Bislang konnten sich Unternehmen auf den europäischen Binnenmarkt verlassen. Die Brexit-Entscheidung und die Katalonien-Krise rütteln an diesem Glauben. Sollte sich dieser Schwebezustand verlängern oder auf weitere Regionen ausbreiten, werden sich Unternehmen andere Standorte für ihre Investitionen suchen.
Es gibt Dinge, gegen die kann man sich nicht versichern. Das musste auch Deutschlands großer, familiengeführter Versicherungskonzern Arag feststellen: Lange beobachtete das Unternehmen die politische Situation in Katalonien. Jetzt reagierte der Versicherer auf die politischen Unruhen – er verlegte seinen Stammsitz von Barcelona nach Madrid. Als sich die Situation zuspitzte und niemand wusste, wie das Referendum ausgehen würde, drückte die Arag den Notknopf und trat den Weg zum Notar an. „Für uns war das ein formaler Schritt“, sagt Klaus Heiermann, Generalbevollmächtigter der Arag SE. „Im Moment bleibt uns nichts anderes übrig als abzuwarten, auch wenn diese Situation unbefriedigend ist.“ Für die Arag war der Standortwechsel wichtig: Sie ist eine Aktiengesellschaft nach europäischem Recht (SE) und muss ihren Sitz in der EU oder im Europäischen Wirtschaftsraum haben. Separiert sich Katalonien von Spanien, muss der Status der Region in der EU erst mal neu ausgehandelt werden.
Genau wie die Arag hat auch der deutsche IT-Dienstleister GFT den Sitz der spanischen Holding von Barcelona nach Madrid verlagert. Die operative Tochter und die Mitarbeiter sind allerdings in Barcelona geblieben. Am Tag des Generalstreiks legten viele Mitarbeiter auch bei der GFT-Niederlassung die Arbeit nieder. Für kritische Projekte versorgte der Arbeitgeber einige von ihnen mit Laptops, um von zu Hause aus arbeiten zu können. GFT beschäftigt derzeit über 2.000 Mitarbeiter an sechs Standorten in Spanien. Rund 900 sind in der Region Katalonien angestellt. Verschiedene Szenarien spielte das börsennotierte Unternehmen inzwischen durch, wurde allerdings nicht konkreter. Langfristig will die GFT in Spanien bleiben und sich breiter aufstellen. Vor Kurzem übernahm das Unternehmen einen IT-Dienstleister aus Alicante. Der Standort trägt ein Fünftel zum Gesamtumsatz von rund 220 Mio. Euro bei und ist damit heute wichtiger als Deutschland.
Unternehmen flüchten aus Katalonien
Viele Unternehmen sahen sich gezwungen zu reagieren, als sich die Lage im Nordosten Spaniens Anfang Oktober zuspitzte. Damals gingen hunderttausende Menschen in Barcelona auf die Straße, um für die Unabhängigkeit der Republik zu demonstrieren. Mehr als 80 Prozent der Wähler sprachen sich dafür aus – allerdings lag die Wahlbeteiligung lediglich bei 43 Prozent. Ende Oktober eskalierte der Konflikt weiter, als die spanische Regierung das katalanische Parlament nach der illegalen Unabhängigkeitserklärung absetzte und Neuwahlen anberaumte. „Wir waren überrascht, welche harte Gangart die katalanische Regierung angeschlagen hat“, sagt Albert Peters, Präsident des Kreises deutschsprachiger Führungskräfte in Spanien. Peters erlebte die turbulenten Stunden hautnah vor Ort.