Vom Hörsaal ins Unternehmen

Beispiel Provantis: Search Funds als alternative Lösung für die Unternehmensnachfolge

Die neuen Geschäftsführer der Provantis Solutions GmbH: Benny Hahn (li.) und Christian Bopp; Foto: © Provantis IT Solutions GmbH

Ursprünglich wollten Christian Bopp (29) und Benny Hahn (30), beide Absolventen eines MBA-Masterstudiengangs, ein gemeinsames Start-up gründen. Heute sind sie Co-Geschäftsführer des mittelständischen Unternehmens Provantis IT Solutions, eines Toolanbieters für Projektcontrolling in der Unternehmensberatung und Zeiterfassung. Dahingebracht hat sie eine neue Form des Fundings, das sogenannte Search-Fund-Modell, bei dem private Investoren Absolventen von Eliteunis bei der Suche nach einem geeigneten Unternehmen für die Übernahme finanziell und als Mentoren unterstützen und später Geld für die Übernahme bereitstellen. 

Christian Bopp kam mit dem Thema Search Funds während seines MBA-Studiums an der IESE Business School in Barcelona in Berührung. „Die IESE hat einen starken Bezug zu Harvard, die neben Stanford eine der führenden Unis dafür ist“, erläutert der 29-Jährige. Durch den Vortrag eines spanischen Geschäftsführers habe er von der Methode erfahren und sofort Feuer gefangen. Search Fund bedeutet praktisch übersetzt: Gelder für einen Menschen, der sich als potenzieller neuer Inhaber bei Unternehmen ins Spiel bringen will. Das Search-Fund-Modell entstand in den 80er Jahren an der US-Elite-Universität Harvard und findet in Europa vor allem in Spanien und Frankreich Anklang. Angesichts der drängenden Nachfolgeproblematik bei Unternehmen erhält es nun auch in Deutschland immer mehr Aufmerksamkeit. Bopp rief seinen Studienkollegen Hahn an und nach ein paar vertiefenden Recherchen und Gesprächen waren sie davon überzeugt, ihren Weg gefunden zu haben. „Mitte 2021 sind wir gestartet“, sagt Bopp.

Investorengelder reichen für zweijährige Suche

Als Erstes mussten sie vor Investoren pitchen, für sich selbst und für die Sache, als Duo. Letzteres sei ungefähr so häufig wie Solo-Pitches. In den Bewerbungsgesprächen geht es darum, die Investoren vom eigenen Lebenslauf und insbesondere von der Motivation und Eignung zum Unternehmer zu überzeugen. Im Fall der Beiden kamen schnell mehrere Investoren und 600.000 EUR zusammen. „Das reicht für eine knapp zweijährige Suche“, sagt Bopp. Davon bezahlt man sich ein kleines Gehalt und die anfallenden Reisekosten, mietet eine Bürofläche, führt eine Due Diligence durch, setzt Praktikanten zur Unterstützung ein etc.

Für Bopp und Hahn stand fest, dass es ein Unternehmen aus dem Softwareumfeld werden müsse. Gezielt gingen sie mit personalisierten Briefen auf Unternehmen aus diesem Bereich zu. Die personalisierte Ansprache und der persönliche Ansatz kamen gut an und so führten sie pro Woche mehrere telefonische und persönliche Termine. „Im Normalfall dauert der Prozess der Suche nach einem passenden Unternehmen zwei Jahre, wir wurden schon nach neun Monaten fündig“, berichtet Bopp stolz. „Wir hatten sofort ein gutes Gefühl bei den beiden Geschäftsführern der Provantis IT Solutions GmbH. Da hat einfach alles gepasst“, so Bopp.

