2023 boomte die US-Wirtschaft, in der Eurozone herrschte dagegen Tristesse. Anfang 2024 keimte dann die Hoffnung auf, dass sich die Verhältnisse umkehren könnten. Während das Wachstum in der Währungsunion im 1. Quartal erstmals seit langem über 1,0% anzog, sackte es in den USA – ausgehend von über 3,0% – in Richtung 1,0% ab (jeweils auf das Jahr hochgerechnet und im Vergleich zum Vorquartal). Wird sich diese Entwicklung im weiteren Jahresverlauf fortsetzen? Ist ein Aufschwung in der Eurozone und eine Abkühlung in den USA überhaupt zur gleichen Zeit möglich?
Bislang ist fraglos von einer Krise in den USA noch nicht viel zu sehen. Im Gegenteil: Im 2. Quartal stabilisierte sich das Wachstum laut der ersten offiziellen Schätzung wieder bei über 2,0%. Dennoch haben die Enttäuschungen in den vergangenen Wochen zugenommen. Das gilt allen voran für die Arbeitsmarktindikatoren, die sich ausnahmslos eingetrübt haben – die Arbeitslosenquote sprang im Juli sogar auf den höchsten Stand seit über zwei Jahren (4,3%). Unterdessen verharrt mit dem ISM-Einkaufsmanagerindex das wichtigste Konjunkturbarometer hartnäckig unter der Expansionsschwelle. Wir rechnen daher in den nächsten Quartalen mit einer spürbaren Konjunkturabkühlung und Wachstumsraten deutlich unter der Potenzialrate (2,0%).
Schwindender Konsumboom in den USA
Aus unserer Sicht wird speziell der Konsumboom abebben. Dieser wurde in den vergangenen zwei Jahren vor allem aus Ersparnissen und Krediten finanziert. Nun ist jedoch der Sparstrumpf aus Pandemiezeiten geleert, gleichzeitig steigen die Zinslastquoten aus den Hypotheken- und Konsumentenkrediten. Die USA sollten daher ihre Rolle als Wachstumsmotor der Weltwirtschaft verlieren.
Wie eingangs erwähnt, ist die Eurozone im Gegensatz zu den USA erfolgversprechend ins neue Jahr gestartet und zahlreiche Frühindikatoren wie der OECD Leading Indicator deuten auf eine Fortsetzung der wirtschaftlichen Erholung hin. Allerdings sind auch die jüngsten Daten der Eurozone eher ernüchternd ausgefallen. Allen voran kommt die Industrie nicht so recht vom Fleck. Das Wachstumstempo dürfte sich daher im 3. Quartal nicht weiter beschleunigen.
Freundlicheres Umfeld in Europa
Mit Blick voraus weist die Eurozone jedoch gegenüber den USA einen Vorteil auf: Das Umfeld für den privaten Verbrauch ist freundlicher. So sitzen die europäischen Konsumenten weiterhin auf hohen Sparpolstern. Gleichzeitig ziehen die Reallöhne spürbar an. Der private Verbrauch sollte daher eine Konjunkturstütze sein. Dennoch werden die Bäume nicht in den Himmel wachsen, da vom Export – dem klassischen Konjunkturmotor – derzeit wenig Rückenwind und Ende 2024 wegen der Abschwächung in den USA sogar Gegenwind ausgehen sollte. Um den Jahreswechsel 2024/2025 dürfte es daher zu einer Delle im Aufschwung, wenn nicht gar zu einem erneuten Rücksetzer kommen. Komplett entkoppeln kann sich die Eurozone von den USA nicht.
Gewinner und Verlierer im Mittelstand
Für die mittelständische Wirtschaft ist dies ein zwiespältiger Ausblick. Aufgrund der zweigeteilten Struktur der Erholung – Export bleibt eher schwach, Konsum zieht an – gibt es Gewinner und Verlierer. Exportorientierte Industrieunternehmen dürften weiter mit Gegenwind zu kämpfen haben, konsumnahe Dienstleister dagegen Aufwind verspüren. Insgesamt bleibt es bei einem durchwachsenen Umfeld. Einige Unternehmen – speziell des verarbeitenden Gewerbes – werden nach drei schwierigen Jahren nicht umhinkommen, bislang aufgeschobene Entlassungen vorzunehmen.
