Technologiewandel: Unternehmensverkauf als Rettungsanker

Digitalisierung und Elektrifizierung stellen Familienunternehmen vor Herausforderungen

Der Technologiewandel und die Elektrifizierung machen bei deutschen Familienunternehmen einen Unternehmensverkauf wahrscheinlicher.
Foto: © mmphoto_AdobeStock

Die Elektrifizierung von Sektoren wie der Automobil- oder Heizungsindustrie bedeutet einen radikalen Technologiewandel und stellt besonders viele deutsche Familienunternehmen vor existenzielle Herausforderungen. Die organische Anpassung übersteigt häufig die Finanzierungsfähigkeit der Unternehmen. Auch externe Lösungen zur Beschaffung von Eigenkapital sind regelmäßig nicht (mehr) realisierbar. Sollte ein Verkauf (noch) möglich und gewünscht sein, muss dringend vor einer Vorfestlegung auf oder gar exklusive Gespräche mit vermeintlichen Favoriten unter den möglichen Käufern gewarnt und zu einem geordneten wettbewerblichen Verkaufsprozess in Form einer kontrollierten Auktion geraten werden.

Die deutsche Industrie ist geprägt durch eine im internationalen Vergleich ausgesprochen hohe Zahl von familiengeführten Unternehmen, die über eine weltweit marktführende Position in ihren Produkten verfügen. Diese werden gerne als „Hidden Champions“ bezeichnet und mit fast 1.600 Unternehmen übersteigt deren Anzahl diejenige jeder anderen Volkswirtschaft um ein Vielfaches.

Bemerkenswert ist der große Anteil von Familienunternehmen unter den Großunternehmen in Deutschland: Während in vielen Volkswirtschaften die Familienunternehmen im Sektor der KMU dominieren, nimmt andernorts deren Anteil bei steigender Unternehmensgröße deutlich ab; es setzen sich dort die börsengelisteten Unternehmen durch. In Deutschland hingegen finden sich selbst unter den industriellen Großunternehmen mit mehr als 1 Mrd. EUR Umsatz noch mehr als 220 Familienunternehmen, was die Anzahl der rund 80 Börsengesellschaften in dieser Umsatzgrößenordnung deutlich übersteigt. Die eigentliche Besonderheit der deutschen Industrie liegt damit weniger in der oft gepriesenen Stärke des familiengeführten „Mittelstands“, sondern in der hohen Zahl familiengeführter Großunternehmen mit führender Stellung im Weltmarkt.

Neue Motive für einen Verkauf

Seit Jahrzehnten wird erwartet, dass es aus verschiedenen Gründen wie Nachfolgeproblematik oder Erbschaftsteuer zu einer Welle von Verkäufen (inklusive IPO) von Familienunternehmen kommen würde, die allerdings nie in nennenswertem Umfang eingetreten ist. Im letzten Jahrzehnt kamen zwei Motive hinzu, die insbesondere in Kombination ihre Wirkung auf die Verkaufsbereitschaft von Familienunternehmen entfalten: zum einen der radikale Technologiewandel, zum anderen der starke Anstieg regulatorischer Anforderungen.

Der hier gemeinte Technologiewandel lässt sich in zwei Kategorien einteilen: Digitalisierung und Elektrifizierung. Während sich die öffentliche Diskussion und die akademische Forschung sehr häufig um die digitale Transformation dreht, wird die zur Reduktion von CO2-Emissionen notwendige Elektrifizierung von Sektoren wie der Automobilindustrie oder dem Heizungs-/Klimatisierungssektor von den Unternehmern zu Recht als noch gefährlicher angesehen. Bei der digitalen Transformation werden zwar ganze Geschäftsmodelle bzw. Prozesse innerhalb des Geschäftsmodells transformiert, aber das Produkt an sich bleibt das gleiche (Beispiel „Uberization“: Bestellung und Bezahlung der Taxifahrt sind digitalisiert). Die Elektrifizierung hingegen geht mit einer Substitution von wesentlichen Technologien, Produkten und Komponenten einher (z.B. Verbrennungsmotor, Gasheizung) und leitet das Ende der entsprechenden Hersteller über einen Zeitraum von wenigen Jahrzehnten ein.

