Am 28. September 2023 war es so weit: Die Pharmasparte des Mainzer Spezialglasherstellers Schott AG feierte ihr Debüt an der Frankfurter Wertpapierbörse. Der Börsengang avancierte zum größten deutschen IPO des vergangenen Jahres und die Entwicklung verlief äußerst positiv. Mittlerweile sind neun Monate vergangen und die Erfolgsgeschichte des deutschen Mittelständlers reißt nicht ab.
„Wir freuen uns und sind sehr stolz, dass wir sowohl den IPO als auch die After-Market-Entwicklung so erfolgreich geschafft haben. Für uns war es das größte Projekt, das wir gemeinsam mit unserer Mehrheitseigentümerin, der Schott AG, gestemmt haben, und da ist viel Arbeit aller Beteiligten reingeflossen“, hob Finanzvorständin Dr. Almuth Steinkühler hervor. Aufwendig sei vor allem die Separierung der Systeme und der Prozesse der beiden Unternehmen im Vorfeld des Börsengangs gewesen.
Ein Jahr zuvor war die Schott Pharma AG & Co. KGaA aus der Schott AG ausgegliedert worden, um die erfolgreiche Sparte zu verselbstständigen und für den Börsengang vorzubereiten. Die Schott AG bleibt mit rund 77% des Aktienkapitals weiterhin Mehrheitseignerin. Durch den Börsengang flossen ihr Einnahmen in Höhe von 935 Mio. EUR zu und damit die höchsten in Deutschland erzielten IPO-Erlöse im vergangenen Jahr, vor thyssenkrupp nucera mit 605 Mio. EUR und Ionos Group mit 388 Mio. EUR.
„Für die Deutsche Börse und auch den Kapitalmarkt in Deutschland sowie Europa insgesamt ist es hervorragend, dass ein Spitzenunternehmen wie Schott Pharma diesen Weg an die Börse gegangen ist und dass Investoren die Geschäftsentwicklung und die großartige Positionierung des Unternehmens gewürdigt haben“, kommentiert Stefan Maassen, Head of Capital Markets & Corporates bei der Deutschen Börse in Frankfurt.
Schon im Vorfeld sei das Interesse der Investoren hoch gewesen, berichtet Dr. Steinkühler. Es habe eine starke Interaktion mit diesen stattgefunden, wodurch man gute Beziehungen und eine Art Track Record habe aufbauen können, was den Erfolg positiv beeinflusst habe. „Wir haben im Vorfeld zum IPO zahlreiche Gespräche geführt und ein recht einheitliches Feedback bekommen, dass wir gerade in schwierigen Zeiten ein Unternehmen seien, das man gerne im Portfolio haben möchte. Das hat uns bestätigt, dass wir mit einer guten Equity Story auch in einem schwierigen Marktumfeld erfolgreich an die Börse gehen können.“
Sichtbarkeit sorgt für bessere Kunden- und Mitarbeiterbindung
Die Einnahmen aus dem Börsengang flossen nicht direkt an Schott Pharma, sondern an die Schott AG. Davon profitieren aber sowohl Mutter als auch Tochter. „Für uns standen dabei unsere Eigenständigkeit und Visibilität im Vordergrund. Auf der einen Seite hilft uns das in Richtung Kunden, aber auch, wenn es um die Gewinnung von Mitarbeitenden geht und darum, diese für das Unternehmen zu begeistern“, betont Dr. Steinkühler. Auf der anderen Seite habe man durch den Börsengang eine Art Transaktionswährung geschaffen. „Unsere großen Wettbewerber sind auch gelistete Unternehmen. Wenn wir vielleicht auch mal anorganisch wachsen wollen, ist es durchaus hilfreich, Zugang zum Kapitalmarkt zu haben und solche Transaktionen abbilden zu können.“ Für die gesamte Schott AG steht in den nächsten Jahren außerdem der Ausbau der grünen Transformation im Fokus, wofür Teile des IPO-Erlöses verwendet werden sollen.
Der erste Kurs lag mit 30 EUR pro Aktie deutlich über dem Ausgabepreis von 27 EUR. Seitdem lief es für die Aktionäre hervorragend, auch wenn das Unternehmen vor Kurzem mitteilte, dass das Umsatzwachstum für das Jahr 2025 unter den Markterwartungen liegen wird. Im selben Zuge bekräftigte Schott Pharma aber die Prognose für das laufende Geschäftsjahr 2024 und die mittelfristigen Ziele. Seit der Erstnotiz im September vergangenen Jahres stieg der Kurs zeitweilig auf über 40 EUR und liegt bei 30,88 EUR, die Marktkapitalisierung beläuft sich auf 4,72 Mrd. EUR (Stand: 03. Juli 2024).
