„Man muss sehr stark auf den Mehrwert für das Business achten“

Interview mit Benjamin Kleidt, Partner, Deutsche Private Equity (DPE)

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Zahlreiche Studien belegen: die Digitalisierung ist ein Wachstumstreiber. Und doch hinken zu viele mittelständische Unternehmen immer noch hinterher. Woran liegt es und wie kann Abhilfe geschaffen werden? Welche Vorteile bringt die Digitalisierung und welche Strategie ist dabei zu empfehlen? Wir sprachen darüber mit dem Digitalisierungsexperten Benjamin Kleidt, Partner bei Deutsche Private Equity (DPE). INTERVIEW EVA RATHGEBER

Unternehmeredition: Wie beurteilen Sie den Stand der Digitalisierung in den mittelständischen Betrieben?

Dr. Benjamin Kleidt: Grundsätzlich bewegt sich der Markt aus unserer Sicht in eine gute Richtung. Wir sehen in unserer Arbeit viele Unternehmen, die bereits hervorragend aufgestellt sind. Es sind oftmals die etwas jüngeren Unternehmen, die aufgrund ihrer Industrie wie zum Beispiel E-Commerce, Technologie oder Telekommunikation von Hause aus digital oder techaffin sind. Andererseits findet man auch immer noch die Digitalwüste vor, d.h., Unternehmen arbeiten noch sehr manuell, verfügen über zu wenig Daten und Steuerungsinformationen und bespielen digitale Kanäle im Kontakt zu ihren Kunden zu wenig aktiv. Man kann da – ohne jedes Unternehmen über einen Kamm scheren zu wollen – einen gewissen Bezug zu den Industrien herstellen. Während das Baugewerbe oder die Landwirtschaft noch am Anfang der Digitalisierung stehen, sind viele Unternehmen im Handel oder der Finanzindustrie schon weiter.

Warum tun sich traditionellere Industrien häufig schwer mit der Digitalisierung?

Ich glaube, dass viele Unternehmen in einer Art „Weiter so!“ gefangen sind. Ihr Geschäftsmodell und ihre Herangehensweise waren oft über lange Zeit erfolgreich. Wenn sie nicht genügend Druck vom Markt verspüren, verändern sie sich nicht, sondern verharren zu sehr im Bestehenden. Mindestens genauso wichtig: ich glaube, dass viele Unternehmen sich schwertun, einen klaren Zugang zur Digitalisierung zu finden, weil sie nicht mit ihr groß geworden sind und vor allem auch, weil sie weder das Personal noch die Kompetenz im Hause haben. Oftmals fehlt auch der Kontakt zu den richtigen Beratern bzw. Spezialisten, die noch dazu teuer sind und ein gesondertes Budget erfordern. All diese Aspekte erschweren den Einstieg in das Thema, erst recht, wenn Vorteile der Digitalisierung erstmal nicht so einfach in Zahlen oder Business Cases greifbar scheinen. Da hilft es dann, wenn man einen Partner wie einen Investor an der Seite hat, der nicht nur Kapital einbringt, sondern durch Netzwerk und Erfahrung dabei unterstützt, sich dieser Herausforderung anzunehmen und entsprechende Zugänge ermöglicht.

Was könnte man diesen Firmen empfehlen?

Die Digitalisierung muss bei allen Firmen ganz oben auf die Agenda der Geschäftsführung bzw. der Gesellschafter, und zwar als Thema, das man systematisch für sich erschließt. Die Dynamik ist ja auch hoch: Entwicklungen im Bereich der Cyber Sicherheit oder KI verlaufen schnell. Gerade KI-basierte Tools und Technologien drängen sich ins Bewusstsein und befeuern und beschleunigen die Digitalisierung weiter. Wir hören von Chat GPT, KI-gestützten Chatbots und virtuellen Assistenten, Bild- und Spracherkennung, Predictive Analytics, Robotic Process Automation und vielem mehr. Die Entwicklung schreitet teils so massiv voran, dass es nicht einfach ist, hier am Ball zu bleiben. Und jeder fragt sich, was das jetzt für einen selbst bedeutet. Als Privatperson und als Teil eines Unternehmens. Es ist einfach wichtig, sich aktiv und zeitnah mit diesen Themen zu beschäftigen. Insofern müssen Unternehmer und Geschäftsführer diese Themen auf die Agenda setzen und systematisch erarbeiten, was aus strategischer und operativer Sicht zu tun ist.

