Einhorn und Leitwolf

Einhorn-Kondome mischen einen gefestigten Markt auf. Das Start-up erfüllt sämtliche Berliner Klischees und begreift sich als hipper Vorreiter einer Bewegung. Ihr Produkt wird Mittel zum Zweck.

Selbstverwirklichung oder Anarchie?

Waldemar und Philip wollen weiter hoch hinaus. Wenn es nach ihnen ginge, würden sie gerne als nächsten Vorstoß mit Einhorn in die USA expandieren. Ihre Motivation, das Reichwerden, steckt noch immer in ihren Genen, aber dass sie sich tatsächlich hinterfragen, zeigt Folgendes: Das Einhornteam hat sich mehrheitlich dagegen ausgesprochen und möchte stattdessen mehr an internen Beziehungen arbeiten. Die beiden Gründer haben sich gefügt.

Ob Philip und Waldemar die Chefs von Einhorn sind, lässt sich nicht so einfach beantworten. Sie sind zweifellos die Gründer und auch das Aushängeschild des Start-ups. „Die beiden haben einfach eine Autorität“, bekräftigt Kollegin Elisa. Gleichzeitig macht sie aber auch den Medien den Vorwurf, sie immer als Chefs zu sehen und primär mit ihnen sprechen zu wollen. Der Arbeitsalltag zeichnet ein anderes Bild. Philip und Waldemar haben unterschrieben, dass sie gegenüber dem Team nicht mehr weisungsbefugt sind. Was nach unternehmerischer Anarchie klingt, ist für die Einhörner der Traum von Selbstverwirklichung. Philip erklärt, dass er alle Beteiligten verantwortlich und vertrauensvoll in den Wertschöpfungsprozess einbeziehen wolle. Auch Waldemar schließt daran an, dass die Teammitglieder durch hohe Transparenz und Mitspracherecht zu Mitunternehmern würden. Je größer die Entscheidung im eigenen Tätigkeitsbereich sei, umso mehr Informationen und Rückendeckung hole man sich von den Kollegen. Dass die interne Kommunikation nicht mehr top-down funktionieren muss, sondern die Vernetzung untereinander emanzipiert und eigenständig laufen kann, ist laut Philip und Elisa vor allem modernen Messenger-Diensten zu verdanken.

Die betriebliche Basisdemokratie geht so weit, dass eine eigenständige Einstufung der Gehaltsvorstellungen erlaubt ist. Nach Rücksprache mit der Belegschaft kamen nach eigenen Angaben alle zu ihrem Wunschgehalt. Den Hintergrund für die Selbstbestimmung aller Einhörner fasst der Gründer Philip gewohnt salopp zusammen: „Wir in der Firma wollen ermöglichen, dass du als Mitarbeiter deine Ziele erreichst. Die Motivation, dass die da oben sich einen Porsche kaufen können, ist den Leuten nicht mehr so wichtig.“

Einhorn-Kondome heißt: nicht mehr das schnellste Pferd sein

Kondom-Automat im Büro: Mit Tabuthemen des Alltags spielerisch umgehen. © Lukas Niggel

Die schnelle Million zu machen ist weder Philip noch Waldemar gelungen. Ihre Aufmerksamkeit bekommen sie nun, nachdem sie auf ein anderes Pferd gesetzt haben. Auf ein Pferd, das nicht das schnellste sein will, aber dafür einen „Fairplay-Preis“ gewinnen will.
„Ich will den Kapitalismus anfucken, ich will das hacken, ich will, dass die Kids lieber so eine Firma gründen, wie wir das tun.“ Philip möchte alte Strukturen aufbrechen, als Beispiel vorangehen und die Menschen inspirieren – ihnen den Kopf zu drehen in eine Richtung, die ihnen hilft, glücklich zu sein. Am Ende geht es nicht mehr primär um das Kondom für Philip und Elisa. Sie verstehen sich als eine Bewegung, die Mitstreiter und Nachahmer sucht. Der Stein ist ins Rollen geraten; ob es zu einem Erdrutsch kommt, wird sich zeigen. Fürs Erste ist ihnen die Aufmerksamkeit sicher: Bei Vorträgen bringt Philip seine Vision auf die Bühne. Der Konzernchef im Publikum applaudiert.

 


Zu den Personen

Der Diplom-Ingenieur Philip Siefer gründete Anfang 2015 gemeinsam mit Waldemar Zeiler sein zweites Start-up, die einhorn products GmbH, in Berlin-Kreuzberg. Der 34-jährige Jungunternehmer hat unterschrieben, dass seine 17 Kollegen nicht ihm gegenüber weisungsgebunden sind. Einhorn versucht sich an einer progressiven Unternehmenskultur.
Elisa Naranjo ist für Nachhaltigkeit und Fairness im Produktionsprozess verantwortlich. Sie studierte an der Copenhagen Business School und kam ein halbes Jahr nach der Unternehmensgründung im Jahr 2015 zu Einhorn. Ihr Eifer für eine sozialverträgliche Arbeitskultur sowie eine umweltfreundliche Produktion bringt ihr das Image als moralisches Gewissen des Unternehmens ein.

www.einhorn.my

 

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