Seit dem Börsendebüt hat Schott Pharma eine stabile Geschäftsentwicklung verzeichnet. Im ersten Halbjahr des laufenden Geschäftsjahres konnte das Unternehmen einen währungsbereinigten Umsatzanstieg von 9% auf 489 Mio. EUR verbuchen, während das Betriebsergebnis währungsbereinigt um 2% auf 134 Mio. EUR stieg. Mit 4.700 Beschäftigten fertigt Schott Pharma unter anderem Spritzen, Karpulen, Fläschchen und Ampullen für die Pharmaindustrie und profitiert weiterhin von langfristigen Pharmatrends wie GLP-1-Medikamenten, den sogenannten Abnehmspritzen, mRNA-Therapien und biologisch hergestellten Medikamenten.
Externe Unterstützung erfolgsentscheidend
Für Schott Pharma ist der Börsengang vor allem auch eine große Lernerfahrung gewesen. „Wir haben erstmals unsere Geschäftsjahres- sowie Quartalszahlen veröffentlicht und unsere erste Hauptversammlung veranstaltet“, erzählt Dr. Steinkühler. Mit großer Spannung verfolgt man hier seitdem den Börsenkurs: „Es ist immer wieder interessant, zu sehen, welche externen Faktoren und Ereignisse den Kurs täglich beeinflussen“, so die Finanzvorständin. Hilfreich sei gewesen, dass man exzellente Unterstützung von verschiedenen Seiten erhalten habe, darunter Bankexperten und diverse Berater. Diese hätten mit ihrer Kompetenz und Expertise maßgeblich zum Erfolg beigetragen. Auch die Nähe zum Börsenstandort habe vieles vereinfacht: „Der Börsenstandort Frankfurt hat uns sehr geholfen. So konnten wir zum Listing-Event viele Mitarbeitende mitnehmen und vor Ort einbinden. Hätten wir ein Listing in den USA gemacht, wäre das nicht darstellbar gewesen.“
Fokus auf High Value Solutions
Schott Pharma setzt auch weiterhin auf Innovation und Wachstum, um seine Position in der Pharmaindustrie zu stärken. „Wir wollen weiter kontinuierlich wachsen und das, was wir schon etabliert haben, stärker ausbauen“, sagt Dr. Steinkühler. Im Produktbereich soll der Fokus auch weiterhin verstärkt auf sogenannten High Value Solutions liegen, also Glasspritzen, Fläschchen oder Ampullen mit besonderen Eigenschaften, über die spezielle Kundenanforderungen erfüllt werden und deren Herstellung dementsprechend aufwendiger und teurer ist. „Wir werden auch weiterhin stark international expandieren“, so Dr. Steinkühler. „Ein Teil unserer Expansion wird in Deutschland, ein Großteil aber im Ausland, und hier vor allem in Europa und in den USA, stattfinden.“
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„Entscheidend ist eine klare Positionierung“
Interview mit Stefan Maassen, Head of Capital Markets and Corporates, Deutsche Börse
Unternehmeredition: Herr Maassen, die Rahmenbedingungen waren im vergangenen Jahr alles andere als rosig. Wie konnte der Börsengang von Schott Pharma dennoch gelingen?
Stefan Maassen: Wenn man eine starke Equity Story und eine klare Strategie hat, muss man das auch ein Stück weit von den externen Faktoren separieren und wirklich für sich entscheiden, ob das Unternehmen so weit ist, an den Kapitalmarkt zu gehen. Gute Unternehmen finden immer Investoren und es ist immer noch reichlich Kapital im Markt vorhanden. Deshalb ist das im Endeffekt eine Entscheidung, die das Unternehmen spezifisch treffen muss, ob ein Börsengang die Erwartungen erfüllt. Das Team von Schott Pharma hat einen hervorragenden Job dabei gemacht, die eigenen Mitarbeitenden mitzunehmen. Ich kann mir vorstellen, dass es dafür auch intern erheblichen Rückenwind gegeben hat, dass man das als Organisation geschafft hat und jetzt eine höhere Visibilität und Flexibilität besitzt.
Insgesamt denke ich, wir müssen viel mehr darüber sprechen und das auch viel mehr hervorheben. Schott Pharma hat unternehmerisch eine fantastische Entwicklung am Kapitalmarkt genommen und ist sehr schnell sehr gut angekommen, und das Team wächst ja auch. Das ist einfach ein erfolgreicher Weg und ein Positivbeispiel, wie man den Kapitalmarkt für sich erschließen kann.
