Von der Taigatrommel zum Logistiker auf der Schiene

Private Deutsche Eisenbahn Service AG sichert Schienenmobilität vor allem im ländlichen Raum

Ausbesserungswerk der DESAG in Neustrelitz: einer von fünf Standorten zur Instandhaltung von Schienenfahrzeugen; Foto: © Tobias Krämer

Vor über 25 Jahren gegründet, ist die heutige Deutsche Eisenbahn Service AG eines der letzten inhabergeführten Eisenbahnunternehmen in Deutschland. Den Investitionsstau im Bahngewerbe will sie auf den Strecken in ihrem Besitz aus eigener Kraft meistern.

Ausgerechnet der Firmensitz ist heute nicht mehr mit der Bahn zu erreichen. Das malerische Städtchen Putlitz mit seinen knapp 2.600 Einwohnern im nördlichsten Landkreis von Brandenburg, der Prignitz, ist seit 2022 ohne Bahnanschluss. Immerhin fährt ein Bus ins nächstgelegene Pritzwalk, das an eine Regionalbahnstrecke angebunden ist. In Putlitz liegt der Ursprung der Erfolgsgeschichte des ersten privaten Eisenbahnunternehmens in Ostdeutschland, welches heute unter Deutsche Eisenbahn Service AG (DESAG) firmiert. 1996 wurde hier durch zwei ehemalige Mitarbeiter der DDR-Bahngesellschaft Deutsche Reichsbahn die Prignitzer Eisenbahngesellschaft mbH gegründet.

Auf der Grundlage wiederhergerichteter Schienenfahrzeugen der Baureihe VT 798, die in Westdeutschland als „Uerdinger Schienenbus“ bekannt war, sowie schwerer Diesellokomotiven sowjetischer Bauart, die wegen ihres Lärmpegels beim Vorbeifahren auch als „Taigatrommeln“ bezeichnet wurden, startete das Unternehmen im Personen- und Güterverkehr. In der Folge konnte sich die Prignitzer Eisenbahngesellschaft erfolgreich auf dem Markt etablieren. Gemeinsam mit der Hamburger Hochbahn wurde 2002 die Ostdeutsche Eisenbahn GmbH (Odeg) gegründet, die bis heute in zahlreichen ostdeutschen Bundesländern Leistungen im schienengebundenen Personennahverkehr anbietet. 2004 wurde dann die Prignitzer Eisenbahngesellschaft an den englischen Mobilitätsanbieter Arriva verkauft. Als 2010 Arriva ihre deutschen Aktivitäten einstellte, gelang mit dem Mitarbeiterstamm der Prignitzer Eisenbahngesellschaft der private Restart.

Seit 2019 mehr als 50 Mio. EUR investiert


Lok der DESAG
Foto: © Heimo Werth

Bis heute ist daraus ein modernes Mobilitäts- und Logistikunternehmen mit fünf verschiedenen Geschäftsbereichen geworden, in dem die einzelnen operativ tätigen Gesellschaften an 20 Standorten in Deutschland unter dem Dach der DESAG vereint sind: Die Eisenbahngesellschaft Potsdam mbH betreibt mit über 60 Lokomotiven unter anderem Autozüge und entwickelt intermodale Logistiklösungen sowie gemeinsam mit einer unternehmenseigenen Lkw-Spedition neue Zugprojekte. Darüber hinaus ist die Eisenbahngesellschaft Potsdam mit Baustoff- und Werksverkehren aktiv. Unter anderem war man als Logistikpartner beim Bau des Tesla-Autowerks dabei. Die Hanseatische Eisenbahn GmbH betreibt kleinere Regionalverbindungen per Bahn und Bus in der Hauptstadtregion und den benachbarten Bundesländern. Ebenso hält man eine Beteiligung am Baltic Port in Sassnitz auf der Insel Rügen, über dessen Fährhafen Mukran Transporte nach Skandinavien und ins Baltikum abgewickelt werden, sowie an der ElbePort Wittenberge GmbH.

Der Standort fungiert inzwischen als logistischer Hub mit einer täglichen Güterzuganbindung an den Hamburger Hafen. An fünf Standorten werden durch die zwei weiteren Tochtergesellschaften in Bahnwerken Schienenfahrzeuge aller Art für den eigenen Bedarf, aber auch für Dritte instand gehalten und repariert. Die Regio Infra Nord-Ost GmbH & Co. KG betreibt und unterhält ein eigenes Schienennetz, das mittlerweile auf 475 Streckenkilometer angewachsen ist und sukzessive im Verlauf der Jahre von der Deutschen Bahn erworben wurde. Über 70 Bahnhöfe und Haltepunkte werden betrieben, ebenso mehr als 20 Anschlussbahnen. Mehr als 50 Mio. EUR wurden seit 2019 in die unternehmenseigene Infrastruktur investiert. „Damit haben wir uns zu einem kompletten Mobilitäts- und Logistikdienstleister mit dem Schwerpunkt Schiene entwickelt“, sagt DESAG-Vorstand Dr. Ralf Böhme, der gleichzeitig operativ die Infrastruktursparte der Gruppe verantwortet.