Was für Mehrwerte kann einem das denn bringen?

Betriebswirtschaftlich können gut digitalisierte Firmen auf Basis meiner Erfahrungen grundsätzlich schneller wachsen und profitabler arbeiten als vergleichbare Firmen, die es nicht sind. Wenn man als Unternehmen beispielsweise über einen sehr gut strukturierten digitalen Vertriebskanal mit einem entsprechenden digitalen Marketing verfügt, dann ist es einfacher, Marketingbudgets zielgerecht zu steuern und die Kundenansprache zu optimieren. Aufgrund der Daten und damit verbundenen Transparenz versteht ein Unternehmen seine Zielgruppe deutlich besser, sodass man dann weitere maßgeschneiderte Produkte und Services anbieten kann. Und man wird auch bessere Preise realisieren können, weil viel mehr Transparenz über die Zahlungsbereitschaft eines Kunden vorhanden ist. Gleichzeitig lässt sich über eine gute ‘Customer Experience’ die Kundenzufriedenheit steigern.

Daneben gibt es viele Automatisierungspotenziale und diese Automatisierung wird immer helfen, Kosten zu sparen oder gar nicht erst aufzubauen. Einen weiteren wichtigen Effekt sehe ich darin, dass hohe digitale Reife einen gut strukturierten Überblick über alle internen und externen relevanten Daten ermöglicht. Und mit diesen Daten kann man in vielen Situationen deutlich fundiertere unternehmerische Entscheidungen treffen.

Sehen Sie denn trotz des großen Nachholbedarfs einen Trend nach oben?

Ja, ich sehe einen Trend nach oben, aber für mich persönlich kommt dieser nicht schnell genug. Ich appelliere deshalb an jeden Gesellschafter, Geschäftsführer und alle Mitarbeiter, die Digitalisierungspotenziale im eigenen Unternehmen wahrzunehmen und zu heben. Fällt dies schwer, hilft es, den Blick zum Beispiel auf internationale Märkte zu richten, wo Wettbewerber vielleicht schon weiter sind. Darüber hinaus ist es von Vorteil, sich kontinuierlich intern und extern auszutauschen oder Konferenzen rund um die Digitalisierung zu besuchen, um so den eigenen Nutzen zu identifizieren und handlungsfähig zu werden.

Man kann übrigens auch feststellen, dass Unternehmen, die der Digitalisierung offen und proaktiv gegenüber stehen mit der Problematik des Fachkräftemangels besser zurechtkommen, weil sie häufig als attraktivere und modernere Arbeitgeber wahrgenommen werden. Gerade für junge Arbeitnehmer ist es besonders wichtig, am Arbeitsplatz digitale Infrastrukturen vorzufinden. Interessant wird in den nächsten Monaten sein, wie sich viele Unternehmen in der momentanen Phase der Unsicherheit und der verschiedenen Krisenszenarien weiter aufstellen und ob sie weiter in Digitalisierung investieren können und wollen. Grundsätzlich können intelligente Digitalisierungsansätze bei der Krisenbewältigung helfen, beispielsweise weil man mehr Transparenz über Markt- und Kundenentwicklungen hat, Prozesse effizienter gestalten und die eigenen Kosten flexibler steuern kann. Insofern raten wir häufig Krisen zu nutzen, um die internen Strukturen weiter zu verbessern, sofern es sich eine Firma leisten kann.

Welche Chancen bietet die Zusammenarbeit mit einem Private-Equity-Investor?

