Wie kann es gelingen, in der Führung die menschlichen Werte in den Vordergrund zu stellen und die Mitarbeitenden davon zu überzeugen, dass nicht nur das Operative („Hand“) und das Planerische („Hirn“) von Bedeutung sind? In diesem Artikel werden die emotionalen Aspekte („Herz“) in den Vordergrund gestellt, die beispielsweise für Motivation, Kreativität, Inspiration und wertvolle Beziehungen verantwortlich sind. Im richtigen Einklang aller drei „Elemente“ sind alle mit voller Kraft dabei und der Erfolg multipliziert sich.
Werte werden in der Arbeitswelt leider immer noch stiefmütterlich behandelt. Einerseits werden sie gerne als „Website-Talk“ verwendet, um zu zeigen, wie wichtig diese ehrenwerten Unternehmenswerte angeblich sind. Meistens hat dann in der Firma kaum jemand eine Ahnung, dass es diese Werte gibt, geschweige denn, dass sie ausdefiniert wären und im tatsächlichen Umgang miteinander eine nennenswerte Rolle spielen würden. Andererseits hängt man sich die Werte oftmals so hoch auf – im physischen wie im übertragenen Sinne – dass man bequem darunter durchlaufen kann. Das bringt uns dann auch nicht weiter. Und dazu wird noch übersehen, dass oftmals eine Menge schlechter Werte in Unternehmen unterwegs sind. Denn Werte sind bipolar: gute, aber auch schlechte, die dann positive Wirkung entfalten können oder aber ihr negatives Unwesen treiben. Der Dreh in wertebasierter Führung kommt dadurch zustande, dass man wissenschaftlich herangeht und die Werte beginnt zu systematisieren, wie das Robert S. Hartman Mitte des vergangenen Jahrhunderts begonnen hat zu tun.
Die drei Wertedimensionen nach Robert S. Hartman
- Die menschliche Wertedimension: Das, was bisher nur Menschen können. Fakten und Werte verbinden, um Großes entstehen zu lassen, sei es im positiven materialisierten Sinne (z. B. Ästhetik), sei es aber vor allem auch in der Gefühlswelt (z. B. Liebe). Leitsatz: Mein Bewusstsein, dass ich lebe. Fragewort: Wer. Körperteil: Herz.
- Die praktische Wertedimension: Hier ist alles Dingliche beheimatet. Materie jeglicher Form, die nicht selbst lebt. Geräte oder Maschinen, die für den Menschen Aufgaben verrichten können. Aber auch unser tägliches Tun im Sinne von arbeiten oder Voraussetzungen schaffen, damit wir als Menschen Nahrung und Produkte haben. Leitsatz: Was ich benötige, um zu überleben. Fragewort: Was. Körperteil: Hand.
- Die grundsätzliche Wertedimension: Hierhinein fallen die Gedanken über Menschen, Dinge und Grundsätzliches. Man könnte auch sagen, dass der vernunftgesteuerte Teil des Geistes hier zuhause ist. Es geht um Logik, Prinzipien, Abstraktion und um Urteilsvermögen: Richtig oder falsch, rechts oder links, schwarz oder weiß. Es betrifft Strukturen, Abläufe oder Regelungen. Leitsatz: Was wir brauchen, um miteinander leben zu können. Fragewort: Wofür. Körperteil: Hirn.
Die Reihenfolge von 1 bis 3 gemäß Robert S. Hartmans Wertemathematik – Menschliches, Dingliches und Grundsätzliches – ist von entscheidender Bedeutung. Laut dieser Theorie überwiegt der Wert des Menschlichen stets das Dingliche, welches wiederum höher bewertet wird als das Grundsätzliche. So wird deutlich, dass sämtliche materiellen Güter der Welt wertemäßig nicht mit einem Menschenleben gleichzusetzen sind. Gleiches gilt für Gesetze im Vergleich zur lebensnotwendigen Nahrung.
Man darf allerdings keine der Wertedimensionen als unwichtig oder irrelevant deklarieren. Prinzipien und Theorien sind grundlegend für den Fortschritt der Menschheit, doch ihre relative Bedeutung zueinander muss berücksichtigt werden, um den richtigen Blick zu erhalten. Hartman betonte dies anschaulich in einem Seminar, indem er darauf hinwies, dass seine Theorie, die Formale Wertewissenschaft, zwar wichtig sei, aber letztlich die liebevolle Ausgestaltung der Beziehung zu seiner Frau viel bedeutsamer ist.