Klare Erfolge kann die Eurozone bei der Inflationsbekämpfung vorweisen: Die Teuerungsrate ist mittlerweile von 10,6% auf 2,5% zurückgefallen. Wir gehen davon aus, dass sich in den nächsten Monaten ein sehr flacher Abwärtstrend etabliert und somit im Herbst die 2,0%-Marke in Reichweite rückt. Auch die zuletzt hartnäckige Teuerung bei Dienstleistungen – unter anderem Freizeitkonsum, Restaurantbesuche und Hotelübernachtungen – sollte dazu einen kleinen Beitrag leisten. In den USA rechnen wir ebenfalls mit weiteren Inflationsrückgängen.
Inflationsbekämpfung: Erfolg und Ausblick
Zwischenfazit: Es zeichnet sich ein makroökonomisches Umfeld ab, das durch mäßiges Wachstum und eine nachgebende Teuerung gekennzeichnet ist. Dies sollte den Notenbanken den Spielraum eröffnen, die Leitzinsen auf ein neutrales Niveau zurückzuführen, das die Notenbanker in Frankfurt bei gut 2,0% und die amerikanischen Währungshüter bei gut 3,0% veranschlagen. Die an den Geldterminmärkten für Mitte 2025 eingepreisten Niveaus liegen derzeit mit rund 2,40% für die Depositenrate der Eurozone und 3,60% für den Zielkorridor der Fed-Funds-Rate darüber. Wir sehen daher Abwärtspotenzial bei den Leitzinserwartungen und entsprechend auch bei den Staatsanleihen-Renditen. In der Folge sollten Ende 2024 10-jährige Bundesanleihen um knapp 40 Basispunkte und 10-jährige US-Treasuries um circa 60 Basispunkte tiefer rentieren als heute. Auch für die anderen konservativen Anleihensegmente (Pfandbriefe sowie erstrangige und nachrangige bonitätsstarke Unternehmensanleihen) sind wir positiv gestimmt, da wir hier von keinen namhaften Spreadausweitungen ausgehen.
Zinsperspektiven: Abwärtspotenzial in Sicht
Die globalen Aktienmärkte werden zwar von der Aussicht auf sinkende Leitzinsen und dem soliden wirtschaftlichen Umfeld gestützt. Aber die geringe Marktbreite und die hohen Bewertungen in den USA sind bedenklich. Im weiteren Jahresverlauf bleibt überdies abzuwarten, wie stark die wirtschaftliche Abkühlung in der größten Volkswirtschaft der Welt ausfällt. Dies könnte auf den Gewinnerwartungen lasten und eine größere Korrektur auslösen. Wir sprechen uns daher aktuell für eine neutrale Ausrichtung an den Aktienmärkten aus. Europäische Valoren haben wegen der konjunkturellen Erholung und der niedrigen Bewertungsniveaus Aufholpotenzial. Dagegen steht jedoch eine mögliche Trump-Wahl, die aus verschiedenen Gründen (unter anderem drohende Importzölle) europäische Aktien belasten würde. Dennoch ist das Risiko eines namhaften Rücksetzers in den USA größer als in Europa.
FAZIT
Für die Eurozone und den Mittelstand fällt der Ausblick trotz einiger Lichtblicke immer noch zwiespältig aus. An den Finanzmärkten könnte die Party dagegen weitergehen. Von der rückläufigen Inflation und der Leitzinswende dürften nochmals alle Assets profitieren. Wir halten indes Ende 2024 das Risiko einer globalen konjunkturellen Abschwächung für größer als den umgekehrten Fall. Entsprechend ist eine Korrektur bei Aktien nicht auszuschließen.
Dr. Daniel Hartmann
Dr. Daniel Hartmann ist Chefvolkswirt der Bantleon AG. Nach seinem Volkswirtschaftsstudium an der Universität Hohenheim arbeitete er zunächst als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Hohenheim und promovierte zum Dr. oec. mit »summa cum laude«. Im Jahr 2005 begann Daniel Hartmann als Analyst Economics bei Bantleon in Zug, im Jahr 2008 wurde er zum Senior Analyst Economic Research ernannt, Ende 2017 zum Chefvolkswirt.