Serie Unternehmerdynastien: Andreas Stihl AG & Co. KG
Hohe Fertigungstiefe
Wenn Unternehmensberater zu einem Hersteller gerufen werden, um ihn zu sanieren oder dessen Ergebnisse zu verbessern, dann greifen sie nicht selten zu einem vermeintlichen Allheilmittel: Die Consultants raten, die Fertigungstiefe zu verringern. Das bedeutet, auch komplexe und sicherheitsrelevante Bauteile von Zulieferern “just in time” liefern zu lassen. So entwickelt und produziert VDO für viele europäische Automobilhersteller das komplette Armaturenbrett mit allen Schaltern, Anzeigen und den Airbags. Continental baut die komplette Bremsanlage inklusive ABS. So hat Porsche beispielsweise nur noch eine Fertigungstiefe von unter 20%, stellt also nur ein Fünftel der Teile in den Autos selbst her. Solche Hersteller stecken ihr Kapital lieber in die Entwicklung und Vermarktung. Doch was für Autobauer gilt, muss noch lange nicht für den Weltmarktführer bei Motorsägen gelten. Bei Stihl ist genau das Gegenteil das Erfolgsgeheimnis. Stihl hat Tiefgang zum zentralen Bestandteil seiner Strategie erklärt.
Stihl macht das Gegenteil von Porsche
Rund 50% der Motorsägenteile kommen aus der eigenen Herstellung. Die Ketten baut das Familienunternehmen aus dem schwäbischen Waiblingen, anders als die Konkurrenz, selbst. Selbst die Maschinen kommen aus eigener Sonderfertigung. Denn die Fertigungstechnik gehört zum Betriebsgeheimnis, zudem sind die Produktionsleiter des Unternehmens mit der Genauigkeit und Ausfallwahrscheinlichkeit fremder Maschinen oft nicht zufrieden. Vieles selbst zu bauen, ist dennoch kein stures Dogma. Die harten betriebswirtschaftlichen Fakten müssen stimmen. Eigenfertigung müsse immer günstiger sein als der Bezug von außen, verlautet es aus dem Unternehmen. Auch beim Vertrieb setzt Stihl auf Tiefgang. Der Weltmarktführer könnte in kurzer Zeit seinen Umsatz kräftig in die Höhe treiben, belieferte er Baumärkte. Doch darauf verzichtet Stihl und verkauft ausschließlich über den Fachhandel, der intensiv unterstützt wird, sei es durch Schulungen in Technik und Reparatur oder bei Verkaufstechnik und Unternehmensführung. Effekt: Die Erkenntnisse, die der Fachhandel aus dem engen Kontakt mit Endkunden gewinnt, fließen wiederum in die Entwicklung neuer Geräte.
Gründer Andreas Stihl: Immer wieder Krisen
Derlei betriebswirtschaftliches Wissen hatte der Ingenieur Andreas Stihl sicherlich nicht, als er 1929 seine erste Benzinmotorsäge baute. Sie wog 46 Kilogramm, leistete 6 PS und musste von zwei Mann bedient werden. 1938 kaufte der Firmengründer eine Papiermühle an der Rems bei Waiblingen, dem heutigen Firmensitz. Nach dem Krieg brachte Stihl die erste Einmann-Benzinmotorsäge der Welt auf den Markt. Doch Inflation und Nachkriegszeit bescherten Andreas Stihl immer wieder Krisen, bis hin zu einem Vergleichsverfahren. Nach Andreas Stihls Tod 1973 übernahm Sohn Hans Peter mit Schwester Eva die Firmenleitung. Später trat auch sein Bruder Rüdiger in die Geschäftsführung ein. Ihnen gelingt der Durchbruch. Hans Peter Stihl trieb die Internationalisierung des Unternehmens schon voran, als es das Wort Globalisierung noch gar nicht gab. “Das hat die Entwicklung unseres Unternehmens entscheidend beeinflusst”, sagte er gegenüber der Unternehmeredition. “Mit Hilfe unseres weltweiten Produktionsverbundes konnte der Kostendruck, den Arbeitszeitverkürzungen, Tariferhöhungen und steigende Lohnzusatzkosten in Deutschland ausüben, vermindert werden.” Günstigere Fertigungskosten sicherten auch heute noch Beschäftigung im deutschen Stammhaus. “Und mit unserem weltweiten Vertriebsnetz sind wir in allen wichtigen Märkten vertreten und haben es beispielsweise geschafft, dass wir seit 1971 die meistverkaufte Motorsägenmarke der Welt sind.”
