Schutzschirmverfahren – eine unerfüllte Hoffnung?

Taugt der Schutzschirm in der Realität? Experten gehen von einer Verschmelzung mit der vorläufigen Eigenverwaltung aus. © studiostoks - stock.adobe.com
Taugt der Schutzschirm in der Realität? Experten gehen von einer Verschmelzung mit der vorläufigen Eigenverwaltung aus. © studiostoks - stock.adobe.com

Die Einführung des Schutzschirmverfahrens wurde von großen Hoffnungen begleitet. Nach anfänglicher Euphorie ist die Nutzung des Schutzschirms deutlich zurückgegangen; Gesetzesänderungen in näherer Zukunft sind zu erwarten. Aktuell ist das Verfahren noch in vollem Umfang nutzbar, sodass ein Blick auf die Vor- und Nachteile angezeigt ist.

Der Gesetzgeber hatte das Schutzschirmverfahren als besonders schuldnerfreundliche Variante des Insolvenzeröffnungsverfahrens per Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG) zum 1. März 2012 in die Insolvenzordnung eingefügt. Den Schutzschirmantrag kann der Schuldner nicht isoliert stellen, sondern nur on top zusammen mit einem Insolvenzeröffnungsantrag sowie einem Antrag auf Insolvenz in Eigenverwaltung. Nach zulässiger Beantragung des Schutzschirms setzt das Insolvenzgericht dem Schuldner eine Frist von bis zu drei Monaten, bis deren Ende er einen Insolvenzplan zur Sanierung seines Unternehmens vorzulegen hat. Der Schuldner und sein Unternehmen stehen in dieser Phase gleichsam unter gerichtlichem Schutz, sodass insbesondere keine Vollstreckungsmaßnahmen mehr möglich sind. Zum Schutz der Gläubigerinteressen bestellt das Insolvenzgericht als Aufsichtsperson einen sogenannten (vorläufigen) Sachwalter. Der Schuldner, der einen Schutzschirm beantragt, hat in Bezug auf die Person des Sachwalters ein Vorschlagsrecht. Das Insolvenzgericht kann von dem Vorschlag des Schuldners nur in engen Ausnahmefällen abweichen, falls die vorgeschlagene Person offensichtlich ungeeignet ist.

Vorteile des Schutzschirms

Das Schutzschirmverfahren bietet erhebliche Vorteile für die Sanierung eines Unternehmens im Insolvenzfall. Die Ausrichtung des Verfahrens auf Eigenverwaltung und (die seit dem ESUG schnellere und reibungslosere) Plansanierung verdeutlicht allen Beteiligten von Anfang an das Ziel einer Fortführung des Unternehmens, verbunden mit einer schnellen Sanierung. Auf Antrag des Schuldners hat das Insolvenzgericht zudem anzuordnen, dass der Schuldner Masseverbindlichkeiten während der Schutzschirmphase begründen kann, die insolvenzanfechtungsfest und vollständig (also nicht nur quotal) zu befriedigen sind. So bleibt der Schuldner im Geschäftsverkehr handlungsfähig.

Hindernisse und Nachteile

Allerdings steht das Schutzschirmverfahren nicht allen insolvenzreifen Schuldnern offen. Drohende Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung sind Voraussetzungen des Schutzschirmantrags, eingetretene Zahlungsunfähigkeit ist dagegen ein Ausschlusskriterium. Der Schuldner hat zusammen mit seinem Antrag daher die begründete Bescheinigung einer einschlägig qualifizierten Person als Beleg vorzubringen, dass drohende Zahlungsunfähigkeit beziehungsweise Überschuldung, aber keine Zahlungsunfähigkeit vorliegt. Daneben darf die angestrebte Sanierung nicht aussichtslos sein. Da statistisch die meisten Insolvenzeröffnungsanträge aufgrund bereits eingetretener Zahlungsunfähigkeit gestellt werden, bleibt vielen Schuldnern der Weg in das Schutzschirmverfahren verschlossen. Zudem erfordert die Bescheinigung eine gewisse Vorlaufzeit und ist mit Kosten verbunden.

Schutzschirmverfahren: eine Evaluation

Der Bundestag hatte bereits am 27. Oktober 2011 beschlossen, dass das ESUG fünf Jahre nach seinem Inkrafttreten einer Evaluation zu unterziehen ist. Die Leitfragen waren dabei, inwieweit Insolvenzanträge früher gestellt wurden und ob die Eigenverwaltung als Option gestärkt werden konnte. Ein Team von Forschern wertete dafür zwischen Frühjahr 2017 und 2018 Statistiken aus, führte eine strukturierte Befragung der beteiligten Kreise durch, sichtete ausgewählte Gerichtsverfahren und wertete die Rechtsprechung sowie die dazugehörige Literatur aus. Die Evaluation ergab, dass das Schutzschirmverfahren die Erwartungen in Bezug auf frühzeitigere Insolvenzantragstellungen eher nicht erfüllt hat. Die befragten Sanierungsberater sehen das Schutzschirmverfahren indes positiver als Insolvenzrichter und Insolvenzverwalter, die sich in ihren Kompetenzen und der Geschäftsausübung eingeschränkt fühlten.

