Eine Insolvenz ist nicht das Ende – es kann die Initialzündung für eine nachhaltige Neuaufstellung eines Unternehmens sein. Wer das sagt, muss es wissen: Tobias Hartwig ist Partner bei der Sozietät Schultze & Braun und hat jede Menge Verfahren begleitet. Wie viele andere seiner Kollegen wünscht er sich eine andere Kultur des Scheiterns in unserem Land.
„In den USA können Sie Präsident werden, auch wenn Sie vorher eine veritable Pleite hingelegt haben. In Deutschland haftet dem Unternehmen, aber auch dem Unternehmer nach einer Insolvenz leider immer noch ein Makel an“, erklärt Hartwig. In der politischen Debatte hat man dies beispielsweise kurz vor der Bundestagswahl erlebt, als dem nun amtierenden Finanzminister Christian Lindner seine Firmenpleite vorgehalten wurde, die rund 20 Jahre zurückliegt. Der erfahrene Insolvenzverwalter Hartwig plädiert im Gespräch mit der Unternehmeredition für eine Management-orientierte Insolvenzverwaltung. Es dürfe gerade in dieser Phase der Krise keine Denkverbote geben und mit allen Beteiligten müssten „pfiffige Lösungen“ gefunden werden. Als Diplom-Wirtschaftsjurist mit einem zusätzlichen MBA-Abschluss bringt Hartwig eine Menge betriebswirtschaftliches Rüstzeug mit, um neue Geschäftsmodelle zu planen oder Strukturen in Unternehmen anzupassen. Hartwig ist zudem der Überzeugung, dass ein gut vorbereitetes Insolvenzverfahren in vielen Fällen Werte erhält und im Vergleich zu anderem – außergerichtlichen – Restrukturierungsverfahren nicht teurer sei. „Ich habe gerade erst wieder einen Fall durchgerechnet und da lagen die Kosten eines Insolvenzverfahrens bei einem Drittel der möglichen Ausgaben für andere Verfahrenswege“, sagt er.
Eine gute Vorbereitung ist wichtig
Wichtig sei aber eine gute Vorbereitung des Insolvenzverfahrens. Und hier spielt nach Hartwigs Ansicht der Faktor „Zeit“ eine entscheidende Rolle: „Der Weg in die Sanierung wird oft zu spät angetreten. Unternehmer glauben zu lange an sich und ihre Idee und suchen zu spät Rat von außen“. Eine gute Beratung im Vorfeld könne dabei helfen, die wirtschaftlichen Schäden so niedrig wie möglich zu halten und das Verfahren selbst schnell und effektiv zu durchlaufen. „Die Unternehmer sind immer wieder erstaunt, wenn wir durch die Tür kommen und dann sinnbildlich den großen Werkzeugkoffer aufmachen, der in Insolvenzverfahren zur Verfügung steht. Dann höre ich von den Unternehmern oft: Wenn sie das vorher gewusst hätten, dann hätten sie sich früher gemeldet“, sagt Hartwig augenzwinkernd. So bietet das Insolvenzverfahren – egal ob Regelinsolvenz oder Eigenverwaltung – etwa die Möglichkeit zur Auflösung von langfristigen Verträgen, die für das Unternehmen nachteilig sind. Als Beispiele seien hier Mietverträge genannt, langfristige Finanzierungen aber auch Pensionsverpflichtungen. Schließlich können in einem Insolvenzverfahren auch Personalanpassungen vorgenommen werden, die außerhalb der Insolvenz nicht möglich wären. Kurzum: Mit einem geordneten und vorbereiteten Insolvenzverfahren ergeben sich für ein Unternehmen oftmals neue Perspektiven.
„Hausmeister mit Krawatte“
Zu einer effektiven Begleitung des Verfahrens gehört seiner Meinung nach auch eine gute Kommunikation mit den Beteiligten – etwa dem Gläubigerausschuss und mit dem jeweiligen Gericht. Außerordentlich wichtig ist aus Sicht von Hartwig die persönliche Präsenz vor Ort im Unternehmen, das man durch die Insolvenz begleite. Man müsse dort arbeiten – sichtbar sein und als Ansprechpartner zur Verfügung stehen. „Ich darf und will mich nicht hinter dem Schreibtisch verstecken – ich verstehe mich eher als Hausmeister mit Krawatte“, meint er. Nur so sei es auch möglich, das notwendige Vertrauen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu gewinnen, um in den Tagen und Wochen nach dem Insolvenzantrag den Geschäftsbetrieb fortsetzen zu können. Denn wenn der Geschäftsbetrieb eines Unternehmens erst einmal stillstehe, sei es sehr schwierig, Geschäftspartner von einer möglichen Zukunft zu überzeugen. Das gelte im zweiten Schritt dann auch für potenzielle Übernehmer und Investoren.
Gleichzeitig sei es aber auch wichtig, sehr tief in das Zahlenwerk des Unternehmens einzusteigen, um die betriebswirtschaftlichen Ursachen für die Insolvenz zu finden. Nur auf der Basis dieser Erkenntnisse sei es dann möglich, die entsprechenden Konsequenzen zu ziehen, Maßnahmen zu ergreifen und eine tragfähige Lösung für die Zukunft zu finden. Dazu gehören nach seiner Meinung auch Benchmark-Branchenvergleiche, um die Leistungsfähigkeit des Unternehmens besser einschätzen zu können. Im Zuge der Analyse ertappt sich Hartwig auch immer wieder bei dem Gedanken: „Warum haben die das nicht selbst oder erst so spät gesehen?“ Aber letztendlich geht es darum, Verlustbringer zu finden und dann mit einem Konzept ertragreiche Bereiche zu stärken und fortzusetzen.