Digitale Lösungen ersetzen Stellwerke aus der Kaiserzeit

DESAG Kabelflug: Auf den Strecken in
seinem eigenen Besitz will das Unternehmen den Investitionsstau meistern.
Foto: © Frank Brechler

Doch ein Ende der Investitionen ist noch nicht in Sicht. Viele der Stellwerke auf den früheren Nebenstrecken sind veraltet und stammen teilweise noch aus der Kaiserzeit. „Hier wollen und müssen wir digitaler werden“, sagt der Vorstand. Zwölf Kilometer auf einem Streckenabschnitt in Mecklenburg-Vorpommern, der nicht allzu stark vom öffentlichen Personennahverkehr frequentiert ist, wurden für ein Forschungsprojekt unter Federführung der Deutschen Bahn und des Bundesforschungsministeriums für das Thema 5G-Mobilfunk entlang der Bahntrassen zur Verfügung gestellt. Für die weitere Digitalisierung innerhalb der Bahnbranche muss der 5G-Mobilfunk störungsfrei und in Echtzeit gewährleistet sein. Gemeinsam mit dem Unternehmen Gigafiber aus Frankfurt am Main, das in den kommenden Jahren im Verbund unter anderem mit dem Familienunternehmen Niedax Glasfaserkabel an mehr als 33.000 Kilometern Schienenstrecke in Deutschland verlegen will (siehe Unternehmeredition 1/2024 und 2/2024), soll nun auch an den 475 Streckenkilometern der DESAG innerhalb der nächsten Jahre die benötigte Glasfaser verlegt werden, damit auch das letzte manuelle Stellwerk und die Weichen der DESAG digital betreiben werden können.

_____________________________________________________________________

„Wir stellen projektbezogene Finanzierungen auf die Beine“

Interview mit Dr. Ralf Böhme, Vorstand, Deutsche Eisenbahn Service AG

Unternehmeredition: Warum ist ein privates Bahnunternehmen flexibler beim Ausbau der Infrastruktur als die Deutsche Bahn?

Dr. Ralf Böhme, Vorstand, Deutsche Eisenbahn Service AG
Foto: © Greenapfel Fotografie

Dr. Ralf Böhme: Wir sind in unseren Entscheidungs- und Kommunikationsstrukturen deutlich flacher aufgestellt. Das hilft uns, in einem Umfeld erfolgreich zu sein, das nicht unbedingt durch eine schienenfreundliche Politik der Bundesregierung geprägt ist.

Wie finanzieren Sie die Investitionen in die Infrastruktur und in den Fuhrpark?

Für Investitionen nutzen wir die bekannten Finanzierungsmöglichkeiten des Markts, wie klassische Bankfinanzierungen, Leasing, Miete. Im Bereich der Infrastruktur sind wir als Betreiber von öffentlichen Schienenwegen im Bereich der öffentlichen Daseinsvorsorge unterwegs, ebenso wie die DB InfraGo. Während diese jedoch von ihren Eigentümern, dem Bund, und damit den Steuerzahlern, hier massiv unterstützt wird, stehen uns als privatem Infrastrukturbetreiber solche Mittel momentan nur sehr begrenzt zur Verfügung. Vor diesem Hintergrund versuchen wir, unseren Investitionsbedarf auch über projektbezogene Finanzierungen auf die Beine zu stellen und dabei auch privates Kapital einzuwerben. Deshalb freuen wir uns, mit Gigafiber einen finanzstarken Partner gefunden zu haben, mit dessen Hilfe wir unser Schienennetz digitalisieren können. Der Vorteil für uns ist hierbei, dass die errichtete Glasfaserinfrastruktur Eigentum von Gigafiber bleibt.

Welche Ziele haben Sie noch für die Zukunft?

In einem schwierigen Marktumfeld möchten wir uns als Eisenbahnunternehmensgruppe weiter erfolgreich behaupten. Dabei wollen wir unsere Stärke nutzen, in allen relevanten Bereichen der Schienenmobilität operativ gut aufgestellt zu sein, um unseren Fahrgästen und Güterverkehrskunden ganzheitliche Lösungen anbieten zu können. Für uns als rein inhabergeführtes Unternehmen stellen die diesbezüglichen Anforderungen jedoch eine immense Herausforderung dar, was den Informationsbedarf einerseits und den künftigen Betrieb andererseits betrifft.

Wir danken Ihnen für das Gespräch!

Das Interview wurde geführt von Torsten Holler.

👉 Dieser Beitrag erschien in der aktuellen Magazinausgabe der Unternehmeredition 3/2024.

______________________________________________________________

KURZPROFIL

Deutsche Eisenbahn Service AG

Gründung: 1996

Firmensitz: Putlitz/Land Brandenburg

Branche: Eisenbahnlogistik

Mitarbeiter: 950

Umsatz 2023: 150 Mio. EUR

www.desag-holding.de

Autorenprofil
Torsten Holler

Der Wirtschaftsjournalist Torsten Holler schreibt seit 1987 regelmäßig für renommierte Wirtschaftsmedien über verschiedenste Themen.

Vorheriger ArtikelMeta Wolf übernimmt Deutsche Steinzeug
Nächster ArtikelHerbstgutachten: Schwaches Wachstum und struktureller Wandel