits digital abgewickelt werden kann, muss es einen menschlichen Ansprechpartner geben – und zwar für die Anfragen und Bedürfnisse, die vom Standard abweichen, oder wenn es mal ein Problem gibt. Hiermit verfolgen wir sicher eine andere Strategie als viele andere Unternehmen. Wir sind uns aber sicher, dass dies der richtige Weg ist, um eine besonders hohe Kundenzufriedenheit zu erreichen.


ZUR PERSON

Norbert Heckmann ist Sprecher der Geschäftsleitung und verantwortlich für die operative Steuerung der Adolf Würth GmbH & Co. KG. In seinen Aufgabenbereich fällt die strategische Unternehmensausrichtung, insbesondere die Führung der Niederlassungsleitung und Personalentwicklung sowie des Key-Account-Managements.

 

 


ZUM UNTERNEHMEN

Branche: Handel und Produktion von Montage- und Befestigungsmaterial
Umsatz Würth-Gruppe: 14 Mrd. EUR
Umsatz Adolf Würth GmbH & Co. KG: 2,09 Mrd. EUR
Mitarbeiterzahl Würth-Gruppe: über 79.000
Mitarbeiterzahl Adolf Würth GmbH & Co. KG: über 7.000
www.wuerth.com; www.wuerth.de

Autorenprofil

Als Chefredakteurin der Unternehmeredition berichtet Eva Rathgeber regelmäßig über Unternehmen und das Wirtschaftsgeschehen. Sie verfügt über langjährige Erfahrung im Wirtschaftsjournalismus und in der PR.

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