Viele über lange Zeiträume erfolgreiche Unternehmen scheitern plötzlich, weil (neuen) Risiken nicht rechtzeitig begegnet wurde. Wegen der bekannten Schwächen zahlreicher Unternehmen im Umgang mit Chancen und Gefahren (Risiken) hat der Gesetzgeber mit § 1 StaRUG ein Gesetz in Kraft gesetzt, das alle Kapitalgesellschaften zur Implementierung eines Krisen- und Risikofrüherkennungssystems verpflichtet. Implikationen daraus und praxisorientierte Empfehlungen zur Umsetzung gerade für mittelständische Familienunternehmen werden im Beitrag erläutert.
Hauptsächliche Zielsetzung des Gesetzes über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen (StaRUG) ist es, Unternehmen in der Krise verschiedene Möglichkeiten zur Unterstützung der Sanierung außerhalb eines Insolvenzverfahrens zu eröffnen. Allerdings beinhaltet das Gesetz auch eine zentrale Anforderung an die Unternehmensleitung in Bezug auf Risikofrüherkennung für alle Kapitalgesellschaften – und damit nicht nur für Krisenunternehmen.
„§ 1 Krisenfrüherkennung und Krisenmanagement bei haftungsbeschränkten Unternehmensträgern: (1) Die Mitglieder des zur Geschäftsführung berufenen Organs einer juristischen Person (Geschäftsleiter) wachen fortlaufend über Entwicklungen, welche den Fortbestand der juristischen Person gefährden können. Erkennen sie solche Entwicklungen, ergreifen sie geeignete Gegenmaßnahmen und erstatten den zur Überwachung der Geschäftsleitung berufenen Organen (Überwachungsorganen) unverzüglich Bericht. […]“
Der erste Satz entspricht den Anforderungen des KonTraG (§ 91 (2) AktG), wonach Systeme zur Früherkennung von „bestandsgefährdenden Entwicklungen“ einzurichten sind. Schon aus den Erläuterungen zum KonTraG ist bekannt, dass die Krisenfrüherkennung ein Risikofrüherkennungssystem erfordert. Dieses soll durch Risikoanalysen aufzeigen, welcher „Grad der Bestandsgefährdung“ sich aus den bestehenden Risiken und dem Risikodeckungspotenzial ergibt. Da sich „bestandsgefährdende Entwicklungen“ meist aus Kombinationseffekten mehrerer Einzelrisiken ergeben, ist eine Risikoaggregation zwingend erforderlich. Das StaRUG geht aber über bisherige gesetzliche Anforderungen aus dem KonTraG hinaus. Die Geschäftsleiter werden nun verpflichtet, „geeignete Gegenmaßnahmen“ zu ergreifen, wenn eine schwere, das heißt bestandsgefährdende, Krise droht. Es wird also eine Planung von Gegenmaßnahmen und eine „unternehmerische Entscheidung“ zu Krisenbewältigungsmaßnahmen gefordert.
Bestandsgefährdungen ergeben sich aus einer Gefahr der Illiquidität. Von einer drohenden Zahlungsunfähigkeit wird (spätestens) ausgegangen, wenn die Durchfinanzierung des Unternehmens nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit in den nächsten 24 Monaten gewährleistet ist. Zur Beurteilung der drohenden Zahlungsunfähigkeit ist damit eine integrierte Unternehmensplanung mit zugehöriger Liquiditätsprognose erforderlich.
Eine wichtige Implikation aus § 1 StaRUG ist, dass das Gesetz nun alle haftungsbegrenzten Gesellschaften anspricht und damit speziell auch Tochtergesellschaften von Konzernen und in der Rechtsform einer GmbH. Die Geschäftsführer solcher Tochtergesellschaften sind nun eigenständig verantwortlich, durch eine Risikoanalyse und Risikoaggregation mögliche „bestandsgefährdende Entwicklungen“ aufzuzeigen. Erreicht werden soll dadurch eine bessere Verankerung des Risikomanagements in den Tochtergesellschaften, da zur Vermeidung von Haftungsrisiken nun die Geschäftsleiter ein Eigeninteresse daran haben, sich mit den für ihre Gesellschaften relevanten Risiken zu befassen.
