Der Fachkräftemangel ist in aller Munde und die regulatorischen Anforderungen wachsen kontinuierlich. Die produktiv nutzbare Zeit in Unternehmen wird damit immer knapper. Um die verfügbaren Kapazitäten bestmöglich zu nutzen, aber auch um neue Leistungsniveaus zu erreichen, empfiehlt sich die Optimierung von Prozessen und Schnittstellen.
Jedes Unternehmen, das bewusste Prozessarbeit mehrere Jahre nicht auf der Agenda hat, büßt Leistungsfähigkeit ein: Personalfluktuation, IT-Updates und vor allem neue Anforderungen des Marktes führen mit der Zeit zu informellen Standards, zu höherem Aufwand und zu Reibungsverlusten an Schnittstellen. Lehrbuchmethoden ermöglichen hervorragende theoretische Lösungen, diese sind allerdings häufig aufwändig oder die Ergebnisse scheitern an der Akzeptanz. Inzwischen existieren beeindruckende IT-Lösungen zur Prozessarbeit, diese sind für den Mittelstand allerdings meist überdimensioniert. Gerade im Mittelstand lohnt es sich deshalb, pragmatischere Wege zu gehen. Wer allerdings bar jeder Systematik beginnt, Abläufe zu verändern, läuft Gefahr sich zu verzetteln. Lesen Sie hier, welche Denkfehler häufig auftreten und wie Sie diese umgehen können:
Irrtum 1: Das QM regelt es schon
Zertifizierungen geben Orientierung und schaffen damit Vertrauen bei potenziellen Geschäftspartnern. Wer allerdings seine Prozesse einzig aus dem Grund der Zertifizierung beleuchtet, verschenkt Potenziale. Werthaltige Prozessarbeit ist inhaltliche Arbeit. Binden Sie deshalb ausgewählte Mitarbeiter aus den Fachbereichen in die Optimierung ein. Doch wie gelingt es, Mitarbeiter für diese Zusatzaufgabe zu gewinnen?
Im ersten Schritt benötigen Sie klare Ziele: Was wollen wir erreichen? Durchlaufzeit verkürzen? Kosten runter? Qualität rauf? Für Sie mag die Antwort trivial sein – für Ihre Mitarbeiter nicht zwingend. Eine sachliche Antwort darauf, dass das Thema für das Unternehmen bedeutsam ist, ist notwendig, aber nicht hinreichend. Wieso sollte sich der einzelne Mitarbeiter dafür reinhängen? Überlegen und vermitteln Sie im zweiten Schritt, was die Beteiligten davon haben: „Was ist für mich drin?“, wobei die Antwort in den seltensten Fällen „Geld“ sein dürfte. Berücksichtigen Sie die Bedenken und Motivatoren des einzelnen Mitarbeiters. Sich beweisen? Mitgestalten? Blick über den Tellerrand?
Wenn es Ihnen gelingt, die Arbeit an Prozessen und Schnittstellen positiv aufzuladen, dann wird aus der unliebsamen, formalen Aufgabe eine attraktive Aufgabe. Dann kann wirkungsvolle Prozessarbeit dabei helfen, Wachstumsschmerzen zu reduzieren und neues Wachstum zu ermöglichen.
Irrtum 2: Erst erfassen, dann analysieren, dann optimieren
Wir Menschen lieben Sicherheit. Da liegt das Bestreben nahe, erst die bestehenden Abläufe akribisch zu erfassen und zu prüfen, wo welche Potenziale bestehen. Um nach Wochen diejenigen Erkenntnisse schwarz auf weiß zu haben, die vorher schon bekannt waren: Ihre Mitarbeiter erleben jeden Tag, was läuft und was nicht. Es geht nicht um wissenschaftliche Genauigkeit, sondern um Fortschritt.
Nutzen Sie diesen Erfahrungsschatz anstatt eine tiefgehende, aufwändige, flächendeckende Analyse durchzuführen. Vehikel dafür sind Workshops, bei denen Personen aus verschiedenen Bereichen Ihres Unternehmens zusammenkommen. Diskutieren Sie: In welchen Abläufen/Schnittstellen drückt der Schuh am meisten? Woran machen die Mitarbeiter das fest? Diese subjektiven Positionen gewinnen an Qualität durch die vielen verschiedenen Perspektiven im Workshop, bis ein gemeinsames Bild entsteht. Je nach Anzahl der erkannten Optimierungspotenziale lohnt es sich, diese anhand weniger Kriterien zu bewerten (orientiert an den Zielen, z.B. Einfluss auf Durchlaufzeit/Qualität/Kosten etc.). Bleiben Sie auch hier pragmatisch: Die qualitative Einordnung (gering/mittel/hoch) genügt, um zu priorisieren.
Einfache Prozesslandschaft mit identifizierten Engpässen
Ist ein Prozess oder eine Schnittstelle ausgewählt und soll optimiert werden, lohnt es sich direkt das SOLL zu definieren, anstatt das IST zu dokumentieren. Denn das Dokumentieren der IST-Abläufe schafft in den allerwenigsten Fällen einen Wert. Vielfach werden im Gespräch über die SOLL-Prozesse auch die Abweichungen zwischen IST und SOLL deutlich, sodass direkt Maßnahmen zur Transition vereinbart werden können.
