Wilmaa ist einer der Web-TV-Pioniere in Europa. Schweizer Programmierer starteten 1999 mit der Entwicklung einer Software zur Übertragung von Fernsehkanälen. 260 TV-Sender können auf praktisch allen Geräten (Smartphone, Tablet, Laptop, PC, Smart TV) kostenlos live gestreamt und aufgenommen werden. Im Juni 2020 übernahm die Sunrise Communications AG, seit November 2020 durch Fusion „Sunrise UPC“, die Wilmaa AG. Das Wilmaa-Team überzeugte die Verantwortlichen des zweitgrößten Schweizer Telekommunikationsunternehmens mit seiner technologischen Kompetenz und Innovationskraft.
Der Exit im Mittelstand
Wilmaa hatte sich zu einem innovativen mittelständischen Unternehmen entwickelt. Es zeichneten sich aber Marktveränderungen ab, die das Wachstum durchaus hätten bremsen können. Der Wettbewerb wurde mit zahlreichen neuen Playern im Markt stärker, Konsolidierungen waren absehbar. Die ausschließlich nationale Vergabe von TV-Rechten zeigte keine Perspektive für internationales Engagement. Das Gründerteam war bereits gedanklich mit neuen Projekten beschäftigt und konnte nicht weiter die nötigen Ressourcen in Wilmaa investieren. „Die Entscheidung, über einen Exit nachzudenken, ist in dieser Situation völlig legitim“, so Kolja A. Rafferty von der Strategieberatung Leverage Experts (LE), die den Verkaufsprozess betreute. „Allerdings kostet der Prozess den Unternehmer viel Energie. Der Verkauf ist häufig eine emotionale Angelegenheit, verabschiedet man sich doch von einem Stück Lebensinhalt. Die existenziellen Herausforderungen treten in dieser Situation manchmal in die zweite Reihe. Es ist eine unternehmerisch starke und richtige Entscheidung, externe Beratung für ein gutes Verkaufsergebnis in Anspruch zu nehmen.“
Zu den Kriterien des Verkäufers gehörten neben einem attraktiven Verkaufspreis eine klare Vision für die Zukunft der Marke „Wilmaa“ und der Mitarbeitenden des Unternehmens. Ziel war es, den Wilmaa-Kundenstamm nicht in das Angebot eines potenziellen Käufers integrieren und aufsaugen zu lassen, alle Mitarbeitenden zu übergeben und den Betrieb unter der Marke „Wilmaa“ fortzuführen. Diese Anforderungen reduzierten die Zahl der potenziellen Käufer allerdings weiter. Thomas Gabathuler, Gründer und „Vater“ von Wilmaa, hatte sich bereits aus dem Tagesgeschäft zurückgezogen, um ein neues innovatives Projekt voranzutreiben. Daher wollte er weitestmöglich durch einen unabhängigen Beratungspartner entlastet werden.
Zweigleisiger Verkaufsprozess
In der Folge identifizierten die Berater von LE sowohl einen lokalen als auch einen internationalen Käufer und banden sie in den Akquisitionsprozess ein. Die Verhandlungen wurden parallel geführt, womit die Verantwortlichen eine gute Position für den Verkäufer schaffen konnten. Nach Angaben der Verkäufer wurde schließlich ein überdurchschnittlicher Verkaufspreis erzielt, der die Erstangebote übertraf. „Leverage Experts erwies sich als der richtige Partner, der meine Ansprüche voll erfüllt und mir viel Zeit und Nerven erspart hat“, erinnert sich Gabathuler. „Während des herausfordernden Prozesses gab das Team nie auf und ging auch nach vielen Monaten keine Kompromisse bezüglich der Hauptziele für den Verkauf ein.“ Zwar hatte Corona auch in diesem Fall starke Auswirkungen auf die operative Geschäftsentwicklung von Wilmaa und führte zu einer schwierigen wirtschaftlichen Situation. Trotz der wirtschaftlichen Herausforderungen konnten die Verantwortlichen die Verhandlungen erfolgreich abschließen, die gesteckten Ziele erreichen und eine Perspektive für Mitarbeitende und Marke sichern.
„Frühzeitige Vorbereitung sorgt für gute Ergebnisse“
Unternehmeredition: Leverage Experts hat den Verkauf von Wilmaa TV an Sunrise begleitet. Was waren Ihre wesentlichen Aufgaben?