Die betroffenen deutschen Familienunternehmen sind meist auf wenige Produktbereiche spezialisiert; dieser Fokus in Produkt und Markt ist ja gerade typisches Merkmal und bislang Vorteil der Hidden Champions. Wenn nun durch eine Technologietransformation die spezialisierten Ressourcen dieser Unternehmen entwertet werden, kann sich dieser Wandel zu einer existenzbedrohenden Herausforderung entwickeln. Die Vision der Familien, auch den folgenden Generationen ein prosperierendes Unternehmen zu vermachen („Enkelfähigkeit“), ist gefährdet. Die Entwicklung und Industrialisierung von neuen Produkten ist aufgrund selten vorhersehbarer Technologiepfade hochriskant und unterscheidet sich fundamental von der Art, wie deutsche Familienunternehmen die schrittweise Verbesserung und Weiterentwicklung ihrer Produkte seit über 100 Jahren erfolgreich kultiviert haben. Der Versuch der Entwicklung völlig neuer Technologien führt sehr häufig zu Engpässen in der Finanzierung, da dies nicht nur viel riskanter ist, sondern auch gerade bei erfolgreicher Entwicklung zu einem hohen Investitionsbedarf für Industrialisierung und globales Produktions-Roll-out führt.

Die Unternehmer beklagen zunehmend den gestiegenen Umfang der Regulierung in der EU, durch die gerade für kleinere Unternehmen ein überproportionaler Verwaltungsaufwand entsteht (insbesondere Lieferkettengesetz und CSRD). Diese Welle von zunächst nur teuren und lästigen Bürokratisierungsprozessen kann aber auch das Risiko schnell wirkender Verbote mit existenzbedrohender Wirkung auf betroffene Unternehmen (Beispiel: Chemikalienverordnung) mit sich bringen. Zudem werden Wirtschaftspolitik und Regulierung in jüngster Zeit als erratisch, inkonsistent und nicht technologieoffen wahrgenommen, was die Anpassungsfähigkeit der Unternehmen zusätzlich behindert.

Strategische Optionen: Von Diversifikation bis Sundowner

Grundsätzlich ergeben sich für die vom Technologiewandel betroffenen Familienunternehmen die folgenden strategischen Optionen (Tab. 1):

Zum Vergrößern bitte hier anklicken!

In den meisten Sektoren ist die Elektrifizierung bereits so weit fortgeschritten, dass sich die Frage nach einer Eigenentwicklung von elektrifizierten Produkten nur noch hinsichtlich der Vergangenheit stellt: Hätte es gelingen können, ein radikal anderes Produkt zu entwickeln? Dabei ist jedoch zu bedenken, dass derartige Entwicklungsprojekte meist nicht nur eine komplett unterschiedliche F&E-Kultur erfordern als das inkrementelle Verbessern von bestehenden Produkten. Sie beinhalten das quasi systemimmanente Risiko des Scheiterns der Mehrheit solcher Projekte und gehen daher mit existenzbedrohenden finanziellen Risiken einher.

Die am seltensten verfolgte und kaum erprobte Option ist die des möglichst effizienten Zurückfahrens der Aktivitäten angepasst an den entsprechenden Wegfall der Produkte. Die Strategie wird von Consultants als „Sundowner“ vermarktet und schon in den 1980er-Jahren untersucht als unter bestimmten Voraussetzungen sehr profitables „Endgame“ für schrumpfende Industrien. Idealerweise kann hier aufgrund des geringer werdenden Wettbewerbs und sinkenden Investitionsbedarfs ein guter Cashflow erzielt werden, der die Ausgaben für Schließungen bzw. Sozialpläne übersteigt. Es gibt sehr wenige Beispiele von mutigen Unternehmern, die diese Strategie bereits erfolgreich umgesetzt. Die allermeisten Familienunternehmen werden diese Option erst in Erwägung ziehen, wenn alle anderen gescheitert sind.

