Neue Studie: börsennotierte Familienunternehmen

Zusammen mit AfU Research hat die Unternehmeredition jenseits der bisherigen Konzepte 92 Unternehmen ermittelt, auf die die klassischen Family-Business-Merkmale perfekt passen

Vereinen börsennotierte Familienunternehmen das Beste aus zwei Welten?; Quelle: Foto: © Pete Saloutos - stock.adobe.com

Wer kennt sie nicht, die plakativen Aussagen von Politikern und Verbandsfunktionären, in denen man die Unternehmen hierzulande in „die Familienunternehmen“, das Rückgrat der deutschen Wirtschaft, und „die Kapitalmarktunternehmen“ trennt. Der ersteren Gruppe schreibt man das Denken in Gene­rationen zu, der zweiten leicht despektierlich das Denken in Quartalen… Doch viel zu wenig beschäftigt man sich intensiv mit der Gruppe der börsennotierten Familienunternehmen. Wer sind sie und was prägt ihr tägliches Leben am und mit dem Kapitalmarkt? Zusammen mit dem Partner AfU Research hat die Unternehmeredition jenseits der bisherigen Konzepte 92 Unternehmen ermittelt, auf die die klassischen Family-Business-Merkmale perfekt passen, und stellt die Frage: Vereinen börsen­no­tier­te Familienunternehmen das Beste aus zwei Welten?
VON MARKUS RIEGER UND NORBERT PAULSEN

Betrachtet wurden in unserer Studie alle Unternehmen der gesetzlich regulierten Marktsegmente Prime Standard (darunter die 160 „Indexwerte“ aus DAX, MDAX und SDAX), General Standard und Regulierter Markt sowie im Gegensatz zu vielen anderen Studien auch alle im Freiverkehr der deutschen Regionalbörsen notierten Gesellschaften mit über 100 Mio. EUR Marktkapitalisierung. Durch das Größenkriterium „>100 Mio. EUR Börsenwert“ kommt man zunächst auf 441 Gesellschaften, was rund 57% aller in einer Studie vom März 2022 erhobenen deutschen börsen­gelisteten Unternehmen (siehe GoingPublic 1/2022, S. 18 ff.) entspricht.

Nun folgten wir den vier wichtigsten Merkmalen von Familienunternehmen:

1. Eigentum -> Eine „Mehrheit“ der Stimmrechte sollte gegeben sein.

2. Leitung -> Die Eigentümer sollten in Vorstand oder Aufsichtsrat vertreten sein.

3. Einheit von Eigentum und Leitung -> 1. und 2. müssen erfüllt sein.

4. Unternehmensreife/Denken in ­Generationen -> Das Unternehmen muss mindestens 20 Jahre alt sein.

Das Ergebnis: 92 oder rund 21% der betrachteten Gesellschaften sind die bör­sen­notierten Familienunternehmen „in Reinkultur“, die den Kern unserer Analyse darstellen (siehe auch Tab. 1; S. 8). Sie sind durchschnittlich 70,5 Jahre alt, Fami­lien­mitglieder beziehungsweise Angehö­rige des Eigentümers sind 148-mal im Vorstand oder im Aufsichtsrat vertreten (60 Vorstände, 88 Aufsichtsräte), davon 39-mal sogar in der Position des Vorstandsvorsit­zenden/CEOs (42% der Fälle). Der durch­schnittliche Anteilsbesitz, gemessen in Prozent der Stimmrechte, beträgt stolze 61,6%. Bei 78 der 92 Unternehmen (84,8%) ist die Familie mit über 50% beteiligt.

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Anmerkungen: Börsenwert in Mio. EUR, in allen Unternehmen sind Familienmitglieder in Vorstand und/oder Aufsichtsrat vertreten.
Die Unternehmerfamilie hält die Mehrheit oder Kontrollmehrheit.

Prime = Prime Standard, General = General Standard
Unter “Familie im Vorstand/Aufsichtsrat” ist die jeweilige Zahl an Personen angegeben.
Quellen: Unternehmeredition-Studie, GoingPublic, AfU Research 

