Künstliche Intelligenz – mehr als eine Spielerei

Die neue Technologie bietet Mehrwerte für Unternehmen, wenn sie den Bedürfnissen entsprechend eingesetzt wird

Foto: © buraratn_AdobeStock

Im Jahr 1998 startete ein 82-jähriger ehemaliger US-Gesundheitsinspektor eine Website für Gesundheitsinhalte, deren Wert auf über 1 Mrd. USD geschätzt wurde, obwohl sie jährlich nur ein paar 100.000 USD einnahm. Die Investorenhysterie rund um DrKoop.com wurde zu einer lehrreichen Geschichte über Blasen und neue Technologien. Heute warnen einige Marktbeobachter davor, dass sich die Geschichte angesichts des rasanten Wachstums der künstlichen Intelligenz (KI) wiederholen könnte. Es wäre jedoch ein Fehler, KI auf eine Spielerei zu reduzieren. Obwohl sie noch in den Kinderschuhen steckt, schafft sie für viele Unternehmen bereits einen echten Mehrwert.

Während des Dotcombooms in den späten 1990er-Jahren und des raschen Aufstiegs von Unternehmen wie DrKoop.com fügten einige Firmen zynischerweise „Internet“ oder „.com“ zu ihrem Namen hinzu, um ihre Aktienkurse in die Höhe zu treiben. Das funktionierte nur deshalb, weil viele Investoren das Internet nicht verstanden, der Marketingpropaganda glaubten, dass alles möglich sei, und Angst hatten, die Chance auf hohe Renditen zu verpassen.

Auch wenn bisher keine Anzeichen für eine Blase im Zusammenhang mit KI sprechen, scheint sich die Kluft zwischen Wahrnehmung und Realität zu vergrößern. Dabei spielt die Aussicht auf zukünftige Anwendungen eine zentrale Rolle. Von den 500 größten börsennotierten Unternehmen in den USA verzeichneten diejenigen, die KI in ihren Gewinnmitteilungen für das vierte Quartal 2023 erwähnten, im vergangenen Jahr einen durchschnittlichen Kursanstieg von 28,6%.

Potenziale von KI erkennen und umsetzen

Daraus sollten alle Investoren und Unternehmen die Lehre ziehen, sich nicht von der Vermarktung von KI blenden zu lassen, sondern sich auf die Bedürfnisse der Unternehmen und die heutige Realität zu konzentrieren. Was ist der geschäftliche Nutzen von KI? Wofür setzen Unternehmen künstliche Intelligenz ein und was ist machbar?
Als aktiver Investor in etwa 50 Unternehmen im europäischen Mittelstand unterstützt Triton das Management seiner Unternehmen bei der Umsetzung strategischer, operativer und finanzieller Verbesserungen und erhält dabei Einblicke in eine Vielzahl unterschiedlicher Anwendungsfälle für KI. Es mag überraschen, aber viele dieser Anwendungsfälle finden sich vor allem in Unternehmen aus Branchen, die traditionell nicht als „digital” gelten, beispielsweise Industrie und Unternehmensdienstleistungen.
Zu den Stärken von künstlicher Intelligenz zählt die Freisetzung menschlichen Potenzials. Eine Software muss nicht schlafen, sie ist nicht unkonzentriert und kann in einem Tempo agieren, das kein Mensch erreichen kann. Wenn KI richtig eingesetzt wird, können die Menschen in den Unternehmen ihre Talente und ihre Zeit auf Aufgaben konzentrieren, die kreativer sind, Zusammenarbeit erfordern und darauf ausgerichtet sind, mehr Wert zu schaffen.