Ausgestaltung des Frühwarnsystems
Zahlreiche mittelständische Unternehmen haben kein eigenständiges Krisenfrühwarn- oder Risikomanagementsystem. Dies ist auch kein grundsätzliches Problem, weil der Gesetzgeber kein eigenständiges Risikomanagement fordert, sondern lediglich die Fähigkeit, mögliche „bestandsgefährdende Entwicklungen“ früh zu erkennen. Formell eigenständige Risikomanagementsysteme benötigen nur kapitalmarktorientierte AGs (siehe § 91 AktG und FISG von 2021).
Konkrete Vorgaben, welche Charakteristika das Frühwarnsystem aufweisen soll, enthält das StaRUG nicht. Durch die nahezu identische Anforderung aus dem KonTraG werden die sich daraus ergebenden betriebswirtschaftlichen Implikationen und Anforderungen auch für die Interpretation des StaRUG herangezogen. Notwendig ist eine systematische Identifikation und sachgerechte Quantifizierung der Risiken und insbesondere eine Risikoaggregation (vgl. Standards wie den neuen DIIR Revisionsstandard Nr. 2 von 2022 oder den überarbeiteten IDW Prüfungsstandard 340 n.F. von 2020).
Gerade viele mittelständische Unternehmen sind bisher aber noch nicht in der Lage, mögliche bestandsgefährdende Entwicklungen aus Kombinationseffekten von Risiken, die das Rating oder Covenants bedrohen, zu erkennen. Es fehlt insbesondere an einem an sich einfach implementierbaren Verfahren für die Risikoaggregation, eine Monte-Carlo-Simulation mit Bezug auf die Unternehmensplanung. Hierfür stehen in der Zwischenzeit einfach nutzbare und kostenlose Simulationstools speziell für mittelständische Unternehmen zur Verfügung (eine Alternative stellt Outsourcing dar).
Robustes Unternehmen als Leitlinie
Der Ausbau der Fähigkeiten im Umgang mit Risiken bei der Etablierung „StaRUG-konformer“ Krisen- und Risikofrüherkennungssysteme schafft auch Potenziale an anderer Stelle. Mit der zur Krisenfrüherkennung notwendigen quantitativen Risikoanalyse und planungsbezogenen Risikoaggregation entsteht quasi automatisch eine Bandbreitenplanung, die über die Planungssicherheit informiert. Damit ist auch die infolge der Business Judgement Rule (§ 93 AktG) nun zentral wichtige Aufgabe der Erstellung von Vorlagen für „unternehmerische Entscheidungen“ kein größeres Problem mehr. Bei anstehenden Entscheidungen etwa über Investitionen können für die verschiedenen Handlungsoptionen dann deren Erträge und Risiken gegeneinander abgewogen werden. StaRUG ist also eine gute Chance, Fähigkeiten zu etablieren, die notwendig für den Umgang mit Unsicherheit sind. Dies hilft, das Unternehmen robust aufzustellen. Robuste Unternehmen „überstehen“ schwere Wirtschaftskrisen und weisen folgende Charakteristika auf (Abb. 2):
- hohe finanzielle Nachhaltigkeit (stabiles Rating, niedriges Ertragsrisiko),
- eine robuste Strategie mit stabilen strategischen Erfolgspotenzialen als Treiber der zukünftigen finanziellen Leistungsfähigkeit und des Unternehmenswerts,
- eine hohe Kompetenz im Umgang mit Chancen und Gefahren, speziell bei der Krisenfrüherkennung und Vorbereitung „unternehmerischer Entscheidungen“ (zur Absicherung von a) und b)).
FAZIT
Gerade bei mittelständischen Unternehmen bedeutet die Umsetzung der Anforderungen aus § 1 StaRUG insbesondere, dass durch das Controlling – oder die kaufmännischen Geschäftsführer selbst – ein Krisenfrühwarnsystem geschaffen werden muss. Die Kompetenz zum Umgang mit Risiken dient nicht nur einer gesetzlichen Pflichterfüllung, sondern hilft auch dabei, das Unternehmen robust und finanziell nachhaltig aufzubauen.
Dieser Beitrag erscheint in der nächsten Magazinausgabe der Unternehmeredition 2/2022.