Exkurs: 25%-Kriterium reicht nicht

Nahezu alle herkömmlichen Definitionen und Konzepte (DAXplus Family In­dex, GEX, Stiftung-Familien­unter­neh­men-­Studie 2019, Investorenstudien von Banque de Luxembourg et cetera) richten sich am 25%-Kriterium beim Anteils­besitz aus. „Ein börsennotiertes Unternehmen gilt als Familienunternehmen, wenn die Familie des Unternehmensgründers mindestens 25% der Stimmrechte hält und/oder ein Mitglied der Gründerfamilie im Vorstand oder Aufsichtsrat vertreten ist“, so die Stiftung Familienunternehmen. Noch „niedriger“ setzt der DAXplus Family Index der Deut­sche Börse AG an, an dem sich viele Investoren orientieren: Er umfasst die in- und ausländischen Unternehmen des Prime Standard der Frankfurter Wertpa­pierbörse, bei denen die Gründerfamilie mindestens einen 25%igen Stimmrechts­anteil hat oder in Vorstand oder Aufsichtsrat sitzt und mindestens einen Stimmrechtsanteil von 5% hält. Vor ­allem die 5%-Regel ist fragwürdig. Weil Prof. Dr. Hasso Plattner mit 6% an SAP be­teiligt und deren Aufsichtsratsvorsitzen­der ist, sind die Aktien der Walldorfer Softwareschmiede im DAXplus Family Index enthalten. Mit der Dietmar Hopp Stiftung und der Klaus Tschira Stiftung gGmbH addiert sich der Stimmrechtsanteil der Gründerfamilien auf gerade einmal 14,7% – das begründet weder ­eine beherrschende Stellung noch eine Einheit von Eigentum und Leitung oder gar ein Denken in Generationen. Aus Sicht der Unternehmeredition greifen die bestehenden Konzepte deshalb deut­lich zu kurz. So ist aus der Gruppe der 92 ermittelten Unternehmen gerade ein­mal die Hälfte (15 von 30) im DAXplus Family 30 vertreten.

„Group of 92“ – Börsenwert

Die kumulierte Marktkapitalisierung aller 92 Werte betrug per Ende April rund 290 Mrd. EUR. Das wertvollste Unternehmen ist dabei mit Abstand die auch im DAX enthaltene Münchner BMW AG (51,5 Mrd. EUR). Die Familie Quandt hält hier 46,8% der Anteile, Stefan Quandt und Susanne Klatten sitzen im Aufsichtsrat. Es folgen mit Henkel (26,8 Mrd. EUR), Sartorius (25,4 Mrd. EUR) und Porsche (24,1 Mrd. EUR) drei weitere DAX-Titel. Platz fünf belegt MDAX-Wert Beiersdorf (24,1 Mrd. EUR), Wolfgang Herz vertritt hier seit 2020 die Interessen der Eigentümerfamilie im Aufsichtsrat. Zusammen kommen diese fünf Unternehmen auf 152 Mrd. EUR Börsenwert oder rund 52% des Gesamtwerts der betrachteten 92 Familienunter­nehmen. 38 von ihnen liegen hier bei einem Wert größer 1 Mrd. EUR. Nimmt man die genannten fünf größten aus der Betrachtung heraus, liegt der durchschnittliche Börsenwert der verbleiben­den 87 bei rund 1,6 Mrd. EUR.

Zugehörigkeit zu Börsensegmenten

Stefan Fuchs, Vorstandsvorsitzender, Fuchs Petrolub
Stefan Fuchs, Vorstandsvorsitzender, Fuchs Petrolub

Bei Betrachtung der Zugehörigkeit der 92 Unternehmen zu Indizes und Börsen­segmenten (siehe Tab. 2; S. 10) zeigt sich zunächst eine relative Gleichverteilung auf die Indexwerte (33), die Gruppe aus Prime Standard sonstige/General Standard/­Regulierter Markt (33) sowie Freiverkehrs­werte (26). Allerdings zeigt sich auch die Dominanz der großen Familienunter­nehmen. Die 33 Indexwerte (36%) aus DAX, MDAX und SDAX stehen für über 90% der Marktkapitalisierung. Viele ­darunter haben eine echte Kultur des börsennotierten Familienunternehmens entwickelt und vertreten das Modell mit großer Leidenschaft. Als Beispiel dient der Mannheimer Schmier­stoff­spe­zialist Fuchs Petrolub, der fast 3 Mrd. EUR Umsatz erwirtschaf­tet (SDAX, Börsenwert: 7,7 Mrd. EUR; Nummer zehn unserer Rangliste) und in dritter Generation von Stefan Fuchs als Vorstandsvorsitzendem geführt wird: „Ein börsennotiertes familiengeführtes Unternehmen verbindet das Beste aus beiden Welten: einerseits die Professionalität und die Strukturen, die durch die Börsennotierung gegeben sind, andererseits aber auch ein starkes familiä­res Zusammengehörigkeitsgefühl und eine hohe Identifikation mit dem Unter­nehmen.“ Auch das oftmals angeführte Kostenargument sieht Fuchs, dessen Schwester Susanne im Aufsichtsrat sitzt, nicht: „Die Vorteile der Börsen­notierung überwiegen auf jeden Fall die daraus entstehenden Kosten.“

