„Nicht mehr Blutsverwandtschaft ist entscheidend, sondern Verantwortung“

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Mit großem Aufwand und viel politischer Prominenz wurde im Herbst die Initiative für eine neue Gesellschaftsform vorgestellt: Die Verantwortungseigentum GmbH (VE-GmbH). Seitdem ist eine breite Diskussion in Wirtschaft, Politik und Wissenschaft über das Für und Wider im Gange. Die Unternehmeredition sprach mit Frau Prof. Dr. Ann-Kristin Achleitner, die dem Kuratorium der Stiftung Verantwortungseigentum angehört. INTERVIEW ALEXANDER GÖRBING

Unternehmeredition: Was sind die wesentlichen Vorteile einer VE-GmbH aus der Sicht eines deutschen Familienunternehmens? Warum würde sich der Umstieg lohnen?
Prof. Dr. Ann-Kristin Achleitner:
Für Familienunternehmen hat Verantwortungseigentum einen zentralen Vorteil: Sie sind, wenn sich die Nachfolgefrage stellt, nicht mehr automatisch gezwungen, in der eigenen Familie nach einem geeigneten Nachfolger zu suchen, der das Unternehmen übernimmt – denn das ist heutzutage eine immer größere Herausforderung. Es ist für jüngere Generationen keine Selbstverständlichkeit mehr, das Unternehmen der Eltern weiterzuführen. Viele wollen sich selbst verwirklichen und etwas anderes machen. Das sehen wir auch in entsprechenden Zahlen: Eine Studie der KfW im letzten Jahr zeigte, dass nur noch 44% der Mittelständler, die sich aktuell mit der Nachfolge beschäftigen, eine familieninterne Lösung anstreben. Gleichzeitig wollen manche ungern verkaufen. Bei Verantwortungseigentum stellt sich dieses Problem nicht, da die Möglichkeiten der Weitergabe ausgeweitet werden. Nicht mehr die Blutsverwandtschaft ist entscheidend, sondern die Verantwortung für das Unternehmen kann innerhalb einer Art Werte- und Fähigkeitenfamilie weitergegeben werden. Der Fortbestand des Unternehmens kann so leichter gesichert werden. Es gibt bereits einige Familienunternehmen, die sich unter anderem aus diesen Gründen in Verantwortungseigentum aufgestellt haben, zum Beispiel die Warenhauskette Globus. Es geht also ausdrücklich nicht darum, dass nicht Familienmitglieder die Verantwortung übernehmen – es geht darum, die Optionen für die Zukunft zu erweitern.

Unternehmeredition: Kernidee des Verantwortungseigentums ist die treuhänderische Unternehmensführung. Gewinne sollen im Unternehmen bleiben. Ist das nicht auch das klassische Modell eines typischen deutschen Mittelständlers?
Achleitner: Absolut! Der deutsche Mittelstand wird zu Recht als das Rückgrat der sozialen Marktwirtschaft bezeichnet, gerade weil die meisten mittelständischen Unternehmen langfristig denken und sowieso schon einen Großteil ihrer Gewinne eben nicht an die Gesellschafter ausschütten, sondern reinvestieren. Es geht ihnen darum, sich langfristig aufzustellen. Im Prinzip sind also viele Mittelständler und Familienunternehmen schon jetzt so etwas wie Treuhänder ihres Unternehmens – und nicht zuletzt dieser Umstand macht eine besondere Stärke der sozialen Marktwirtschaft aus. Der Unterschied ist, dass beim Verantwortungseigentum eine Verpflichtung zum Asset Lock, also zu einer Vermögensbindung in die DNA des Unternehmens eingeschrieben wird. Gewinne können dann nicht mehr personalisiert, das heißt an Anteilseigner oder Gesellschafter ausgeschüttet werden. Ein großer Vorteil davon ist, dass sich damit auch Start-ups von Beginn an glaubhaft zu einer Vermögens- und Gewinnbindung verpflichten können, denn viele junge Gründer wollen ihren Mitarbeitern, Kunden und Geschäftspartnern versprechen, dass sie langfristig orientiert sowie nachhaltig wirtschaften und nicht in absehbarer Zeit einen Exit anstreben. Traditionelle Familienunternehmen haben da einen Glaubwürdigkeitsvorsprung, den Start-ups qua Verantwortungseigentum aufholen können.

