Spätestens seit März ist die deutsche Wirtschaft im Würgegriff der Corona-Pandemie. International vernetzte Firmen spürten die Auswirkungen bereits seit den ersten drastischen Maßnahmen in China zum Jahresbeginn. Seit Mai nun bahnt sich eine Lockerung an. Welche Auswirkungen hat die aktuelle Krise auf den M&A-Sektor? Wie haben die Dealmaker die vergangenen Wochen erlebt? Wie blicken sie in die Zukunft? Unternehmeredition befragte einige erfahrene Manager zu ihren Einschätzungen. Im Gespräch mit Dr. Klaus Weigel
Einen Blick quasi von außen auf den M&A-Markt hat Dr. Klaus Weigel, Geschäftsführer der Board Xperts GmbH. Sein sehr spezielles Geschäft besteht in der Suche von externen Kandidaten für Aufsichtsrats- oder Beiratsbesetzungen – überwiegend für mittelständische Unternehmen sowie für Private Equity-Häuser und deren Portfoliounternehmen. Nach zahlreichen Gesprächen in seinem Netzwerk hat er bei vielen Private Equity-Gesellschaften davon erfahren, dass Liquiditätssicherungs-Maßnahmen ganz oben auf der Agenda standen. Für die meisten Unternehmen mit Private Equity-Investoren an Bord kamen die KfW-Hilfskredite allerdings gar nicht erst in Frage. Wesentlicher Grund waren dabei die komplizierten Finanzierungsstrukturen mit vielen Beteiligten, die bei einer Kreditfinanzierung mit den Anforderungen der KfW hätten „unter einen Hut gebracht“ werden müssen.
Es gibt auch Gewinnerbranchen
Dabei war die Krise aber nicht in allen Sektoren spürbar: „Einige Unternehmen sind sogar die Gewinner, bei anderen bricht das Geschäft zumindest zeitweise vollkommen zusammen“, sagt Dr. Weigel. Als mögliche Gewinner-Industrien der Corona-Krise sieht er unter anderem die Bereiche Digitalisierung, E-Learning, Healthcare sowie auch die Berater-Branche aufgrund der anstehenden Neuorganisation von internen Prozessen. Spezialfälle wie Unternehmen mit Desinfektions-Artikeln im Angebot erlebten aktuell zwar einen Boom, dieser sei aber möglicherweise nicht nachhaltig.
Wie entwickelt sich das Preisniveau bei M&A-Transaktionen?
Für eine Einschätzung, wie sich das Preisniveau bei der Bewertung von Unternehmen entwickeln wird, ist es nach Weigels Einschätzung noch zu früh. Erst in zwei bis drei Jahren könne hier eine nachhaltige Entwicklung sichtbar werden. Natürlich gebe es aktuell eher einen Trend der Bewertungen nach unten, aber dieser werde sich vermutlich nicht stabilisieren. „Es sind doch immer die gleichen Fragen: Was ist mein Unternehmen wert? Was ist der Käufer bereit zu zahlen? Gibt es andere Opportunitäten?“, sagt Weigel. Die individuelle Lage des Unternehmens spiele immer eine große Rolle. Und für manche Beteiligungsgesellschaften könnte nun auch das Motto für bestimmte Portfoliogesellschaften gelten „Weg mit Schaden“. Als schwierigen Sektor sieht Weigel weiterhin die Automotive-Branche: „Besser wird es so schnell bestimmt nicht“.
Was sind die „Lessons Learned“?