Professionelle Hilfe in Finanz- und Steuerfragen

Nachdem das Target gefunden war, schalteten die jungen Unternehmeranwärter die Wirtschaftsprüferin und Steuerberaterin Sarah Kasper von Schlecht und Partner und kooperierende Rechtsanwälte ein. „Wir haben die Commercial Due Diligence komplett selbst gemacht, um den Markt zu verstehen und bestmöglich in das Unternehmen einzusteigen. Aber wenn es um Steuern und Finanzen geht, ist es besser, sich professionelle Hilfe ins Boot zu holen“, betont Bopp. Frau Kasper sei die Empfehlung eines anderen Searchers (Gründer) gewesen. „Der erste Schritt ist, dass ich die Abschlüsse oder die Financials der letzten zwei bis drei Jahre bekomme. Dann schauen wir uns an, wie nachhaltig sich die EBITDA- bzw. EBIT-Marge entwickelt hat und wie der Businessplan des Unternehmens aussieht. Und dann kommen wir schon in die Diskussion, ob finanzielle und steuerliche Risiken bestehen, an welchen Stellschrauben für eine zukünftig nachhaltige Verbesserung der finanziellen Performance gedreht werden muss, und ob der Deal geeignet und realistisch umsetzbar ist“, erläutert Kasper. Bei Bopp und Hahn sei es ein Musterfall gewesen: „Die Daten waren sehr gut aufbereitet, die Verkäufer waren sehr hilfsbereit und wollten auch aktiv in den Prozess einsteigen“, so Kasper. Deshalb habe die Due Diligence innerhalb von nur zwei Wochen abgewickelt werden können.

Soft Skills sind entscheidend

Christian Bopp; Foto: © Provantis IT Solutions GmbH

Ende März 2022 war alles in Sack und Tüten und die Jungunternehmer konnten loslegen. „Bei Provantis wurden wir mit offenen Armen empfangen“, erinnert sich Bopp. Das sei jedoch nicht selbstverständlich − in den meisten Fällen sei harte Überzeugungsarbeit notwendig. „Der größte Knackpunkt ist es, den Unternehmer zu überzeugen, dass wir sein Unternehmen führen können. Und der zweite ist die Mitarbeiter zu überzeugen, dass wir nicht gleich alles mit dem Hammer kaputtmachen. Da braucht es Fingerspitzengefühl.“ Unternehmensführung habe sehr viel mit Soft Skills zu tun. „Im MBA lernt man viel über die Führung, wie man Kollegen nach vorne treibt, zusammenbringt, vermittelt und zusammenarbeitet. Dieses Wissen ist in den meisten Unternehmen viel wichtiger als das Fachwissen“, sagt Bopp. Er und Hahn seien zudem halbe Leistungssportler gewesen, Bopp Kapitän in Ultimate Frisbee. Man führe ein Team unter Druck und müsse auf die verschiedensten Persönlichkeiten eingehen. Ähnlich sei es, wenn man Teams im Unternehmen leite: Hahn war zuvor in der Beratung tätig und hat dort Teams geleitet.

Flexibilität und Langfristigkeit als Erfolgsfaktoren

Der eine der beiden Altgeschäftsführer ist bereits ausgestiegen, der andere bleibt als technischer Leiter weiter auf unbestimmte Zeit mit an Bord. Diese Flexibilität sei eines der Erfolgsrezepte, wie Bopp betont. „Es war wichtig, dass IT-Know-how im Unternehmen vorhanden ist. Wir glauben, dass dieses Matching aus den IT-Kenntnissen und aus unseren betriebswirtschaftlichen Kenntnissen funktioniert.“ Für den Altgeschäftsführer liege zudem ein Vorteil darin, dass er sich auf die Entwicklung, also auf das, was ihm Spaß mache, konzentrieren könne, während sich die beiden neuen Geschäftsführer um alles andere wie Einkauf, Vertrieb, HR-Prozesse etc. kümmern. Ein weiterer Erfolgsfaktor sei die Langfristigkeit. „Wir investieren aktuell sehr viel, weil wir an diese Langfristigkeit glauben. Die Investoren und Bank, die uns das Geld gegeben haben, sind alle nicht kurzfristig angelegt. Es geht nicht darum, dass wir kurzfristig unsere Profitmarge ausweiten, sondern unsere Profitabilität sinkt sogar kurzfristig ab, weil wir neue Leute einstellen und die IT-Infrastruktur umstellen.“

