Martin Semmelrogge: „Grenzgänger sind mir sympathischer als die Schöngefönten“

Interview mit Martin Semmelrogge, deutscher Schauspieler und Synchronsprecher

Neben seinem Erfolg in Deutschland feierte Martin Semmelrogge mit den Filmen "Das Boot" und "Schindlers Liste" auch internationale Erfolge.
Foto: © Markus Bronhold

Ob als Hilfsarbeiter „Schlucke“ im Kultfilm „Bang Boom Bang“ oder als Sonderermittler Jockel Pietsch in „Die Straßen von Berlin“ − Martin Semmelrogge ist aus der deutschen Film- und Fernsehlandschaft nicht wegzudenken. Mit den Filmen „Das Boot“ und „Schindlers Liste“ feierte er auch internationale Erfolge. Wir sprachen mit ihm über sein bewegtes Leben.

Unternehmeredition: Herr Semmelrogge, Sie sind in unzählige, sehr unterschiedliche Rollen in Film, TV und auf der Theaterbühne geschlüpft. Welche war Ihre liebste und gibt es etwas, das Sie nicht darstellen könnten oder möchten?

Martin Semmelrogge: Ich habe keine Lieblingsrolle. Das waren alles schöne Rollen, die ich gespielt habe. Die ganzen Bösewichte, das waren Menschen mit Seele und keine Rollen. Natürlich ist mir der „Schlucke“ sehr ans Herz gewachsen. Den liebt man, weil er ein unfreiwilliger Held ist. So ein Verlierertyp mit Brille und Hinkebein, da kannst du eh’ kein Mann mehr sein. Solche Menschen sind mir ans Herz gewachsen. Ich habe auch schon den Lagerkommandanten Adonis Schöpperle gespielt. Das war ein perfider Mensch und da ist es schwierig, aber auch dem konnte ich etwas abgewinnen.

Empfinden Sie Sym- oder Empathie für den Schurkentypus?

Ich spiele ja nicht nur Kriminelle und mag auch keine Klischeebösewichte, aber die Bösewichte sind halt interessanter. Das sind Grenzgänger, von der Gesellschaft ausgestoßene Menschen, und für die habe ich natürlich mehr Sympathie als für die Schöngefönten – ist doch logisch.

Warum sind Sie Schauspieler und nicht Unternehmer geworden?

Es geht mir nicht so ums Geld. Außerdem hat es sich so ergeben, weil ich nichts anderes gelernt habe (lacht). Aber auch als Schauspieler ist man praktisch Unternehmer, weil man sich selbst verkauft. Man hat sein Management, seine Anwälte und Agenturen. Als Schauspieler ist man Künstler und auch Geschäftsmann. Das habe ich schon früh geschnallt. Man muss seine „Marke“ immer wieder updaten und im Gespräch bleiben. Das hat mir mein Vater schon mit 15 Jahren eingebläut: Wenn du dich breit aufstellst mit Stimme, Film, Fernsehen, Bühne, Büchern und Schreiben, dann kannst du im Alter etwas mehr relaxen. Wichtig ist, dass du genug Kohle hast, um dich nicht der Meute ausliefern zu müssen.

Wie schafft man den Sprung aufs internationale Parkett?

Learning by Doing. Ich bin Schwabe und ein Cleverle (lacht) und kann mich ganz gut verkaufen. Meine Mutter hat immer gesagt, die Menschen und die Dinge müssen einem hinterherlaufen und nicht umgekehrt. Man darf sich nicht selbst anbieten wie Sauerbier, das ist verkehrt, aber ich glaube, das ist in der Unternehmensbranche nicht anders. Man muss die Leute immer wieder überraschen. Was natürlich auch wieder Arbeit bedeutet. Also habe ich doch ein Handwerk gelernt. Sonst könnte ich es ja nicht. Ich mache es auch schon lange, und natürlich lebe ich auch von meinem Image, meinem Verbrecher- und Gangsterimage (lacht).

Ich bin auf jeden Fall ein authentischer Mensch. Ich sage, was ich denke und habe eine eigene Meinung. Aber ich lasse es mir auch gut gehen und nehme gerne mit, was ich so mitnehmen kann. Was nützt mir viel Geld im Alter oder wenn ich sterbe. Das Leben ist endlich. Deshalb lebe ich jeden Tag gut mit meiner Frau. Wir haben jetzt geheiratet und leben auf Mallorca. Wichtig ist, dass meine Kinder auch einen guten Job haben und selbst Geld verdienen. Bildung, Bildung, Bildung, Wissen ist Macht. Es ist wichtig, das seinen Nachkommen mit auf den Weg zu geben.

Sie haben unter anderem bei einigen Reality-TV-Formaten mitgemacht. Ist das nicht unter Ihrem Niveau?

Ich bin jetzt 68 und das ist für mich immer eine schöne Herausforderung. Man kann in andere Länder reisen und wird sehr gut bezahlt, besser als beim deutschen Film, geschweige denn beim deutschen Fernsehen. Du hast keine große Arbeit, musst aber ein gutes Mindset haben. Es kommt ja nicht dauernd eine geile Serie oder ein geiler Film um die Ecke, da wir nur eine staatlich geförderte Filmindustrie in Deutschland haben und hierzulande Filme gemacht werden wie früher in der DDR. Da will jeder mitreden und du kannst eigentlich gar keinen anständigen Film machen.