DeepOcean als Vorreiter

Ein Paradebeispiel ist DeepOcean, ein führender Anbieter von maritimen Dienstleistungen. Das Unternehmen unterstützt die Energiewende mit Dienstleistungen wie Vermessungen, Engineering, Projektmanagement, Installation bis hin zu Wartung und Recycling. Ein wichtiger Teil der Dienstleistungen ist die Inspektion von Pipelines und Kabeln auf dem Meeresboden – eine zeitaufwendige manuelle Aufgabe, bei der Fehler teuer werden können. KI trägt dazu bei, diesen Bereich des DeepOcean-Geschäfts zu revolutionieren, indem sie die Überprüfung von Unterwasservideoaufnahmen automatisiert, Probleme für die manuelle Überprüfung markiert und notwendige Nacharbeiten für die Kunden identifiziert. Die Technologie ist so ausgeklügelt, dass sie nicht nur Probleme an oder in der Nähe der Infrastruktur des Kunden erkennt, um sicherzustellen, dass diese behoben werden: Vielmehr ist sie auch in der Lage, potenzielle Fehlalarme, die durch Tiere und andere Meereslebewesen verursacht werden könnten, rasch zu identifizieren. Das Ergebnis sind schnellere Inspektionen, einheitlichere Berichte und eine effizientere Nutzung der Zeit der Ingenieure des Unternehmens.

KI bei IFCO: Effiziente Logistik und Umweltschutz durch Track & Trace

Die Effizienzgewinne, die durch KI erreicht werden können, ergeben sich nicht nur aus der Automatisierung von Aufgaben, sondern auch dadurch, dass bestimmte Aufgaben vollständig entfallen. IFCO ist ein weltweit tätiges Unternehmen, das Mehrwegverpackungen als Dienstleistung anbietet, und hilft seinen Kunden, die Umweltauswirkungen des Transports von Frischwaren zu reduzieren. IFCO ist in der Lage, den Standort seiner Behälter während des Transports zu verfolgen, um die Effizienz der täglichen Lieferketten zu gewährleisten. Dieses Tracking ermöglicht IFCO eine bessere Geschäftsplanung, trägt zur Vermeidung von Lebensmittelverschwendung bei und liefert wichtige Informationen an seine Kunden, bei denen es sich häufig um große Lebensmittelhändler handelt. Typischerweise wird dies durch Track-and-Trace-Technologie mit physischen Sensoren erreicht, die an den Kisten angebracht sind und Updates liefern.
KI ändert dies, indem sie die angereicherten Daten von Track-and-Trace-fähigen Kisten analysiert und dann Prognosemodelle erstellt, die auf maschinellem Lernen basieren. Diese können anschließend auf Kistenströme angewendet werden, die nicht mit Sensoren ausgestattet sind. Dadurch werden Kosten, Logistikströme und CO2-Emissionen reduziert, was letztlich die Effizienz steigert, ohne die wertvollen Standortdaten zu verlieren, die sowohl für IFCO als auch für seine Kunden wichtig sind. KI-basierte Bildverarbeitung ist ebenfalls entscheidend, um fehlerhafte Kisten zu erkennen und die Qualität der Reinigung sicherzustellen.

FAZIT

Bei jeder neuen und schnell wachsenden Technologie ist es nur richtig, darüber nachzudenken, wie sie die Welt verändert und welche Grenzen oder Schutzmaßnahmen eingeführt werden müssen. Es wäre jedoch ein Fehler, die positiven Auswirkungen und die immer wieder neuen und wertsteigernden Anwendungsfälle zu ignorieren, die KI bereits abdeckt. Mit zunehmender Reife und Verbreitung von künstlicher Intelligenz ist es entscheidend, dass Investoren und Unternehmen erkennen, wie KI bereits heute die Wirtschaft verändert.

Dieser Gastbeitrag ist in der Unternehmeredition 2_24 Unternehmensfinanzierung erschienen.

Autorenprofil
Anders Thulin

Anders Thulin ist Partner und Leiter der Digital Practice bei Triton Partners, einer auf den Mittelstand spezialisierten europäischen Beteiligungsgesellschaft. Triton konzentriert sich auf Investitionen in Unternehmen, die geschäftskritische Produkte und Dienstleistungen in den Bereichen Industrie, Unternehmensdienstleistungen und Gesundheitswesen anbieten. Zuvor war Thulin in verschiedenen Positionen bei Ericsson tätig, darunter Senior Vice President, CIO und Vorsitzender der Region Lateinamerika.

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