Spreewaldgurken werden französisch

Die Gurke versteckt sich unter viel Grün. © Spreewaldkonserve Golßen GmbH

Nach drei Generationen geht die Obst- und Gemüseproduktion der Familie Linkenheil mit der Spreewaldkonserve Golßen GmbH im Zuge der Unternehmensnachfolge an einen französischen Familienbetrieb. VON TORSTEN HOLLER

Erich Honecker hatte kein Erbarmen: Selbst über die letzte Gurke wollte er die Kontrolle behalten. Und so wurden 1972 die kleinen Familienbetrie­be der Spreewälder ­Konservenindustrie zwangsverstaatlicht. Die Zentrale des neuen volkseigenen Betriebs befand sich in Golßen, einem kleinen Dorf, 70 Kilometer hinter den Grenzen Berlins. Nach der Wende bekamen die Familienunternehmen ihre Betriebe zurück, hießen fort­an Markus, Müller oder Krügermann. Um die Firma in Golßen aber kümmerte sich die Treuhandanstalt. Den Zuschlag erhielt bereits 1991 das Geschwisterpaar Karin Seidel und Konrad Linkenheil, die in dritter Generation in Wegberg am Niederrhein eine Fabrik für Obstkonserven betrieben und nun ihr Portfolio vor allem um die ostdeutsche Gurkenmarke erweiterten. Mit der ­Wende wurde die Marke „Spreewaldhof“ eingetragen und durch die Geschwister erfolg­reich gemacht.

Die Gurke als geschützte Marke einer Region

Reichlich Handarbeit: Gurkenpflücker bei der Ernte auf dem Gurkenflieger © Spreewaldkonserve Golßen GmbH

Der Vorteil des Golßener Unternehmens: Im Gegensatz zu den damals reprivatisierten Kleinbetreiben aus der Region verfügte die Spreewaldkonserve über die Möglichkeit, die Mengen, die von den westdeutschen Handelsketten gefordert wurden, in Kooperation mit den vertrag­lich gebundenen Landwirten auch zu pro­duzieren. Gemeinsam mit dem ortsansässigen Spreewaldverein gelang es dann 1998 nach einem mehrjährigen und auch kostenintensiven Prozess bei der EU, zu erreichen, dass die Spreewälder Gurken mit der Eintragung des europä­ischen Herkunfts- und Qualitätssiegels „geschützte geografische Marke“ vor Nachahmern außerhalb des Spreewaldes sicher sind, so wie der Champagner aus Frankreich.

Das nützte den wieder reprivatisier­ten Kleinbetrieben, die fortan auch vom Her­kunftslabel profitiert: Denn alles, was an Gurken im Glas außerhalb des Spreewaldes produziert wird, darf seither nicht mehr als „Original Spreewälder Gurken“ in den Handel gebracht werden – eine Art Reinheitsgebot wie beim deutschen Bier. Heute verarbeitet das Unternehmen 60.000 Tonnen Obst und Gemüse pro Jahr, davon 12.000 Tonnen allein an Gurken. Die Produktpalette umfasst 250 Artikel und wird in über 30 Ländern ver­kauft. In Ostdeutschland ist der Spree­waldhof mit seinem Gurkensortiment unbestrittene Nummer eins, bundesweit die Nummer drei im Markt. Dieses attrak­tive Unternehmen sollte in vierter Gene­ration an die Tochter von Karin Seidel übergehen. Doch es kam anders: Die Tochter entschied sich, obwohl schon im elterlichen Unternehmen tätig, für den Rückzug ins Familienleben.

Zwischen Landwirt und Handel

Nur mit der richtigen Größe ins Glas: automatische Gurkensortierung © Spreewaldkonserve Golßen GmbH

