Investoren brachten Traditionsunternehmen zurück in den Familienschoß
Stefan Messer: Bestrebung, wieder Familienunternehmer zu werden
Dies ist die wahre Geschichte, wie Finanzinvestoren und ein zäher und mutiger Unternehmersohn ein einstmals zerschlagenes Imperium zurück in den Schoß der Familie erobert haben. Der 55-jährige Stefan Messer, der die heutige Messer Group in der dritten Generation leitet, hat sich selbst den Auftrag gegeben, die väterliche Firma zu erhalten. Das hat er sogar über den Familienfrieden gestellt. Seine Schwester wollte aussteigen und hatte hinter seinem Rücken Verkaufsverhandlungen geführt. Mit ihr hat er keinen Kontakt mehr. Von den drei Geschwistern ist nur noch Stefan Messers Familie an der Messer Group beteiligt, daneben die Adolf-Messer-Stiftung und mit einem kleinen Anteil die Familie einer Cousine. Was Messer auszeichnet, ist sein langer Atem bei der Bestrebung, wieder Familienunternehmer zu werden: “Deutschland ohne Familieneigentümer wäre wie ein Auto ohne Motor”, sagt er im Gespräch mit der Unternehmeredition. Messer Griesheim, so der Name damals, war bis Anfang der 90er Jahre in Deutschland mit Linde zusammen Marktführer für Industriegase. Diese werden zum Beispiel im Gesundheitswesen oder in der Umwelttechnik eingesetzt, etwa wenn Abwässer mit Sauerstoff und Ozon gereinigt werden oder bei der Müllverbrennung reiner Sauerstoff die Wirkung der Anlage verbessert. Am Heimatmarkt ist Messer allerdings erst kürzlich wieder eingestiegen. Denn die Firma musste ihr Stammgeschäft zuvor verkaufen, um die schwierigste Phase in der 112-jährigen Firmengeschichte zu überstehen.
Aufgezwungene Konzernstrategie
Messer Griesheim war 1965 aus dem Zusammenschluss des Familienunternehmens Messer mit Knapsack-Griesheim entstanden, einer Tochter des Chemie- und Pharmakonzerns Hoechst AG. Fortan waren Hoechst mit zwei Dritteln und die Familie Messer mit einem Drittel an dem Joint Venture beteiligt. Die Familie hatte aber die Hälfte der Stimmrechte und besaß somit bei allen wichtigen Entscheidungen ein Vetorecht. “Solange diejenigen am Ruder gewesen sind, die die ursprüngliche Zusammenarbeit vereinbart haben, war Messer Griesheim gut unterwegs”, sagt Stefan Messer am Firmensitz in Sulzbach bei Frankfurt. Die Schwierigkeiten hätten begonnen, als Hoechst sich zu einem reinen Anbieter von Arzneimitteln reduzierte. Mit Brutalität setzte Vorstandschef Jürgen Dormann von 1994 an seine Strategie durch: Die alte traditionelle Hoechst AG, die mit Farbenherstellung zur Weltfirma geworden war, auf den profitableren Pharma-Hersteller Sanofi-Aventis zu reduzieren.
“Ich sollte aus dem Unternehmen gedrängt werden”
Durch eine rasche Expansion sollte Messer Griesheim für den Verkauf aufgehübscht werden. Dabei setzte Dormann sein ganzes Vertrauen bei Messer Griesheim auf deren Chef, Herbert Rudolf, den noch Stefans Vater Hans eingesetzt hatte. Die Interessen der Familie im Aufsichtsrat und Gesellschafterausschuss sollte nach dem Tod von Stefan Messers Vater Nestlé-Verwaltungsratschef Helmut Maucher wahrnehmen. Er habe gedacht, es sei gut, wenn sich der Manager eines Weltkonzerns für die Belange der Familie einsetze, begründet Messer die Wahl. Doch damit lag er falsch. Maucher sei jeweils nur mit einem Blatt Papier und einem Stift zu den Sitzungen gekommen. Er sei professionelle Stäbe und fundiert vorbereitete Investitionsvorlagen gewöhnt gewesen. Das Gespür für einen Mittelständler habe Maucher gefehlt, so Messer. Auch Maucher billigte letztlich die Expansionsstrategie und bildete damit nicht das erhoffte Gegengewicht zu Dormann und Rudolf. Geschäftsführer Herbert Rudolf habe versucht, den jüngsten Messer-Spross aus dem Unternehmen zu drängen. Rudolf wollte unter der Regie von Hoechst und in ganz kurzer Zeit einen weitverzweigten Weltkonzern schaffen. Das funktioniere im Gase-Geschäft aber nicht in dieser Geschwindigkeit, sagt Stefan Messer heute. Auch die Kapitalintensität hätten weder Hoechst noch Herbert Rudolf jemals richtig verstanden.
