Sven Franke zur Arbeitswelt nach Corona

© fizkes – stock.adobe.com

Die Corona-Krise bedeutet für die Arbeitswelt eine Notlage, die große Risiken mit sich bringt, aber auch neue Chancen bietet. Inzwischen sind in Deutschland dadurch alle Unternehmen betroffen. Die Unequity GmbH, ein Kommunikationspartner für HR-Abteilungen meist großer Konzerne, sprach mit Sven Franke, Geschäftsführender Gesellschafter der Co:X UG, über die Veränderung der Arbeitswelt durch Corona.

Unequity: Mitte März 2020 wurde das neue Coronavirus auch in Deutschland zur akuten Bedrohung, was dazu führte, dass sich die Arbeitswelt extrem schnell auf Kontaktverbote, Reiseeinschränkungen bis hin zu Ausgangssperren einstellen musste. Wo möglich werden Arbeiten nun aus dem Homeoffice durchgeführt. Wie nachhaltig schätzt du diese durch die aktuelle Corona-Krise ausgelösten Veränderung, wie Homeoffice, flexible Arbeitszeiten, virtuelle Meetings anstelle Geschäftsreisen etc. ein? Was bleibt, was wird sich verändern?
Franke:
Diese Frage wird mir aktuell täglich mindestens fünfmal gestellt. Ich glaube, dass beide Extreme sichtbar werden. Wir werden erkennen, dass Unternehmen direkt in ihr altes, in der Vergangenheit erfolgreiches Muster zurückfallen, während andere den neu erschlossenen Weg weitergehen.
Was das Thema der Nachhaltigkeit angeht, bin ich ein wenig pessimistisch eingestellt. Wir fallen oft nach einer Notsituation in alte Muster zurück. Wir müssen uns die Frage stellen, was ist, wenn dieser riesen Druck nicht mehr da ist? Sind wir so stabil und mutig, den eingeschlagenen Weg weiterzugehen? Man kann es vergleichen mit einem Sturmschaden bei der Deutschen Bahn. Wenn der Weg wieder frei ist, dann geht der Regelbetrieb weiter und der sieht nunmal anders aus als der Notbetrieb. Das, was wir gerade erleben, ist sehr anstrengend. Unser Gehirn ist nicht darauf ausgerichtet, mit Komplexität umzugehen, sondern stetig bemüht, den Energieaufwand zu verringern und somit zu vereinfachen. Grundsätzlich streben wir nach Sicherheit und Komplexitätsreduzierung – darum haben wir irgendwann auch einmal Häuser gebaut, weil wir sicher vor dem Wolf sein wollten.

Wie wirkt sich die aktuelle Situation deiner Meinung nach perspektivisch auf Bereiche bzw. Berufsgruppen aus, bei denen man z. B. Homeoffice oder Vermittlung von Inhalten durch digitale Medien nur schlecht oder kaum für möglich hielt, wie zum Beispiel Ärzte, Lehrer, Kulturschaffende?
Positiv betrachtet erleben wir gerade, dass die Virtualität in ganz vielen Berufsgruppen möglich ist. Höchstwahrscheinlich mehr als wir es je erwartet hätten. In der Not werden Glaubenssätze erstmal über Bord geworfen. Eine Krise zwingt uns, Alternativen zu erforschen. Nach der Sondersituation fragen wir uns idealerweise dann, ob es überhaupt Sinn macht, den herkömmlichen Weg wieder aufzunehmen. Insofern ist eine Krise oft auch eine Chance, da sie unsere Kreativität zum Leben erweckt und uns vom gewohnten Trott abbringt. Die virtuellen Sprechstunden beim Arzt wurden z.B. schon früher ausprobiert, doch die Notwendigkeit dafür bestand noch nicht. Jetzt erleben wir, dass es funktioniert. Vielleicht noch nicht perfekt, aber es wird sich entwickeln. Es werden Systeme gebaut, die in der Not zu einer Selbstverständlichkeit werden. Durch diesen Entwicklungsschritt entstehen sich deckende Erwartungshaltungen seitens der Anbieter und Nutzer und neue Wege können begangen werden.
Der Hang des Menschen zu Gewohntem rührt daher, dass er Sicherheit durch Planbarkeit gewohnt ist, gleichzeitig merkt jeder von uns, dass es nicht mehr richtig funktioniert… Sicherheit muss durch Handlungskompetenz erzeugt werden, durch das Vertrauen und die Zuversicht, dass wir zu jedem Problem eine Lösung finden werden, auch wenn wir diese jetzt noch nicht kennen. Dieses Selbstvertrauen ermöglicht uns mehr Lösungsorientiertheit und Produktivität. Wir werden nicht mehr von der Angst übermannt, wenn unser Plan nicht aufgeht oder ein Problem auftritt. Diese neue Einstellung ist ein bedeutender Schritt, da unser Umgang mit Angst – sei es die Schreckstarre, der Angriff oder die Flucht – tief in uns, der menschlichen Natur verankert ist. Es braucht Mut, da auszubrechen und ist in Unternehmen nur durch klare Rahmenbedingungen und gute Kommunikation möglich. Rahmenbedingungen gestalten und klar kommunizieren, das sind meiner Ansicht nach die Hauptaufgaben einer Führungskraft!

Was sind deiner Meinung nach die größten Herausforderungen für Arbeitgeber nach Corona?
Die große Herausforderung wird sein: Wie verhalte ich mich, wenn die Notlage nicht mehr da ist? A) Das war eine Ausnahme. Oder B) Die Learnings daraus waren so spannend, dass wir perspektivisch so weitermachen. Das Momentum sollte man nutzen und die gesamte Organisation aufrufen mitzudenken und Mitarbeiter zu fragen „Wie möchtet ihr, dass es weiter geht?“. Diese Mitbestimmungsmöglichkeit, Transparenz und klare Übernahme von Verantwortung wirken der Unsicherheit entgegen, die viele so fürchten.

