Viele Unternehmer machen sich zu spät Gedanken über die Nachfolge – und unterschätzen dabei die rechtlichen, steuerlichen und organisatorischen Hürden. Esmir Salcinovic, Partner bei Grant Thornton, erklärt im Interview, welche Fehler vermieden werden sollten, warum ein externer Nachfolger manchmal die bessere Wahl ist und wie der Übergang erfolgreich gelingt.
Unternehmeredition: Herr Salcinovic, wie hat sich die Unternehmensnachfolge in den letzten Jahren verändert? Welche Trends beobachten Sie?
Esmir Salcinovic: Die Schere zwischen den zur Nachfolge stehenden Unternehmen und den Interessenten öffnet sich immer weiter. Dem Anteil der Seniorunternehmerinnen und -unternehmer stehen von Jahr zu Jahr – insbesondere aufgrund des demographischen Wandels – immer weniger Personen im gründungsaktiven Alter (zwischen 18 und 40 Jahren) gegenüber. Die Bereitschaft ins unternehmerische Risiko zu gehen hat seit Corona deutlich abgenommen, was diesen Trend zusätzlich verstärkt.
Was sind Ihrer Meinung nach die größten Herausforderungen bei der Unternehmensnachfolge, sowohl aus Sicht des Unternehmensinhabers als auch des Nachfolgers?
Unternehmer machen sich im Vorfeld eines solchen Nachfolgeprozesses oftmals wenig Gedanken darüber, ob das Geschäftsmodell noch zukunftsfähig ist und inwieweit auf technologische, gesellschaftspolitische oder regulatorische Entwicklungen reagiert werden muss. Spätestens zu diesem Zeitpunkt muss man sich aber auch Gedanken darüber machen, aus welchem Kreis der potenzielle Erwerber kommen soll. Sowohl die Nachfolge innerhalb der Familie, ein Management- oder Mitarbeiter-Buy-out als auch ein firmenexterner Erwerber sollten in die strategischen Überlegungen mit einbezogen werden. Der Erwerber – gleich aus welchem Kreis dieser kommt – trifft auf in sich gewachsene Strukturen innerhalb der Belegschaft, mit Lieferanten und Kunden, die einen komplexen Entwicklungsprozess durchlaufen haben. Je nachdem, mit welchem Tempo und in welche Richtung der Erwerber das Unternehmen zukünftig entwickeln will, muss der Erwerber dieses Beziehungsgeflecht zunächst verstehen und ein offenes Ohr für sein Gegenüber entwickeln, damit der Übergang harmonisch und erfolgreich erfolgt.
In welchen Bereichen sehen Sie die häufigsten Fehler oder Missverständnisse von Unternehmern, die eine Nachfolgeplanung in Angriff nehmen?
Viele Unternehmen unterschätzen die Komplexität eines solchen Nachfolgeplanungsprozesses mit den entsprechenden Auswirkungen auf steuerrechtliche-, erbrechtliche- und gesellschaftsrechtliche Fragestellungen. Aufgrund der Komplexität und Individualität der Nachfolgeplanung empfiehlt es sich, ein qualifiziertes Beraterteam mit einem entsprechenden Netzwerk und Erfahrungsschatz an Bord zu holen. Dieser Ansatz erhöht nicht nur die Erfolgsaussichten und entlastet den Unternehmer im Tagesgeschäft, er minimiert insbesondere auch die persönlichen Risiken des Unternehmers im Zuge der Unternehmensnachfolge.
Wie wichtig ist eine frühzeitige Planung der Nachfolge für den langfristigen Erfolg eines Unternehmens?