Zum Vergrößern bitte hier anklicken; Quellen: GoingPublic Research, AfU Research

Altersstruktur

Michael Stomberg, Vorstand
Foto: © Eagle Burgmann

Das älteste deutsche Familienunterneh­men nach Definition der Unternehmer­edition ist Villeroy & Boch, gegründet 1748. Die Bauer AG aus dem bayerischen Schrobenhausen geht immer­hin bereits auf das Jahr 1790 zurück. Vorstand Michael Stomberg empfindet die Börsennotiz (seit 2006) des altein­gesessenen Familienunternehmens als Normalität und hebt ebenfalls den ­Nutzen hervor: „Der Austausch mit den Aktionären, Investoren und Analysten spiegelt regelmäßig das ‚Bild von außen‘ wider – das ist eine zusätzliche Perspektive neben dem Blick aus der Führung heraus oder dem der Familie.“

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Das Durchschnittsalter der betrachte­ten 92 Unternehmen liegt bei 70,5 Jahren (siehe Tab. 3). 26 von ihnen existieren bereits seit mehr als 100 Jahren. Nach Villeroy & Boch und Bauer aus dem 18. Jahrhundert liegen die Wurzeln von 16 Familienunternehmen bereits im 19. Jahrhundert. Allerdings wurde die Mehrheit (48 Unternehmen, 52%) erst nach 1975 gegründet. Firmen mit einem Gründungsdatum nach 2002 (jünger als 20 Jahre) fanden keinen Eingang in die Studie.

Auffälligkeiten …

Mit Blick auf die Gesamtheit der 92 Unternehmen fällt auf, dass der Familienname in insgesamt 28 Fällen (circa 30%) auch für den Unternehmensnamen Pate stand. Bei zwölf davon sitzt sogar ein Familienmitglied mit gleichlautendem Namen im aktuellen Vorstand, (siehe Tab. 4; S. 14). Alle genannten Vorstände ste­hen mindestens für die zweite Generation. Die Gesinnung vieler Familien bringt dabei Stefan Dräger, Vorstandsvorsitzender der Drägerwerk Verwaltungs-AG (siehe auch Interview auf S. 10), auf den Punkt: „Ich bin heute in fünfter Generation für Dräger verantwortlich und möchte das Unternehmen meinen Nachfolgern in einem noch besseren Zustand übergeben, als ich es einst übernommen habe.“ Zu dieser Gruppe gehört auch die im General Standard gelistete Maschinenfabrik Berthold Hermle AG. Neben den beiden Ver­tretern der Gründerfamilie Dietmar und Lothar Hermle, die zusammen mit 42,7% der Stimmrechte die HV-Beschlüsse bestimmen können, wird auch Günther Leibinger mit seinen 32,5% als Familienbesitz gewertet, der über seine Tochter Dr. Sonja Zobl-Leibinger im Auf­sichtsrat vertreten und mit seiner in dritter Generation familiengeführten Firmengruppe aus dem benachbarten baden-württembergischen Tuttlingen ein wichtiger Partner von Hermle ist. Bei der H&R GmbH & Co. KGaA stehen die Initialen übrigens für die Gründerfamilien Hansen und Rosenthal. „Die Weiterentwicklung der ursprünglichen Vision eines Gründers braucht verantwortungsvolle Kontinuität und langfristige strategische Weitsicht. Dafür stehen wir als familiengeführtes Unterneh­men“, so CEO Niels H. Hansen, angespro­chen auf den Vergleich mit nicht börsennotierten Familienunternehmen.

… und Bemerkenswertes

Albrecht Hornbach,
CEO, Hornbach Holding

Bei 17 Unternehmen sind die Familienaktionäre sowohl im Vorstand als auch im Aufsichtsrat vertreten. Bei 16 hiervon haben sie auch in einem der Gre­mien den Vorsitz oder mehrere Man­date inne. In die operative Führung invol­viert sind die Familienmitglieder bei insgesamt 48 Unternehmen, da­runter bei 39 als CEO oder mit mindestens zwei Vorständen – so auch bei der bereits seit 1987 notierten Hornbach Holding. „Heute sind wir das fünft­größte Baumarktunter­nehmen in Eu­­ropa. Das wäre ohne das Kapital aus den Börsengängen nicht möglich gewesen“, beschreibt CEO Albrecht Hornbach die wichtige Rolle der Börse beim Unternehmenswachstum der letzten Jahrzehnte. Bis Ende Februar 2022 notierte mit der Hornbach Baumarkt AG sogar noch eine zweite Gesellschaft am Kapitalmarkt.