Nachhaltiges Mitarbeiterwachstum und mehr Nutzerfreundlichkeit

Zum Zeitpunkt der Übernahme Ende März 2022 erwirtschaftete das Unternehmen mit neun Mitarbeitern 3,5 Mio. EUR Umsatz. Die Mitarbeiteranzahl wird bis Ende 2023 mehr als verdoppelt und auch für das Umsatzwachstum gibt es ambitionierte Ziele. Eine der ersten Maßnahmen, die Bopp und Hahn umsetzten, war die Mitarbeiter zu befragen, wie sie arbeiten wollen und auf ein Remote First-Unternehmen umzustellen, d.h. jeder hat zunächst mal das Recht durchgängig im Homeoffice zu arbeiten, es steht aber auch jedem frei ins Büro zu gehen. Die beiden planen das Mitarbeiterwachstum weiter nachhaltig voranzutreiben und produktseitig die Nutzerfreundlichkeit zu pushen sowie die Web- und Smartphone-Apps neuer und intuitiver zu gestalten. Ende des Jahres soll zudem damit begonnen werden, andere Märkte außerhalb der DACH-Region wie z.B. U.K., Spanien, Frankreich und Italien zu erschließen. In die Karten spielt ihnen das neue Arbeitszeiterfassungsgesetz, das allen Unternehmen auferlegt, die Arbeitszeiten ihrer Beschäftigten elektronisch aufzuzeichnen. Trotz Krisen blicken Bopp und Hahn deshalb optimistisch in ihre unternehmerische Zukunft.


„Search Funds könnten sich in Deutschland weiter durchsetzen“

Interview mit Sarah Kasper, Wirtschaftsprüferin und Steuerberaterin bei Schlecht und Partner

Unternehmeredition: Frau Kasper, wie sind Herr Bopp und Herr Hahn auf Sie aufmerksam geworden?

Sarah Kasper; Foto: © Schlecht und Partner

Sarah Kasper: Es hat sich schnell herumgesprochen, dass wir innerhalb der Transaktionsberatung auch auf den Bereich Search Funds spezialisiert sind. Und die Weiterempfehlung kommt dann entweder von alten Searchern an die neuen wie auch in diesem Fall. Es wenden sich aber auch Rechtsanwälte und Investoren an uns, weil unser Name in der Community bekannt ist. Die Searcher sind immer wieder neu, aber ansonsten ist das inzwischen eine eingeschworene Community mit einem nahezu festen Personenkreis. Das Umfeld, in dem wir uns bewegen, ist sehr persönlich, es muss schnell gehen und risikoorientiert ablaufen. Geschwindigkeit und Nähe werden von der Community geschätzt.

War das Thema Search Funds neu für Sie?

Ich beschäftige mich mit diesem Thema, seit ich bei Schlecht und Partner bin (2020). Ich war von 2017 bis 2019 als Wirtschaftsprüferin und Steuerberaterin in den USA und da ist es tatsächlich ein großes Thema, und auch in Spanien gibt es einen großen Markt für Search Funds. Deutschland war nie so richtig aktiv und man hat Deutschland diesbezüglich sogar mal eine Zeit lang für tot erklärt. Aber die Community in Deutschland wächst nun mittlerweile, aktuell gibt es etwa 15 deutsche Search Funds. Wir haben in Deutschland ein akutes Nachfolgethema und wissen genau, dass der bestzahlende Investor nicht immer der Geeignetste ist. Aus diesem Grund könnte sich das Search-Fund-Modell auch weiter durchsetzen, weil es persönlicher ist und weil man junge, engagierte Kandidaten hat, die etwas Eigenes kreieren und es langfristig weiterentwickeln wollen.

Worin liegen die Vorteile aus Sicht eines Mittelständlers, der einen Nachfolger sucht?

