Krisen, wohin das Auge reicht – und das seit vielen Jahren. Erst die Coronapandemie und dann der russische Angriffskrieg auf die Ukraine. Prognosen werden in einem solchen Klima nicht leichter – und damit bleibt auch der Unternehmensverkauf schwierig. Ist das wirklich so? Oder geht es nicht schon langsam wieder aufwärts? Wir haben mit Brancheninsidern über die aktuelle Stimmung im M&A-Markt gesprochen.
Insgesamt sind die optimistischen Stimmen in der Mehrheit. Das vergangene Jahr war „kein Spaziergang“, aber spätestens seit dem Frühjahr 2023 ist wieder viel Bewegung im Markt. „Wir hatten ein sehr erfolgreiches erstes Halbjahr 2023 im Transaktionsbereich und konnten bislang noch keine wesentliche Veränderung der Transaktionstätigkeit gegenüber den beiden Vorjahren feststellen, auch wenn wir von unseren Mandanten und im Markt regelmäßig hören, dass sich das M&A-Umfeld ebenso wie das für VC-Finanzierungen deutlich verschlechtert hat. Wir gehen davon aus, dass dies zum einen an unserem Fokus auf Small- und Mid-Cap-Transaktionen mit klarem Technologie- und Sektorfokus liegt“, erklärt Martin Sundermann von Osborne Clarke Rechtsanwälte. In diesem Bereich seien die Übertreibungen im Markt weniger stark gewesen. Zugleich bestehe die Notwendigkeit zu strategischen Zukäufen gerade bei Technologie mehr denn je. Claudius Graf Plettenberg von Plettenberg Familienkapital ergänzt: „Auf die Entwicklung unseres Marktsegments schauen wir sehr positiv. Viele Nachfolgesituationen werden in der nächsten Zeit auf den deutschen Mittelstand zukommen und als familiär geprägte Beteiligungsgesellschaft sind wir in solchen Situationen ein anerkannter und nachgefragter Partner“. Damit spricht er einen sich verfestigenden Trend an, dass immer mehr Unternehmer auf der Suche nach einer Nachfolgelösung sind. Das liegt zum einen an der demographischen Entwicklung, denn die Babyboomer erreichen das Rentenalter. Zugleich entschließen sich Inhaber immer früher dazu, ihr Unternehmen in neue Hände zu geben.
Neues Rekordjahr in Sicht?
Noch optimistischer blickt Nicolas Gutbrod von SGP Corporate Finance auf die verbleibenden Monate: „Wir rechnen erneut mit einem Rekordjahr“. Es gebe eine volle Pipeline mit spannenden Deal-Möglichkeiten. Mit der etwas breiteren Fokussierung auf mittelgroße sowie auch auf kleinere Transaktionen zahle sich das gute Netzwerk der Schneider Geiwitz Gruppe weiter aus. SGP Corporate Finance ist parallel im klassischen M&A-Sektor unterwegs, begleitet aber auch Distressed-M&A-Transaktionen. Gutbrods Spezialität sind Add-On-Investments für Private-Equity-Plattformen in Wachstumsbranchen wie z.B. IT/ Software und Healthcare – und zwar am liebsten bei den ersten Zukäufen nach einer Nukleus Investition: „In einer solchen Phase sind wir noch in der Lage eine individuelle Verkäufernote in die Verträge und Konditionen zu bringen und auch ein gutes Pricing aufzubauen.“ Klassische Fälle seien Situationen, in denen der Inhaber nicht mehr mit vollem Einsatz am Ruder sein wolle, zugleich aber seine sich gut entwickelnde Firma – oft unter Beteiligung seines bestehenden Managements sowie einer Rückbeteiligung – in prosperierenden Händen eines erfahrenen Wachstumsinvestors wissen möchte.
Dr. Ingo Krocke von der Auctus Capital Partners AG stellt für seinen Bereich fest, dass „nach einer Trockenphase von ziemlich genau zwölf Monaten zwischen Frühsommer 2022 und Frühsommer 2023 jetzt die M&A-Aktivitäten wieder deutlich anziehen. Wenn sich der Trend verstetigt, dürfte das eine der kürzesten rezessionsbedingten Deal-Flauten der letzten drei Jahrzehnte gewesen sein“. Für ihn sei das Muster der Entwicklung der M&A-Aktivitäten identisch zu den vorherigen Krisen – nur im aktuellen Fall etwas komprimierter.
Zweite Jahreshälfte gut für Unternehmensverkäufe?