Die folgenden Betrachtungen beziehen sich auf den Fall, dass sich die Gesellschafter eines Familienunternehmens für den Verkauf eines Minderheits- oder Mehrheitsanteils entschieden haben.

Breite Vielfalt an möglichen Käufergruppen

Die Anzahl, Kaufkraft und Artenvielfalt möglicher Käufer hat in den letzten Jahrzehnten stetig zugenommen – aufgrund des Wachstums der Private-Equity-Branche, der zunehmenden Akquisitionsneigung strategischer Käufer und langer Phasen boomender Aktienmärkte, die IPOs ermöglichen.

1. Private Equity

Die größte und liquideste Gruppe von möglichen Käufern sind die Finanzinvestoren/Private-Equity-(PE-)Fonds. Aufgrund des starken Wachstums der PE-Branche hat die Kapitalsumme, die PE-Investoren global für Akquisitionen/Investments zur Verfügung steht („Dry Powder“), einen historischen Rekordwert von 1,2 Bio. USD erreicht. PE-Investoren sind spezialisiert auf den Unternehmenskauf, und der Erwerb von Familienunternehmen gilt als besonders aussichtsreich, weil das PE-Team spezifische neue und komplementäre Erfahrungen und Fähigkeiten mitbringen kann, die dem Unternehmen die nächste Stufe der Weiterentwicklung ermöglichen sollen. Die mögliche Stoßrichtung dabei kann ganz unterschiedlicher Natur sein und geht weit über das übliche Handwerkszeug von Margenverbesserung durch Kostendisziplin, verbessertes Reporting/Controlling etc. hinaus. Attraktiv für PE-Investoren ist das Verfolgen von Wachstumsstrategien durch weitere globale Expansion oder verstärktes akquisitorisches Wachstum. Gerade Letzteres hat sich als probates PE-Wertschaffungsmodell erwiesen – und so verfügen viele Professionals in den PE-Fonds über fundierte Erfahrungen in der Begleitung von sogenannten Add-on-Akquisitionen. Über die Leitungsgremien stellen die PE-Professionals diese Erfahrung (und das Kapital) dem Management der Portfoliounternehmen zur Verfügung.

Wenn sich Familien schon zum Verkauf entschließen, wollen sie ihr Unternehmen meist „in gute Hände“ geben. Als entscheidenden Nachteil empfinden daher viele Familien die relativ kurzen Halteperioden von PE-Investoren, da ein kurzfristig zu befürchtender Wiederverkauf mit Reputationsrisiken für die Familie einhergeht. Im Schnitt beträgt die Investitionsdauer von Private Equity etwa vier bis sechs Jahre, was bedingt ist durch die gängige Fondslaufzeit von zehn Jahren (plus zwei Verlängerungsjahre), nach denen idealerweise das gesamte Portfolio investiert und bereits wieder deinvestiert sein sollte. Dies ist wiederum eine Anforderung der Investoren in den PE-Fonds (Pensionsfonds, Versicherungen etc.), die damit die inhärente Illiquidität ihrer Investments in PE-Fonds zeitlich limitieren. Einige PE-Gesellschaften (z.B. KKR, CVC, Blackstone, Carlyle) haben sogenannte Long-term Capital Funds (mit einer Laufzeit von 20 Jahren) aufgesetzt, die sich aber nicht durchzusetzen scheinen.

Trotz der gewaltigen Größe der PE-Branche findet nach den Erfahrungen der letzten Jahre nicht jedes verkaufsbereite Unternehmen hinreichendes Interesse seitens der PE-Käufer. Für Unternehmen, die bereits offensichtlich vom oben beschriebenen Technologiewandel betroffen sind und/oder dauerhaft geringe Margen (<10% EBITDA) aufweisen, ist es schwer, einen kompetitiven Verkaufsprozess mit einem sicheren Resultat durchzuführen. Es gab zwar Versuche, spezielle PE-Fonds für solche Situationen aufzulegen (z.B. die „Best Owner Group“ der IG Metall für Zulieferer des Verbrennungsmotors); sie waren jedoch erfolglos. Da innerhalb der PE-Branche derzeit ein intensiver Konsolidierungsprozess stattfindet, erscheint eine Neuauflage der Idee eines Fonds für Sundowner-Investitionen auf absehbare Zeit unwahrscheinlich.

