Website-Icon Unternehmeredition.de

Rettung in letzter Minute

Mitten in der größten Wirtschaftskrise trat der Unternehmer Joachim Richter an, den insolventen Nähmaschinenhersteller Pfaff zu retten – mit großem Erfolg. Doch seine Qualitätsstrategie erwies sich langfristig als zu teuer. Nun kontrollieren Investoren aus China die Pfälzer Traditionsfirma.

Es ist ein ganz normaler Tag im Frühjahr 2013. In Kaiserslautern besiegeln Vertreter des chinesischen Beteiligungsfonds Shang-Gong einen Übernahmevertrag. Ein paar Minuten, dann gehen 100% der Anteile des Markenherstellers für Industrienähmaschinen Pfaff in chinesische Hand über. Es ist wie vor vier Jahren. Nur dass es damals ein Unternehmer aus dem Nachbarort war, der die Zukunft von Pfaff besiegelte – mit Tinte und mit Herzblut: Joachim Richter. „Das ist der Tag, an dem feststeht, dass Pfaff weiterbestehen wird“, verkündet Richter im März 2009. Er hat den Zuschlag für die Übernahme des Nähmaschinenherstellers erhalten. Es ist ein mutiger Schritt, den der Gründer der Joachim Richter Systeme und Maschinen GmbH & Co. KG mit Sitz im rheinlandpfälzischen Konken wagt. Mitten in der Wirtschaftskrise tritt er an, ein Traditionsunternehmen zu retten, das zum zweiten Mal in neun Jahren pleite ist. Ihm selbst erscheint das Unterfangen im Rückblick überhaupt nicht waghalsig. „Ich dachte mir, wenn eine Wirtschaft ganz unten ist, kann es nur noch bergauf gehen.“ Außerdem hing sein Herz an Pfaff. „Ich bin in der Nähe von Kaiserlautern geboren und aufgewachsen“, erzählt der Unternehmer. „Da habe ich miterlebt, wie die Nähmaschinenfabrik die Stadt über Jahrzehnte hinweg prägte.“ Dieser Traditionsfirma wollte Richter nicht beim Sterben zusehen.

Nichts als Scherben

Als der neue Firmenchef im April 2009 zum ersten Mal vor die verbliebenen 149 Pfaff-Mitarbeiter tritt, die das insolvente Unternehmen in einer Transfergesellschaft beschäftigt, schlägt ihm Skepsis entgegen. „Als ich sagte, wir würden innerhalb eines Monats in ein neues Werk umziehen, wollte das niemand glauben“, weiß Richter noch. Kein Wunder, denn das, was er in Kaiserslautern vorfand, glich einem Scherbenhaufen. Im Dezember 2008 ist die Pfaff Industrie Maschinen AG am Ende. Nach einer ersten Pleite hatte das Unternehmen das Geschäft mit Nähmaschinen für den Hausgebrauch längst abgegeben. Die Industriesparte, zu der inzwischen auch die Fertigung von Schweißmaschinen zählt, trägt Pfaff noch einige Jahre weiter, der Börsengang gelingt. Doch dann bringen Aufträge aus Asien Defizite, die Pfaff nicht mehr ausgleichen kann. Von den übriggebliebenen 400 Stellen werden 251 gestrichen. Das alte Werk mitten in Kaiserlautern ist viel zu groß, seit 30 Jahren ist hier nicht mehr investiert worden. Jetzt schlägt Richters Stunde. Er entwickelt einen Businessplan, der die Kreissparkasse Kusel überzeugt. Diese stemmt zusammen mit zwei weiteren Instituten einen Konsortialkredit. Allein der neue Maschinenpark, den Richter später aufbaut, kostet 7 Mio. EUR. Die staatliche Investitions- und Strukturbank Rheinland-Pfalz übernimmt eine Bürgschaft in zweistelliger Millionenhöhe. Darüber, was ihn die Übernahme gekostet hat, schweigt Richter. Fest steht aber: Ein Schnäppchen war Pfaff nicht, denn interessierte chinesische Investoren trieben den Preis in die Höhe. Doch der Mann aus der Region schlägt sie aus dem Feld. Nicht zuletzt weil er verspricht, die gesamte Pfaff-Produktion, die teilweise nach China ausgelagert ist, nach Kaiserslautern zurückzuholen. Er hält sein Versprechen – vorerst. Aufbruchstimmung im neuen Werk