Investoren können ein Partner der Geschäftsführung sein, der seine Erfahrungen und Netzwerke für die Unternehmen zugänglich macht. Die Geschäftsführung kann diese in ihre Entscheidungsfindung einfließen lassen und so einen klaren und strukturierten Ansatz erarbeiten, der der Gesamtstrategie des Unternehmens folgt und mit entsprechenden Kapitalmaßnahmen unterlegt wird. Eine Digitalisierung als Investitionsmaßnahme zu begreifen, hilft, um mehr Klarheit über die gewünschten Ergebnisse zu bekommen und so die Disziplin in der Umsetzung zu verbessern.

Worauf muss ein Mittelständler achten, wenn er die Chancen der digitalen Wertschöpfung erfolgreich nutzen will?

Digitalisierung ist kein Selbstzweck, sie folgt einem konkreten Ziel und das kann darin liegen, schneller zu wachsen, internationaler zu werden, neue Standorte aufzubauen oder auch effizienter zu arbeiten. Es ist wichtig, sich zunächst Gedanken über die Strategie der Gesellschaft zu machen bzw. ein klares strategische Zielbild zu erarbeiten, bevor man loslegt. Die Digitalisierung sollte sich dieser Strategie dann unterordnen bzw. darauf einzahlen.  Parallel dazu muss es eine entsprechende Ressourcen- und Kompetenzausstattung geben, indem man entweder bestehende Mitarbeiter an dieses Thema heranführt oder sich Digitalexperten von außen ins Unternehmen holt. Was übrigens nicht immer einfach ist und nicht zuletzt standortabhängig sein kann. Auch da bedarf es einer starken strategischen Story, um Talente zu überzeugen. Und dann sollte man im Rahmen dieses Gesamtkonzepts anfangen, Projekte und Piloten auf den Weg zu bringen. Ein wichtiges Stichwort ist hier agil zu bleiben, auch gegen kontrollierte Experimente ist nichts einzuwenden. Es geht also nicht unbedingt darum, das Ziel in fünf Jahren schon heute anzuvisieren. Viel besser ist es, den Weg in kleine Etappen zu unterteilen und so einen Meilenstein nach dem anderen zu realisieren. So lernt man, was funktioniert, und, was nicht funktioniert, und kann rechtzeitig anpassen. Ich würde auch bei der Partner- und Beraterauswahl sehr sorgfältig auf die Belange des Unternehmens abstellen und viel Energie in die Auswahlprozesse investieren.

Können Sie uns für diese Herangehensweise vielleicht mal ein Beispiel geben?

Im Jahr 2018 haben wir in ein IT-Services-Unternehmen investiert. Unser gemeinsames strategisches Ziel war es, sowohl organisch als auch anorganisch zu wachsen, neue Beratungsfelder zu erschließen und die Firma zu internationalisieren. Die ca. 250-mannstarke Firma verfügte zu dieser Zeit noch nicht über die nötigen Prozesse und Strukturen, um dieses Ziel zu realisieren und im Markt als Konsolidierungsplattform aufzutreten. In unserer Zeit als Gesellschafter passte das Management das Operating Model sehr stark an, indem durch eine weitgehende Erneuerung der Systemlandschaft mehr oder weniger alle wesentlichen Unternehmensprozesse automatisiert wurden. Unter anderem wurde ein neues Customer-Relationship-Management-System eingeführt, das ERP-System runderneuert und um mobile Applikationen für die Erfassung von Arbeitszeiten und Reisekosten ergänzt. So entstand viel mehr Transparenz über Auslastung und Kapazitäten der Berater, was die Besetzung von Projekten erheblich verbesserte. Um allen Führungskräften entsprechende Informationen adressatengerecht zur Verfügung zu stellen, wurde ein Business Intelligence System inklusive leistungsfähiger Analysetools aufgesetzt. Um den Projektverkaufsprozess zu unterstützen, wurde das Online Marketing ausgebaut und um eine Marketingautomatisierungslösung ergänzt. Während der Coronapandemie hat uns diese Technologie entscheidend geholfen, Webinare bequem und effizient durchzuführen Dem Thema Microsoft Teams und Remote Work hatte sich die Firma bereits vor Corona gewidmet. Für alle anderen Veränderungen haben wir ca. drei bis vier Jahre gebraucht. Aber es hat sich gelohnt.

