Im ersten Halbjahr 2023 wurden am Schweizer M&A-Markt 285 Transaktionen mit einem kumulierten Transaktionswert von 53 Mrd. CHF getätigt, deutlich weniger als 2022.
Zahlenmäßig gab es in den ersten beiden Quartalen des Jahres einen markanten Rückgang verglichen mit insgesamt 752 Schweizer M&A-Deals 2022 (kumuliert 109 Mrd. CHF Transaktionswert aus 126 Deals mit publiziertem Transaktionswert). Diesmal trugen nur 51 Deals mit publiziertem Transaktionswert zum Gesamttransaktionswert von 53 Mrd. CHF bei. Das entspricht zwar knapp der Hälfte des 2022 erreichten Wertes, das gesamte Dealvolumen ist aber auf 285 Deals im Halbjahr gesunken.
Der Transaktionswert ist zu mehr als der Hälfte einem einzigen Megadeal zu verdanken, der 40,2 Mrd. CAD teuren öffentlichen Übernahmeofferte von Glencore an die Aktionäre des kanadischen Konkurrenten Tech Resources Ltd. gegen Ausgabe neuer Aktien, das bisher vom Management zurückgewiesen wurde. Glencore-Aktionäre würden mit der Übernahme eine Verwässerung Ihrer Beteiligung von 24% erleiden. Zusätzlich würde Glencore umgerechnet 8,2 Mrd. CHF in bar bezahlen. Zum Vergleich, die größte Transaktion 2022 betrug 18,7 Mrd. CHF.
Innerschweizer M&A-Markt schwächelt
Schwach war dieses Jahr bisher insbesondere der Innerschweizer M&A-Markt („domestic M&A“, d.h. Schweizer Käufer und Schweizer Zielgesellschaft) mit insgesamt 49 Deals, davon aber nur vier (!) Deals mit publiziertem Deal Value, alle in Q1/2023 und mit einem Gesamtvolumen von nur 4,3 Mrd. CHF. Davon entfallen 3,2 Mrd. CHF auf die „freundliche“ Übernahme der Credit Suisse durch die UBS gegen Ausgabe neuer Aktien, die am 19. März 2023 mit einer Bewertung von 3 Mrd. CHF verkündet wurde und beim Vollzug am 12. Juni 2023 3,2 Mrd. CHF wert war. Die zweitgrößte Innerschweizer Transaktion war die Übernahme des Elektronikunternehmens Schurter AG durch den Schweizer PE-Investor Capvis für 511 Mio. CHF.
Insgesamt wurden 49 Schweiz-Schweizer M&A-Deals im ersten Halbjahr 2023 verzeichnet, davon nur 16 im zweiten Quartal. Unter den 45 Deals ohne Ausweis eines Transaktionswerts befinden sich einige bekannte Namen und Käufer wie u.a. Swisscom, Swiss Post, Burkhalter, Siegfried AG und SHL Medical AG, und natürlich einige PE-Investoren. Dennoch dürften diese Transaktionen eher im zweistelligen oder sogar nur einstelligen Millionenbereich liegen, so dass der kumulierte Transaktionswert immer noch niedrig wäre.
Auslandsgeschäft lief besser
Der Markt für ausländische Übernahmen in der Schweiz war mit insgesamt 7,3 Mrd. CHF und 87 Zukäufen wesentlich stärker und hat im zweiten Quartal 2023 merklich angezogen. Der kumulierte Transaktionswert entfiel zwar auf nur 13 Deals, sechs davon im zweiten Quartal im Wert von 6,7 Mrd. CHF und insgesamt 40 Transaktionen im zweiten Quartal. Davon trug die Übernahme der Software One AG durch den PE-Investor Bain Capital 3,25 Mrd. USD bei, 2,5 Mrd. USD der Verkauf der Novartis Augensparte an den kanadischen Spezialisten Bausch & Lomb Corp. und 1,2 Mrd. USD die Übernahme der VectivBio Holding durch Ironwood Pharma aus den USA. Tendenziell dürften einige der ausländischen Käufe ohne Bekanntgabe der Konditionen tendenziell höher ausfallen als die Innerschweizer Deals.
