Kredite gibt es seit dem Ausbruch der Coronakrise in Deutschland praktisch zum „Nulltarif“. Seitdem die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) bei bestimmten Krediten das Ausfallrisiko zu 100% übernimmt, sind diese Finanzierungen noch leichter zu bekommen. Aber sind Kredite in der jetzigen Situation das Mittel der Wahl? Oder schaffen Unternehmen damit eine Belastung für die Zukunft, die später erdrückend werden kann? VON DR. FLORIAN LINKERT
Für im Grunde gesunde Unternehmen mit einer soliden Kapitalausstattung und einem tragfähigen Geschäftsmodell sind die angebotenen Kredithilfen ein nützliches Instrument, um die Krise zu überbrücken, ganz ohne Zweifel. Das setzt allerdings ein funktionierendes Geschäftsmodell und eine Fortführungsperspektive für die Zeit nach der Pandemie voraus. Anders sieht es bei den Unternehmen aus, die ohnehin nur über wenig Eigenkapital verfügen und schon nach wenigen Wochen oder Monaten in eine bedrohliche Schieflage geraten: Sie müssen sich kritisch fragen, ob, wie und bis wann sie in der Lage sein werden, die Kredite zurückzuzahlen.
Unternehmen, die Hilfen in Anspruch nehmen wollen, sollten vorher ihr Geschäftsmodell auf den Prüfstand stellen und danach unter realistischen Annahmen abwägen, ob der zur Rückzahlung notwendige Kapitaldienst aus dem laufenden Geschäft geleistet werden kann.
Kreditaufnahme als Belastung
Eine Kreditaufnahme stellt stets eine Belastung des Unternehmens dar. Zudem ist zu bedenken, dass gerade die Kreditaufnahme in der aktuellen Situation die Chance auf eine nachhaltige Sanierung erheblich reduzieren kann. Gerade die Unternehmen, die aktuell noch gute Sanierungschancen in einem Insolvenzverfahren hätten, können sich durch eine Kreditaufnahme ebendieser Möglichkeit berauben. Das Problem wird nur in die Zukunft verlagert – mit der Folge, dass sich die Krise im Unternehmen weiter verschärft und damit die Sanierungsaussichten schwinden.
Als kurzfristige Maßnahme in der aktuellen Situation dürfte für die allermeisten Unternehmen eine Kreditaufnahme über die staatlichen Programme allerdings alternativlos sein. Denkbar sind theoretisch auch Mezzanine-Finanzierungen; der Verkauf künftiger Forderungen mittels Factorings ist ebenfalls vorstellbar. Bei allen alternativen Finanzierungsformen dürfte derzeit aber sicherlich eine erhöhte Risikobewertung greifen, was diese erheblich verteuern und im Ergebnis unwirtschaftlich machen könnte.
Insolvenzantrag kann eine Lösung sein – als Regelinsolvenz oder in Eigenverwaltung
Das Insolvenzverfahren als Sanierungsweg kommt in der öffentlichen Diskussion deutlich zu kurz. Es kann in vielen Fällen die bessere Lösung sein, muss es aber nicht. Hier kommt es, wie so häufig, auf den Einzelfall an. Für die betroffenen Unternehmen ist es jedoch wichtig, zu analysieren und abzuwägen, ob ein Insolvenzantrag der richtige Weg sein könnte.
Mit Vapiano, Maredo, Esprit und Kaufhof-Karstadt, um nur einige zu nennen, gibt es aktuell prominente Beispiele, die diesen Weg eingeschlagen haben. Dabei bietet das geltende Recht verschiedene Möglichkeiten, ein Insolvenzverfahren zu durchlaufen. Das in den Medien häufig zitierte „Schutzschirmverfahren“, ein besonderer Fall eines Verfahrens in Eigenverwaltung, stellt dabei sicherlich die Variante dar, die für das Unternehmen mit den geringsten Eingriffen von außen verbunden ist. Allerdings ist hier die Zugangshürde auch am höchsten, da die Zahlungsunfähigkeit noch nicht eingetreten sein darf.
Verfahren in Eigenverwaltung, ob mit oder ohne Schutzschirm, sehen im Grunde vor, dass die bisherige Geschäftsleitung handlungsbefugt bleibt, ihr in der Praxis aber regelmäßig ein Sanierungsgeschäftsführer zur Seite gestellt und das Unternehmen von einer auf Sanierung/Restrukturierung spezialisierten Anwaltskanzlei begleitet wird.
Chancen im Insolvenzverfahren
Welcher Weg – Verfahren in Eigenverwaltung oder Regelinsolvenzverfahren – dann der richtige ist, muss im Einzelfall geprüft werden. Jeder Variante ist jedoch gemeinsam, dass es sich um ein Insolvenzverfahren handelt, und zwar mit allen Vorteilen, die ein solches bietet.
Insbesondere ist hier das Insolvenzgeld zu nennen, das derzeit für einen Zeitraum von maximal drei Monaten gewährt wird sowie das volle Nettogehalt der Arbeitnehmer bis zur Beitragsbemessungsgrenze der Arbeitslosenversicherung und damit regelmäßig in voller Höhe abdeckt. Dieser Zeitraum bietet dem Unternehmen eine Atempause, um ein Sanierungskonzept zu erarbeiten. Während dieser Zeit ist es vor Zugriffen einzelner Gläubiger im Wege der Zwangsvollstreckung geschützt und hat die Möglichkeit, sich zu konsolidieren, indem nur noch betriebsnotwendige Verbindlichkeiten bedient werden. Kredite und sonstige „Altlasten“ werden hingegen nicht bedient. Verträge kommen auf den Prüfstand und können im Insolvenzverfahren gekündigt und neu verhandelt werden.
Unvoreingenommene Prüfung ist gefragt
Entscheidend ist daher, dass sich im Grunde sanierungsfähige Unternehmen mit allen denkbaren Optionen befassen und das Insolvenzverfahren, ob mit oder ohne Eigenverwaltung, unvoreingenommen in ihre Überlegungen einbeziehen. Die aktuellen Zahlen erwecken aber einen anderen Eindruck: So sind laut Statistischem Bundesamt im April 2020 die vorläufigen Insolvenzverfahren im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 13,4% zurückgegangen. Man mag darüber spekulieren, ob das mit der (im Zweifel auch nur vermeintlich) ausgesetzten Insolvenzantragspflicht zusammenhängt oder Maßnahmen wie Kurzarbeitergeld, Soforthilfen und sonstige Förderprogramme der KfW ihre Wirkung nicht verfehlt haben. Das am 3. Juni 2020 beschlossene „Konjunktur- und Krisenbewältigungspaket“ sieht jetzt noch weitere entlastende Maßnahmen vor.
Das ist begrüßenswert – fest dürfte aber stehen, dass für einen signifikanten Teil der Unternehmen die Hilfen zu kurz greifen und das Problem nur verschoben wird. Damit hätten sie dann wertvolle Zeit für eine Sanierung im Rahmen eines Insolvenzverfahrens möglicherweise unwiederbringlich verpasst.
ZUM AUTOR
Dr. Florian Linkert ist Sanierungsexperte und Insolvenzverwalter sowie Partner bei BBL Bernsau Brockdorff. www.bbl-law.de