„Wichtige Bausteine für Innovation sind Raum und Ort“

Interview mit Christian Mohr und Dr. Leopold von Schlenk-Barnsdorf zum Start der neuen Initiative FamilienUnternehmerTUM

Außenansicht vom neu eröffneten Munich Urban Colab in der Freddy-Mercury-Straße 5; Foto: Munich Urban Colab, Stefan Müller-Naumann

UnternehmerTUM hat am 7. Oktober den Startschuss für seine neue Initiative FamilienUnternehmerTUM gegeben. Als Anlaufstelle für mittelständische Firmen an Europas größtem Gründungs- und Innovationszentrum bietet die Initiative praxisnahe Hilfe bei der digitalen Transformation und bei der Lösung von Innovationsherausforderungen. Wir sprachen mit dem Leiter der Initiative Christian Mohr und mit deren Programmanager Dr. Leopold von Schlenk-Barnsdorf.

Unternehmeredition: Wie kam es denn zu dieser Initiative?

Christian Mohr: Als UnternehmerTUM beschäftigen wir uns seit 20 Jahren mit der Ausbildung der Gründerinnen und Gründer von morgen, also von Talenten und Start-ups. Vor gut zehn Jahren haben wir auch schon begonnen, mit etablierten Unternehmen zusammenzuarbeiten. Zuerst lag der Fokus auf Großunternehmen wie BMW, Continental und SAP. Diese Unternehmen haben damals ihre Innovationseinheiten u.a. mit unserer Unterstützung selbst aufgebaut. Mit diesen Unternehmen arbeiten wir heute auch noch zusammen, allerdings nicht mehr im ursprünglichen Sinne. Wir begleiten zwar beispielsweise noch den SAP IO-Accelerator oder den Respond-Accelerator von BMW, aber nicht mehr deren ganzheitliche Innovationsaktivitäten. Mittlerweile sind mittelständische Unternehmen mehr und mehr in den Fokus gerückt, darunter v.a. Familienunternehmen, die sich für die nächste Generation fit machen wollen.

Dadurch, dass UnternehmerTUM jedes Jahr sehr stark gewachsen ist, wurde es für Unternehmerinnen und Unternehmer immer schwerer, auf einen Blick zu verstehen, was sie hier eigentlich geboten bekommen. Im Zuge dieser Entwicklung kam irgendwann der Wunsch auf, dieser Zielgruppe, die 90% unserer Volkswirtschaft ausmacht, noch gezielter und konkreter Zugang zu unserem Ökosystem und noch strukturierter Hilfestellung zu bieten. Daraus ist FamilienUnternehmerTUM entstanden.

Wie viele Mittelständler sind bereits in Ihrem Netzwerk vertreten und gibt es schon Erfolgsbeispiele?

Mohr: Aktuell haben wir mehr als 50 familiengeführte Unternehmen in unserem Netzwerk, darunter bekannte Namen wie Wacker, Festo, Miele und Knorr-Bremse. Beispielsweise hat Truma, ein Hersteller von Wohnwagenzubehör, mit unserer Hilfe sehr erfolgreich die Innovationseinheit „Truma next“ geschaffen und ist mittlerweile selbst in der Lage, Themen voranzutreiben, die nicht im Kerngeschäft liegen. Mit Plantopia wurde vor gut einem Jahr die vegane Produktline eines familiengeführten Nahrungsmittelkonzerns aufgebaut – um nur ein paar der zahlreichen Erfolgsbeispiele zu nennen.

Was bieten Sie den Unternehmen über die Initiative konkret an?

Dr. Leopold v. Schlenk-Barnsdorf: Unsere neue Initiative basiert auf vier Pfeilern: Zunächst geht es um einen Wissens- und Erfahrungstransfer unter den Familienunternehmerinnen und Familienunternehmern. Dabei geht es konkret darum, diese untereinander zu vernetzen und insbesondere den Austausch zu Fragestellungen rund um Innovation, Technologie und digitale Transformation zu forcieren.

Der zweite Pfeiler umfasst einen kuratierten Zugang zum Ökosystem der UnternehmerTUM. Dieser orientiert sich an den drei klassischen Zielgruppen der UnternehmerTUM, d.h. Zugang zu Talenten, Start-ups und etablierten Unternehmen.

Im Rahmen des dritten Pfeilers orchestrieren wir den Zugang zu spezifischen Technologien und Technologieexpertise. Hierbei profitieren wir vor allem von unserer starken Nähe zur TU München und auch zur neuen Kooperation zwischen TUM und UnternehmerTUM − den TUM Venture Labs. Die TUM Venture Labs sind spezifisch auf bedeutende Technologiefelder ausgerichtet und schaffen dynamische Ökosysteme aus Start-ups, Wissenschaft, Investoren und erfahrenen Unternehmen.