Das Gesamtvolumen am Schweizer M&A-Markt (Schweizer Zielgesellschaften) liegt damit zur Jahresmitte mit nur 11,6 Mrd. CHF und 149 Deals deutlich niedriger als die Vorjahreswerte im ersten Halbjahr 2023. Der gesamte Transaktionswert betrug 2022 noch 30 Mrd. CHF nach 46 Mrd. CHF im Jahr 2021. Mit einigen größeren Transaktionen ließe sich der Vorjahreswert aber noch erreichen oder sogar übertreffen.
Neben dem Inlandsmarkt besteht der Schweizer M&A-Markt aus Zukäufen und Verkäufen Schweizer Akteure im Ausland. Diese beiden Segmente tragen üblicherweise den größeren Teil zum gesamten Schweizer M&A-Markt bei. Für das erste Halbjahr 2023 konnten wir 149 Zukäufe Schweizer Investoren feststellen, davon lediglich 33 mit einem publizierten Transaktionswert von immerhin 41,5 Mrd. CHF, verglichen mit einem Gesamtwert von 54 Mrd. CHF für das Gesamtjahr 2022 eine deutliche Steigerung. Natürlich entfallen davon 40 Mrd. CAD (CHF 29,3 Mrd.) auf den bisher mit Abstand größten Schweizer M&A-Deal 2023, die im April lancierte Übernahmeofferte an die Aktionäre der Tech Resources Ltd. in Kanada. Auch die zwei nächstgrößten Deals entfallen auf das zweite Quartal 2023, die beide am 12. Juni 2023 angekündigten strategischen Auslandskäufe von Chinook Therapeutics, ein Pharma-Entwicklungsunternehmen für Nierenkrankheiten in den USA, durch Novartis für 3,5 Mrd. USD und die 2,1 Mrd. EUR teure Übernahme des finnischen Konkurrenten im Plastikrohrgeschäft, Uponor Oyj in Finnland, durch Georg Fischer. Die zwei größten ebenfalls strategischen Zukäufe im ersten Quartal 2023 sind die jeweils Anfang Februar angekündigten Übernahmen von Vitol Group in Südafrika für 1,8 Mrd. CHF und ein 1,2 Mrd. CHF teurer Zukauf von Holcim in den USA.
Höherer Transaktionswert im 2. Quartal
Insgesamt entfallen 88% des kumulierten Transaktionswerts des Schweizer Auslands-M&A-Markts auf das zweite Quartal 2023, allerdings mit insgesamt 85:64 gezählten Deals im ersten Quartal. Im ersten Quartal konnten 16 Deals mit einem Gesamtwert von 5 Mrd. CHF festgestellt werden, im zweiten Quartal kamen 17 Deals mit einem kumulierten Transaktionswert von 36,4 Mrd. CHF hinzu, insgesamt aber ein niedriger Anteil von Deals mit bekanntem Transaktionswert. Das spricht für viele kleinere und private Transaktionen ohne Veröffentlichungspflicht. Alle 149 Auslandskäufe hatten ausländische Verkäufer.
Bisher keine Verkäufe Schweizer Firmen 2023
Interessanterweise konnten 2023 noch keine Verkäufe von Schweizer Unternehmen oder Investoren im Ausland verzeichnet werden, was eher ungewöhnlich ist. 2022 wurden noch 33 Schweizer Firmenverkäufe im Ausland abgewickelt mit einem kumulierten Transaktionswert von 24,5 Mrd. CHF, 2021 28 Transaktionen im Wert von 22,5 Mrd. CHF. Offensichtlich halten sich Schweizer Unternehmen und PE-Investoren mit Verkäufen, insbesondere im Ausland, stark zurück. Entweder sind die Preisvorstellungen der Verkäufer zu hoch oder die potentiellen Verkäufer setzen auf eine Erholung der Märkte und damit der Bewertungen. Auch im Inland konnten wir nur sechs Schweizer strategische Verkäufer und keine Schweizer PE-Investoren unter den Deals mit publiziertem Transaktionswert finden.