Unternehmeredition: Was waren die Faktoren für den erfolgreichen Börsengang?
Stefan Maassen: Bei Schott Pharma war es der klare Fokus, zu sagen, High Value Solutions sind ein Kerntreiber der Geschäftsentwicklung, der Equity Story. Das war eine klare Positionierung, und man konnte einen Track Record zeigen, dass man das über die letzten Quartale beziehungsweise Jahre konsequent ausgebaut hat. Damit konnten Investoren auch sicher sein, dass das, was beim Börsengang erzählt wird, Substanz hat und kontinuierlich umgesetzt werden kann. Dadurch hat Schott Pharma viel Vertrauen geschaffen. Ansonsten hat das Unternehmen ein sehr starkes Finanzprofil mit Wachstum und Profitabilität. Das sind in Kombination natürlich genau die Faktoren, die ein Investor haben möchte: attraktives Wachstum gepaart mit beträchtlicher Profitabilität. Diese Strategie wurde vom Management klar kommuniziert und in den Investorengesprächen authentisch dargelegt. Das ist im Endeffekt das, was aus meiner Sicht zu einem erfolgreichen Börsengang führt. Obwohl die Kursperformance von Schott Pharma durch die jüngsten Berichte nicht mehr so stark war, zeigt sich auch ganz klar, dass eine transparente Kommunikation sehr wichtig ist, um Vertrauen aufzubauen – und langfristig wird sich das meines Erachtens auszahlen.
Wie schätzen Sie die Aktienkursentwicklung ein?
Allgemein gesprochen ist der Kapitalmarkt sowohl in den USA als auch in Europa sehr stark von der Zinsentwicklung getrieben – und darauf schauen Investoren derzeit auch, denn die Inflationserwartungen sorgen für ein sehr dynamisches Umfeld. Marktteilnehmer wollen wissen, was die EZB und was die Fed in den USA macht, wo die Wirtschaft nach wie vor sehr stark ist und die Zinserwartungen oder die Kürzungen noch nicht eingetreten sind. Insgesamt sehen wir eine stabile Entwicklung trotz der geopolitischen Krisen, die derzeit noch zu einem schwierigen Umfeld hinzukommen. Auf der IPO-Seite sehen wir, dass sich viele Unternehmen bereits vorbereiten und das mögliche Timing abwägen. Positiv ist, dass Schott Pharma auch im Nachgang eine sehr stabile Entwicklung genommen hat und dass das auch den Investoren ein starkes Signal gibt, Vertrauen in neue Emissionen und IPOs zu fassen. Genau das brauchen wir, damit auch in Europa der Markt für Börsengänge wieder mehr in Schwung kommt.
Ist denn die Kombination „Carve-out plus Börsengang“ ein Weg, der häufig gegangen wird?
In diesem Fall ist die Situation schon recht speziell gewesen, weil Schott Pharma ein großer Bereich innerhalb der Schott AG war. Aber das sehen wir gerade bei gelisteten Unternehmen in Deutschland regelmäßig. Beispielsweise haben Konzerne wie Siemens, Volkswagen und Mercedes eigene Tochterunternehmen an die Börse gebracht. Da gibt es klare Prozesse und umfangreiche Erfahrung bei den Beratern, die den Unternehmen dabei zur Seite stehen können.
Allerdings ist ein Carve-out keine Voraussetzung für einen Börsengang. In diesem Fall hat es bestens gepasst, weil Schott Pharma dadurch eine sehr klare Positionierung erhalten hat. Wenn eine größere Gruppe an die Börse geht, erhöht das die Komplexität, wie man das Unternehmen positioniert und welche Investoren das interessant finden. Insofern ist es für Schott Pharma genau der richtige Weg gewesen, sich so klar zu positionieren.
Herr Maassen, wie sieht Ihre Prognose aus?
Wir sind sehr zufrieden, dass es Schott Pharma so schnell gelungen ist, sich am Kapitalmarkt zu etablieren. Es ist für unseren Kapitalmarkt wichtig, solche Positivbeispiele zu haben und darüber zu sprechen. Für die Unternehmen wiederum, die über einen Börsengang oder den Gang an den Kapitalmarkt nachdenken, ist es wichtig, zu sehen, dass sich die monatelangen Vorbereitungen auf den Börsengang auszahlen. Dadurch können wir auch Fehleinschätzungen entgegenwirken, die wir in den letzten zwei bis drei Jahren in Deutschland in Richtung Kapitalmarkt hatten.
