Am 1. August 2024 trat in der Volksrepublik China die „Verordnung zur Überprüfung des fairen Wettbewerbs“ in Kraft. Ziel dieser Regelung ist es, der weitverbreiteten Praxis rechtlich unbegründeter Subventionen zwischen Provinzen und deren Industriezonen entgegenzuwirken und die daraus resultierenden Wettbewerbsverzerrungen zu unterbinden.
Die neue Verordnung enthält unter anderem Leitlinien für den Entwurf von Gesetzen, Rechtsverordnungen und anderen normativen Dokumenten sowie von „spezifischen politischen Maßnahmen“ („Maßnahmen“) durch Verwaltungsorgane und Organisationen der öffentlichen Gewalt und erlegt diesen die Pflicht auf, zu prüfen, ob die Maßnahmen den Prinzipien des fairen Wettbewerbs entsprechen.
Die Verordnung verbietet unter anderem in Art. 10 Maßnahmen, welche die Produktions- und Betriebskosten der Wirtschaftsbeteiligten beeinflussen.
Konkret verbietet Art. 10, ohne eine entsprechende Rechtsgrundlage in Gesetzen oder Rechtsverordnungen beziehungsweise einer Genehmigung durch den Staatsrat,
- die Gewährung von Steuervergünstigungen an bestimmte Marktteilnehmer;
- die Gewährung von differenzierenden finanziellen Anreizen oder Subventionen an bestimmte Marktteilnehmer;
- die Gewährung von Vergünstigungen bei Verwaltungsgebühren, staatlichen Mitteln, Sozialversicherungsbeiträgen et cetera an bestimmte Marktteilnehmer; und
- andere Bestimmungen, die Einfluss auf Produktions- und Betriebskosten haben könnten.
Damit fallen gemäß Art. 10 grundsätzlich alle Formen von Vergünstigungen, Anreizen und Subventionen, einschließlich der Steuererstattungen, Mietzuschüsse, Ausstattungszuschüsse, Zuschüsse für Talente, Wohnbeihilfe für leitende Angestellte et cetera (nachstehend einheitlich als „Vergünstigungen“ bezeichnet) in den Anwendungsbereich der Verordnung.
Zweck und Hintergrund der Verordnung
Der Zweck der Verordnung ist nach Art. 1, den fairen Wettbewerb zu fördern und dessen Einhaltung zu überprüfen, das Geschäftsumfeld zu optimieren und einen einheitlichen nationalen Markt aufzubauen.
Aus rechtlicher Sicht bringt die Verordnung allerdings keine wesentlichen Änderungen mit sich, denn bereits 2021 traten die novellierten „Durchführungsbestimmungen für das System zur Überprüfung des fairen Wettbewerbs“ („Durchführungsbestimmungen“) in Kraft. Diese untersagen die Vergabe von rechtswidrigen Vergünstigungen an bestimmte Unternehmen und waren bis zum Inkrafttreten der Verordnung die wichtigste Rechtsgrundlage für die Regelung des Überprüfungssystems für fairen Wettbewerb.
Im Unterschied zu den Durchführungsbestimmungen und anderen bisherigen Regelungen, welche die Überprüfung der Einhaltung des fairen Wettbewerbs in Bezug auf Vergünstigungen nur in Form einer internen Verwaltungsvorschrift regeln, wurde die Verordnung vom Staatsrat erlassen und hat dadurch einen höheren Rang. Darüber hinaus bezieht die Verordnung Gesetze und örtliche Vorschriften in den Anwendungsbereich der Überprüfung ein.
Vor dem Inkrafttreten der Verordnung war die Gewährung von wettbewerbsverzerrenden Vergünstigungen auf Provinzebene gängige Praxis. Warum wurde die Verordnung nun erlassen?
Weil die Gewinnung von Investoren und neuen Investitionen für die Provinzen und deren Finanzierung essenziell ist, hat sich in der Vergangenheit ein wahrer „Subventionskrieg“ zwischen den in starkem Wettbewerb stehenden Provinzen herausgebildet.