Ralph Dommermuth und Holger Timm – die „Kapitalmarkt-Serial-Entrepreneure“

Ralph Dommermuth, United Internet

Auf Rang 13 (United Internet, Market Cap: 6,0 Mrd. EUR) und 16 (1&1, 3,5 Mrd. EUR) nach Börsenwert tritt als CEO „seiner“ Un­ter­nehmen Ralph Dom­mermuth auf, der für seine unternehme­rische Leistung seit den 1980er-Jahren nicht genug hervorgehoben werden kann. Als zweiter „Serial Family Entrepreneur“ erscheint Holger Timm mehrfach auf dem Tableau. Er fungiert als Mehrheitseigner und CEO von Trade­gate (Market Cap: 2,8 Mrd. EUR) und Berliner Effekten (1,1 Mrd. EUR). Daneben ist er seit einiger Zeit auch noch Aufsichtsratsvorsitzender und größ­ter Aktionär bei der Berliner Quirin Privatbank (Market Cap: 188 Mio. EUR).

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Eigenkapitalquote toppt Gesamtmarkt

Während die Eigenkapitalquote aller bör­sennotierten Unternehmen (inklusive Freiverkehr) auf der Basis der 2020er-­Zahlen mit 29,5% schon recht ordentlich ausfällt, ist sie im Familien­universum der 92 Unternehmen mit 40,6% noch einmal um mehr als zehn Prozentpunkte höher (siehe Tab. 5.; S. 15; gerechnet ohne Bank- und Versicherungs­werte). Bemer­kenswert ist dabei zum einen, dass sich die guten Werte über alle Segmente erstrecken, und zum anderen, dass die im Freiverkehr gelisteten Gesellschaften (EK-Quote: 47,3%) absolute Spitze sind. Insgesamt ver­fügten die 92 Unternehmen in ihren Bilanzen zum 31. Dezember 2020 über die gewaltige Summe von 164 Mrd. EUR an Eigenkapital.

Damit ist bei den gelisteten Familien­unternehmen die Gefahr wirtschaftlicher Schieflagen vergleichsweise gering. Des Weiteren ist man durch den dauerhaf­ten Zugang zu Wachstumskapital über die Börse auch noch deutlich fle­xibler, was die Unternehmensfinanzierung betrifft. Die hohe Eigenkapitalausstattung dokumentiert aber auch eine gewisse Risikoaversität, was institutionelle Investoren allerdings manchmal nicht ausreichend zu schätzen wissen.