Ist jetzt in der zweiten Hälfte des Jahres ein guter Zeitpunkt für einen Verkauf? Alexander Reichel von Oakstreet München ist der Meinung, dass bei nachfolgesuchenden Unternehmen für die nächsten Jahre hohe Zahlen prognostiziert werden: „Der absolute Engpass am Markt sind weiterhin ertragreiche Unternehmen mit einem stabilen und nachhaltigen Geschäftsmodell und entsprechendem Know-how oder Technologien. Gleichzeitig suchen kaufbereite Unternehmen und Investoren sehr intensiv nach wirklich guten Betrieben und Investitionsmöglichkeiten. Wenn ein Unternehmen sich bei objektiver Betrachtung also zu diesen guten Verkaufsobjekten zählen darf, ist die zweite Jahreshälfte 2023 ein sehr guter Zeitpunkt, den Verkaufsprozess gut vorbereitet zu beginnen.“
Ein wenig skeptischer sieht das Dr. Krocke: „Nach den Übertreibungen der letzten Jahre sind die Bewertungen jetzt wieder auf einem historisch zwar noch hohen aber dennoch meist machbaren Niveau – zumindest, wenn man inzwischen üblich gewordene Strukturelemente wie Besserungsschein und Verkäuferdarlehen einbaut. Die spannende Frage bleibt die Konjunkturentwicklung. Falls Deutschland in eine lange Phase der Stagflation eintritt, dann dürften die Krisenjahre ausnahmsweise kein guter Jahrgang werden. Nicolas Gutbrod sieht Vor- und Nachteile bei einem Unternehmensverkauf in der zweiten Jahreshälfte, denn im Laufe eines Jahres drohe je nach Geschäftsläge ein Downsize-Effekt, der sich dann auf den Preis auswirke. Grundsätzlich komme es aber eher auf die Branche und das jeweilige Unternehmen an – weniger auf den Zeitpunkt der Transaktion. Gute Aussichten hat er für die Sektoren Healthcare, Software und Services. Rückblickend auf die vergangenen Monate stellt Dr. Krocke fest: „Strategen haben als Käufer stark an Bedeutung zugenommen, weil sie auch in den Branchen kaufen können, die Private Equity aktuell meidet und weil sie die Finanzierung über die Bilanz darstellen.“
Auch Michael Drill von Lincoln International beurteilt die Lage in seinen Prognosen eher skeptisch. Da in den kommenden zwölf Monaten nicht mit einer gesamtwirtschaftlichen Erholung in Deutschland gerechnet werde, erwarte man eine Deal-Aktivität bei kleineren und mittelgroßen Transaktionen auf einem um etwa 20% niedrigeren Niveau als 2022. Die allgemeine Stimmung in den Konzernetagen und in der Private Equity-Szene sei derzeit sehr verhalten, so Drill. Gleichzeitig habe sich auch das Angebot an attraktiven Zielunternehmen verschlechtert. Eine positive Trendwende erscheine frühestens 2024 realistisch und setze eine spürbare konjunkturelle Erholung der deutschen Wirtschaft voraus. Trotz dieses katastrophalen Umfeldes gibt es aus Sicht des M&A-Experten aber nach wie vor zahlreiche Treiber für Fusionen und Übernahmen. Der Zwang zur kritischen Größe und die wachsende Bedeutung digitaler Geschäftsmodelle zwinge viele mittelgroße Unternehmen zu mutigen Akquisitionsstrategien oder zu einem Verkauf an einen größeren oder finanzkräftigen Partner. Finanzinvestoren würden über sehr hohe Bargeldbestände verfügen und stünden damit unter enormem Anlagedruck, für die eingesammelten Gelder passende Akquisitionskandidaten zu finden. Und auch die anhaltend hohen Aktienkurse börsennotierter Großkonzerne zwängen Vorstände dazu, aktiv über Zukäufe nachzudenken.
Zinsen beeinflussen das Geschäft
„Die Höhe des Zinses kann zum Problem werden, wenn man den Unternehmen zu viel Fremdkapital zumutet. Wir agieren hier recht moderat und wollen die Firmen nicht zu sehr mit Finanzierungskosten belasten. Daher hat das gestiegene Zinsniveau für uns keine gravierende Bedeutung”, kommentiert Claudius Graf Plettenberg die derzeitigen Bedingungen. Nach Ansicht von Kirsten Elhardt, Managing Director bei der Münchener Profinanz Capital Partners GmbH, ist die Finanzierung über alle Branchen hinweg gesehen schwieriger geworden: „Bei Unternehmerkrediten im Mittelstand werden die unbesicherten Neukreditgewährungen sehr viel kritischer und mit erhöhtem Aufwand geprüft. Die einzuhaltenden Eigenkapital- und Ertragscovenants werden mit kleineren Spielräumen gesetzt.“ Noch weniger erfreulich sei die Entwicklung in der Immobilienbranche, da hier oft bereits ohne nähere Prüfung Absagen erfolgen würden. Vor allem Neukunden hätten es auch bei guter Bonität schwieriger als in den vergangenen Jahren. Insbesondere im Bereich der im letzten Jahrzehnt meist als Finanzierungsstandard angesehenen variablen Verzinsungen stünden auch gewerbliche Kreditnehmer vor ähnlichen Herausforderungen wie der private „Häuslebauer“: „Die geplanten Gewinne der Projekte werden durch die anfallenden Zinsen aufgezehrt oder verursachen sogar Verluste“, fährt Kirsten Elhardt fort. Die aktuelle Situation würde damit aber auch die Chance bieten, mit innovativen Geschäftsmodellen und Projektideen dem Trend der allgemeinen Verunsicherung entgegenzuwirken. Mit smarten Finanzierungsformen könne man sich auch weiter positiv am Markt behaupten.