Um neue Investoren gewinnen zu können, gewährten Provinzen, insbesondere ausländischen Investoren, immer höhere Steuervergünstigungen, Anreize und Subventionen. Da diese oftmals rechtsgrundlos erfolgten, mussten die Provinzen die entsprechenden Subventionen aus eigenen finanziellen Mitteln zahlen, was, solange ausreichend neue Investitionen realisiert wurden, keine Defizite bewirkt hat, da die neuen Investitionen bereits versprochene Subventionen ausgleichen konnten. Dieser Ausgleichsmechanismus ist während, jedoch spätestens mit dem Ende der Corona Pandemie aufgrund der ausbleibenden neuen ausländischen Investitionen außer Kraft gesetzt worden.
Hinzu kommen exorbitante Kosten, die die Provinzen während der Corona Pandemie durch die von der Zentralregierung angeordneten Kontrollmaßnahmen aufgehäuft haben. Schließlich tun das vergleichsweise schwache Wirtschaftswachstum, eine Korrektur im Immobiliensektor und schwacher Binnenkonsum ihr Übriges für eine stark zunehmende Verschuldung der Provinzen.
Die Überschuldung der Provinzen scheint also einer der Hauptgründe für den Erlass der Verordnung zu sein, welche mit der Durchsetzung des Verbots von wettbewerbsverzerrenden Vergünstigungen darauf zielt, den traditionell starken Wettbewerb zumindest einzuschränken und damit das finanzielle Überleben der Provinzen zu sichern.
Rechtliche und praktische Auswirkungen auf (ausländische) Investoren
Zunächst ist zu klären, ob die bereits mit einer Industriezone abgeschlossenen (oder noch abzuschließenden) Investitionsverträge, die Vergünstigungen vorsehen, in den Anwendungsbereich der Verordnung fallen und somit der Überprüfung der Einhaltung des fairen Wettbewerbs unterfallen.
Auch wenn die Verordnung in Art. 2 den Begriff „Maßnahmen“ nicht abschließend definiert, ist aufgrund der Stellungnahme des Staatsrats, welche auf subventionsgewährende Verträge ausdrücklich Bezug nimmt, davon auszugehen, dass Investitionsverträge in den Anwendungsbereich der Verordnung fallen.
Somit können die Vergünstigungen, welche im Rahmen von mit Industriezonen abgeschlossenen Investitionsverträgen gewährt werden, auf Vereinbarkeit mit der Verordnung überprüft und im Fall von fehlender Rechtsgrundlage für ungültig erklärt werden.
Im Falle einer strikten Umsetzung der Verordnung, welche aufgrund der angespannten Finanzlage vieler Provinzen und Kommunen wahrscheinlich erscheint, würde dies für Investoren bedeuten, dass diese rechtsgrundlos vereinbarten Vergünstigungen nicht erhalten.
Fazit
Aufgrund des höheren Rangs der Verordnung sowie der ersten Fälle, in denen Industrieparks, die vertraglich zugesagten, aber rechtsgrundlosen Vergünstigungen nicht mehr zahlen können (oder wollen), besteht nun ein erhöhtes Risiko, dass betroffene Investitionsprojekte kurzfristig zusätzliches Kapital benötigen. Ausländischen Investoren wird empfohlen, in Verhandlung befindliche, aber auch schon abgeschlossene Investitionsverträge auf Rechtmäßigkeit der gewährten Vergünstigungen zu prüfen. Hierbei ist zu beachten, dass die rechtsgrundlosen Vergünstigungen in der Praxis in den Investitionsverträgen oft umschrieben oder anders bezeichnet wurden, um zumindest vordergründig das entsprechende Verbot zu umgehen. Investoren sollten daher die Industriezone nicht nur um die Nennung der Rechtsgrundlagen, sondern auch um die richtige Bezeichnung der Vergünstigungen im Investitionsvertrag ersuchen.
👉 Dieser Beitrag ist in der Unternehmeredition-Magazinausgabe 4/2024 mit Schwerpunkt “Unternehmervermögen” erschienen.