2. Langfristige Finanzinvestoren/Family Offices

Zunehmend engagieren sich langfristig orientierte institutionelle Investoren, die bislang bereits als Investoren in PE-Fonds aufgetreten sind, direkt als Finanzinvestoren beim Erwerb von Unternehmen. Dazu zählen kanadische Pensionsfonds, Sovereign Wealth Funds und Family Offices, wobei Letztere häufig die „Wunschkandidaten“ für verkaufswillige Familienunternehmer sind. Da ein solches direktes Investment jedoch seitens des Family Offices das Vorhalten von spezialisierten Teams innerhalb der eigenen Organisationen erfordert, ist es nur von wenigen, sehr großen Family Offices darstellbar. Selbst diese sind dann aufgrund der limitierten Ressourcen und Erfahrung meist nur in der Lage, in ausgeprägt stabile Unternehmen mit geringeren Corporate-Governance-Erfordernissen direkt zu investieren.

Zudem streben Family Offices aus Risikogründen eine ausreichende Diversifikation des angelegten Vermögens an, was die mögliche Größe eines Einzelinvestments für gewöhnlich auf 10% bis 20% begrenzt. Dealgrößen von mehr als 100 Mio. EUR sind somit nur für ganz wenige Family Offices möglich, während für das klassische Private Equity eben dort das größte und liquideste Marktsegment beginnt. Die Idee von „Family Capital“, ergo der Bereitstellung von Kapital von Family Offices für verkaufsbereite Familienunternehmer, wird zwar rege diskutiert, bleibt aber aus den genannten Gründen ein Ausnahmephänomen, auf das sich ein Verkäufer nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen einigermaßen verlassen kann.

3. IPO als Exitroute

Die Aktienmärkte befinden sich in einem bereits über ein Jahrzehnt währenden Aufschwung, der zu einem historisch hohen Bewertungsniveau geführt hat und zu langen Phasen geringer Volatilität, die für einen Börsengang (IPO) ideal sind. Ab einer gewissen Größenordnung (Unternehmenswert > 1 Mrd. EUR; Wert der gehandelten Aktien („Free Float“) > 500 Mio. EUR) ist der Verkauf über einen Börsengang eine attraktive Option, besonders dann, wenn ein Teil der Familie oder gar die Mehrheit investiert bleiben will. Unterhalb dieser Größenordnung ist ein IPO zwar möglich, aber nicht sinnvoll, weil es mit hohen Kosten verbunden ist und nicht zu befriedigender Liquidität und Bewertung für die Aktien des Unternehmens führt.

Dies gilt auch für Unternehmen, die nicht die gerade bevorzugten Themen und Vorlieben des Aktienmarkts bedienen. Wichtige Kriterien sind Wachstumsaussichten, Profitabilität und zunehmend ESG. Treiber der derzeitigen historischen Höchstbewertung sind die Wachstumsaussichten insbesondere in den Techsektoren. Unternehmen und Sektoren mit geringen Wachstumsaussichten sind im historischen Vergleich allenfalls durchschnittlich bewertet; sollten sie zusätzlich mit ESG-Problemen belastet sein, ist der Abschlag vermutlich überproportional. Gleiches gilt für Unternehmen mit unterdurchschnittlicher Profitabilität. Wenn die mangelnde Profitabilität nicht gerade durch stürmisches Wachstum begründet ist, haben sie kaum eine Chance auf einen erfolgreichen Börsengang, während ein Finanzkäufer durchaus in der Lage sein kann, einen Teil des für einen Kontrollerwerb zu erwartenden Upside-Potenzials durch Margenverbesserung dem Verkäufer im Kaufpreis zu vergüten.