1,7 Mrd. EUR Schulden – Sanierung überfällig
Rudolf soll weltweit Unternehmen gekauft haben – zu überhöhten Preisen. Das Ergebnis sei ein mehrfacher dreistelliger Millionenschaden. Und das alles hat dazu geführt, dass die Verschuldung explosionsartig in die Höhe geschossen ist. “Am Ende hatten wir 1,72 Mrd. EUR Finanzschulden, was in etwa der Höhe eines Jahresumsatzes entsprach. So viele Schulden konnten wir uns damals nur leisten, weil wir zu Hoechst gehörten.” Messer Griesheim musste saniert werden, die Hoechst-Anteile sollten an Finanzinvestoren verkauft werden. Auf den Messer-Gegner Rudolf folgte ein neuer Manager aus dem Hoechst-Vorstand an der Spitze der Geschäftsführung, Dormanns Finanzchef Klaus-Jürgen Schmieder. Goldman Sachs und Allianz Capital Partners organisierten die Finanzierung und übernahmen das Zwei-Drittel-Paket von Hoechst. Die Geschäftsführung trennte sich von 57 Tochtergesellschaften in 27 Ländern, baute 1.000 Stellen ab, fuhr die Kosten herunter und drückte die Schulden. “Private Equity-Unternehmen können wie in unserem Fall mit Mut und frischem Kapital erfolgreich in Notsituationen helfen”, so Messer.
Goldmann Sachs und Allianz Capital Partner als Retter
“Ich bin daher Goldman Sachs und Allianz Capital Partners sehr dankbar, obwohl ich den Preis für eine solche, zugegeben komplizierte, Transaktion für überzogen und im Vergleich zu operativ erzielbaren Gewinnen als nicht angemessen erachte. Es gibt in der Private Equity-Szene aber auch nutzlose Scharlatane, die nur auf einen schnellen Profit aus sind und ohne Herzblut Unternehmen zerstückeln bzw. in den Ruin treiben. Daher sollte man schon sehr darauf achten, mit wem man sich auf ein gemeinsames Abenteuer einlässt”, sagt Stefan Messer im Gespräch mit der Unternehmeredition. 2003, als es wieder besser ging, trat eine zweite Eigenschaft Stefan Messers offen zutage: Er sei tapfer, sagt der Unternehmer Jürgen Heraeus, heute Aufsichtsratschef der Messer-Gruppe. Die Investoren wollten aussteigen, Messer übernahm. “Das war meine Absicht von Anfang an: die Investoren herauskaufen.” Es wird ein kühner Plan ausgeheckt. Messer verkauft dafür seine drei größten Landesgesellschaften, einschließlich des deutschen Geschäfts.
22% Marge und das Geschäft brummt
Aber es kommt genug Geld herein, um die Finanzinvestoren auszuzahlen. Für Stefan Messer bleiben Mitteleuropa und Westeuropa, China, Vietnam und andere Regionen. In Deutschland darf er seit 2007 wieder Industriegase verkaufen. “Wir fangen hier ganz klein wieder an”, sagt Stefan Messer. Seit dem 7. Mai 2008 darf er das Industriegas wieder unter seinem Namen verkaufen. 2009 konnte Messer Umsatz und EBITDA auf 797 Mio. EUR bzw. 175 Mio. EUR steigern. Daraus errechnen sich 22% Marge, ein Tick mehr als bei Linde. Neue Anlagen sorgen dieses Jahr für neue Umsätze. Im August ging Salzgitter in Betrieb, auch in China starten einige Projekte. “Wir sind 2004 bei der Messer Group mit einem Umsatz von 500 Mio. EUR gestartet und werden im laufenden Jahr auf ca. 900 Mio. kommen. 2015 werden wir die 2-Mio.-Schallmauer durchbrechen – wie es dann weitergehen wird, ist die gemeinsame Herausforderung mit der nachfolgenden Generation”, so Messer. Das Buch “100 Prozent Messer” von Jörg Lesczenski, das offenkundig von Stefan Messer angeregt wurde, endet mit dem Sohn des Sohnes. Marcel Messer studiert Wirtschaft in London. Er soll sich “in Zukunft auf den Spuren seines Vaters bewegen”, heißt es dort.
Thomas Grether
redaktion@unternehmeredition.de
Kurzprofil Messer Group GmbH
Gründungsjahr: 1898
Branche: Industriegase
Unternehmenssitz: Sulzbach bei Frankfurt am Main
Mitarbeiter: 5.211
Umsatz 2009: 797 Mio. EUR
Internet: www.messergroup.com
Thomas Grether ist Gastautor.