Die Fragen, die sich Arbeitgeber jetzt stellen sollten, sind:

  • Welches Regelwerk bauen wir auf? Wie wird es organisiert?
  • Welche Regeln bringen gleichzeitig Freiheit, aber auch Verbindlichkeit mit sich? (explizit und nicht implizit)
  • Wie formuliere ich den Rahmen? (Z.B. Jeden Montag müssen alle im Teammeeting im Büro erscheinen.)

Ich kann mir gut vorstellen, dass einige beim Lesen dieser Fragen sofort an den eigenen Betriebsrat denken. Dieser gilt oft als Verhinderer, als Grabenausheber und ehrlich gesagt, ist er damit in meinen Augen nicht zukunftsfähig. Was wir heute brauchen, ist ein neuer Blick auf die Arbeit des Betriebsrates. Es wird Zeit, dass der Betriebsrat die Rolle des Co-Architekten der Organisation übernimmt. Und ich sage das, obwohl ich weiß dass der Begriff „Co“ verbrannt ist, faktisch bildet er aber den Rahmen für eine erfolgreiche Unternehmenszukunft.

Die tatsächlichen Homeoffice Arbeitszeiten können vom Arbeitgeber schlecht kontrolliert werden. Siehst Du hier eine Entwicklung von „Bezahlung nach Stunden“ zu „Bezahlung nach Produktivität“?
Organisationen streben danach, ein faires und leistungsgerechtes Vergütungsmodell zu schaffen. Das ist erstmal nichts Neues. Die leistungsgerechte Vergütung kommt ursprünglich aus dem Thema des Akkordlohns und bedeutet eine totale Vergleichbarkeit der Arbeit. Heute muss man sich aber fragen, was eigentlich Leistung bedeutet? Es ist extrem schwer zu beschreiben, was Leistung genau ist. Eine Produktivität zu bestimmen geht einfacher, aber geht es wirklich darum, täglich acht Stunden am Rechner zu sitzen? Die Frage sollte doch lauten: Spiele ich „Theater“ oder leiste ich einen Mehrwert für die Organisation? Das führt uns zurück zum New Work Gedanken: Für was wollen Mitarbeiter vergütet werden? Typischerweise sind das Erfahrung, Studienabschluss, Noten, usw. Wenn ich eine Einordnung vornehme, welches Konstrukt beurteilt mich? Oder lasse ich es am Ende komplett frei und frage: Was brauchst Du eigentlich? Das entspricht dem Wunschgehaltsgedanken, der zwar abwegig klingt, aber möglich ist und in Unternehmen sehr erfolgreich umgesetzt wird.

In Deutschland sind Arbeitsbedingungen und Gesundheitssystem gesetzlich sehr arbeitnehmerfreundlich konzipiert. Werden Forderungsrufe nach besserer Absicherung in Sondersituationen seitens der Arbeitnehmer in anderen Ländern lauter werden? Z.B. in den USA bedeutet das Wegbleiben vom Arbeitsplatz wegen Krankheit oder Quarantäne ja oft den Gehaltsausfall. Was denkst du?
Die USA nehmen in dieser Hinsicht eine extreme Sonderposition ein und sollten außen vor gelassen werden. Aber ja, wir wissen, dass Mitarbeiter in den USA ihren Arbeitgeber oft sogar nach der Qualität der angebotenen Krankenversicherung auswählen. Was wir gerade feststellen ist, dass Deutschland diesbezüglich schon relativ weit ist… Wir werden aber noch weiter gehen müssen und die Sozialversicherungspflicht von Beamten thematisieren. Auch die Diskussion über private und gesetzliche Krankenversicherung wird wieder aufkommen. Ich bin mir nicht sicher, ob wir zu einer Kultur wie der Schwedischen hindriften, in der an das Verantwortungsbewusstsein der Mitarbeitenden appelliert wird, anstatt durch Regeln Zwang auszuüben. Was aber klar ist, ist, dass wir viel stärker darauf achten müssen, dass ein kranker Mitarbeiter zuhause bleibt, anstatt zur Arbeit zu gehen und andere anzustecken. Es ist die Aufgabe der Organisation, ein sicheres Regelwerk dafür aufzustellen und einzuhalten. Wie die Sicherheit, dass niemand benachteiligt wird, wenn er im Krankheitsfall zuhause bleibt. Z. B. einen Bonus an die Mitarbeiter auszuzahlen, die selten krank sind, ist nicht nur für das eigenen Unternehmen nachteilig, sondern gesamtgesellschaftlich kontraproduktiv und Zeichen von mangelndem Führungsverhalten.

Vielen Dank für das Interview!


ZUR PERSON

Sven Franke ist Geschäftsführender Gesellschafter der Co:X UG, die Unternehmen in Veränderung als Sparringpartner und Prozessbegleiter bei der Zukunftsgestaltung unterstützt. Der Thementreiber und Querdenker ist außerdem Autor und Speaker. 2014 und 2015 initiierte er gemeinsam mit Weggefährten die Projekte „AUGENHÖHE – Film und Dialog“ und „AUGENHÖHEwege – Film und Dialog“. Im März 2017 wurde er mit dem New Work Award von Xing ausgezeichnet. 2019 veröffentlichte er zusammen mit Stefanie Hornung und Nadine Nobile das Buch „New Pay – alternative Arbeits- und Entlohnungsmodelle“.

Autorenprofil
Vorheriger ArtikelViel Kritik an den Plänen von Bundesregierung und Ländern
Nächster ArtikelKfW lockert Bedingungen für Schnellkredite abermals