Insolvenzverwalter in der Krise?

Katerstimmung trotz stark steigender Fallzahlen beim Branchentreffen

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„Wir sind mit Donald Trump als neuem Präsidenten aufgewacht und wir sind dann ohne Bundesregierung ins Bett gegangen. Es hat sich alles überschlagen und wir erlebten in kürzester Zeit viele merkwürdige Situationen“, sagte Dr. Christoph Niering, Vorsitzender des Verbands der Insolvenzverwalter Deutschlands beim Jährlichen Insolvenzverwalterkongress in Berlin. Wenige Minuten vor dem Beginn der Tagung musste das Bundesjustizministerium quasi noch auswürfeln, wer denn nun das Grußwort des inzwischen zurückgetretenen Ministers Dr. Marco Buschmann gegenüber den rund 500 Vertretern der Restrukturierungsbranche halten soll. Die Wahl fiel schließlich auf Susanne Bunke, die sich auf der Taxifahrt zum schicken Interconti-Hotel spontan noch die vorbereitete Rede anschauen konnte. Sie brachte aber eine gute Nachricht mit: „Das Ministerium arbeitet weiter“. Das dürfte Niering einen tiefen Seufzer entlockt haben, denn die Auflösung der Ampelregierung stoppte den eigentlich schon vorbereiteten Entwurf für ein Berufsrecht für Insolvenzverwalter unmittelbar vor der Ziellinie. In den kommenden Wochen dürfte es hier keinen Fortschritt mehr geben und dann muss mit einer neuen Regierung im schlimmsten Fall ein komplett neuer Anlauf genommen werden.

Lage ist nicht rosig

Insgesamt ist die Lage für die Branche der Insolvenzverwalter nicht so rosig, wie man angesichts der galoppierenden Insolvenzzahlen eigentlich vermuten könnte. Und dafür gibt es gleich mehrere Gründe: Ein wenig hausgemacht ist das Problem des Nachwuchsmangels an Insolvenzverwaltern. In den Jahren der niedrigen Fallzahlen gab es nicht wirklich einen guten Grund dafür, als Jurist diesen Berufsweg einzuschlagen. Einige Fachkanzleien schlossen ganz – andere bauten Stellen im Bereich Insolvenzverwaltung ab. Das rächt sich nun, denn kurzfristig ist der neue Bedarf nur schwer zu decken. Ein weiterer Rückschlag ist, dass die von Niering und seinem Verband seit 20 Jahren betriebene Berufsrecht für Insolvenzverwalter abrupt gestoppt wurde.

„Wir sind Rückschläge gewohnt“

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Ein weiteres Problem für die Restrukturierungsbranche besteht darin, dass auch bei den Banken die Kapazitäten der Sanierungsabteilungen reduziert wurden. Insolvenzverwalter haben es chronisch eilig und sind daher auf kurze Reaktionszeiten angewiesen. Auch die immer strengeren Eigenkapitalrichtlinien bei den Banken erschweren Finanzierungen von Unternehmensverkäufen zusätzlich. Und an einer weiteren Stelle drückt der Schuh: Die wachsenden Fallzahlen stressen inzwischen auch die Gerichte, was ebenfalls die Abwicklung eines Verfahrens erschwert. „Wir sind als Verwalter Rückschläge gewohnt“, sagte Niering auf der Pressekonferenz anlässlich des VDI Insolvenzverwalterkongresses. Der Zerfall der Regierung und die unklare Perspektive nach der Wahl werde für weitere Unsicherheit in der Wirtschaft sorgen. Und Unsicherheit verursache Unternehmenskrisen. Ein Blick nach Thüringen und Sachsen mache zudem klar, dass eine Wahl nicht gleichbedeutend sei mit einer darauffolgenden schnellen Regierungsbildung.

Keine Förderung mit der Gießkanne

Niering hat schon in der Spätphase der Coronakrise quasi in Dauerschleife davor gewarnt, dass eine Förderung von Unternehmen mit der Gießkanne keine vernünftige Lösung ist. Im Zuge der Pandemie und der folgenden Energiekrise habe Deutschland insgesamt Förderzusagen im Volumen von 1.600 Mrd. EUR gegeben – auch wenn nicht alle Mittel abgerufen wurden. Der Staat – so Niering – könne nicht alle Krisen finanzieren und es gebe einfach Geschäftsmodelle, die nicht mehr funktionieren. In einem solchen Fall sei eine sozialverträgliche Schließung gesamtwirtschaftlich sinnvoller als eine Dauersubvention. Und angesichts immer noch sehr niedriger Arbeitslosenzahlen gäbe es auch gute Aussichten auf neue Arbeitsplätze. „In einem Insolvenzverfahren kann man bestimmte Maßnahmen effektiv und schnell umsetzen – das kann ganz neue Kräfte freisetzen“, erläutert der VID-Chef weiter. Und er fällt ein hartes Urteil: „Nach wie vor sind zwei Drittel aller Insolvenzen auf Managementfehler zurückzuführen.“