Zuletzt dreht sich unsere neue Initiative vor allem auch um die strategische Begleitung innovativer Projekte von Familienunternehmen. Um einen wirklich nachhaltigen Impact zu schaffen, wollen wir Familienunternehmen langfristig auf ihrer Innovationsreise begleiten. So erarbeiten wir in einem Erstgespräch beispielsweise konkrete Problem- und Handlungsfelder, um gemeinsam neue Geschäftsmodelle zu entwickeln und aktiv in interdisziplinären Teams mit den Unternehmen zusammenzuarbeiten.

Unser übergeordnetes Ziel ist es, die historisch gewachsenen und oftmals sehr verschlossenen Innovationsstrukturen des Mittelstands und seiner Familienunternehmen aufzubrechen, um die Offenheit und Bereitschaft gegenüber neuen Innovationspartnern zu fördern.

Gibt es auch spezielle Angebote nur für Familienunternehmen?

Mohr: Ja, die gibt es. Zum einen bereiten wir alles, was wir bis dato schon haben, so auf, dass es der Zielgruppe der Familienunternehmen verständlich und zugänglich wird. Das ist im Wesentlichen die Startup-Fabrik UnternehmerTUM mit all ihren erfolgreichen Ansätzen. Zum anderen werden auch spezielle Formate geschaffen, die sich nur an diese Zielgruppe richten. Diese Formate entwickeln wir in der Regel gemeinsam mit den Familienunternehmen. Man kann es sich so vorstellen: Die Unternehmen werden nicht nur Mitglied wie in einem „Zukunftsclub“, sondern sie haben auch die Chance, diese Initiative mithilfe ihrer Expertise, ihres Netzwerks und ihrer Motivation aktiv mitzugestalten. Wir bieten die Bühne und die Plattform, um diese Power zu bündeln.

Wie ermöglichen Sie die Zusammenarbeit der verschiedenen Partner?

Mohr: Bislang hatten alle unterschiedliche Touchpoints. der eine war im Erdgeschoss, die anderen in der Küche, im Keller oder auf der Dachterrasse. Obwohl sie alle im gleichen Haus waren, gab es keinen Ort, an dem Sie sich gemeinsam treffen konnten.

Im Sommer wurde in München das Munich Urban Colab als neuer Ort für Innovation eröffnet. Foto: Munich Urban Colab, Bert Willer

Wichtige Bausteine für Innovation sind Raum und Ort. Man spricht von der sogenannten Place based Innovation. Ein Paradebeispiel ist das Munich Urban Colab, wo wir seit dem Sommer diesen Jahres auf Initiative von Susanne Klatten einen Ort geschaffen haben, an dem sich die unterschiedlichen Partner mit dem Thema Innovation rund um das Leben der Zukunft beschäftigen, d.h. es geht um Zukunftsthemen wie Mobilität, Energie und Nachhaltigkeit. Dieser Ort ist insofern einmalig, weil hier alle unsere Stakeholder, öffentliche Hand, Universität, Talente und Unternehmen für einen offenen Austausch wie in einem Wohnzimmer zusammenkommen, um an den neuen Themen zu arbeiten. Das Gebäude ist so konzipiert, dass man sich im Erdgeschoss kennenlernt und miteinander vernetzt. Dafür haben wir einen großen Foyerbereich mit Café. Im Erdgeschoss ist auch der Makerspace, wo man seine Ideen in ersten Entwürfen realisieren kann. Der erste Stock bietet Rückzugsmöglichkeiten für gemeinsame Events. Im zweiten Stock sind die Unternehmenspartner angesiedelt, darunter SAP, Siemens, Infineon und Hörmann. Außerdem sind hier die Stadt München mit ihrem IT-Referat und Innovationsthemen, ein Technologiepark aus China und das Bayerische Digitalministerium sowie weitere Initiativen der UnternehmerTUM untergebracht. Auf diesem Stockwerk findet also die Vernetzung zwischen den verschiedenen Partnern statt. Im dritten Stock dreht sich alles um digitale Produkte und Start-ups, hier findet man die Start-up-Programme der UnternehmerTUM plus eine Digital Product School. Im vierten Stock befindet sich eine Venture Lounge, wo man sich mit Investoren treffen kann.

Das Munich Urban Colab wurde ja in erster Linie gegründet, um Smart City Lösungen zu entwickeln. Die Interessen von Familienunternehmen bewegen sich oft auch in andere Richtungen. Wie können Familienunternehmen dort also beitragen?

