Werkzeugkasten der Krisenabwehr

Wenn sich Spielregeln verändern, steigt der Handlungsbedarf

Foto: © Andrii Yalanskyi_AdobeStock

In volatilen Zeiten, geprägt von geopolitischen Spannungen, Inflation, steigenden Finanzierungskosten, müssen Unternehmen dynamisch und schnell auf Veränderung reagieren. „Proaktives Agieren statt passives Reagieren“ heißt die Devise und verlangt unternehmerisches Handeln – oder anders gesagt: Restrukturierung. Dabei hat diese nichts mit Scheitern oder Versagen zu tun; vielmehr geht es darum, das eigene Unternehmen konsequent und zielgerichtet für die Zukunft aufzustellen.

Transformation, Restrukturierung oder Sanierung: Der Reifegrad des Krisenstadiums ist zur Einordnung ausschlaggebend, da er den operativen Handlungsspielraum bestimmt. Je später man erkennt, dass ein Veränderungsprozess einzuleiten ist, desto weniger Zeit und Handlungsspielraum besteht. Der Druck von externen Stakeholdern – beispielsweise Finanzierungspartnern, Lieferanten und Kunden – nimmt deutlich zu und der Liquiditätsspielraum wird immer kleiner.

Zeitfaktor bestimmt Handlungsspielraum

Wer also frühzeitig handelt, sichert sich eigenen Handlungsspielraum – frühes Handeln heißt allerdings auch geringer Leidensdruck. In der Praxis zeigt sich, dass Unternehmen, die frühzeitigen Handlungsbedarf erkennen, oft in der Umsetzung der Veränderung stecken bleiben: „Die Auftragslage im ersten Quartal war sehr gut, die Mannschaft hat operativ wieder viel zu tun, lassen Sie uns die Maßnahmenumsetzung neu terminieren, damit wir die Leute jetzt nicht überfordern.“ Aussagen wie diese sind absolut keine Seltenheit und führen dazu , dass Unternehmen den Bedarf und die Stellschrauben zwar erkannt haben, aber die notwendige Konsequenz in der Umsetzung fehlt. Diese „Falle“ führt meist dazu, dass eine Transformation fließend in eine Restrukturierung oder eine Restrukturierung fließend in eine Sanierung übergeht.

Spätestens in der Sanierung ist das Unternehmen nicht mehr auf sich allein gestellt: Der Informationsbedarf der Banken steigt, die Forderung nach einem externen Berater wird formuliert oder auch die Auflage nach einem CRO gestellt. Kurz gesagt: Der Handlungsspielraum wurde verspielt.

Restrukturierung – unternehmerische Weitsicht statt Scheitern und Versagen

Fälschlicherweise wird Restrukturierung meist mit Scheitern und Versagen gleichgesetzt. Dabei ist Restrukturierung vielmehr ein natürlicher Bestandteil im Lebenszyklus eines Unternehmens. Da sich sowohl die äußeren als auch die inneren Rahmenbedingungen für Unternehmen stetig ändern, muss sich ein Unternehmen auch laufend auf diese veränderten Spielregeln einstellen und entsprechend anpassen.

Diese Anpassung kann ein Unternehmen „intern“ oder durch Unterstützung von externen Experten vornehmen. Externe Expertise bietet einen neutralen Blick auf das Unternehmen und die äußeren Umstände, während man intern meist ein gewisses Maß an Betriebsblindheit vorfindet.

Die drei Perspektiven der Krisenabwehr

Im Rahmen einer Restrukturierung wird häufig von leistungswirtschaftlicher und finanzwirtschaftlicher Restrukturierung gesprochen. Während sich die leistungswirtschaftliche Perspektive auf die Optimierung des operativen Geschäfts − insbesondere der operativen Prozesse – konzentriert, wird in der finanzwirtschaftlichen Perspektive die Passivseite der Bilanz optimiert. Dabei werden Finanzierungsstrukturen hinterfragt und neu ausgerichtet. Allerdings führen diese beiden Perspektiven allein nur selten zu einem nachhaltigen Erfolg, wenn man nicht auch die dritte Perspektive einbezieht: den strategischen und kritischen Blick auf das Geschäftsmodell.

