Ist Ihr Unternehmen noch ausreichend abgesichert?

Was die globalen Krisen für den Versicherungsschutz bedeuten

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Krieg, Inflation und Lieferengpässe bringen Unternehmen wirtschaftlich an ihre Grenzen. Auch der Versicherungsschutz kann davon betroffen sein: Der starke Preis- und Kostenanstieg birgt die Gefahr einer Unterversicherung – was im Schadenfall gravierende Folgen hätte.

Die derzeitigen Krisen wirken sich auf die Gestaltung der Versicherungsverträge von Unternehmen und folglich auch auf den bisher eingekauften Versicherungsschutz aus. Die Gründe dafür sind vielschichtig: Nach Kriegsausbruch reagierten die Versicherer zunächst restriktiv. Auf Sanktionen folgten umfangreiche Territorialausschlüsse, die es gänzlich untersagen, Versicherungsschutz für Länder wie die Ukraine oder Russland anzubieten. Für Unternehmen bedeutet das, dass sie Versicherungsschutz in diesen Ländern nun lokal über den dort ansässigen Versicherungsmarkt einkaufen müssen. Da Territorialausschlüsse sogenannte Totalausschlüsse sind, sollten Unternehmen ihre Abhängigkeiten sorgfältig überprüfen, um mögliche Auswirkungen transparent zu machen.

Die bereits vor dem Ukrainekrieg herrschenden Lieferengpässe führen außerdem deutlich vor Augen, wie abhängig sich Unternehmen im Rahmen der Globalisierung gemacht haben.

Krieg und Lieferengpässe befeuern nun gemeinsam die Inflation. Besonders bei Rohstoff- und Baukosten sind die Preissteigerungen deutlich zu spüren: Mit den Materialkosten steigen auch die Wiederherstellungs- und Reparaturkosten. Dies führt  in den Short-Tail-Sparten – also bei Versicherungsarten mit kurzer Abwicklungsdauer wie etwa der Sach- oder der KfZ-Versicherung –  bereits heute zu höherem Schadenaufwand. In den Long-Tail-Sparten – mit mittel- bis langfristiger Schadenregulierungsdauer wie etwa in der Haftpflicht- oder D&O-Versicherung – ist künftig noch mit deutlichen Anpassungen der Schadenreserven zu rechnen.

Versicherungsschutz in Gefahr?

All diese Entwicklungen zeigen: Es ist für Unternehmen zwingend erforderlich, ihre Versicherungsverträge zu überprüfen und gegebenenfalls anzupassen, um im Schadenfall nicht in die Unterversicherung zu geraten. Einerseits könnten die Versicherungssummen in den Short-Tail-Sparten zu gering bemessen sein. Andererseits führt die hohe Nachfrage bei niedrigem Angebot dazu, dass Unternehmen ihre Einkaufspolitik für Material ändern: Sie kaufen nicht mehr auftragsbezogen, sondern auf Vorrat – und dadurch erhöht sich die Lagermenge. Auch Versicherungssummen für Lagerbestände könnten demnach zu niedrig sein. Das gilt auch für die Haftzeiten in der Ertragsausfallversicherung.

Im aktuellen Umfeld besteht darüber hinaus das Risiko, dass die in der Vergangenheit vereinbarten Entschädigungsgrenzen nicht mehr ausreichend sind. Denn die Versicherer sind berechtigt, im Schadenfall die Entschädigungsleistung anteilig zu kürzen, wenn die Versicherungssumme niedriger ist als der tatsächliche Versicherungswert. Ähnlich verhält es sich auch in den Long-Tail-Sparten. Betroffen sind Ansprüche auf Schadenersatz für die Reparatur, den Ersatz zerstörter Sachen eines Dritten sowie für einzelne Kostenpositionen (zum Beispiel Abwehrkosten).

Zwar werden in der Versicherungstechnik durch die Indexierung und umsatzabhängigen Anpassungen die inflationsbedingten Schadenaufwendungen berücksichtigt. Allerdings ist derzeit aufgrund der starken Inflation nicht mehr sichergestellt, dass dies die Erhöhung der Versicherungswerte ausreichend abbildet. Eine individuelle Überprüfung und Anpassung der Versicherungsverträge ist daher ratsam.

Unzureichende Kapazitäten

Leider stehen Unternehmen durch die erforderlichen Anpassungen der Versicherungs- und Deckungssummen vor einer weiteren Herausforderung: Wenn Anpassungen zu einem höheren Versicherungsbedarf führen, benötigen Unternehmen mehr Versicherer oder gar Konsortien, um den angepassten Schutz zu 100% sicherzustellen. Jedoch stellt der Versicherungsmarkt für einige Branchen und Versicherungssparten unverändert keine ausreichenden Kapazitäten zur Verfügung. Folglich sind Unternehmen gezwungen, gegebenenfalls höhere Selbstbehalte zu vereinbaren oder eine alternative Deckungsstruktur aufzubauen, um ihre Risiken überhaupt absichern zu können. Im „Worst Case“ ist der nicht zu platzierende Anteil ebenfalls als Eigenbehalt zu tragen. Für einige Unternehmen ist dies jedoch, aufgrund ihrer wirtschaftlichen Situation, nicht unerheblich und kann sich im Schadenfall direkt auf ihre Bilanz auswirken.

FAZIT: Alternativer Risikotransfer gewinnt an Bedeutung

Im Zuge der weltweiten Krisen nimmt das Risikomanagement eine zunehmend zentrale Rolle in Unternehmen ein. Viele versuchen, ihre Risiken transparent zu erfassen, Investitionen in Risikoverbesserungsmaßnahmen zu tätigen, ihre Supply-Chain-Risiken zu identifizieren und Business-Continuity-Pläne zu erstellen. Dies ist nicht nur im eigenen Interesse zu begrüßen, sondern auch bei der Vermarktung der Risiken zunehmend erforderlich, um die benötigen Versicherungskapazitäten im Markt zu erhalten und den Bedarf zu decken.

Durch die Zunahme neuer Risiken rücken außerdem alternative Risikotransferlösungen wie verstärkte Datennutzung, Präventionsmaßnahmen oder die Eigentragung in den Fokus. Denn im derzeitigen Marktumfeld stellt sich die Frage, ob der traditionelle Risikotransfer mittels Versicherungen noch das ausschließlich gültige und adäquate Mittel darstellt.

Autorenprofil
Olga Losing-Malota
Head of Broking, WTW

Olga Losing-Malota ist seit 2018 beim Versicherungsmakler und Risikoberater WTW tätig. Mittlerweile hält sie im Geschäftsbereich Corporate Risk & Broking die Position als Head of Broking inne. Dabei verantwortet sie den Risikotransfer in den Industriesparten sowie die Fachbereiche Claims, Risk Engineering und Carrier Management.

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