Da der Schweizer Franken auch 2023 massiv gegenüber dem USD und EUR zugelegt hat und die Bewertungen aufgrund der weiter gestiegenen Zinsen selbst bei unveränderten Wachstumsraten zurückgegangen sein sollten, dürften die erzielbaren Preise momentan eher gegen Verkäufe sprechen, insbesondere wenn dafür keine akuten strategischen Gründe sprechen. Das könnte sich aufgrund der starken Aktienmärkte im ersten Halbjahr 2023 ändern.
Die Tabelle gibt einen Überblick über die größten Schweizer M&A-Transaktionen in Q1+Q2/2023 mit Kennzeichnung strategischer und Private-Equity-Käufer oder -Verkäufer und des Publikationsdatums. Die Top 15 Deals haben einen kumulierten Transaktionswert von 49,9 Mrd. CHF und repräsentieren damit 94% des Schweizer Gesamtwerts. Acht Transaktionen mit einem kumulierten Transaktionswert von 41,9 Mrd. CHF (zusammen 79% des Wertes) wurden im zweiten Quartal 2023 bekanntgegeben. PE-Investoren waren nur an vier der Top 15 Transaktionen beteiligt, zweimal davon sowohl auf Käufer- als auch auf Verkäuferseite (sogenannte Secondary PE-Deals). Der Anteil dieser vier Transaktion betrug nur 6,5% des Transaktionswertes der Top 15 Transaktionen, ein langjähriger Tiefstwert für PE-Transaktionen. Unter den Top 30 Schweizer M&A-Deals finden sich insgesamt nur sechs Deals mit PE-Beteiligung. Man kann also bisher im Vergleich mit den vergangenen Jahren von einem sehr schwachen Schweizer M&A-Jahr für die PE-Industrie sprechen.
Zwei Deals nicht realisiert
Zwei Deals aus unserem im April berichteten Q1 M&A-Report sind mittlerweile aus den League Tables verschwunden, der damals berichtete größte Verkauf eines Schweizer Unternehmens, der Verkauf des Sika Admixtures Geschäft an die britische INEOS Group für 750 Mio. CHF und die ursprünglich vereinbarte 161 Mio. CHF Übernahme der amerikanischen Investment Bank Boutique Klein and Company durch die Credit Suisse. Nach der Übernahme der Credit Suisse musste die CS vom Vertrag zurücktreten. Der SIKA-INEOS Deal wurde durch die Wettbewerbsbehörden nicht genehmigt. Stattdessen hat SIKA AG die relevanten Teile des Admixtures Geschäfts aus der 2022 angekündigten Übernahme der MBCC Group an den PE-Investor Cinven verkauft, um die Wettbewerbsauflagen zur MBCC Group Übernahme zur erfüllen. Ein Transaktionswert wurde nicht publiziert.
Die Abfrage von Transaktionsdatenbanken und die darauf beruhenden Auswertungen zeigen ein höheres Transaktionsvolumen und Transaktionswerte, allerdings basierend auf einer weniger strikten Definition von M&A Transaktionen und Vernachlässigung einer Deal-by-Deal Analyse. Wir haben u.a. elf Transaktionen, davon sieben mit Transaktionswert und einem kumulierten Transaktionswert von 1,6 Mrd. CHF ausgeschlossen, weil es sich nicht um M&A Transaktionen handelte, sondern um andere Asset Deals, größtenteils dem Kauf von Immobilien oder erneuerbaren Energieanlagen, aber auch Kreditportfolios oder Produktrechte. Darunter befinden sich vier Verkäufe in der Schweiz, alle Transaktionen mit Schweizer Investoren, davon neun Mal auf der Käuferseite. Daneben haben wir vier PIPE-Transaktionen (private investments into public equity), davon drei in der Schweiz, und zwölf Käufe von passiven (finanziellen) Minderheitsbeteiligungen im Gesamtwert von 1 Mrd. CHF, fünf davon Innerschweizer Deals und sechs Auslandsinvestitionen, ausgeschlossen.