4. Minderheitsverkauf

Für den Verkauf von Minderheitsanteilen an Unternehmen, die nicht mit weitreichenden Einflussrechten verbunden sind, gibt es nur einen hinreichend liquiden Markt, nämlich den Aktienmarkt. Für den Fall, dass die Familie dauerhaft eine Mehrheit der Stimmen behalten will, ist also das IPO die einzige realistische Option. Sie kann dazu dienen, verkaufswillige Minderheitsgesellschafter abzulösen oder – wie oben beschrieben – Investitionen in die Zukunftsfähigkeit über eine Kapitalerhöhung zu finanzieren. Eine auf Dauer angelegte Position von Familien als Mehrheitsgesellschaftern an börsennotierten Gesellschaften ist am Aktienmarkt akzeptiert. Selbst die stimmrechtliche Bevorzugung der Familien (über KGaA, Ausgabe von stimmrechtslosen Vorzugsaktien o.Ä.) führt nicht zu nennenswerten Bewertungsabschlägen.

Der Verkauf von Minderheitsanteilen an PE-Investoren ist fast aussichtslos, weil Letzterer die Kontrolle über einen späteren Exit braucht, außer wenn es einen klaren, bereits vereinbarten Pfad zu einem späteren IPO oder (schulden- bzw. cashflowfinanzierten) Rückkauf der Anteile gibt (Beispiel: Ottobock, illycaffè). Gibt es einen solchen sicheren Pfad zum Exit nicht, weil das Unternehmen auf absehbare Zeit nicht börsenfähig sein oder nicht genug Cashflow für den Rückkauf generieren wird, dann müsste der PE-Käufer für eine Minderheit auf Governance- bzw. Exitregelungen („Mitverkaufspflicht“) bestehen, die für den Altgesellschafter prohibitiv wären.

5. Strategische Käufer

Strategische Käufer können direkte Wettbewerber sein, seltener auf der jeweiligen Wertschöpfungskette vor- oder nachgelagerte Spieler und Konglomerate, die ihr Portfolio ergänzen wollen. Da gerade letztere Strategie seit Langem aus der „Mode“ gekommen ist, konzentriert sich das strategische M&A-Geschehen hauptsächlich auf Wettbewerber.

Gerade im Bereich der deutschen Familienunternehmen ist aber der Verkauf an einen Wettbewerber (wie im Fall Viessmann/Carrier) nicht immer möglich. Da „Hidden Champions“ in der Regel Weltmarktführer sind, fehlen ihren kleineren Wettbewerbern die finanziellen Ressourcen bzw. ein Zusammenschluss ist kartellrechtlich ausgeschlossen. Eine Ausnahme bilden Sektoren, in denen eine regionale Aufteilung der Marktführerschaft stattgefunden hat, z.B. für USA vs. Europa vs. Asien, die durch eine Transaktion konsolidiert werden kann. Oft ist eine solche regionale Aufteilung jedoch durch entsprechende regionale Marktunterschiede begründet, die eine Konsolidierung verhindern bzw. weniger attraktiv und synergetisch machen. Dies war im Fall Viessmann gegeben (Heizen mit Wasser in Europa vs. Kombination mit Klimaanlage in USA), bis die Einführung der Wärmepumpe den europäischen Markt für globale Produzenten von Klimatechnik öffnete.

Theoretisch kommen auch diversifizierte Familienkonzerne als Käufer für Unternehmen mit nicht unmittelbar überlappenden Geschäften infrage. Einige haben den langen wirtschaftlichen Aufschwung genutzt und teilweise erhebliche Cashreserven aufgebaut, die aufgrund von kartellrechtlichen Grenzen nicht für Akquisitionen in den angestammten Geschäftsfeldern genutzt werden können, zumal die Familie keine Ausschüttung benötigt. Im Gegensatz zum Mainstream der Kapitalgesellschaften können sich diese Unternehmen die Portfoliodiversifikation erlauben, da in ihnen das Gros des Familienvermögens konzentriert ist und sie für die Familie eine Diversifizierung des Anlagenspektrums herstellen, die ansatzweise in Richtung einer breiten Risikostreuung über Wertpapierportfolios geht. Diese Unternehmen suchen sich über Akquisitionen neue Geschäftsfelder („weiteres Standbein“) zu erschließen, die hinreichend nahe an den bestehenden Bereichen liegen, sodass sie vorhandene Fähigkeiten, Technologien, Absatzkanäle, „Human Capital“ oder Ähnliches wertschaffend einbringen können. Freudenberg, eines der größten deutschen Familienunternehmen mit über 10 Mrd. EUR Umsatz, betreibt eine diversifizierende bzw. die Abhängigkeit vom Verbrennungsmotor verringernde Akquisitionsstrategie, allerdings mit klar definierten Kriterien hinsichtlich des Zielsektors und der Übertragbarkeit von Freudenbergs Kernkompetenzen.