Natürlich ist es insofern Zahlen getrieben, dass die Investoren einen gewissen Return haben wollen. Die Vorgaben sind aber in der Regel nicht so extrem wie in klassischen Private-Equity-Deals. Und ich glaube, das Schöne daran ist, dass familiengeführte Unternehmen, die keine Nachfolge in der eigenen Familie oder im Netzwerk generieren können, dadurch zumindest das Gefühl bekommen, ihr Unternehmen an die nächste Generation weiterzugeben. Der Gedanke, dass das Unternehmen weiterlebt, eine klassische Nachfolge also, ist meines Erachtens eher gegeben, als bei der Übernahme durch einen klassischen Finanzinvestor oder Konzern. Die meisten Search Funds haben einen langfristigen Ansatz. Dies liegt oft schon in der Grundmotivation der Searcher/Gründer verankert. Sie bringen viele Opfer (Verzicht auf Festanstellung und attraktive Gehälter, hoher zeitliche Einsatz etc.), um gestalterisch tätig werden zu können. Der Beteiligungshorizont der Investoren ist entsprechend länger.

Man merkt den Unterschied auch in den Verhandlungen. Diese laufen viel persönlicher und teilweise weniger aggressiv ab, weil der finanzielle Druck nicht so groß ist. Hinzu kommt, dass aus Gründen der Risikominimierung von den Investoren Targets gefordert werden, die nachhaltig gut profitabel sind und eine stabile Cashflow-Situation besitzen. Entsprechend handelt es sich bei den Search Cases nicht um Restrukturierungsfälle.

Wer sind denn die Investoren?

Viele waren selbst mal Searcher, einige haben Beteiligungsunternehmen und haben selbst investiert und vielleicht schon einen Exit vollzogen. Sie treten dabei gerne als Coaches oder Mentoren der Searcher auf, die die jungen Gründer über die verschiedenen Phasen des Search Funds unterstützen. Es geht hier um mehr als die reine Rolle des Geldgebers. Ich glaube, das ist für die Investoren auch einer der Hauptgründe, dass sie Dinge weitergeben wollen und diese Mentorenfunktion auch mit ausfüllen können, um dazu beizutragen, junge Unternehmer in die nächste Spur zu setzen.

Wo genau unterstützen Sie mit ihrem Know-how?

Ich helfe zum Teil bereits im initialen (steuerlichen) Setup der Search-Fund-Vehikel beziehungsweise der Gestaltung von Beteiligungsstrukturen und -formen.

Bei der Investorensuche sind die Searcher auf sich allein gestellt. Diese erfolgt in der Regel auf Basis eines Memorandums, in dem der Gründer ihren persönlichen Ansatz beschreiben. War das Einwerben des Suchkapitals erfolgreich, beginnt für die Searcher die Phase der Unternehmenssuche, die meist auf zwei bis drei Jahre ausgelegt ist. Es geht aber aktuell auch schneller.

In der Regel kommen wir erst wieder ins Spiel, wenn passende Targets identifiziert wurden. Ab diesem Zeitpunkt begleiten wir den gesamten M&A-Prozess von der finanziellen und steuerlichen Seite. Im Deal-Prozess unterstützen wir mit der Durchführung der Financial & Tax Due Diligence, bei Gesprächen mit Investoren und weiteren Kapitalgebern, bei der (finanziellen) Bewertung der Zielunternehmen, der Strukturierung der Finanzierungsstruktur, sowie auch bei den Kaufpreis-/-vertragsverhandlungen mit der Sell-Side.

Frau Kasper, wir danken Ihnen für das interessante Gespräch.


Kurzprofil Provantis IT Solutions GmbH

Gründungsjahr: 2000

Branche: IT, Software für Projektcontrolling in der Unternehmensberatung und Zeiterfassung

Unternehmenssitz: Ditzingen (Baden-Württemberg)

www.provantis.de

Autorenprofil

Als Chefredakteurin der Unternehmeredition berichtet Eva Rathgeber regelmäßig über Unternehmen und das Wirtschaftsgeschehen. Sie verfügt über langjährige Erfahrung im Wirtschaftsjournalismus und in der PR.

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