Für viele Familiengesellschaften kommt ein Zeitpunkt, an dem sich familienintern kein Geschäftsführer mehr findet und/oder der Kreis der erbberechtigten Familienmitglieder so groß wird, dass sich nicht mehr alle im Unternehmen engagieren können und wollen. Zudem reicht das aus dem Familienvermögen aufzubringende Kapital oft nicht mehr aus, um den hohen Investitionsbedarf für Digitalisierung, Globalisierung und ökologischen Umbau zu decken.
Für etablierte Unternehmen oder solche mit interessanten Wachstumsperspektiven kann ein Börsengang die richtige Lösung sein: Das Unternehmen kann durch eine Kapitalerhöhung seine Eigenkapitalbasis verbessern, gleichzeitig kann bei Bedarf ein Teil der bestehenden Familienanteile über die Börse verkauft werden, zum Beispiel um Pflichtteilsansprüche zu befriedigen oder Pflichtteilsverzichte abzugelten, und die Führung des Unternehmens kann auf ein angestelltes Management übertragen werden. Behält die Familie dennoch einen maßgeblichen Einfluss auf das Unternehmen, wird dies von externen Investoren häufig sogar honoriert, da der „Erfolgsfaktor Gründerfamilie“ als Garant für eine nachhaltige Unternehmensführung gilt.
Dennoch ist der Börsengang als Nachfolgelösung für gründer- und familiengeführte Unternehmen in Deutschland eher selten. Es spricht aber vieles dafür, sich im Rahmen der Nachfolgeplanung zumindest die Option eines Börsengangs offenzuhalten und zu einem – auch aus steuerrechtlicher Sicht – geeigneten Zeitpunkt eine kapitalmarktfähige Rechtsform zu wählen. Vor diesem Hintergrund stellen sich die Fragen, ob solche Rechtsformen für die Bedürfnisse von Familienunternehmen geeignet sind und ob bei einem Börsengang die Kontrolle der Familie über das Unternehmen weiterhin gewährleistet werden kann.
Struktur der Unternehmensführung
Aktiengesellschaft (AG)
Obwohl die Aufgabenverteilung zwischen Vorstand, Aufsichtsrat und Hauptversammlung einer klassischen AG gesetzlich vorgeschrieben ist, sind für Familiengesellschaften, die einen Börsengang anstreben, verschiedene Modifikationen interessant. So kann die Satzung zum Beispiel einzelnen Aktionären oder Inhabern bestimmter Aktien das Recht einräumen, bis zu ein Drittel der Aufsichtsratsmitglieder als Familienvertreter in den Aufsichtsrat zu entsenden. Der Aufsichtsrat bestimmt den Vorstand und kann – neben seiner Beratungs- und Überwachungsfunktion – bestimmte Arten von Geschäften von seiner Zustimmung abhängig machen und damit erheblichen Einfluss ausüben.
Es besteht die Möglichkeit, ausschließlich stimmrechtslose Vorzugsaktien an außenstehende Dritte und gegebenenfalls auch an Familienangehörige, die nur an einer finanziellen Beteiligung interessiert sind, auszugeben. Diese werden zum Ausgleich für das fehlende Stimmrecht bei der Gewinnverteilung bevorzugt.
Seit Inkrafttreten des Zukunftsfinanzierungsgesetzes sind in Deutschland wieder Namensaktien mit bis zu zehnmal mehr Stimmrechten, als es ihrem Anteil am Grundkapital der Gesellschaft entspricht, möglich. Sie müssen vor dem Börsengang einstimmig beschlossen werden und sind geeignet, um den starken Einfluss einer Familie für bis zu zehn oder (nach Verlängerung durch die Hauptversammlung mit Drei-Viertel-Kapitalmehrheit) 20 Jahre nach einem Börsengang abzusichern, auch wenn die Kapitalbeteiligung sinkt. Ohne Börsengang können sie auf unbestimmte Zeit bestehen bleiben. Ihr Inhaber hat überproportionalen Einfluss auf alle Hauptversammlungsbeschlüsse, für die neben der Stimmenmehrheit keine Kapitalmehrheit erforderlich ist. Die Mehrstimmrechte erlöschen jedoch, wenn die begünstigten Aktien nach dem Börsengang übertragen werden. Eine Ausnahme für den Fall der (vorweggenommenen) Erbfolge besteht nicht. Allerdings kann wohl – auch wenn das gerichtlich noch nicht bestätigt ist – eine Familienholding die Aktien halten, sodass dann bei Bedarf nur deren Anteile übertragen werden und die Mehrstimmrechte erhalten bleiben.
Ein Börsengang ist auch in anderen Rechtsformen möglich:
Societas Europaea (SE)
Die SE kann entweder wie eine AG von Vorstand und Aufsichtsrat oder im sogenannten monistischen System von einem Verwaltungsrat geleitet werden. Auch in den Verwaltungsrat können bis zu ein Drittel der Mitglieder entsandt werden. Der Verwaltungsrat muss mehrheitlich aus nicht geschäftsführenden Mitgliedern bestehen, wird aber durch ihm gegenüber weisungsgebundene geschäftsführende Direktoren ergänzt, die die laufenden Geschäfte des Unternehmens führen. Sie können, müssen aber nicht dem Verwaltungsrat angehören. Eine Position mit zentralem Einfluss entsteht durch die Kombination der Ämter als Verwaltungsratsvorsitzender und geschäftsführender Direktor.