Die Studie hob außerdem hervor, dass es für die Wahl eines Schutzschirmverfahrens von entscheidender Bedeutung ist, den Sachwalter vorzuschlagen. Zugleich folgt aus der Studie, dass das Schutzschirmverfahren gegenüber der vorläufigen Eigenverwaltung ohne Schutzschirm als vergleichsweise „fragiler“ angesehen wird, da es durch Rechtsbehelfe leichter zu Fall zu bringen ist. Nach anfänglich spektakulären Erfolgen in einigen Großverfahren, wie zum Beispiel bei Neumayer Tekfor, wo innerhalb weniger Monate die Sanierung eines weltweit tätigen Konzerns durch koordinierte Schutzschirme und Plansanierungen nebst Veräußerung der Anteile an den sanierten Konzerngesellschaften gelang, ist die Nutzung des Schutzschirmverfahrens in den Folgejahren zurückgegangen. Von 1.609 bekannten Verfahren im evaluierten Zeitraum (1. März 2012 bis 28. Februar 2017) waren nur 300 Fälle Schutzschirmverfahren nach § 270b InsO, was einem Anteil von 18,65 Prozent entspricht. Das Verfahren der vorläufigen Eigenverwaltung ohne Schutzschirm wird deutlich häufiger genutzt, wobei sich die Dominanz dieser „einfachen“ vorläufigen Eigenverwaltung gegenüber dem Schutzschirmverfahren seit dem Jahr 2014 ausgeweitet hat. Der Bericht zur Evaluation empfiehlt die „Verschmelzung“ des Verfahrens der vorläufigen Eigenverwaltung mit dem Schutzschirmverfahren, wobei gleichzeitig die Zugangsvoraussetzungen zur (vorläufigen) Eigenverwaltung erhöht werden sollten.

Änderungen sind zu erwarten

Vor dem Hintergrund der Evaluation und einer neuen EU-Richtlinie über die Schaffung eines präventiven Restrukturierungsrahmens sind Änderungen zu erwarten. Dabei wird der Gesetzgeber eine neue außerinsolvenzliche Sanierungsoption schaffen. In Bezug auf die auch dem Schutzschirmverfahren zugrundeliegende (vorläufige) Eigenverwaltung ist von einer Erhöhung der Zugangsvoraussetzungen und einer Erweiterung der Möglichkeiten zur Beendigung der (vorläufigen) Eigenverwaltung sowie einer Verschmelzung des Schutzschirmverfahrens mit der vorläufigen Eigenverwaltung auszugehen. Eventuell wird der Gesetzgeber die Möglichkeit streichen, dass der Schuldner die Person des Sachwalters vorschlägt.

FAZIT

Änderungen des Schutzschirmverfahrens sind in naher Zukunft zu erwarten. Aktuell steht das insbesondere auch im Hinblick auf seine Wahrnehmung in der Öffentlichkeit besonders vorteilhafte Schutzschirmverfahren noch als Option zur Vorbereitung einer zügigen Plansanierung im Rahmen einer Insolvenz zur Verfügung. Die Vorteile der besseren Planbarkeit durch weitgehende Sicherheit hinsichtlich der Person des Sachwalters und die eindeutige Rechtslage in Bezug auf die Möglichkeit der Begründung von Masseschulden bestehen derzeit noch. Die Nachteile in Bezug auf das Erfordernis der Schutzschirmbescheinigung und die leichtere Angreifbarkeit des Verfahrens mit Rechtsbehelfen fallen zumindest bei größeren Unternehmen und sorgfältiger Vorbereitung nicht entscheidend ins Gewicht.

Es ist also vor dem Hintergrund der zu erwartenden Änderungen angeraten, bei aktuellen insolvenznahen Sanierungs- und Restrukturierungsfällen die Handlungsoption der Insolvenzplansanierung nach vorgeschaltetem Schutzschirmverfahren sehr sorgfältig zu prüfen.


Zur Person

Prof. Dr. Georg Streit ist Rechtsanwalt und Leiter der Praxisgruppe Restrukturierung bei Heuking Kühn Lüer Wojtek. Er ist umfassend beratend und forensisch in allen Bereichen tätig, die durch den Themenkreis Krise/Sanierung/Insolvenz in juristischer Hinsicht angesprochen sind. Er berät und vertritt Gesellschafter, das Management, Gläubiger sowie Investoren von Unternehmen in der Krise und im Insolvenz-, Schutzschirm- und Insolvenzplanverfahren.

www.heuking.de

 

 

Autorenprofil

Prof. Dr. Georg Streit ist Rechtsanwalt und Partner sowie Leiter der Praxisgruppe Restrukturierung bei der Kanzlei Heuking Kühn Lüer Wojtek in München. Er ist beratend und forensisch in allen Bereichen tätig, die durch den Themenkreis Krise/Sanierung/Insolvenz in juristischer Hinsicht angesprochen sind. www.heuking.de

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