„Nicht verrückt machen lassen“
Hartwig findet nicht, dass sich durch das neue Insolvenzrecht mit der Stärkung der Eigenverwaltung und der Einführung des Schutzschirmverfahrens vor zehn Jahren die Rolle des Insolvenzverwalters stark geändert hat. Nach wie vor habe ein Insolvenzverwalter im Regelinsolvenzverfahren immer noch viele Möglichkeiten zur Gestaltung. Hartwig bevorzugt – wenn möglich – eine moderierende Vorgehensweise. Es sei wichtig, die verschiedenen Interessen in dem Verfahren zu berücksichtigen, um auf diese Weise einen Mehrwert zu erreichen: „Dann gibt es meistens für alle Beteiligten noch einen Schnaps oben drauf“. Wenn die Kompromisslösung für alle einen Mehrwert bietet, dann findet sie auch relativ schnell Zustimmung. In der Vergangenheit hat er dabei auch gelernt, dass man sich von der zumeist drei Monate laufende Zahlung des Insolvenzgeldes „nicht verrückt machen soll“ – auch wenn der finanzielle Spielraum natürlich ein wichtiger Faktor sei. Lieber führe er das Unternehmen, wenn es möglich sei noch eine gewisse Zeit selbst weiter, um eine nachhaltige Lösung für das Unternehmen zu finden und sich bei einer möglichen Verkaufslösung nicht unter Druck setzen zu lassen.
Aufgrund seiner bisherigen Erfahrung weiß Hartwig relativ schnell zum Beginn eines Verfahrens, wie die Chancen für eine Rettung stehen: „Man sieht in die Augen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, und man hört, wie sie reden. Ein wichtiges Kriterium ist für mich auch der erste Eindruck in den Büros und in der Produktion“, erklärt er. Für die eigentliche detaillierte Analyse brauchen er und sein Team im Durchschnitt sechs Wochen – dann habe man oftmals endgültige Klarheit über den Fortgang der Sanierung. Als eine wichtige Aufgabe sieht Hartwig, dass Leistungsträger im Unternehmen gehalten werden. „Gerade die Besten suchen schnell das Weite – und damit geht wichtiges Know how verloren. Das muss man verhindern, indem man transparent realistische Perspektiven darstellt“, sagt er.
StaRUG auch für Spezialfälle
Mit Fällen nach dem neuen Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetz (StaRUG) hatte Hartwig bislang noch keine größeren Berührungspunkte. Wie viele seiner Fachkollegen bedauert er, dass im Gesetzgebungsverfahren in letzter Minute noch die Auflösbarkeit von Verträgen aus dem Gesetz gestrichen wurde. Damit sei das StaRUG in seiner Anwendbarkeit reduziert worden. Hier sei eine wichtige Chance nicht genutzt worden.
Insolvenzwelle erwartet
Mit Blick auf die kommenden Monate sagt Hartwig: „Die Ebbe ist vorbei. Aktuell kommt jeden Tag eine neue Akte mit einem Insolvenzverfahren auf den Tisch“. Die Hilfsprogramme aus der Coronapandemie hätten Insolvenzen stark verzögert – insbesondere das Kurzarbeitergeld mit seinen weitgehenden Möglichkeiten. Nun sähen sich die Unternehmen jedoch zahlreichen Herausforderungen gleichzeitig gegenüber: „Es kommt gerade viel zusammen. Steigendes Zinsniveau, gestörte Lieferketten, Inflation, Arbeitskräftemangel und die Energiekrise machen vielen Betrieben zu schaffen“. Besonders betroffen sind Hartwig zufolge die Gastronomie, der Handel, Franchise-Systeme und der Automotive- sowie der Gesundheitsbereich. Es kann also sein, dass die Restrukturierer und Insolvenzverwalter in den kommenden Monaten wieder mehr zu tun haben werden.
Diplom-Wirtschaftsjurist (FH) Tobias Hartwig, MBA, leitet bei Schultze & Braun die Standorte Hannover und Braunschweig. Er wird regelmäßig von Gerichten in Niedersachsen, Brandenburg und Berlin als Insolvenzverwalter bestellt und hat mit seinem Team bereits zahlreiche Unternehmen unterschiedlicher Größe erfolgreich bei ihren Sanierungsverfahren begleitet – als Insolvenzverwalter, aber auch als Sachwalter und Sanierungsgeschäftsführer (CRO). Außerdem ist Tobias Hartwig Lehrbeauftragter für Insolvenzrecht an der HR Nord Hochschule für Rechtspflege Hildesheim.
Als Redakteur der Unternehmeredition berichtet Alexander Görbing regelmäßig über Unternehmen und das Wirtschaftsgeschehen. Zu seinen Schwerpunkten gehören dabei Restrukturierungen, M&A-Prozesse, Finanzierungen sowie Tech-Startups.