Strategische Käufer können die zu erwartenden Synergien in deren Kaufpreisberechnung einbeziehen. Man geht erfahrungsgemäß davon aus, dass etwa die Hälfte des Werts der Synergien als „strategische Prämie“ an den Verkäufer bezahlt wird. In der Praxis führt das nicht notwendigerweise dazu, dass strategische Käufer höhere Preise bezahlen als PE-Investoren, da diese den Kaufpreis über eine höhere Aufnahme von Fremdkapital („Leverage“) optimieren.

Was zählt beim Verkaufsprozess

1. Zielsetzung: Kaufpreis oder „guter“ Käufer?

Zunächst muss zwischen den Gesellschaftern ein Konsens bezüglich der Zielsetzung des Verkaufs gefunden werden. Soll lediglich der Kaufpreis optimiert werden, soll diese Optimierung mit Randbedingungen hinsichtlich der Käuferauswahl stattfinden oder soll gar der beste Käufer hinsichtlich nicht-preisbezogener Kriterien gefunden werden, unter der Voraussetzung der Erzielung eines angemessenen Kaufpreises? Hinsichtlich der „Güte“ des Käufers und der entsprechenden nicht-pekuniären Kriterien steht meist das Wohl des Unternehmens und der Mitarbeiter im Vordergrund. Oft werden die Unterstützung für nachhaltiges Wachstum, die Vermeidung großer finanzieller Risiken und eine den ursprünglichen Werten des Familienunternehmens entsprechende Behandlung der Mitarbeiter auch vom zukünftigen Eigentümer bzw. Investor erwartet. Dies kann zum Ausschluss bestimmter Käufer führen (z.B. PE-Investoren, die für aggressiven Personalabbau bekannt sind) oder aber bereits am Anfang als zumindest gleichrangige Zielsetzung zum Preis für die Vermarktungsstrategie des Verkaufsprozesses festgelegt werden.

2. Rolle eines M&A-Beraters

Meist gibt es mehr als einen Gesellschafter des zu verkaufenden Familienunternehmens. Selten herrscht vollständige Einigkeit der Interessen und Zielvorstellungen. Die erste Voraussetzung für einen erfolgreichen Verkaufsprozesses ist die Herstellung eines größtmöglichen Konsenses als Kompromiss der verschiedenen Interessen. Wenn dieser nicht gründlich und verlässlich vorbereitet wird, wird die Uneinigkeit der Gesellschafter im Prozess und den Kontakten mit Investoren offenbar, was den Verkaufserfolg erheblich beeinträchtigen kann. Hier ergibt sich zum ersten Mal eine entscheidende Rolle für einen externen M&A-Berater, der eine realistische Einschätzung des zu erwartenden Interesses verschiedener Käufergruppen und des erzielbaren Kaufpreises abgibt. Diese Einschätzung können die Gesellschafter nicht selbst treffen, da sie für gewöhnlich keine Spezialisten im Markt für Unternehmenstransaktionen dieser Größenordnung sind.