Im Zentrum dieser drei Perspektiven stehen die folgenden Fragen, die sich jedes Unternehmen regelmäßig stellen sollte:

1. Was will der Kunde?
2. Was kann meine Fabrik?
3. Wo verdiene ich Geld?

 

Vermag man diese drei Blickwinkel in Einklang zu bringen, hat man das Zielbild der Neuausrichtung definiert und kann sich ausgehend davon Gedanken machen, wie hoch das Gap zwischen Status quo und Zielbild ist und wie dieses idealerweise finanziert wird.

Schuldentragfähigkeit und Liquidität als zentrale Kennzahlen

In der Praxis zeigen sich zwei zentrale Kennzahlen als probate Krisenindikatoren. Zum einen muss die Schuldentragfähigkeit fester Bestandteil der Betrachtung sein. Diese ergibt sich aus dem EBIT und dem Multiple drei – dadurch lässt sich die maximal sinnvolle Verschuldungshöhe eines Unternehmens bestimmen. Dies ist darauf zurückführen, dass in Deutschland eine Verschuldungsdauer (Fremdkapital/EBIT) von drei Jahren ein wesentlicher Faktor für die Refinanzierungsfähigkeit eines Unternehmens ist. Stellt man bei dieser Kennzahl im IST oder auch in der Unternehmensplanung eine Dysbalance fest, müssen entsprechende operative Maßnahmen eingeleitet werden, die zu einer Optimierung des EBIT oder einer Reduzierung der Verschuldung beitragen.

Parallel muss natürlich die Liquidität fortlaufend beobachtet werden: Denn am Ende bestimmt die Liquidität den operativen Handlungsspielraum in der Restrukturierung. Je größer die Liquiditätskrise, desto höher das Insolvenzrisiko und desto größer der Druck der Stakeholder. Natürlich können auch bei angespannter Liquidität operative Maßnahmen ergriffen und umgesetzt werden. Allerdings ändert sich hier der Fokus – denn hier geht es in erster Linie um die kurzfristige Existenzsicherung.

FAZIT

Die beschriebenen Beispiele zeigen: Je früher ein Restrukturierungsprozess eingeleitet wird, desto größer ist der Handlungsspielraum für den Unternehmer. Je später gehandelt wird, desto größer ist der Druck der externen Stakeholder. Ein Unternehmer, der den Mut zur Restrukturierung beweist, handelt mit Weitsicht, denn er stellt frühzeitig die Weichen für die Zukunft und den Fortbestand des Unternehmens – auch wenn er sich damit selbst auf den Prüfstand stellt.
Deshalb ist eine Restrukturierung kein Zeichen von Schwäche, sondern zeugt von echtem unternehmerischem Handeln.

Der Gastbeitrag erscheint in der Unternehmeredition 2_24 Unternehmensfinanzierung.

Autorenprofil
Daniel Emmrich

Daniel Emmrichist Partner für Restrukturierung und Sanierung bei der Dr. Wieselhuber & Partner GmbH und Geschäftsführer der Management Link GmbH. Er berät seit mehr als zehn Jahren Unternehmen in Sonder- und Krisensituationen – vom Konzept bis zur Umsetzung. Durch das Tochterunternehmen Management Link GmbH werden zielgerichtet Interimsmanager – meist CROs – zur Sicherstellung der Umsetzung zur Verfügung gestellt. Herr Emmrich hat insgesamt über 80 Restrukturierungs- und Sanierungsprojekte begleitet und verantwortet. Über 90% der Kunden wurden zu einem erfolgreichen Turnaround geführt.

 

Vorheriger ArtikelMehr unbezahlte Rechnungen im B2B-Geschäft
Nächster ArtikelWachstum des privaten Kapitals in der DACH-Region