Das Munich Urban Colab bietet neue Räume für Kooperation – hier die Venture Lounge im obersten Stock. Foto: Munich Urban Colab, Stefan Müller-Naumann

Mohr: Das Munich Urban Colab wurde geschaffen, um das Thema Urban voranzutreiben. Dabei kommt man irgendwie immer am Thema Nachhaltigkeit vorbei. Und das betrifft einfach jedes Unternehmen. Ob ich Schmierstoffe nachhaltiger herstellen oder ob ich als Anbieter von Klima- und Kühltechnik fürs Caravaning das Thema Mobilität nachhaltiger angehen möchte. Der gemeinsame Nenner ist immer Nachhaltigkeit und Impact. Auch alles, was Vernetzung angeht, also Internet of Things, Industrie 4.0, betrifft jedes Unternehmen. Das heißt, die Themen sind nicht nur auf die Stadt der Zukunft limitiert. Alles, was die Unternehmen oder wir tagtäglich tun, wirkt ja auf unser Leben. Damit ist eigentlich fast immer ein logischer Link zu diesem Gebäude gegeben. Und damit gibt es thematisch auch immer die Möglichkeit, sich einzubringen. Die Hörmann Gruppe arbeitet beispielsweise an der digitalen Prozessoptimierung von Unternehmen. Das zahlt zwar auf den ersten Blick nicht zu 100% auf die Stadt der Zukunft ein. Aber wenn sie dabei energieneutraler produzieren und effizienter mit Materialausschuss umgehen, dann ist das gut für die Umwelt und somit auch für die Stadt München. Wenn BMW ein Mobilitätsthema mit anderen Partnern bearbeitet, dann ist das natürlich sehr direkt mit der Stadt verbunden. Die Verbindung ist immer da durch diese Megatrends, die auf das Thema Urban der Zukunft wirken.

Wie finanziert sich denn das Munich Urban Colab?

Mohr: Das Munich Urban Colab ist eine GmbH. UnternehmerTUM ist Mehrheitsgesellschafter aufgrund der Investition ins Gebäude, und die Stadt München ist Minderheitseigentümer aufgrund der Erbpacht für das Land, auf dem das Gebäude steht.

Munich Urban Colab ist unternehmerisch tätig, d.h. es muss Geld verdienen, in dem es Flächen vermietet, Partner für sich gewinnt und gemeinsam Themenevents initiiert. Diese Themenevents sind teilweise gefördert, teilweise nicht. Deshalb ist jeder Partner, der auf diese Trends einzahlt und offen für den Austausch ist, in diesem Ökosystem und damit auch im Gebäude herzlich willkommen. Auch wenn ein Unternehmer da ist, der nur eine sehr lose Beziehung zum Thema Smart City hat, zahlt er ein und befruchtet das Ökosystem, weil ein Start-up einen möglichen Kunden kennenlernt, ein Talent einen Arbeitgeber kennenlernt.

Wie gehen Sie vor, wenn es sich doch um ein vollkommen anderes Thema handelt?

Mohr: Mit dem Entrepreneurship Center, unserem Ursprung in Garching, haben wir einen zweiten Raum, um Innovationen zu fördern. In Garching haben wir eine größere Nähe zur Forschung und Lehre, weil es sich um einen Forschungscampus handelt. Da sind wir auch noch stärker IoT- und industrielastig. Im Grunde sind die beiden Spiegelbilder, aber das Munich Urban Colab hat die Start-up-Programme und einen vergleichsweise stärkeren Schwerpunkt Richtung Urban. Je nachdem, welchen Schwerpunkt das Unternehmen hat und sucht, haben wir somit zwei Standorte, wo man Innovation sehr hautnah und sehr niederschwellig erlebbar machen kann.

Dr. v. Schlenk-Barnsdorf: Ergänzend lässt sich sagen, dass das Munich Urban Colab eine logische Ergänzung ist, um dem steigenden Wachstum von UnternehmerTUM gerecht zu werden. Die Zielsetzung ist, noch stärker zu wachsen, um auch mit ausländischen Ökosystemen in puncto Geschwindigkeit und Impact mithalten zu können.

Gibt es auch bereits Kooperationen mit ausländischen Ökosystemen?

Helmut Schönenberger, Geschäftsführer der UnternehmerTUM GmbH; Foto: UnternehmerTUM

Dr. v. Schlenk-Barnsdorf: Es gibt bereits Kooperationen mit ausländischen Ökosystemen. Eine solche Kooperation besteht beispielsweise mit der Stanford Universität im Silicon Valley, wo Prof. Helmut Schönenberger seine Diplomarbeit verfasst hat, welche Grundlage für die Gründung der UnternehmerTUM war. Außerdem pflegen wir eine Partnerschaft mit einem der größten Innovationsökosysteme in China. Da gibt es keinen Wettbewerb, sondern vielmehr den Anspruch, das eigene Wachstum zu fördern, indem man noch stärker mit ausländischen Einrichtungen kooperiert.