Mein letzter anständiger Film war Limbo. Der war auch staatlich gefördert und das waren junge Leute, die ein tolles Drehbuch geschrieben und die Rolle auf mich zugeschrieben haben. Die sind konsequent ihren Weg gegangen und haben auch nicht viel Geld von der Filmförderung gewollt.

Filmförderung an sich ist gut, aber in Deutschland bietet sie einfach zu wenig. Selbst Tschechien gibt mehr Geld für die Filmförderung aus. Hinzu kommt, dass man die Gelder am Ende zurückzahlen muss, was natürlich die wenigsten können. Ich glaube, bloß Till Schweiger und Mathias Schweighöfer haben genügend Erfolg und können die Gelder zurückzahlen. Es ist eben eine schwierige Industrie. Disney hat jetzt eine Produktion abgesagt, bei der ich dabei sein sollte, weil sie nicht mehr in Deutschland produzieren. Indiana Jones war kein Erfolg. Tim Cruise mit Mission Impossible und Oppenheimer laufen gut. Netflix und Amazon Prime haben sich hierzulande durchgesetzt, aber Sky produziert gar nichts mehr in Deutschland.

Wie nutzen Sie Social Media und was halten Sie von den neuen Möglichkeiten durch KI?

Es ist zu spät, um ein Pessimist zu sein. Facebook und Instagram nutze ich manchmal ganz gern. Meine Frau ist da Spezialistin, aber ich bin kein Influencer, sondern mehr der Old-School-Typ. Mir ist das zu viel Arbeit. Ich bin Künstler und kein Sklave der Öffentlichkeit.

Und KI – ich hoffe, die werden nicht irgendwann mal die Welt regieren, wenn man sie intelligent füttert. Ich glaube, 60-70% der Weltbevölkerung ist die KI heute schon überlegen und wenn sie den richtigen Dr. No-Bösewicht dran hat, der sie füttert, wird sie irgendwann gegen uns kämpfen wie im Bond-Film Spectre. Es wird sicher kein Shakespeare, Becket, Goethe oder Schiller aus der KI entspringen, aber sie ist natürlich sehr hilfreich. Man braucht keine Komparsen oder Synchronsprecher mehr und spart sich Geld. Natürlich kann dann jeder meine Stimme nachmachen und die Rechte dafür sind noch nicht einmal geklärt. Was mich aber beruhigt: Live auf der Bühne kann die KI einen Martin Semmelrogge, Matthias Brandt, Marko Putisek oder eine Cate Blanchett nicht ersetzen. Und auch nicht David Hasselhoff oder meinen Rocky Horror Show Kollegen Sky Dumont. Sowas Geniales kann die KI nicht erzeugen (lacht).

Welche Pläne haben Sie für die Zukunft?

Ich bin Idealist, das heißt, ich habe schon noch Träume und Pläne, aber über so etwas redet man besser nicht – sonst geht es nicht in Erfüllung. Ich lebe im Heute und gucke nach vorne, und wenn das Universum einem gut gewogen ist, dann kommt auch immer irgendetwas und manchmal sogar genau das, was man sich wünscht. Oder man wird überrascht, aber dafür muss man auch offen sein. Zum Teil bin ich aber auch fatalistisch und denke: Es kommt, wie es kommt.

Ich würde gern noch einmal in einem tollen Filmprojekt mitspielen, zum Beispiel in einer Serie wie Yellowstone mit Kevin Costner, oder in Serien wie Monaco Franze oder Kir Royal, die man gern anschaut, weil sie Charme haben. Letztens habe ich die siebenteilige Netflix-Serie „Hollywood“ gesehen; die ist witzig. Ansonsten würde ich mich freuen, mal einen Kommissar wie „Columbo“ oder „Kottan“ zu spielen. Den klassischen Mephisto am Theater könnte ich mir auch noch einmal vorstellen.

Vielen Dank für die interessanten Einblicke, lieber Herr Semmelrogge!

Das Interview führte Eva Rathgeber.


ZUR PERSON

Foto: © Markus Bronhold

Martin Semmelrogge wurde als Sohn des Schauspielers Willy Semmelrogge geboren und besuchte eine Waldorfschule. Schon mit zwölf Jahren begann er, als Sprecher für Hörspiele zu arbeiten. Mit 16 gab Martin Semmelrogge sein Debüt als Schauspieler in der Serie „Der Kommissar“. Daraufhin war er in unzähligen Fernsehproduktionen wie „Die Vorstadtkrokodile“ oder „Tatort“ zu sehen. Der große Durchbruch folgte 1981 mit einer Rolle in Wolfgang Petersens „Das Boot“.

 

 


KURZPROFIL

Geboren: 1955 in Boll-Eckwälden (Baden-Württemberg)

Familienstand: verheiratet in dritter Ehe, zwei uneheliche Kinder

Beruf: Schauspieler und Synchronsprecher

Hobbys: Sport, meine zwei Hunde, Motorräder, Oldtimer, Lesen, Golf

Instagram: https://www.instagram.com/martin_semmelrogge_official/?hl=de

 

Dieser Beitrag ist in der Unternehmeredition-Magazinausgabe 4/2023 erschienen. Zum E-Paper geht es hier.

Autorenprofil

Als Chefredakteurin der Unternehmeredition berichtet Eva Rathgeber regelmäßig über Unternehmen und das Wirtschaftsgeschehen. Sie verfügt über langjährige Erfahrung im Wirtschaftsjournalismus und in der PR.

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