Banken werden restriktiver
Die Anforderungen an die Erfahrungen und bisherigen Erfolge des Kreditnehmers seien in den vergangenen Monaten deutlich gestiegen. Bei Unternehmerkrediten werden nicht mehr nur die Bilanzen der letzten Jahre geprüft, sondern auch das Geschäftsmodell als solches stark hinterfragt: „Bei allen Krediten steht zudem die Nachhaltigkeit des Geschäftsmodells beziehungsweise des Projektes im Fokus“, sagt Kirsten Elhardt. ESG-konforme Unternehmensmodelle oder Immobilienprojekte, die noch vor Kurzem als besonderer USP des Projektes oder Unternehmens angesehen wurden, seien inzwischen bereits die Eintrittshürde für Kreditverhandlungen. Die Firmen müssten sich hier immer stärker vorbereiten. „Wir erarbeiten gemeinsam ein Finanzierungskonzept, das maßgeschneidert auf das Geschäftsmodell abzielt, und suchen die passenden Kapitalgeber dafür“, so Kirsten Elhardt weiter.
Gewinnt KI bei M&A an Bedeutung?
Alle reden von künstlicher Intelligenz und den neuen Möglichkeiten. Aber wie sieht es mit Anwendungsmöglichkeiten im Sektor von M&A aus? „Unabhängig von der Frage allgemeiner Gefahren und Herausforderungen durch KI für die Gesellschaft gehen wir davon aus, dass die Nutzung von KI, insbesondere von ChatGPT und anderen Large Language Modellen, eine signifikante Effizienzsteigerung beim Transaktionsprozess bewirken wird. Insbesondere die Art der Due Diligence wird sich sehr kurzfristig massiv verändern, weg von den aktuell statischen Berichten hin zu mehr interaktiver und automatisierter Datenauswertung der Datenräume durch die Mandanten selbst“, erklärt dazu Martin Sundermann von Osborne Clarke. Aber auch im Bereich der Vertrags- und Dokumentenerstellung sei mit signifikanten Effizienzsprüngen zu rechnen. Dadurch werde sich die Art und Weise, wie Mandanten und Dienstleister künftig bei Transaktionen zusammenarbeiten, vermutlich ebenso grundlegend verändern wie die Form der Bezahlung der Berater. „Unabhängig von der Prozessoptimierung wird KI sicher auch weiterhin Treiber von Transaktionen sein, sei es im Bereich von M&A-Aktivitäten oder auch Risikokapitalfinanzierungen. Es herrscht hier gerade eine Art Goldgräberstimmung“, fährt Sundermann fort.
„Eine Reihe unserer Mandanten setzt KI bereits sehr erfolgreich im operativen Geschäft ein. Immer mehr potenzielle Käufer fragen konkret danach, wie Verkaufsobjekte auf den Einsatz von KI vorbereitet sind oder danach, wie KI bei deren Wettbewerbern genutzt wird. Darum die klare Aussage: Ein Unternehmen, das keine KI-Strategie für sich entwickelt und umsetzt, wird in wenigen Jahren nicht oder nur mit deutlichen Abschlägen verkäuflich sein“, schließt sich Alexander Reichel von Oakstreet München an. Gerade die neuen Möglichkeiten im Bereich der künstlichen Intelligenz ermöglichen neue Geschäftsmodelle und innovative Prozesse. Auch für die M&A-Branche brechen hier neue Zeiten an.
Die zweite Jahreshälfte wird spannend
Die kommenden Wochen und Monate werden zeigen, ob sich die größtenteils optimistischen Einschätzungen der von uns befragten Experten bewahrheiten werden. Die Prognosen für die weitere Entwicklung der Weltwirtschaft schwanken aktuell − der größte Pessimismus scheint verflogen.
Als Redakteur der Unternehmeredition berichtet Alexander Görbing regelmäßig über Unternehmen und das Wirtschaftsgeschehen. Zu seinen Schwerpunkten gehören dabei Restrukturierungen, M&A-Prozesse, Finanzierungen sowie Tech-Startups.