Verzichten Sie bei der Prozessarbeit also auf Perfektion und nutzen Sie die Geschwindigkeit des Mittelstandes. Lassen Sie umfassende Analysen sein und fragen Sie lieber Ihre Fachkräfte. Besprechen Sie mit Ihren Mitarbeitern, wie die Abläufe gestalten sein sollten anstatt wie sie derzeit sind – dann werden die Anpassungsbedarfe ersichtlich.
Irrtum 3: Die Verkettung optimaler Prozesse ergibt eine optimale Prozesskette
Führungskräfte werden häufig an der Leistung ihrer Abteilung gemessen (Vertrieb an Umsatz, Logistik an Lieferzeit, Produktion an Auslastung, Produktivität, …). In der Konsequenz optimieren die Abteilungen auch ihre eigenen Abläufe. Was dabei zu kurz kommt, ist das Zusammenspiel der Abteilungen. Schnittstellen sind das Nimmerland der Verantwortung und dort liegen die Millionen begraben. Wenn jeder Bereich seine Prozesse optimiert, haben Sie allerdings keine optimale Prozesskette, sondern Probleme in anderen Bereichen geschaffen.
Wesentliche Potenziale liegen in den Schnittstellen zwischen den Bereichen/Prozessen
Konzentrieren Sie sich deshalb auf die Schnittstellen: Lenken Sie Gespräche zur Identifikation der größten Potenziale (siehe vorheriger Irrtum) also bewusst darauf, an welchen Stellen die Zusammenarbeit zwischen den Bereichen verbessert werden kann.
Erfahrungsgemäß ist es vor allem der Informationsfluss, der zu bereichsübergreifenden Problemen führt. Folgende Fragen können dabei helfen, die Zusammenarbeit zu verbessern:
- Welches konkrete Ergebnis soll übergeben werden?
- Wer soll welche Entscheidungen treffen und wen ggf. einbeziehen?
- Wer soll was bemerken?
- Wer soll wen wann worüber informieren?
- Wie soll die Information aufbereitet sein?
- Wie kann all das auch ohne neue (IT-)Werkzeuge funktionieren?
- Woran erkennen wir eine Verbesserung der Schnittstelle?
Irrtum 4: Die Prozesse sind definiert – jetzt werden sie auch umgesetzt
Je nach Umfang der Optimierung von Prozessen und Schnittstellen kann der Aufwand zur Definition der neuen Standards erheblich sein. Haben Sie Ihre Mitarbeiter in die Phase der Erarbeitung integriert, dann ist das bereichsübergreifende Verständnis sicher gestärkt und erste Änderungen schon umgesetzt. Das Definieren neuer Standards erzeugt allerdings vorrangig Papier/Unterlagen – keine tiefgreifende Veränderung.
Bereiten Sie (oder Ihre Führungskräfte) deshalb die angestrebten Veränderungen auf: Wenn ein neuer Prozess den Mitarbeitern vorgestellt wird, verdeutlichen Sie, was der neue Prozess für die einzelnen Mitarbeiter bedeutet. Und treffen Sie klare Verabredungen (anstatt nur vorzustellen): Wie wollt ihr das umsetzen? Bei welchem Auftrag probiert ihr was aus?
Der Mensch ist ein Gewohnheitstier. Einmal angestoßene Änderungen werden nicht sofort und flächendeckend umgesetzt. Besprechen Sie mit Ihren Mitarbeitern deshalb auch, bei welcher Gelegenheit Erfahrungen in der Umsetzung mit Ihnen diskutiert werden. Wenn von Beginn an klar ist, dass nach vier Wochen über die Erfahrungen gesprochen werden soll, ist die Umsetzungskonsequenz ungemein höher. Der Erfahrungsaustausch ist auch wertvoll, wenn etwas nicht geklappt hat: Geht man diesen Problemen auf den Grund, sind es ganz konkrete Ansatzpunkte zur weiteren Optimierung von Prozessen, Schnittstellen und Werkzeugen.
Wenn Sie Prozesse definieren, vielleicht sogar vorstellen und dann davon ausgehen, dass alles läuft, verschlafen Sie die zweite Halbzeit in Prozessprojekten. Die erste Halbzeit ist Handwerk. Die zweite Halbzeit ist Führung.
FAZIT
Die Arbeit an Prozessen und Schnittstellen kann veritabler Wachstumstreiber sein und ist auch im Mittelstand ohne ausgefeilte Software möglich. Stoßen Sie dazu vor allem den abteilungsübergreifenden Austausch an – klären Sie in der Gruppe, welche Schnittstellen den größten Wachstumshebel bergen und lassen Sie gemeinschaftlich pragmatische Lösungen erarbeiten. Denn vielfach geht es nicht nur um Struktur, sondern um gegenseitiges Verständnis.
Pascal Kowsky
Pascal Kowsky ist Senior-Berater bei der Mandat Managemenberatung GmbH. Als Experte für Prozesse und Organisation trägt er Sorge für die passgenaue Erarbeitung beziehungsweise Weiterentwicklung von Strukturen in Klientenunternehmen, um Strategien zu operationalisieren und weitere Wachstumsschübe zu ermöglichen.