Dieser Punkt ist enorm wichtig. Nehmen wir beispielsweise die Fragestellung, aus welchem Kreis der Nachfolger idealerweise kommen soll. Ich denke es ist klar, dass kaufmännische und fachliche Kompetenz den Ausschlag für die Entscheidung geben sollten. Bei einem Familien-mitglied sind die Fähigkeiten und Potentiale bekannt. Demgegenüber steht aber die psycho-logische und soziale Komponente mit dem damit zusammenhängenden Wandel im Rollen-verständnis, in welchem von nun an zum Beispiel der Vater sich den Weisungen seiner Kinder unterzuordnen hat und seine führende Position aufgeben muss. Bei einem externen Erwerber kann die fachliche und persönliche Eignung zunächst einmal nicht genau beurteilt werden. Zu Beginn wird es zu einem Nebeneinander zwischen Unternehmer und Erwerber kommen, in welcher der Unternehmer einerseits von seinem Lebenswerk loslassen muss, andererseits aber bereits erste Entscheidungen von seinem Nachfolger getroffen werden und die Verantwortung mehr und mehr auf seinen Nachfolger übergeht. In diesem Fall bietet es sich an, dass ein Beirat, beispielsweise bestehend aus einem Unternehmensberater, Rechts- und Steuerberater, eingesetzt wird, dessen Empfehlungen sowohl der Unternehmer als auch sein Nachfolger folgen sollen.
Könnten Sie uns ein Beispiel aus Ihrer Arbeit bei Grant Thornton nennen, bei dem eine erfolgreiche Unternehmensnachfolge umgesetzt wurde? Was waren die Schlüsselfaktoren für diesen Erfolg?
Der letzte konkrete Fall war eine Unternehmensnachfolge eines Unternehmens, welches sich über die Jahrzehnte einen Namen als bedeutender Automobilzulieferer im Bereich Umform- und Fügetechnik gemacht hat. Wir von Grant Thornton haben unseren Mandanten in diesem Fall allumfassend beraten und durch diesen Prozess begleitet. Das Nicht-Loslassen war – zumindest zu Beginn des Prozesses – die vorherrschende Grundhaltung des Seniors. In dieser Phase ging es weniger um fachliche Argumentationen als vielmehr um Einfühlungsvermögen und das Hineinversetzen in sein Gegenüber.
Was sind die häufigsten Wünsche oder Sorgen der Unternehmer, die Sie beraten, wenn es um die Übergabe des Unternehmens geht?
Jeder Unternehmer wünscht sich, dass sein Unternehmen, sein Lebenswerk in gute Hände kommt. Dies ist eine zutiefst psychologische und menschliche Komponente. In diesem Punkt treibt den Unternehmer die Sorge um, dass sein Nachfolger nicht allzu viele Änderungen an den gewachsenen Strukturen und Prozessen innerhalb und außerhalb des Unternehmens vornimmt, denn bislang hat es ja auch immer gut funktioniert. An diesem Punkt muss der Unternehmer dann aber die Bereitschaft haben, bestehende Strukturen und Prozesse zu hinterfragen und hierzu möglichst frühzeitig seinen Nachfolger mit einzubeziehen.
Was empfehlen Sie Unternehmern, wenn die Nachfolge nicht innerhalb der Familie erfolgen kann oder soll? Wie gehen Sie bei der Suche nach externen Nachfolgern vor?
Zunächst einmal sollte dies offen mit dem Unternehmer diskutiert und mit dem Hinweis versehen werden, dass auch eine harmonische und erfolgreiche Unternehmensnachfolge innerhalb der Familie das Unternehmen in die Insolvenz treiben kann, wenn das Kind das Lebenswerk des Seniors zwar in seinem Sinne weiter „verwaltet“, notwendige Änderungen im Unternehmen – meist aus Rücksicht auf den Senior – jedoch nicht ergriffen werden. Somit kann eine Nicht-Familienlösung für den Unternehmensfortbestand in diesem Fall sogar von Vorteil sein. Die Suche nach einem externen Nachfolger sollte erst nachgelagert erfolgen. Zunächst sollte eine Übernahme durch leitende Mitarteiter oder einen großen Teil der Belegschaft (Management- oder Mitarbeiter-Buy-out) in Betracht gezogen werden, da die Übernehmer in diesem Fall die Prozesse, Mitarbeiter, Produkte, Kunden und Lieferanten gut kennen und Friktionen auf ein Minimum reduziert werden können. Sollte sich kein mit dem Unternehmen vertrauter interner Erwerber finden lassen, so kann der Verkauf an einen strategischen beziehungsweise Finanzinvestor in Erwägung gezogen werden. In diesem Punkt verfügen wir über das notwendige Netzwerk und langjährige Erfahrung, um dem Unternehmer relativ kurzfristig eine sogenannte Long List mit potentiellen Erwerbern zu erstellen und diese mit unserem Mandanten zu besprechen.