Kolja A. Rafferty: Leverage Experts ist fokussiert auf mittelständische, meist inhabergeführte Unternehmen. Nachdem die Gründer und Gesellschafter
der Wilmaa AG die Entscheidung zum Verkauf getroffen hatten, führte das
Team von Leverage Experts vollständig den Prozess. Es begann mit der Ermittlung von Zeitrahmen sowie Preisvorstellungen und ging weiter mit der Erarbeitung der vollständigen Unterlagen für den Verkauf wie auch des Datenraums, um dann im nächsten Schritt mögliche Käufer zu bestimmen und den Erstkontakt anzubahnen. Bevor Gespräche auf Managementebene stattfinden können, müssen die Geschäftsleitung und die Schlüsselmitarbeitenden vor den wichtigen Präsentationsterminen gecoacht werden. Wir fungierten dabei als „Advocatus Diaboli“. Auch in diesem konkreten Fall hat sich das Vorgehen für die Gesellschafter ausgezahlt. Durch die gute Vorbereitung gab es am Ende zwei abschlussbereite Käufer – die Grundlage für einen optimalen Verhandlungsspielraum.
Was sind generell die üblichen Herausforderungen im Rahmen von Verkaufsprozessen?
Kein Unternehmen ist wie das andere, entsprechend ist auch kein Käufer wie der andere. Ein Unternehmens(ver)kauf ist häufig eine sehr subjektive und emotionale Transaktion. Es ist wichtig, die spezielle Motivation des Käufers im Verkaufsprozess richtig zu erkennen und für die Verhandlungsposition des Verkäufers zu nutzen. Bei inhabergeführten Unternehmen hat die Definition von Erfolg meist wenig mit der eigentlichen Höhe des Verkaufspreises zu tun. Häufig geht es eher darum, dass ein Unternehmen weitergeführt wird oder Mitarbeitende auch künftig beschäftigt sind. Damit erwartet der Verkäufer vom Käufer Zusagen, die mittel- bis langfristig Prozesse und Strukturen im Käuferunternehmen beeinflussen. Ein guter Fit zwischen Verkäufer und Käufer ist also die Basis, wenn es um andere Faktoren als einen möglichst hohen Verkaufspreis oder optimalen Verkaufserlös gehen soll.
Sind Käufer und Verkäufer in der Regel gut auf einen M&A-Deal vorbereitet? Oder bestehen vielerorts falsche Erwartungen?
Erfolg oder Misserfolg eines Unternehmensverkaufs hängen wesentlich von der Vorbereitung ab – und die beginnt bereits deutlich vor der eigentlichen Suche nach einem geeigneten Käufer. Wir analysieren Geschäftsverlauf, Profitabilität und andere wirtschaftliche Kennziffern beim Verkauf circa drei Jahre in der Vergangenheit. Die entsprechenden Ergebnisse wirken sich auf die Preisbildung aus. Insofern ist eine langfristige Nachfolgeplanung häufig wichtig, um gute Ergebnisse zu erzielen. Ein weiterer entscheidender Punkt ist die vollständige und nachvollziehbare Dokumentation aller relevanten Geschäftsvorgänge. Lücken in der Dokumentation schrecken häufig potenzielle Käufer ab oder senken den Verkaufspreis erheblich. Abschließend ist es wichtig, zu verstehen, dass der Wert eines Unternehmens bei Weitem nicht Ergebnis einer rein objektiven Bewertung ist. Je nach Perspektive, strategischer Ausrichtung und Zukunftsplanung eines Käufers kann die Bewertung durchaus auch deutlich von den Vorstellungen des Verkäufers abweichen. Wenn Verhandeln auch zum Unternehmensverkauf zählt, so ist doch nicht jedes niedrige Angebot automatisch ein Versuch, den Verkäufer um einen gerechten Preis zu prellen. Insgesamt gilt: Frühzeitige Vorbereitung und langfristige Planung des Unternehmensverkaufs schaffen Verhandlungsspielraum für gute Ergebnisse.
Kurzprofil Wilmaa AG (jetzt Sunrise UPC)
Gründungsjahr: 1999
Branche: Web TV/Software
Unternehmenssitz: Zürich
Mitarbeiterzahl: 10
Dieser Beitrag ist in der Unternehmeredition 3/2021 erschienen.
Holger Garbs
Holger Garbs ist seit 2008 als Redakteur für die GoingPublic Media AG tätig. Er schreibt für die Plattform Life Sciences und für die Unternehmeredition.