Jahresüberschuss und Aktienperformance 2022

Nico Baader, Vorstandsvorsitzender,
Baader Bank
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Addiert beliefen sich die Jahresüberschüsse aller rund 780 börsennotierten deutschen Unternehmen im Jahr 2020 auf 55,8 Mrd. EUR (siehe GoingPublic Magazin 1/2022). Davon entfielen allein 11,5 Mrd. EUR oder 20,6% auf die in der vorliegenden Studie untersuchten 92 Familienunternehmen, was deren sogar in einem Pandemiejahr wie 2020 hohe Profitabilität und Konstanz unterstreicht. Zur Performance an der Börse seit Jahresbeginn sei überdies erwähnt: Der Krieg in der Ukraine und die damit einhergehen­den Auswirkungen auf die ohnehin belas­teten Lieferketten haben die Ak­tien­kurse im bisherigen Verlauf des Jahres 2022 stark unter Druck gesetzt. Der breite CDAX, dem alle deutschen Werte des regu­lierten Markts der Frankfurter Börse angehören, gab von Ende 2021 bis Ende April 2022 um rund 13% nach. Fast im Einklang dazu bewegte sich die Marktkapitalisierung der 92 Familienunternehmen. Die einzelnen Segmente haben in Relation zu ihren Benchmark­indizes indes ganz unterschiedlich performt. Während sich die DAX- und MDAX-Unternehmen weitgehend im Gleichschritt bewegten, verloren die Familienunternehmen des SDAX mit 22,3% erheblich mehr an Wert als der Index (-15,8%). Elf der 16 Titel mussten überdurchschnittliche Kurs­ver­luste hin­nehmen. Allein Dermapharm, Atoss Software, Basler und Schaeffler büßten zusammen 34,6% an Wert ein. Keine Aktie konnte sich verbessern. KWS Saat und Sto liefen mit -3,8% beziehungsweise -9,3% noch am besten. Relativ gut behaupten konnten sich ansonsten die elf Unternehmen der sonstigen regu­lierten Märkte und die 26 des Freiverkehrs, deren Marktkapitalisierung in Summe nur um 2,9% beziehungs­weise 5,4% zurückging. Im Freiver­kehr notiert auch die Baader Bank (Market Cap: 274 Mio. EUR; Aktienperformance: -9,2 % seit Jahresbeginn), die Nico Baader in zweiter Generation als Vorstandsvorsitzender leitet. Er verweist auch auf die Vorteile der Börsennotiz bei Kapitalaufnahmen kurzfristiger Natur: „Durch die Börsennotierung besteht die Möglichkeit zu schnellen Kapitalerhöhungen. Wir haben das im vergangenen Jahr in Form einer Wahldividende umgesetzt und werden auch in diesem Jahr eine Wahldividende durchführen, um das Eigenkapital der Bank zu stärken.“ Den Transparenz- und Publizitätspflichten an der Börse kann er dabei auch Gutes abgewinnen: „Die freien Aktionäre und Aktienanalysten sowie die erhöhten Veröffent­lichungspflichten sind immer wieder ein Korrektiv und externer Vergleich mit den Wettbewerbern. Hinzu kommt ein gesetzlicher Rahmen, dessen Er­füllung die Familie auch vor Fehlentscheidungen schützen kann.“

FAZIT

Es gibt sie, die „echten“ Familienunternehmen an der Börse! Sie denken in Genera­tionen; Mehrheitseigentum und Leitung sind in einer Hand. Letzteres wird untermauert durch die beherrschende Stellung in Vorstand und/oder Aufsichtsrat. Ganze 92 von ihnen haben wir in der vorliegenden Titelgeschichte identifiziert, jedes davon bringt mehr als 100 Mio. EUR Börsenwert auf die Waage und weist eine Eigenkapital­quote von durchschnittlich über 40% aus. 28 von ihnen tragen sogar den ­Namen ihrer Familie. Ob Stefan Dräger (Drägerwerk), Albrecht Hornbach (Hornbach Holding), Stefan Fuchs (Fuchs Petrolub) oder viele andere Vorstandsvorsitzende, die wir befragt ­haben − sie alle schätzen das Modell des börsennotierten Familienunternehmens. Und das aus vielfältigen Gründen: Der dauerhafte und institutionalisierte Zugang zu Kapital, die Steigerung des Markenwerts, die internationale Sichtbarkeit sowie zahlreiche Vorteile im Wettbewerb, nicht zuletzt bei der händeringenden Suche nach Personal, wurden uns hier genannt. Es bleibt zu hoffen, dass sich in den kommen­den Jahren auch in Deutschland wie­der mehr Eigentümerfamilien für das ­Beste-aus-zwei-Welten-Modell des bör­sen­notierten Familienunternehmens interessieren.

redaktion@unternehmeredition.de


„Börsennotierung verschafft uns Kapital ohne Kontrollverlust“

Interview mit Stefan Dräger, Vorstandsvorsitzender, Drägerwerk Verwaltungs-AG

Die Drägerwerk AG & Co. KGaA, 1889 gegründet und seit 1970 an der Börse notiert, ist Sinnbild eines börsennotierten Familienunternehmens. In fünfter Generation führt Stefan Dräger als Vorstandsvorsitzender der Drägerwerk Verwal­tungs AG die Geschäfte. Wir haben mit ihm über die Beson­derheiten für sein Familienunternehmen am Kapitalmarkt gesprochen.

Unternehmeredition: Herr Dräger, was bringt Ihnen eigentlich die
Börsennotierung?