Der M&A-Berater hilft den Verkäufern beim Finden dieses Konsenses mit dem Ziel, einen wettbewerblichen Prozess aufzusetzen, der die Chancen für ein optimales Ergebnis maximiert. Der Berater versucht nicht, bereits den wahrscheinlichsten Käufer zu identifizieren und mit diesem Short-cuts im Prozess zu beschreiten. Zu Beginn von Verkaufsprozessen finden regelmäßig Spekulationen über „geborene Käufer“ statt, die sich angeblich „sicher“ am Ende durchsetzen werden oder gar „kaufen müssen“, sodass eine Vorzugsbehandlung anzusetzen sei. In der Realität tritt dies dann nahezu niemals ein (mit Ausnahme von Viessmann!), führt aber nicht selten zu riskanten Irritationen und Störungen des Verkaufs. Sollte der Berater selbst frühzeitig in solche Spekulationen verfallen, ist er meist ungeeignet. Stattdessen muss er unrealistische Erwartungen der Verkäufer zurechtrücken, zumal hinsichtlich des Kaufpreises. Zu hohe Kaufpreiserwartungen können zum Scheitern des Verkaufs führen, wobei das Unternehmen unnötigerweise Schaden nimmt. Auch in dieser Hinsicht gilt, dass Berater, die sich zu fest auf womöglich im Vergleich zu anderen befragten Beratern höhere Wertprognosen festlegen, wahrscheinlich ungeeignet sind. Ein seriöser Berater sollte eine Preisrange mit seinem Klienten etablieren, zu der mit einer Wahrscheinlichkeit von mindestens 90% eine Transaktion möglich sein wird.

3. Verkaufsprozess als mehrstufige Auktion

Wie bereits dargelegt, ist es fast immer notwendig, einen wettbewerblich organisierten Prozess für den Verkauf durchzuführen, um die Transaktionssicherheit zu gewährleisten und den optimalen Wert zu erzielen. In der Praxis erfahrener Berater dürfte es sich als Standard durchgesetzt haben, keine exklusiven Gespräche mit einem Interessenten zu führen, da diese in der Regel deutlich länger dauern, sofern sich der Käufer seiner Exklusivität bewusst ist – und selbst falls am Ende ein guter Preis erzielt wird, weiß man nicht, ob es der bestmögliche war. Sollte ein solcher Prozess am Ende scheitern, wird sich der Zeitplan um Monate verzögern und es kann sogar ein Reputationsschaden entstehen, wenn bekannt wird, dass der „geborene Käufer“ abgesprungen ist. Sollte dieser Käufer ganz am Schluss noch beinahe inakzeptable Bedingungen fordern, ist es unmöglich, in absehbarer Zeit eine Alternative aufzubauen und damit zu vergleichen.

Aus diesen Gründen wird der Verkaufsprozess sinnvollerweise stets in einer mehrstufigen Auktion durchgeführt. Dabei werden vor der Ansprache möglicher Käufer bereits alle notwendigen Daten zum zu verkaufenden Unternehmen gesammelt, analysiert und in den verschiedenen Verkaufsdokumenten und Datenräumen verarbeitet. Diese sind nach dem Grad der Vertraulichkeit und Sensibilität geordnet, sodass die vertraulichsten Informationen spätestmöglich nur einer kleineren Zahl von Bietern zugänglich gemacht werden.

Nur aufgrund intensiver Vorbereitung und Datensammlung ist es überhaupt möglich, mit mehreren Parteien gleichzeitig zu sprechen. Käufer schlagen dem Verkäufer regelmäßig vor, ihnen schon vorab Informationen zu geben. Dies behindert aber einen geordneten Prozess und steht der parallelen Ansprache mehrerer Parteien im Wege. Der Käufer kann sich dadurch einen Vorteil zulasten des Verkäufers verschaffen.

Die Zahl der am Anfang angesprochenen möglichen Käufer kann stark variieren. Sie sollte mindestens zwei Parteien umfassen, in höchst vertraulichen Situationen nicht mehr als fünf; in nicht vertraulichen Auktionen werden regelmäßig 30 bis 60 Investoren angesprochen. Eine kleine Gruppe von besonders geeigneten Käufern kann durchaus eine Sonderbehandlung erfahren, indem sie vorab die Gelegenheit zu Treffen und Gesprächen mit den Gesellschaftern und dem Management erhält. Ansonsten ist der vorgegebene Zeitplan für alle Parteien gleich.