Während die Wirtschaftskrise Löcher in die Bilanzen deutscher Mittelständler schlägt, herrscht bei Pfaff Aufbruchstimmung. Im Mai 2009 ist die Belegschaft ins neue Werk im Industriegebiet Nord am Stadtrand umgezogen, bis zum Frühjahr 2010 hat Richter 100 Stellen geschaffen. Für 2012 peilt er einen Umsatz von 30 Mio. EUR an. Und die Mitarbeiter sind begeistert. „Der Chef war oft in der Produktion, hat uns nach unseren Ideen gefragt“, erinnert sich einer von ihnen. Auch dass „Made in Germany“ wieder etwas wert war, wussten Richters Mitarbeiter zu schätzen. Nicht nur sie. Internationale Kunden lassen sich „Made in Kaiserlautern“ schon bald etwas kosten. „Wir haben unseren Kunden gesagt: Bei Pfaff bekommt ihr jetzt wieder unverwechselbare Qualität“, erzählt Richter. „Stückzahlweltmeister“, wie er es nennt, sollte seine „Lauterer Fabrik“ nie werden. Stattdessen lässt Richter – gegen jeden Trend – alle Maschinen und Einzelteile vor Ort oder zumindest in Deutschland fertigen. Erste Stimmen aus der Führungsriege werden laut. Sie zweifeln an Richters Strategie. „Made in Germany“ ist teuer. Doch Ende 2010 gibt ihm der Erfolg recht. Verloren geglaubte Marktanteile in Indien und Brasilien hat sich Pfaff mit Richters Qualitätsstrategie zurückerobert. Das Unternehmen ist im europäischen Markt wieder gut etabliert. Aufträge kommen auch aus Singapur, selbst aus Kambodscha. Pfaff beschäftigt jetzt 260 Mitarbeiter, der Umsatz im ersten kompletten Geschäftsjahr soll knapp unter der 30-Mio.-EUR-Marke liegen. „Unsere Auftragsbücher waren voll“, erinnert sich Richter. Er blickte zuversichtlich ins Jahr 2011.

Zwei Seiten einer Strategie

Aber in diesem Jahr kam die Kehrseite der Medaille mit der Prägung „Made in Germany“ zum Vorschein. Denn so hochwertig Qualität aus Kaiserlautern auch sein mag, nicht jeder potenzielle Kunde will dafür bezahlen. Pfaff sieht sich zunehmend dem Preis- und Wettbewerbsdruck an den internationalen Märkten ausgesetzt. Lauter werden die Stimmen aus der Führungsriege, die den Firmenchef zum Umdenken bewegen wollen. Und Richter denkt um. Im Mai schließt er einen Kooperationsvertrag mit dem taiwanesischen Unternehmen Chee Siang Industrial Co., LTD ab. Chee Siang soll die Entwicklung, Produktion und Vermarktung von industriellen Nähmaschinen übernehmen. Trotzdem fährt Pfaff im Geschäftsjahr 2011 mit „Made in Germany“ ein dickes Minus ein. Nun heißt es nicht nur umdenken, sondern umstrukturieren. Richter sucht nach weiteren Partnern in Asien. Dorthin will er die Produktion von Großserien verlagern. In Kaiserslautern sollen nur noch Näh- und Schweißmaschinen nach individuellen Kundenwünschen gefertigt werden. Die Neuausrichtung des Unternehmens ist auf zwei bis drei Jahre ausgelegt, doch so lange tragen die Finanzen nicht mehr. Im August 2012 braucht Richter Geld, bittet seine Gläubigerbanken, ihm Zins und Tilgung für zwei Monate zu stunden. Zudem benötigt er 500.000 EUR an frischem Kapital. Das Land Rheinland-Pfalz, Inhaber des Werksgebäudes im Industriegebiet Nord, soll noch ein bisschen auf die Pacht warten. Richter kündigt an, den Weg für einen Investor freizumachen, sollte er selbst das Unternehmen nicht mehr retten können. Bei Pfaff tritt schon der Betriebsrat auf den Plan, Angst vor einer erneuten Insolvenz macht sich breit – doch Richter kriegt die Brückenfinanzierung schließlich noch hin, die Pleite ist abgewendet. Rettung in letzter Minute. Es war die letzte Rettung, zu der der ehrgeizige Unternehmer aus der Nachbarschaft dem Kaiserlauterer Traditionsunternehmen verhalf. Dann zieht er sich zurück. Im Frühjahr 2013 ist Joachim Richters Zeit bei Pfaff endgültig vorbei. Das besiegeln an einem ganz normalen Tag in Kaiserlautern Vertreter des chinesischen Beteiligungsfonds Shang-Gong – mit Tinte.

Kurzprofil Pfaff Industriesysteme und Maschinen AG

Gründungsjahr: 1862 Branche: Fertigung von Industrienähmaschinen und Schweißmaschinen

Unternehmenssitz: Kaiserlautern

Umsatz 2012: 25,5 Mio. EUR

Mitarbeiterzahl 2013: 250


Zur Person: Joachim Richter
Der gelernte Dreher und Maschinenbauer Joachim Richter gründete 1993 im Alter von 34 Jahren sein erstes Unternehmen, die Joachim Richter e.K. Systeme und Maschinen, die heute in der Rechtsform GmbH & Co. KG geführt wird. Firmensitz ist das rheinlandpfälzische Konken. Richter steht noch immer als Geschäftsführer an der Spitze des Herstellers für Markier- und Sondermaschinen. Im Jahr 2009 übernahm er zusätzlich die insolvente Pfaff Industriesysteme und Maschinen AG in Kaiserslautern, die er fast vier Jahre lang führte. Die beiden Unternehmen arbeiteten nicht eng zusammen, schafften jedoch gewisse Synergien. Richter überwand die Krise, in der Pfaff steckte, zog sich jedoch zurück, nachdem seine Qualitätsstrategie das Unternehmen in Liquiditätsschwierigkeiten gebracht hatte. Andrea Martens redaktion@unternehmeredition.de

Die mobile Version verlassen