Häufig besteht der Wunsch, eine Mitbestimmung der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat zu vermeiden oder zu minimieren. Bisher war dies durch den Wechsel in die Rechtsform der SE möglich, die unter bestimmten Voraussetzungen ein „Einfrieren“ des bestehenden Mitbestimmungsniveaus ermöglicht, wenn der Wechsel vor Erreichen der Schwellenwerte von 500 beziehungsweise 2.000 Arbeitnehmern erfolgt, die ansonsten zur Folge hätten, dass der Aufsichtsrat zu einem Drittel beziehungsweise zur Hälfte (paritätisch) mit Arbeitnehmervertretern besetzt werden müsste. Allerdings gibt es derzeit politische Bestrebungen, dies zu ändern.
Kommanditgesellschaft auf Aktien (KGaA)
Die KGaA hat ein Grundkapital, an dem die Aktionäre beteiligt sind, aber keinen Vorstand, sondern – wie jede Kommanditgesellschaft – einen persönlich haftenden Gesellschafter (Komplementär), der die Gesellschaft leitet und nach außen vertritt. Dieser Komplementär kann und sollte aus Gründen der Haftungsbegrenzung eine GmbH, AG oder SE sein. Die Rolle des Komplementärs kann individuell ausgestaltet und zugunsten des Aufsichtsrats und der Gesellschafter auf KG-Ebene und/oder auf Komplementärebene eingeschränkt werden. Der Aufsichtsrat auf KG-Ebene hat jedoch keine Möglichkeit, den Komplementär oder dessen Geschäftsführung zu bestellen, abzuberufen oder Zustimmungsvorbehalten zu unterwerfen. Die Familie kann den Komplementär allein kontrollieren, während Dritte nur auf KG-Ebene beteiligt sind. Diese aus Sicht der Unternehmerfamilie sehr vorteilhafte Struktur kann allerdings von Anlegern negativ bewertet werden und im Falle eines Börsengangs zu Kursabschlägen führen.
Sicherung der Beteiligungsquote und der einheitlichen Stimmrechtsausübung nach Beteiligung Dritter
Aktionäre, die die Beteiligungsquote ihrer Familie und deren optimale Ausnutzung sichern wollen, schließen außerhalb der Satzung (die solche Regelungen nicht zulässt) untereinander einen schuldrechtlichen Konsortial- oder Poolvertrag. Dieser regelt zum Beispiel die Übertragung und Vererbung der Aktien der Poolmitglieder ausschließlich an Familienmitglieder, die von der Familie angestrebte Besetzung der Gesellschaftsorgane und die einheitliche Stimmrechtsausübung nach Maßgabe der Beschlüsse einer der Hauptversammlung vorgeschalteten Poolversammlung sowie Vertragsstrafen für Verstöße gegen die entsprechenden Vereinbarungen, wobei die Folgewirkungen auf die Besteuerung, die Beteiligungstransparenz und eine etwaige Pflicht zur Abgabe eines Übernahmeangebots im Blick zu behalten sind. Ferner ist sicherzustellen, dass Erben, Vermächtnisnehmer und andere berechtigte Erwerber von Poolaktien an den Vertrag gebunden sind.
Noch sicherer ist die Beteiligungsquote und einheitliche Stimmrechtsausübung der Familie in einer Familienstiftung, einer Familienholding oder einem Family Office geschützt.
Rechnungslegung
Ein genauerer Blick auf die Rechnungslegungspflichten für kapitalmarktfähige Gesellschaften zeigt, dass nur für im regulierten Markt notierte Gesellschaften die Rechnungslegung durch die Umstellung auf IFRS und die quartalsweise Publizitätspflicht finanziell und administrativ sehr aufwendig wird. Sie sollten aber auch die notwendigen Ressourcen aufgebaut haben, um diesen Aufwand zu bewältigen.
Der Ausbau des Berichtswesens, der bereits beim vorsorglichen Wechsel in eine kapitalmarktfähige Rechtsform oder bei einem Börsengang im Freiverkehr nötig wird, wäre dagegen mit hoher Wahrscheinlichkeit in ähnlichem Umfang erforderlich, um einen wachsenden Gesellschafterkreis adäquat zu informieren, einen externen Nachfolger einzuarbeiten oder das Unternehmen zu einem angemessenen Preis zu verkaufen.
Fazit
Kapitalmarktfähige Rechtsformen sind auch für Familienunternehmen geeignet, und es ist möglich, dass sich außenstehende Dritte am Kapital solcher Unternehmen beteiligen, ohne dass die Familie die Kontrolle über das Unternehmen abgibt.
Dieser Beitrag ist in der aktuellen Magazinausgabe der Unternehmeredition 1/2024 mit Schwerpunkt “Unternehmensnachfolge” erschienen.
Meike Dresler-Lenz
Meike Dresler-Lenz ist Rechtsanwältin bei Heuking Kühn Lüer Wojtek in Köln. Sie berät Unternehmen und Unternehmer im Kapitalmarkt- und Gesellschaftsrecht/M&A, im Erbrecht und an den Schnittstellen dieser Rechtsgebiete.