Den jetzt anstehenden Verkauf an den stra­tegischen Investor Andros, mit 2,2 Mrd. EUR ein großer französischer Le­bens­mittelkonzern in Familienhand, hat Dietmar Thiele von der in Berlin und Düsseldorf ansässigen Beratungsgesellschaft Network Corporate Finance eingefädelt. Dass die nächste Generation bei der Übernahme der Spreewaldkonserve zurückschreckte, dafür sieht er als neutraler Beobachter durchaus plausible Gründe. „Es ist eine harte Sandwichposition, in der sie als Nachfolgerin in der Lebensmittelproduktion gesteckt hätte. Auf der einen Seite sind die Lieferanten und Landwirte und deren Rahmenbedingungen, wie beispielsweise das Wetter, das auf die Gurkenernte Einfluss hat. Auf der anderen Seite ist der Lebensmitteleinzelhandel, der aufgrund seiner starken Konzentration und Marktmacht in Deutschland die Preise diktiert. Das ist eine Herkulesaufgabe, die durchaus schiefgehen kann.“ Mit dem französischen Familienkonzern Andros steht dem Handel zumindest ein in puncto Größe ebenbürtigerer Partner gegenüber. „Aufgrund der vergleichbaren Struk­tur beider Firmen, ähnlicher Werte und der beeindruckenden Historie fühlen wir uns der Tradition dieses Standortes verpflichtet und wollen die Erfolgsgeschichte weiterschreiben“, sagt Tim Schwertner, Geschäftsführer von An­dros Deutschland.

Dass das Kartellamt jetzt auch hier prüft, entspricht den gesetzlichen Vorgaben. Somit sitzt auch heute der Staat bei der Spreewaldgurke wieder einmal indirekt mit im Boot.


„Die Marke bleibt ganz sicher erhalten“

Interview mit Dietmar Thiele, Partner, Network Corporate Finance

Unternehmeredition: „Spreewaldhof“ ist die Marke der Spreewaldkonserve ­Golßen. Inwieweit spielt der Wert einer Marke beim Verkaufspreis eine Rolle?

Dietmar Thiele

Dietmar ThieleIch glaube nicht, dass es Sinn ergibt, eine Marke wie den Spreewaldhof getrennt zu bewerten. Persön­lich halte ich nichts davon, eine Marke mit einem konkreten Wert zu beziffern. Da ­allerdings Verbraucher bereit sind, für ein Markenprodukt etwas mehr zu bezahlen als für eine Handelsmarke, fließt das natürlich in die betriebswirtschaftlichen ­Ergebnisse des Unternehmens und damit in die Bewertung des Unternehmens als Ganzes ein. Weltmarken haben sicher ­einen eigenen Wert, bei nationalen oder gar regionalen Marken ist das kaum seriös bezifferbar.

Unternehmeredition: Der Verkauf erfolgt vorbehaltlich der Zustimmung des Kartellamts. Kann er theoretisch noch scheitern?

ThieleEs ist gut und richtig, dass das Kartellamt alle Zusammenschlüsse gründlich prüft. Wir gehen aber davon aus, dass die Übernahme nicht scheitert. Diese Problematik haben wir im Vorfeld des Verkaufspro­zesses und der Beantragung umfassend bedacht. So hing davon auch bereits die Auswahl und Ansprache der potenziellen Investoren ab. Zu wünschen wäre allerdings, dass das Kartellamt die Marktmacht des Lebensmittelhandels immer wieder ebenso intensiv überprüft beziehungsweise diese jetzt bei allen Entscheidungen bei Lebensmittelherstellern berücksichtigt. Aktuell besteht zwischen Handel und ­Produzenten ein absolut ungleicher ­Wettbewerb. Es geht nur um Preise – und die Folge sehen wir dann etwa in der Fleisch­industrie beim Billigfleisch.

Unternehmeredition: Mit der Spreewaldkonserve Golßen geht wieder einmal ein alteingesessener deutscher Mittelständler an einen erheblich größeren Investor ins Ausland. Wird das in dieser Branche ein Trend für die Zukunft?

ThieleDas glaube ich nicht. Grundsätzlich geht es weniger um eine deutsche als um eine gute Zukunft, ein „Good Home“. Auch wenn der strategische Investor Andros zwanzigmal größer ist, so ist es doch ein familiengeführter Betrieb aus Frankreich, übrigens auch in dritter Generation. Und das bedeutet: Die Marke bleibt ganz sicher erhalten.


Kurzprofil Spreewaldkonserve Golßen GmbH 

Gründungsjahr: 1946
Branche: Obst- und Gemüseverarbeitung
Unternehmenssitz: Golßen/Land Brandenburg
Umsatz 2019/2020: 115 Mio. EUR
Mitarbeiterzahl: 300
www.spreewaldhof.de

Diese Fallstudie ist in der Unternehmeredition 1/2021 erschienen.

Autorenprofil

Torsten Holler ist Gastautor.

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