Familienunternehmen können also auch von Ihren internationalen Beziehungen und Ihren globalen Partnerschaften profitieren?

Mohr: Ja, wenn ein Unternehmenspartner von uns ein Produkt entwickelt und wissen möchte, ob es in China, Osteuropa oder anderswo Unternehmenspartner dafür gibt, dann sind wir in der Lage, für diesen Partner passende Unternehmen zu scouten. Zum einen verfügen wir über Datenbanken, zum anderen über ein sehr starkes persönliches Netzwerk. Das heißt wir können innerhalb von relativ kurzer Zeit Input über unser Netzwerk einholen. Auf die Frage „Kennt ihr ein Unternehmen in Singapur?“ erhalten wir innerhalb weniger Stunden eine Antwort.

Dr. v. Schlenk-Barnsdorf: Wir unterhalten zum Beispiel eine strategische Partnerschaft mit dem Münchner Familienunternehmernetzwerk Alphazirkel. Unter anderem unternehmen diese auch internationale Delegationsreisen, um die weltweit führenden Technologiehubs und die dort führenden Akteure kennen zu lernen.

Im Rahmen unserer Kooperation mit dem Unternehmernetzwerk haben wir außerdem eine Eventreihe geplant. Noch in diesem Jahr sind Events geplant, das erste fand am 11. Oktober statt. Bei diesem Event ging es um die Themen Agritech und Innovationen im Lebensmittelbereich.

All das sind erste Schritte, mit denen wir diese Kooperation mit Leben befüllen, und das wollen wir natürlich auch in der nächsten Zeit noch weiter forcieren und vertiefen.

Wie wird das neue Angebot denn insgesamt angenommen?

Mohr: Die Initiative ist eine ganzheitliche UnternehmerTUM-Initiative, die auch seitens des Aufsichtsrats unterstützt wird. Das Colab erfreut sich großer Beliebtheit. Wir sind jetzt schon über das restliche Jahr hinaus komplett ausgebucht und haben Wartelisten für mögliche Partner, die wir gar nicht bedienen können, weil es einfach so voll ist. Wir wollen aber trotzdem gerade der Zielgruppe Familienunternehmen Zugang in dieses Ökosystem verschaffen, um eben diesen Bereich langfristig noch erfolgreicher zu machen.

Haben Sie eine Vision?

Mohr: Unser Ziel ist es, die Zahl der familiengeführten, mittelständischen Unternehmen in unserem Netzwerk um den Faktor 10 zu vergrößern, das heißt dass wir perspektivisch nicht mehr nur 50, sondern 500 Familienunternehmen sehr aktiv begleiten wollen. Dabei geht es uns darum, den familiengeführten Mittelstand für die Zukunft erfolgreich aufzustellen. Je erfolgreicher unsere Innovationsbemühungen, desto erfolgreicher unsere Unternehmen und desto erfolgreicher auch unsere Volkswirtschaft.

Wir danken Ihnen für das interessante Gespräch.

Interessierte Unternehmen können sich unverbindlich bei Christian Mohr oder Dr. v. Schlenk-Barnsdorf melden und eine Führung durch das Munich Urban Colab erhalten.

ZU DEN PERSONEN

Christian Mohr ist Leiter der Initiative FamilienUnternehmerTUM und Mitglied der Geschäftsführung bei UnternehmerTUM. Außerdem ist er Managing Partner bei UnternehmerTUM Business Creators (UBC), dem Beratungsarm von UnternehmerTUM, dem Gründungs- und Innovationszentrum an der TU München. Sein Fokus liegt in der ganzheitlichen Beratung von mittelständischen Unternehmen in den Bereichen Innovation, Technologie und Nachhaltigkeit. Aus einem Familienunternehmen stammend sammelte er mehr als zehn Jahre Erfahrung bei KPMG.

E-Mail: christian.mohr@unternehmertum.de

Dr. Leopold von Schlenk-Barnsdorf ist Programm Manager bei FamilienUnternehmerTUM. Zuvor hat er sich während seiner Promotion am Wittener Institut für Familienunternehmen (WIFU) mit Geschäftsmodellinnovationen und digitaler Transformation in Familienunternehmen beschäftigt.

E-Mail: leopold.schlenk@unternehmertum.de

Mehr Informationen finden Sie hier.

Autorenprofil

Als Chefredakteurin der Unternehmeredition berichtet Eva Rathgeber regelmäßig über Unternehmen und das Wirtschaftsgeschehen. Sie verfügt über langjährige Erfahrung im Wirtschaftsjournalismus und in der PR.

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