Gesellschaftervertrag sichert Einfluss der Familie
Stihl will Familienunternehmer bleiben. “Deutschland ohne Familienunternehmen wäre undenkbar und weitaus weniger erfolgreich in vielen Bereichen – wie Ausbildung, Beschäftigung, Wachstum oder Innovationen.” Bei Stihl sorgt seit 1995 ein umfassender, eigens auf den Kettensägen-Primus ausgerichteter Gesellschaftervertrag dafür, dass Familie und Unternehmen sich nicht voneinander trennen. Die Enkel des Gründers wurden am Unternehmen beteiligt. Nur direkte Nachkommen können erben, schreibt der Vertag fest, nicht aber Ehegatten. Gesellschafter, die ausscheiden wollen, müssen ihre Anteile erst den Geschwistern anbieten, dann den anderen Gesellschaftern, also den Kusinen und Vettern. Die Stihls nehmen es auch mit ihrer gesellschaftlichen Verantwortung für ihr Heimatland ernst. Familienmitglieder übernahmen auch wichtige Positionen in Verbänden und Aufsichtsgremien. Hans Peter Stihl beispielsweise führte als Vorsitzender des Verbandes der Metallindustrie (1980 bis 1988) in Baden-Württemberg Tarifverhandlungen. Außerdem war er 13 Jahre Präsident des Deutschen Industrie- und Handelstags (DIHT) und damit einer der wichtigsten Repräsentanten der deutschen Wirtschaft. Seine Schwester Eva, die bereits einen ansehnlichen Teil ihres Firmenvermögens in eine Stiftung einbrachte, fördert die unterschiedlichsten Projekte in den Bereichen Soziales, Wissenschaft, Kunst, Tier- und Artenschutz. An Hans Peter Stihl als Vorsitzendem des Beirats läuft auch heute noch keine strategische Entscheidung vorbei. Zwar zog sich die Familie 2002 aus dem operativen Management zurück. Doch über den Beirat kontrolliert Stihl jede strategische Entscheidung. Noch heute besucht er Jahr für Jahr nicht nur alle Inlandswerke, sondern auch die ausländischen Produktionsgesellschaften in Brasilien, China, Japan, der Schweiz und in den USA.
Mit 79 Jahren jettet Hans Peter Stihl rund um den Globus
Seine Reisen führen ihn außerdem zu den wichtigsten Vertriebsgesellschaften und -partnern rund um den Globus. Hier bekommt er Marktinformationen aus erster Hand. Seine Erkenntnisse notiert er auf dem Rückflug. Und wie eh und je gibt er sie umgehend nach seiner Rückkehr weiter. Heute an den Vorstand, früher an die zuständigen Mitarbeiter. Andererseits lässt er sich – vor allem vor Ort – über alle technischen Entwicklungen auf dem Laufenden halten. Damit bleibt er mit allen Produkten bestens vertraut. Außerdem behält er im Blick, ob die 5% des Umsatzes, also rund 100 Mio. EUR, gut angelegt sind, die jährlich in Forschung und Entwicklung investiert werden. Eva Mayr-Stihl, lange Jahre Finanzchefin und ebenfalls Beiratsmitglied, achtet unverändert darauf, dass sparsam gewirtschaftet wird. Ihr ist es mit zu verdanken, dass die Stihl-Gruppe heute über eine hohe Eigenkapitalquote von 65% verfügt.
Operatives Geschäft führen familienfremde Manager
Im April 2012, wenn Hans Peter Stihl 80 Jahre alt wird, übernimmt sein Sohn Nikolas Stihl den Vorsitz des Beirats und führt die Dynastie weiter. Das Know-how hat er sich als Chef bei der Gartengeräte-Tochter Viking angeeignet. Hans Peter Stihl bleibt persönlich haftender Gesellschafter. Das Tagesgeschäft führt der familienfremde Bertram Kandziora als Vorstandsvorsitzender. Obwohl Hans Peter Stihl Jahrzehnte lang Wirtschaftsgeschichte geschrieben hat, gibt er die Macht freiwillig ab. Auch ist ihm nicht bang dabei. “Mit diesem Wechsel wird sichergestellt, dass Stihl auch in Zukunft ein mittelständisch geprägtes und unabhängiges Familienunternehmen sein wird”, sagt er gegenüber der Unternehmeredition. Denn das Ziel aller Familienmitglieder sei es, “dass Stihl ein Unternehmen der Nachkommen des Firmengründers Andreas Stihl, meines Vaters, bleibt”.
Thomas Grether
redaktion@unternehmeredition.de
Kurzprofil: Andreas Stihl AG & Co. KG
Gründungsjahr: 1926
Branche: Maschinenbau – Motorgeräte für die Garten- und Parkpflege sowie die Land- und Forstwirtschaft
Unternehmenssitz: Waiblingen
Mitarbeiterzahl: 11.000
Umsatz 2010: Mehr als 2 Mrd. EUR
Internet: www.stihl.de
Thomas Grether ist Gastautor.