Gibt es spezielle rechtliche oder steuerliche Aspekte, die bei der Nachfolgeplanung häufig übersehen werden, aber für den Erfolg entscheidend sind?
Hier stellt sich zunächst die Frage, ob die Unternehmensübergabe innerhalb der Familie oder an Dritte erfolgen soll. Die Unternehmensübertragung innerhalb der Familie kann beispielsweise im Rahmen der vorweggenommenen Erbfolge oder Schenkung erfolgen. Bei ersterer sollte darauf geachtet werden, dass das Betriebsvermögen nicht an eine Erbengemeinschaft übergehen soll, da dies einer geordneten Unternehmensfortführung in den meisten Fällen im Weg steht. Die weichenden Geschwister sollten in diesem Fall den Pflichtteilsverzicht erklären und vom Übergeber eine entsprechende Gegenleistung bekommen. Bei der Schenkung ist darauf zu achten, dass Schenkungsfreibeträge alle zehn Jahre wieder neu aufleben. Bei einem Verkauf an einen Dritten ist der Unternehmenskaufvertrag das zentrale Element. Bei der Ausgestaltung empfiehlt es sich, einen auf M&A spezialisierten Fachanwalt hinzuzuziehen. Die Besteuerung hängt in diesem Fall von der Gesellschaftsform und dem Umstand ab, ob es sich um einen Asset oder Share Deal handelt.
Welche Rolle spielt die Unternehmensbewertung im Nachfolgeprozess, und wie geht man hier am besten vor?
Eine sehr wichtige, da sich aus dem Unternehmenswert letztendlich der zu zahlende Kaufpreis für das Unternehmen ableitet. Jeder Unternehmer kann sich bereits vorab anhand von internetbasierten Unternehmenswertrechnern (z.B. von der IHK) eine erste Indikation für den Unternehmenswert einholen. Dies kann allerdings nur eine erste Indikation sein und an diesen Wert sollten keine allzu großen Erwartungen geknüpft werden. Die Unternehmensbewertung ist eine äußerst komplexe Angelegenheit und sollte zwingend durch sachverständige Berater wie zum Beispiel Wirtschaftsprüfer, Steuerberater oder Sachverständige für Unternehmens-bewertung erfolgen. Ausgehend vom Unternehmenswert ergibt sich der zu zahlende Kaufpreis im Wesentlichen aus der noch zu ermittelnden finanziellen Lage (inklusive der impliziten und expliziten Schuldposition) und operativen Situation des Unternehmens zum Übergabezeitpunkt.
Welche Entwicklung sehen Sie für die Zukunft der Unternehmensnachfolge? Glauben Sie, dass sich die Herangehensweise an Nachfolgeprozesse in den nächsten Jahren weiter ändern wird?
Ich denke, dass die Ansprache der potenziell mit der Nachfolge konfrontierten Unternehmen durch spezialisierte Berater sowie die Segmentierung und Fragmentierung in diesem Bereich stark zunehmen wird. Es werden sich neue Plattformen herausbilden, in welchen der Austausch in der Anbahnungsphase interaktiver gestaltet werden kann. Nicht zu unterschätzen sind auch mögliche Eingriffe des Gesetzgebers, um die Unternehmensnachfolge (steuerlich) attraktiver zu gestalten.
Was war für Sie persönlich das größte „Learning“ aus Ihrer Arbeit in der Unternehmensnachfolgeberatung?
Dass man als Berater sehr viel Geduld mitbringen muss und sich – mehr als sonst – auch um die persönlichen Befindlichkeiten der handelnden Personen kümmern muss.
Lieber Herr Salcinovic, wir danken Ihnen für dieses Gespräch!
Das Interview führte Eva Rathgeber.
👉 Diese Fallstudie ist auch in der Unternehmeredition 1/2025 mit Schwerpunkt “Unternehmensnachfolge” erschienen.
KURZPROFIL
Esmir Salcinovic ist Partner bei der Grant Thornton AG am Standort Stuttgart und Experte für die Financial Due Diligence. Er verfügt über Expertise in verschiedenen Branchen, unter anderem der Automobilindustrie, dem Maschinen- und Anlagenbau, dem Beratungssektor, dem Einzelhandel sowie in Sachen Internetportale.