Keine Rekordwerte bei den Insolvenzen

Welche Entwicklung ist nun für die kommenden Monate zu erwarten?  „Schaut man sich die langjährige Entwicklung der Insolvenzen an, dann erreichen wir nicht annähernd die Zahlen, wie wir sie zu Zeiten der Finanzkrise gesehen haben“, führt Niering an. Damals gab es bis zu 33.000 Fälle im Jahre. Diese Prognose begründet er auch mit den abnehmenden Gründungszahlen. Historisch seien über viele Jahrzehnte junge Unternehmen überdurchschnittlich häufig von Insolvenzen betroffen. Rückläufige Firmengründungen führen damit unmittelbar auch zu entsprechend weniger Unternehmensinsolvenzen. Unternehmensbranchen sehen sich unterschiedlichen Krisenursachen ausgesetzt: In der Automobilbranche finden Veränderungsprozesse schneller statt als bisher angenommen. Der stationäre Einzelhandel hat bisher keine Antwort auf den Onlinehandel gefunden. In der Gastronomie und Hotellerie spüre man Konsumrückhaltung und Fachkräftemangel.

Immobilienbranche weiter in der Krise

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Einen speziellen Blick in die besonders kriselnde Immobilienbranche warf Prof. Dr. Torsten Martini, der unter anderem mehrere insolvente Signa-Projekte betreut bei dem Insolvenzverwalter-Kongress. Die aktuelle Lage sei schlecht für das Vertrauen bei allen Verfahrensbeteiligten, denn niemand wisse genau wie es weitergeht. Der Markt leide zusätzlich unter dem Trend zum Homeoffice und den Problemen des stationären Einzelhandels. Es war ihm aber auch ein besonderes Bedürfnis, mit einem Vorurteil aufzuräumen: „In einer Immobilieninsolvenz gibt es keine Schnäppchen und keine Firesales.“ Er mache aber auch in laufenden Verfahren die Erfahrung, dass bei Banken und Gerichten Personalknappheit bei der Betreuung von Fällen herrsche.

Allianz Trade sieht starken Zuwachs

Die Zahl der Unternehmensinsolvenzen steigt weltweit im Jahr 2024 deutlich an. Laut einer Prognose von Allianz Trade wird ein Zuwachs von 11% erwartet, was einen stärkeren Anstieg als zuvor angenommen darstellt. Auch für 2025 wird weltweit ein weiteres Wachstum der Insolvenzen vorhergesagt, bevor sich die Insolvenzen auf einem hohen Niveau stabilisieren sollen. Länder, die mehr als die Hälfte des globalen BIP ausmachen, würden im Jahr 2024 zweistellige Zuwachsraten bei Insolvenzen verzeichnen. Zwei Drittel dieser Volkswirtschaften könnten in diesem Jahr sogar die Insolvenzzahlen aus der Zeit vor der Pandemie übertreffen. Dieser Anstieg sei bedingt durch eine schwache Nachfrage, geopolitische Unsicherheiten und ungleiche Finanzierungsbedingungen. Auch der Rückstau an Insolvenzen, der nach der Pandemie und der Energiekrise entstanden ist, trage zu diesem Trend bei. Besonders auffällig ist der Anstieg der Großinsolvenzen, wobei Westeuropa hierbei die führende Rolle einnimmt. Bis 2025 könnten in diesen Regionen über zwei Millionen Arbeitsplätze auf dem Spiel stehen.

In Deutschland setze sich der Aufwärtstrend bei Unternehmensinsolvenzen ebenfalls fort und wird voraussichtlich bis 2026 anhalten. Nachdem die Insolvenzen bereits 2023 um 22% gestiegen sind, wird für 2024 ein weiterer Anstieg von 25% prognostiziert. Besonders betroffen seien der Handel, die B2B-Dienstleistungen, das Baugewerbe und die Fertigungsindustrie. Zusätzliche Herausforderungen wie der grüne Wandel und der Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit erschwerten die Lage weiter. Bis 2025 wird mit einem weiteren Anstieg der Insolvenzen um 4% auf 23.000 Fälle gerechnet. Eine leichte Entspannung wird erst 2026 erwartet, wenn die Zahlen um 4% zurückgehen sollen. Sinkende Zinssätze und niedrigere Kreditkosten dürften dann zur Entlastung beitragen.

Autorenprofil

Als Redakteur der Unternehmeredition berichtet Alexander Görbing regelmäßig über Unternehmen und das Wirtschaftsgeschehen. Zu seinen Schwerpunkten gehören dabei Restrukturierungen, M&A-Prozesse, Finanzierungen sowie Tech-Startups.

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