Und wie war das Ergebnis?

Das Ergebnis war positiv. Auch wenn man dafür einen längeren Atem gebraucht hat und viele Nachbesserungen nötig waren. Das Gute an dem Projekt war, dass sich bereits nach den ersten größeren, arbeitsintensiven Veränderungen sehr schnell ein Erfolg eingestellt hat und die Beteiligten von der Digitalisierung profitiert haben. Mit einem Blick auf die Zahlen kann man sagen, dass durch die Schaffung der digitalen Infrastruktur der Umsatz selbst während der Coronazeit weiterwachsen konnte und das Unternehmen somit krisenresistenter geworden ist.

Wie groß ist Ihr Digitalisierungsteam? Haben Sie für jeden Bereich Spezialisten, welche die Teams vor Ort beraten?

Unser Digitalisierungsteam besteht aus drei Experten. Gemeinsam verfügen wir über Kompetenzen im Bereich Digitalstrategie, digitalen Marketing und Vertrieb, Digital Operating Model sowie künstlicher Intelligenz. Darüber hinaus haben wir durch unser gutes Netzwerk den Zugang zu vertrauensvollen Experten, die alle erforderlichen Disziplinen abdecken und es gewohnt sind, definierte Vorhaben im Auftrag von Geschäftsführern und Entscheidern im Unternehmen umzusetzen.

Darüber hinaus haben wir durch unser Netzwerk den Zugang zu vertrauensvollen Experten, die alle erforderlichen Disziplinen abdecken und es gewohnt sind, definierte Vorhaben im Auftrag von Geschäftsführern und Entscheidern im Unternehmen umzusetzen.

Wo sehen Sie weitere Erfolgsfaktoren für eine Digitalisierung?

Zum einen empfiehlt es sich, bei der Implementierung notwendiger IT-Systeme, nicht notwendigerweise jede prozessuale Sonderlocke, die sich über die Jahre eingeschlichen hat, in den Systemen abzubilden. Digitalisierung ist eine gute Gelegenheit den Status Quo zu hinterfragen, um nach Möglichkeit auf Standardlösungen zu setzen. Das spart Komplexität und Kosten gegenüber mancher Individuallösung und damit verbundenen Abhängigkeiten.

Einen weiteren bedeutenden Aspekt sehe ich in einer starken Orientierung darin, bei der Digitalisierung auf möglichst unmittelbaren Mehrwert für das Business und besonders den Nutzer abzustellen. Je höher der für die Mitarbeiter des Unternehmens ausfällt, umso mehr Unterstützung erhält das Vorhaben, zum Beispiel dadurch, dass mühselige, manuelle Arbeiten wegfallen und man mehr Zeit für wesentliche, werttreibende Aufgaben hat.

Nicht zuletzt ist die Kommunikation entscheidend: Nur wer es schafft, die Mehrwerte zu kommunizieren, wird sein Unternehmen erfolgreich digitalisieren.


ZUR PERSON

Foto: © DPE

Dr. Benjamin Kleidt ist Partner bei DPE Deutsche Private Equity, wo er sich vor allem um Investitionen in den Bereichen IT Services, Software und digitale Geschäftsmodelle kümmert. Vor seinem Wechsel zu DPE war er als COO von Talenthouse, einem Start-up im Online und Content Marketing, für das operative Geschäft verantwortlich. Zuvor hatte er Geschäftsführungsrollen bei der ProSiebenSat.1 Group, in denen er sich mit der digitalen Transformation des Mediengeschäfts auseinandersetzte. Er begann seine Laufbahn bei McKinsey, wo er fünf Jahre lang Unternehmen aus der Finanzbranche beriet.

 

Dieser Beitrag erscheint in der nächsten Magazinausgabe der Unternehmeredition mit Themenschwerpunkt “Unternehmensfinanzierung”.

Autorenprofil

Als Chefredakteurin der Unternehmeredition berichtet Eva Rathgeber regelmäßig über Unternehmen und das Wirtschaftsgeschehen. Sie verfügt über langjährige Erfahrung im Wirtschaftsjournalismus und in der PR.

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