Unternehmeredition: Sehen Sie in der VE-GmbH eine Möglichkeit, die Unternehmensnachfolge einfacher zu regeln?
Achleitner: Ja, denn die Unternehmensnachfolge wird in einer VE-GmbH dergestalt vereinfacht, dass sie den Kreis potenzieller Gesellschafter erweitert, wodurch sich mehr Optionen für die Nachfolge auftun. Denn Geschäftsanteile werden nicht mehr zwangsläufig nur vererbt oder verkauft, sondern an Menschen weitergegeben, die dem Unternehmen verbunden sind – beispielsweise an Mitarbeiter, die sich besonders verdient gemacht haben und Verantwortung übernehmen wollen und können. Damit bietet Verantwortungseigentum eine Lösung für die Nachfolgeproblematik des Mittelstands, denn immer seltener finden sich genetisch Verwandte, die die Verantwortung übernehmen wollen und können. In diesem Fall können andere geeignete Personen eintreten, allerdings ohne sich teuer einkaufen zu müssen und ohne das Unternehmen mit der Refinanzierung des Kaufpreises zu belasten. Zudem bietet sich Start-ups so von vornherein die Chance, sich langfristig orientiert aufzustellen. Was zählt, ist nicht mehr die Blutlinie, sondern eine Art Fähigkeiten- und Wertefamilie.

Unternehmeredition: Ein wesentliches Argument der Unterstützer der Idee des Verantwortungseigentums ist der hohe zeitliche und finanzielle Aufwand bei Gründung einer Stiftung. Wäre es nicht der einfachere Weg, das deutsche Stiftungsrecht zu vereinfachen?
Achleitner: Stiftungskonstruktionen werden heute in der Tat häufig herangezogen, um Verantwortungseigentum umzusetzen. Pioniere dieses Eigentumsverständnisses wie Bosch oder Zeiss nutzen Stiftungsmodelle. Doch neben dem hohen zeitlichen und finanziellen Aufwand sind diese auch rechtlich gesehen nicht die optimale Lösung für viele Unternehmen, denn es muss auf die gemeinnützige Stiftung als Gesellschafterin zurückgegriffen werden – auch, wenn der eigentliche Unternehmenszweck gar kein gemeinnütziger ist. Das ist eine Schieflage. Damit ist die Stiftungslösung für manche eher eine Notlösung.

Unternehmeredition: Unter anderem mit dem Grünen-Co-Bundesvorsitzenden Robert Habeck und dem SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil hat die Idee der VE-GmbH prominente Fürsprecher. Vertreter des Wirtschaftsflügels der Union sehen das Vorhaben eher kritisch – nicht zuletzt, weil die Koppelung von Eigentum und Verantwortung sowie von Risiko und Haftung aufgehoben werde. Hat die Initiative auch die Unterstützung der Wirtschaft?
Achleitner: Die kritischen Töne sind mir bekannt – und sie sind an entsprechender Stelle auch schon zu großen Teilen entkräftet worden. Es findet ja keine Entkopplung vom Eigentum statt, sondern es handelt sich um eine spezielle Art von Eigentum. Zur angeblichen Entkopplung von Risiko und Haftung lässt sich sagen, dass ein geschäftsführender Gesellschafter einer VE-GmbH ja genauso beschränkt haften würde wie derjenige einer normalen GmbH. Es gelten hier schlicht die gleichen Regelungen. Wer seine Pflichten verletzt, haftet – und das finanzielle Risiko besteht gleichsam auch für einen VE-Gesellschafter, denn auch er hat eine Einlage, die er potenziell abschreiben muss. Natürlich kann diese Einlage geringer ausfallen. Daraus jedoch abzuleiten, ein VE-Unternehmer sei nicht ausreichend motiviert, die Geschäfte nachhaltig zu führen, verweist auf eine ganze andere Frage: die nach unternehmerischer Motivation. Und da hat die wirtschaftspsychologische Forschung längst bewiesen, dass Unternehmer in der Regel durch weit mehr motiviert sind als einzig die sich bietenden finanziellen Anreize. Wobei selbstverständlich auch der Verantwortungseigentümer einen monetären Anreiz hat: Je erfolgreicher das Unternehmen läuft, desto großzügiger lassen sich Vergütung und erfolgsbezogene Tantieme gestalten. Das gilt hier genauso.