Insgesamt haben wir auch 31 Schweizer Finanzierungsrunden, 24 davon mit Transaktionswert von kumuliert 1,65 Mrd. CHF ausgeschlossen, die größte davon ein 1 Mrd. USD Private Placement von Galderma Holding, der ehemaligen Nestle Dermatologie Aktivitäten, die als möglicher IPO Kandidat gehandelt wird. Ebenso haben wir 90 ausländische Finanzierungsrunden mit vermeintlicher Beteiligung auch von Schweizer Investoren, davon 81 mit Angabe von Transaktionswerten und einem kumulierten Transaktionswert von 3,8 Mrd. CHF ausgeschlossen.
Daneben mussten auch 207 ausländische Transaktionen mit einem kumulierten Transaktionswert von 27,1 Mrd. CHF ausgeschlossen werden, weil wir keinen Bezug zu einem Schweizer Käufer oder Verkäufer feststellen konnten. Auf Basis einer Einzelfallprüfung dieser Transaktionen war nicht nachvollziehbar, warum diese bei einer Abfrage Schweizer Zielgesellschaften oder Schweizer Käufer oder Verkäufer im Ergebnis eingeschlossen sind?
Fazit
Das zweite Quartal 2023 zeigt einen klaren Aufwärtstrend gegenüber einem sehr schwachen ersten Quartal, wenn auch auf immer noch verhaltenem Niveau. Insbesondere Private-Equity-Investoren halten sich sowohl mit Käufen als auch mit Verkäufen stark zurück. Es gab im ersten Halbjahr nur neun sogenannte Milliardendeals (Transaktionswert mind. 1 Mrd. CHF) und nur eine Megatransaktion größer als 10 Mrd. CHF, die den kumulierten Transaktionswert stark nach oben bewegen. Im April 2023 haben wir von einem der langsamsten Starts in ein neues Jahr innerhalb der letzten zehn Jahre gesprochen. Das gilt sicherlich auch für das gesamte erste Halbjahr 2023, jedoch mit Belebung im zweiten Quartal.
Dennoch haben wir trotz weiter steigender Zinsen sehr stabile Kapitalmärkte nahe der historischen Hochs vieler Aktienindizes, eine nachlassende, aber immer noch auf zu hohem Niveau befindliche Inflation, immer noch relativ hohe, aber sinkende Energiepreise, weniger Diskussionen über eine mögliche Rezession, hohe Beschäftigung mit Kaufkraftverlust, hohe Unternehmensgewinne und Dividenden, aber nach wie vor einen anhaltenden Krieg in Europa und ein sich weiterhin beschleunigender Klimawandel, somit hohe Unsicherheit trotz stabiler Wertpapiermärkte. Die im Frühjahr aufflackernde Bankenkrise scheint weitgehend unter Kontrolle zu sein, wobei das Abschreibungsproblem sowohl im Wertpapierbereich, im Kreditbereich und im Immobilienmarkt nach wie vor akut besteht.
Die weitere Entwicklung ist daher schwer vorherzusagen, aber Wachstum ist entscheidend für den Unternehmenserfolg und insbesondere die Unternehmensbewertung, und externes Wachstum ist einfacher und schneller zu erreichen als organisches Wachstum. Bei relativ stabilen Kapitalmärkten ist mit einer weiteren deutlichen Erholung des nach wie vor schwächelnden M&A-Markts zu rechnen, sicherlich mit Chancen für günstigere Zukäufe.
Dr. Winfried Weigel
Dr. Winfried Weigel ist Partner des international tätigen Corporate Finance-/M&A-Beraters www.weigelCF.com mit Fokus auf Unternehmensnachfolgen und Private-Equity-Transaktionen sowie des Strategie- und Business-Development-Beraters www.cltcap.com mit Schwerpunkt auf erneuerbaren Energien und umweltfreundlichen Technologien. Daneben ist Dr. Weigel als Coach und Mentor im VC-Bereich und als Dozent für strategische Unternehmenstransaktionen tätig.
E-Mail: winfried.weigel@wweigel.com