Allgemein gesprochen gibt es in Deutschland viele großartige Unternehmen, die sich überwiegend in privater Hand befinden. Davon könnten sich noch viel mehr dem Kapitalmarkt öffnen, damit wir als Wirtschaft international wettbewerbsfähig bleiben. Und die dafür erforderlichen Investitionen können ja nicht nur aus Bankkrediten oder öffentlichen Quellen finanziert werden – dazu brauchen wir einen starken Kapitalmarkt. Wir begrüßen, dass in Deutschland, aber auch auf europäischer Ebene Gesetzesinitiativen auf den Weg gebracht werden, die den Kapitalmarkt stärken, und dass Unternehmen noch mehr Flexibilität bekommen, den Kapitalmarkt auch zu nutzen. Das ist etwas, was wir als Deutsche Börse sehr stark unterstützen. Unsere Sichtweise ist, dass das nur mit den Unternehmen zusammen geht. Wir sehen bereits die ersten richtigen Schritte dahin gehend. Das Potenzial ist da, aber wir müssen trotzdem noch viel dafür tun, um es auszuschöpfen.
Schott Pharma ist ein erfolgreiches Beispiel für ein mittelständisches Unternehmen, das an die Börse gegangen ist. In den letzten Jahren haben wir in Deutschland leider nur wenige solcher Erfolgsbeispiele gesehen. Woran liegt das?
Gerade im Mittelstand ist es wichtig, diesen unternehmerischen Mut, mit dem viele Unternehmen geführt werden, auch zum Kapitalmarkt zu transferieren. Das eröffnet einfach noch viel mehr Optionen – sei es bei der Mitarbeitergewinnung, aber auch die Strategie betreffend. In Deutschland oder auch in Europa haben wir als Wirtschaft einen riesigen Investitionsbedarf, der nicht allein von Banken oder aus öffentlichen Mitteln gedeckt werden kann. Da ist der Kapitalmarkt eine zusätzliche Quelle, die per definitionem immer verfügbar ist oder sein sollte, wenn man gelistet ist. Es gibt einfach deutlich mehr Flexibilität für Investitionsentscheidungen oder wenn sich eine M&A-Gelegenheit bietet, agieren zu können. Gerade aus Managementsicht bringt das auch gewisse Pflichten mit sich, gibt dem Unternehmen aber auch zusätzliche Rechte und Flexibilität. Das müssen wir im Mittelstand noch viel mehr verinnerlichen, dass diese Vorteile auch zur Unternehmensentwicklung beitragen können. Dazu müssen wir uns aber auch bewusst machen, dass wir in Deutschland schon jetzt hervorragende regulatorische Rahmenbedingungen haben. Diese wirken zunächst umfangreich und komplex – wenn man sich aber damit beschäftigt, sind sie sehr gut für neu gelistete Unternehmen handhabbar, gegebenenfalls auch mit externer Unterstützung zum Start.
Nun ist Schott Pharma ein sehr großes, mittelständisches Unternehmen, fast also eher ein Konzern. Aber gerade für den klassischen Mittelstand hilft so ein Prozess auch, das Unternehmen noch weiter zu professionalisieren, zum Beispiel von der Accounting- und Reportingseite, die darüber entscheidet, über welche KPIs das Unternehmen gesteuert wird. Da hat man dann auch eine gewisse Disziplin im Unternehmen, einfach regelmäßig extern zu kommunizieren: Wie ist die Strategie? Wie ist die Performance? Und dabei wird man sich dann immer auch selbst hinterfragen und im positiven Sinne noch mehr aus dem Unternehmen herausholen.
Diese Fallstudie ist in der Unternehmeredition-Magazinausgabe 2/2024
auf S. 46-48 erschienen.
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KURZPROFIL
Schott Pharma AG & Co. KGaA
Unternehmenssitz: Mainz
Gründungsjahr: 2022
Branche: pharmazeutische Aufbewahrungs- und Verabreichungssysteme
Mitarbeiter: 4.646 (Stand: 30. September 2023)
Umsatz (2022/2023): 899 Mio. EUR
ISIN: DE000A3ENQ51
Marktkapitalisierung: 4,72 Mrd. EUR (Stand: 03.07.2024)
Als Chefredakteurin der Unternehmeredition berichtet Eva Rathgeber regelmäßig über Unternehmen und das Wirtschaftsgeschehen. Sie verfügt über langjährige Erfahrung im Wirtschaftsjournalismus und in der PR.