Starker Anstieg der Insolvenzen in Deutschland erwartet

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Die deutschen Unternehmen stehen vor einer schweren wirtschaftlichen Herausforderung. Nach Angaben von Allianz Trade, dem weltweit größten Kreditversicherer, wird die Zahl der Unternehmensinsolvenzen in diesem Jahr stark ansteigen. Allianz Trade prognostiziert für 2024 einen Zuwachs von 21% auf rund 21.500 Fälle. Dies ist ein erneuter signifikanter Anstieg, nachdem bereits im Vorjahr die Insolvenzen um 22% im Vergleich zu 2022 gestiegen waren. Die Ursache für den Anstieg liegt laut Allianz Trade in der anhaltenden wirtschaftlichen Schwäche. Die deutsche Wirtschaft kämpft weiterhin mit den Auswirkungen einer Rezession, die das Geschäftsumfeld für viele Unternehmen erheblich erschwert. Zudem geht der Kreditversicherer davon aus, dass die Zahl der Insolvenzen auch 2025 noch weiter steigen wird, jedoch in einem moderateren Umfang von rund zwei Prozent auf dann etwa 22.000 Fälle.

Großinsolvenzen als besondere Herausforderung

Besonders alarmierend ist die wachsende Zahl an Großinsolvenzen. Dabei handelt es sich um Unternehmen mit einem Jahresumsatz von mindestens 50 Mo. EUR. Allianz Trade berichtet, dass es im ersten Halbjahr 2024 bereits 40 solcher Großpleiten gab, darunter prominente Fälle wie der Reisekonzern FTI und die Kaufhauskette Galeria, die erneut Insolvenz anmelden musste. Auch der Mode-Einzelhändler Esprit kündigte kürzlich die Schließung sämtlicher Filialen in Deutschland an, was die Krise im Einzelhandel weiter verschärfte.

Diese 40 Großinsolvenzen stellen den höchsten Wert zum Halbjahr seit 2015 dar und liegen mehr als ein Drittel über dem Niveau des Vorjahreszeitraums. Großinsolvenzen würden häufig Dominoeffekte auslösen. Wenn große Unternehmen in die Insolvenz gehen, reißt das oft andere Firmen in der Lieferkette mit in den Strudel. Die Auswirkungen dieser Großinsolvenzen seien beträchtlich. Der kumulierte Umsatz der insolventen Großunternehmen lag im ersten Halbjahr 2024 bei 11,6 Mrd. EUR und übertraf damit bereits zur Jahresmitte den Gesamtschaden des Jahres 2023. Der durchschnittliche Umsatz der betroffenen Großunternehmen lag bei 290 Millionen Euro, was einem Anstieg von 85%  im Vergleich zum Vorjahr entspricht.

Besonders betroffene Branchen: Bau und Einzelhandel

Zu den besonders betroffenen Branchen gehören laut Allianz Trade das Baugewerbe und der Einzelhandel. Im Baugewerbe konnten viele Unternehmen die Rückzahlungen von während der Corona-Pandemie aufgenommenen Darlehen nicht stemmen. Hinzu kamen erschwerte Bedingungen bei der Kreditaufnahme. Die Anforderungen der Finanzierungsinstitute sind gestiegen, während die Vergabe von Krediten restriktiver gehandhabt wird. Im Einzelhandel habe sich die Situation ebenfalls verschärft. Einige Unternehmen, insbesondere im Modeeinzelhandel, kämpfen schon seit Jahren ums Überleben. Die aktuelle Konsumzurückhaltung der Verbraucher mache es diesen Unternehmen noch schwerer.

Blick in die Zukunft

Die Prognosen von Allianz Trade zeichnen ein düsteres Bild für das Jahr 2024. Ein weiterer signifikanter Anstieg der Insolvenzzahlen ist zu erwarten. Die Kombination aus einer schwachen Konjunktur, erschwerten Kreditbedingungen und hohen Kosten in bestimmten Branchen treibt immer mehr Unternehmen in die Insolvenz. Erst für das Jahr 2025 rechnet Allianz Trade mit einer Verlangsamung des Anstiegs der Insolvenzen. Allerdings dürfte das Niveau der Unternehmenspleiten weiterhin deutlich über dem Niveau von vor der Corona-Pandemie liegen. Bis dahin müssen deutsche Unternehmen weiterhin erhebliche wirtschaftliche Herausforderungen meistern.

Normalisierung des Insolvenzgeschehens?

Die Zahl der Unternehmensinsolvenzen ist im August 2024 erneut gestiegen. Insolvenzen von größeren Unternehmen sind dabei keine Ausnahmeerscheinung, sondern Teil der Normalisierung des Insolvenzgeschehens. Das Statistische Bundesamt hat die Zahl der Unternehmensinsolvenzen für das erste Halbjahr 2024 und die Entwicklung für den zurückliegenden Monat August veröffentlicht. Demnach ist die Zahl der beantragten Unternehmensinsolvenzen im 1. Halbjahr 2024 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um fast 30 Prozent gestiegen. Nach vorläufigen Angaben sind die beantragen Unternehmensinsolvenzen im August 2024 um 10,7% gegenüber August 2023 gestiegen.

Dr. Christoph Niering – Vorsitzender, Verband Insolvenzverwalter und Sachwalter Deutschlands e.V. (VID)

„Trotz der gestiegenen Zahl an Unternehmensinsolvenzen sehen wir weiterhin keine dramatische Veränderung, sondern nach wie vor eine Normalisierung nach der Coronazeit mit historisch niedrigen Insolvenzzahlen“, sagt Dr. Christoph Niering, Insolvenzverwalter und Vorsitzender des Berufsverbandes der Insolvenzverwalter und Sachwalter Deutschlands (VID). „Wir sind weit von den Zahlen zu Zeiten der Finanzkrise entfernt, die im Jahr 2009 bei knapp 33.000 Unternehmensinsolvenzen lag“, so Niering. Für dieses Jahr erwarten Experten weniger als 22.000 Unternehmensinsolvenzen. Der weitaus größte Anteil der Unternehmensinsolvenzen umfasse kleine Betriebe mit bis zu zehn Mitarbeitenden. „Und sollte es dennoch zur Insolvenz eines großen Unternehmens kommen, ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Sanierung gelingt, deutlich höher als bei den kleineren Unternehmen. Das hilft auch beim Arbeitsplatzerhalt“, so der VID-Vorsitzende. Zu Zeiten der Finanzkrise bedeutete die Insolvenz für viele Mitarbeitende die langfristige Arbeitslosigkeit. „Anders als vor zehn Jahren finden viele der von Insolvenz betroffenen Arbeitnehmer im Fall einer Kündigung sehr schnell ein neues Beschäftigungsverhältnis. Denn Unternehmen kämpfen schon allein aus demographischen Gründen mit einem zum Teil gravierenden Fach- und Arbeitskräftemangel“, so Niering.

Autorenprofil

Als Redakteur der Unternehmeredition berichtet Alexander Görbing regelmäßig über Unternehmen und das Wirtschaftsgeschehen. Zu seinen Schwerpunkten gehören dabei Restrukturierungen, M&A-Prozesse, Finanzierungen sowie Tech-Startups.

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