Das für Weigel derzeit spannendste Thema ist der Blick in die weitere Zukunft. Wie wird die Welt aussehen, wenn das Virus erfolgreich zurückgedrängt ist? Was werden die „Lessons Learned“ in den Unternehmen und in den wirtschaftlichen Beziehungen sein? Für eine schnelle Antwort sei es noch zu früh, aber Weigel rechnet zum Beispiel mit erheblichen Anpassungen der globalen Lieferketten. „Hier wird es mit Sicherheit Anpassungen geben, denn die Corona-Krise hat gefährliche Abhängigkeiten zutage gefördert. Unternehmen werden daran arbeiten, die Risiken besser zu streuen und auch regionale Abhängigkeiten zu verringern“, erklärt Weigel. Auch würden vermutlich zusätzliche Lagerkapazitäten aufgebaut, um künftig den Stillstand von Produktionsanlagen zu vermeiden.
Bleiben Hauptversammlungen virtuell?
Mit großer Aufmerksamkeit beobachtet Weigel auch die ersten digitalen Hauptversammlungen. Im Zuge der verschiedenen Gesetzesanpassungen wurde es unter anderem möglich, dass Hauptversammlungen virtuell durchgeführt werden. „Bisher sind diese – beispielsweise bei der Lufthansa AG oder der Bayer AG – erstaunlich reibungslos abgelaufen. Ich sehe als möglichen Nachteil für die Anteilseigner vor allem, dass Nachfragen der Aktionäre nicht mehr möglich sind“, sagt Weigel. Grundsätzlich kann er sich aber vorstellen, dass Online-Hauptversammlungen ein gutes Modell für die Zukunft sein können. Es sei nun die Aufgabe des Gesetzgebers, aus den Erfahrungen dieses Jahres die richtigen Lehren zu ziehen und für die Zukunft neue Möglichkeiten zu eröffnen. Vielleicht ließen sich auch beide Formen im Wechsel realisieren.
Viele digitale Prozesse werden bleiben
Bei einer Vielzahl von Unternehmen haben aufgrund der Corona-Krise digitale Prozesse in einer geradezu atemberaubenden Geschwindigkeit Einzug gehalten. „Eine Geschäftsführerin hat mir erzählt, dass sie binnen weniger Wochen Dinge durchsetzen konnte, für die man sonst Jahre gebraucht hätte“, erklärt Weigel. Bestimmte Arbeitsweisen, an die sich die Menschen gewöhnt haben – wie beispielsweise Videokonferenzen – würden nicht einfach so wieder verschwinden. Eine Vielzahl von Dienstreisen könnten in der Zukunft aufgrund der neuen technischen Möglichkeiten überflüssig werden.
Neue Anforderungen an Aufsichtsräte
Die Corona-Krise hat nach Ansicht von Weigel auch gezeigt, dass sich bei Beiräten und Aufsichtsräten ein neues Anforderungsprofil ergeben werde. „Es ist mehr Fachwissen und eine größere Erfahrung in bestimmten Bereichen wie beispielsweise Supply-Chain-Management oder Digitalisierung gefordert“, sagt Weigel. Hier rechne er in der näheren Zukunft mit einer verstärkten Suche nach geeigneten Kandidatinnen und Kandidaten: „Der ´War for Talents´ auch in diesem Bereich wird an Intensität zunehmen“.
ZUR PERSON
Dr. Klaus Weigel ist seit 2007 Geschäftsführender Gesellschafter der Board Xperts GmbH, Frankfurt am Main. Er war 25 Jahre für verschiedene Banken im Corporate-Finance- und Private-Equity-Geschäft in leitender Funktion und als Mitglied in Beiräten und Aufsichtsräten tätig. Die Board Xperts GmbH ist spezialisiert auf die Vermittlung qualifizierter Aufsichtsräte und Beiräte. Dr. Weigel ist zugleich Mitgründer und Vorstandsmitglied der Vereinigung Aufsichtsräte Mittelstand in Deutschland e.V. (ArMiD).
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Als Redakteur der Unternehmeredition berichtet Alexander Görbing regelmäßig über Unternehmen und das Wirtschaftsgeschehen. Zu seinen Schwerpunkten gehören dabei Restrukturierungen, M&A-Prozesse, Finanzierungen sowie Tech-Startups.