Stefan Dräger:Die Börsennotierung erlaubt es uns, Kapital zu beschaffen, ohne die Kontrolle abgeben zu müssen. Dadurch bleibt der positive Einfluss unserer Familie erhalten und das Unternehmen vor feindlichen Übernahmen geschützt. Das Kapital ermöglicht uns strategisches Wachstum. Unsere Geschäfts­felder sind so zukunftsträchtig, dass wir überwiegend organisch wachsen, in­dem wir in die geografische Reichweite und spezifischen Fähigkeiten unserer Vertriebe investieren. So haben wir in über 50 Ländern einen Direktvertrieb, häufig mit Spezialisten für einzelne Segmente. Wir investieren auch stark in Produktinnovation, in die Entwicklung neuer Geräte und Lösungen, die sich durch Vernetzung ergeben. Gelegentlich kaufen wir Technologien hinzu. Die Börsennotierung versetzt uns in die Lage, auf mehreren Feldern gleichzeitig unsere Wettbewerbsfähigkeit zu steigern, unsere Marktposition auszubauen und den Wert der Marke Dräger zu erhöhen. Ein weiterer Vorteil liegt in der Möglichkeit, Arbeitnehmer durch Mitarbeiteraktienprogramme zu binden.

Kamen für Sie Alternativen infrage?

Eine Alternative zur Finanzierung durch Börsennotierung wäre ein strategischer Partner oder Private-Equity-Investor; der will jedoch die Strategie mitbestimmen, ohne die Details so gut zu kennen wie meine Vorstände und ich. So bleiben wir gerade durch die Börsennotierung weiter unabhängig und haben unser Schicksal selbst in der Hand.

Wie schätzen Sie das Kosten-­Nutzen-Verhältnis ein?

Das ist keine kaufmännische Rechnung. Der kontierte Aufwand für die Emission inklusive Berater, für die Hauptversamm­lungen und Analystenkonferenzen und das Investor-Relations-Management ist sehr überschaubar und geradezu vernachlässigbar gegenüber dem Vorteil, die Chancen für strategisches Wachstum nutzen zu können. Der wesentliche Preis, den wir für die Börsennotierung bezahlen, ist jedoch die Transparenz, zu der wir uns dadurch ein für alle Mal verpflichtet haben. Das fürchten viele Familienunternehmer. Als ich ein Kind war, hat mein Vater mir einmal erzählt, als er klein war, da waren die Kosten bei Dräger noch so geheim, dass sie nicht ein­mal der Kostenstellenverantwortliche wissen durfte. Ich kann nur sagen, der Wandel hat gutgetan, keiner hier möchte das jemals mehr missen. Unsere Strategie, die wir 2015 erstmals kodifiziert ­haben, ist als Büchlein in einer Auflage von über 1.000 Exemplaren verteilt worden. Wie sollte sie sonst funktionieren, wenn sie keiner wissen darf?

Was zeichnet Ihrer Meinung nach ein börsennotiertes familiengeführtes gegenüber einem rein managementgeführten Unternehmen aus?

„Lever Schaden as Schimp“ war schon vor der Unternehmensgründung der Wahlspruch meiner Familie. Heute steht mein Name auf jedem Produkt und bürgt für Qualität. Ich kann und werde nicht weglaufen; ich werde da sein und stehe für alles ein. Mit jeder Entscheidung setze ich größtenteils mein eigenes Vermögen aufs Spiel. Ich bin heute in fünfter Generation für ­Dräger verantwortlich und möchte das Unternehmen meinen Nachfolgern in einem noch besseren Zustand übergeben, als ich es einst übernommen habe. So kann auch unsere „Unternehmenspersönlichkeit“ weiterleben, die über die Generationen hinweg entstanden ist und das Denken und Handeln unserer Mitarbeiter von innen heraus geprägt hat. Dieses „Qualifizierte Überleben“ des Unternehmens gelingt nur mit authentisch nachhaltigem Handeln, nachhaltigem wirtschaftlichem Erfolg und dauerhaft zufriedenen Kunden, Lieferanten, Mitarbeitern und Geldgebern, also Banken und Aktionären.

Wir danken Ihnen für das interes­sante Gespräch!

redaktion@unternehmeredition.de


Zur Person

Stefan Dräger

Dipl.-Ing. Stefan Dräger (59) ist Vorstandsvorsitzender der Drägerwerk ­Verwaltungs-AG in Lübeck und führt das Unternehmen in der fünften Generation. Nach einer Etappe als Ingenieur für Prozessautomation in einer Unternehmensberatung ist er seit 1992 im Unternehmen seiner Familie ­tätig.
2003 wurde er zum Vorstand der ­Drägerwerk Verwaltungs-AG für den Bereich zentrale Aufgaben ernannt. Der Aufsichtsrat hat ihn am 1. Juli 2005 zum Vorstandsvorsitzenden berufen. Im Jahr 2014 übernahm er zusätzlich den Vorstandsvorsitz der Dräger-Stiftung.

www.draeger.com

Dieser Beitrag ist in der Unternehmeredition 2/2022 erschienen.

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