Die möglichen Käufer werden dann nach einem Auswahlprozess auf Basis vorläufiger und unverbindlicher Angebote in eine etwa sechs- bis achtwöchige Due-Diligence-Phase geführt, in dem das Unternehmen intensiv geprüft und analysiert wird. Aufgrund der hohen Datenmenge, der daraus resultierenden Belastung des Managements (meist müssen etwa 500 Fragen pro Bieter beantwortet werden) und der Vertraulichkeit der Informationen können nicht mehr als fünf bis sechs Bieter durch diese Phase geschleust werden. In der Regel verengt sich das Feld weiter im Laufe der Due Diligence. Ziel ist es, mit mindestens zwei Parteien in die Endverhandlungen einzusteigen, sodass der Wettbewerbsdruck bis zum Schluss erhalten bleibt. Dies ist nicht immer erreichbar, gerade bei Unternehmen mit eher unterdurchschnittlicher Profitabilität, die sich in schwierigen Märkten bewegen. Selbst wenn der letzte Bieter in der Endphase doch allein ist, gelingt es fast immer, ihn darüber im Unklaren und damit unter „gefühltem“ Wettbewerbsdruck zu lassen.

Fazit

Sich beschleunigender Technologiewandel und steigender Regulierungsdruck erhöhen das Risiko von Eigentümerfamilien, den größten Teil des Vermögens in einem Unternehmen mit wenigen Produktbereichen konzentriert zu haben. Ein radikaler Technologiewandel wie die Elektrifizierung führt zu Engpässen bei der Finanzierung von Anpassungsstrategien. In den Fällen, in denen die Neuentwicklung und die verbundenen Investitionen gelungen sind bzw. finanziert werden konnten, wie in der Heizungsbranche (Beispiel: Viessmann, Vaillant, Bosch), eröffnen sich attraktive strategische Optionen: Der Unternehmer kann sich entweder zum Weitermachen entscheiden und in einem IPO zusätzliches Kapital beschaffen oder das Unternehmen zu einem hohen strategischen Preis verkaufen. In vielen Fällen, z.B. bei den meisten Zulieferern für den Verbrennungsmotor, übersteigen der finanzielle Aufwand für eine Neuentwicklung und die damit verbundenen Risiken die Möglichkeiten des Unternehmens – und sobald das offensichtlich wird, ist ein Verkauf nahezu unmöglich. Es bleibt dann nur noch ein gezieltes Herunterfahren in einer Sundowner-Strategie mit der Hoffnung, dass in der Endphase der auslaufenden Produkte hohe Cashflows erzielt werden, welche die Schließungskosten übersteigen.

Für entsprechend spezialisierte PE-Fonds könnten Sundowner-Investments eine lukrative Investitionsstrategie sein, aber leider gibt es diese nicht (wohl, weil die PE-Branche seit Langem mit leichter durchführbaren Strategien zu viel Geld verdient hat), sodass die betroffenen Familien den Sundowner selbst durchstehen müssen.

Für all diejenigen, die sich rechtzeitig für einen Verkauf entscheiden bzw. ein nicht betroffenes und attraktives Unternehmen verkaufen wollen, sollte der zu erwartende Verkaufserlös über dem sozioökonomischen Wert liegen, den das Unternehmen für die Familie darstellt. Ein erfahrener M&A-Berater sollte zur Bewertung herangezogen werden und eine realistische Einschätzung der Erfolgsaussichten abgeben. Bei der Durchführung des Verkaufsprozesses ist fast immer ein geordnetes, wettbewerbliches Verfahren sowohl hinsichtlich Transaktionssicherheit und Schnelligkeit als auch Verkaufserlös einem bilateralen oder sequenziell exklusiven Prozess überlegen.


👉 Dieser Beitrag ist im FuS-Magazin 5/2024 erschienen.

Autorenprofil
Prof. Dr. Eric Fellhauer

Prof. Dr. Eric Fellhauer ist Professor an der Frankfurt School of Finance & Management. Der M&A-Spezialist, Wirtschaftsingenieur und ehemalige Investmentbanker blickt auf eine langjährige Karriere als Topmanager im Investmentbanking zurück, unter anderem bei Goldman Sachs und Lazard. Daneben ist er seit mehreren Jahren in der akademischen Lehre aktiv.

Vorheriger ArtikelDeutschland bleibt das „Sorgenkind der EU“
Nächster ArtikelQuantron AG meldet Insolvenz an