Die einfache Differenzierung und Hierarchisierung der drei Wertedimensionen schafft ein nützliches Raster für den Alltag. Ein Professor sollte nicht ausschließlich auf seine Wissenschaft fokussieren, sondern sich zunächst in die Perspektive der Studenten versetzen, um sie angemessen abzuholen und zu inspirieren. Dabei spielen anschauliche Lehrmittel und moderne Didaktik eine entscheidende Rolle. Selbstverständlich bleibt die Wissenschaft des Professors wichtig, doch die angemessene wertemäßige Balance ist von großer Bedeutung.
Die eigene Haltung gegenüber anderen
Selbstführung ist der erste ewige Schritt. Darüber hinaus stehen andere Menschen im Fokus. Wertebasierte Führung erfordert, dass Führungskräfte über ihre persönliche Perspektive hinausblicken und sich in die Lage anderer versetzen. Das eigene Selbstbild kann dabei hinderlich sein, da es von persönlichen Wahrnehmungen und positiven Feedbacks geprägt ist. Externe Perspektiven sind kritischer und können zu einem Verlust des Fokus auf wertebasierte Führung führen. Hierbei sind drei wesentliche Aspekte zu beachten:
Respekt (Hirn, grundsätzliche Wertedimension):
Viele Menschen neigen dazu, die Gesellschaft hierarchisch zu betrachten. Sie sortieren dementsprechend die Leute ein: Ich Abteilungsleiter – du Buchhalter. Sie nehmen die vermeintlich hierarchisch tiefer stehenden Personen gar nicht wahr, was in meinen Augen zu einem grundsätzlich unethischen Weltbild führt.
Wertschätzung (Hand, praktische Wertedimension):
Hier geht es darum, dass wechselseitige Anerkennung tatsächlich stattfindet. Da reicht „Nicht geschimpft ist genug gelobt“ keinesfalls aus. Die Kraft der (nicht übertriebenen) Wertschätzung wird meiner Erfahrung nach enorm unterschätzt.
Augenhöhe (Herz, menschliche Wertedimension):
Für mich hat dieser Wert eine andere Färbung beziehungsweise Zielrichtung als Respekt. Augenhöhe beinhaltet nicht nur Gleichstellung, sondern auch ehrliches Interesse am anderen Menschen. Das Auge steht für Wärme, schafft Nähe und erzeugt Erlebnis.
Diese Werte können meines Erachtens gar nicht überschätzt werden, wenn es um Haltung geht. Sie sind unabdingbare Voraussetzung für erfolgreiche wertebasierte Führung. Wer respektlos agiert, keine Wertschätzung gibt und nicht auf Augenhöhe mit anderen umgeht, ist schlichtweg durchgefallen. Künftig wird eine solche Person niemanden mehr finden, der oder die mit ihr arbeiten will. Respekt, Wertschätzung und Augenhöhe sind allerdings schwer zu „berechnen“ und werden zudem unterschiedlich definiert und interpretiert.
Wertedimensionen und ihre weiteren Derivate, wie zum Beispiel Werteperspektiven und Handlungsebenen sind vielfältig kombinier- und einsetzbar. Man muss sich nur damit beschäftigen wollen und die Arbeitswelt nicht als eine Ansammlung von Fakten und Ergebnissen sehen. Letztlich sind die Firmen für die Menschen da – und nicht umgekehrt.
Fazit
Value-based Leadership beginnt stets bei der eigenen Selbstführung und setzt sich fort im Eins-zu-Eins bei Stellenbesetzungen, Potenzialentfaltung und in persönlichen Beziehungen. Darüber hinaus gilt es Teams wertebasiert zusammenzuspannen und die gesamte Organisation entsprechend zu durchdringen. Dann entsteht eine Kultur, in der gute Werte den Takt angeben. Die Vision lässt sich so auf den Punkt bringen: Für eine menschlichere und erfolgreichere Arbeitswelt.
Dr. Ulrich Vogel
Dr. Ulrich Vogel ist Experte für wertebasierte Unternehmensführung und hat 2009 das internationale Unternehmen profilingvalues gegründet. Als Geschäftsführender Gesellschafter entwickelt er wertebasierte Personaldiagnostik aus der Praxis für die Praxis und ist darüber hinaus in allen Feldern der Human Resources Beratung seit 25 Jahren zuhause.