Aber zu Ihrer Frage nach der Unterstützung in der Wirtschaft: Die Initiative stößt in der Wirtschaft bei vielen auf Zustimmung! Die Forderung von mehr als 600 Unternehmern an die Bundesregierung, mit der VE-GmbH eine eigene Rechtsform für Verantwortungseigentum einzuführen, haben zudem auch namhafte Ökonomen wie Prof. Dr. Michael Hüther oder Prof. Marcel Fratzscher unterzeichnet, außerdem bekannte Unternehmer wie Prof. Dr. Götz Rehn, Prof. Dr. Michael Otto oder Verena Pausder. Letztere hat eine klare Stellungnahme abgegeben, dass sie die Gesellschaft in Form einer VE-Gesellschaft als wichtige Erweiterung der Optionen, aber nicht als Abkehr von bisherigen Erfolgsmodellen ansieht. Auch ich habe mit genau dieser Haltung den Appell unterstützt.

Unternehmeredition: Wenn nach dem Modell der VE-GmbH die Gewinne im Unternehmen bleiben sollen und bei Ausscheiden eines Gesellschafters „nur“ der Nominalwert der Beteiligung ausgeschüttet werden darf, wie soll ein Unternehmen sein Wachstum finanzieren? Klassisches Beteiligungskapital wird eher nicht interessiert sein.
Achleitner: Ich bin überzeugt, dass auch für junge Unternehmen in Verantwortungseigentum eine nachhaltige Unternehmensfinanzierung möglich ist. Es gibt bereits verschiedene Modelle, zum Beispiel schuldrechtliche Instrumente wie Darlehensverträge, die auch mit entsprechenden Renditeaussichten versehen werden können, oder sonstige Vereinbarungen, die für Investitionen zwar keine Stimmrechte beinhalten – das ist korrekt –, jedoch angemessene Renditen vorsehen können. Man sollte außerdem nicht vergessen, dass neben Kunden, Mitarbeitern und anderen Stakeholdern auch Investoren momentan eine Art Wertewandel durchlaufen. Schon jetzt sehen wir eine große Verschiebung in der Investorenlandschaft: Man interessiert sich mehr und mehr für Themen wie Nachhaltigkeit, soziale Aspekte oder Führungsaspekte. Und ich kann mir sehr gut vorstellen, dass sich, wenn Verantwortungseigentum verbreiteter wird, auch entsprechend ganz neue Anlegergruppen und Investoren auftun, die zu den möglichen Konditionen investieren werden. Erste gibt es bereits.

Unternehmeredition: Beim Thema Unternehmen und Stiftungen werden manche Kritiker hellhörig, da sie Steuersparmodelle befürchten. Droht mit der VE-GmbH nicht eine Aushebelung des Erbschaftrechts?
Achleitner: Das lässt sich sehr eindeutig mit nein beantworten: Es droht keine Aushebelung des Erbschaftsteuerrechts. Es gelten die gleichen steuerrechtlichen Regelungen wie für alle anderen Unternehmen auch. Gewinne werden ganz normal versteuert, und wenn Anteile vererbt werden, wird damit ja kein Vermögen weitergegeben, denn es gilt eine Vermögensbindung. Dass diese Anteile dann mit einer geringeren Erbschaftsteuer belegt werden, liegt in der Natur der Sache, denn die Erbschaftsteuer greift dann, wenn Vermögen persönlich weitergegeben werden. Das gilt genauso für die sogenannte Erbersatzsteuer, die die Kritiker zu Unrecht anmahnen. Das thesaurierte Vermögen in einer VE-GmbH kann nicht zu persönlichen Zwecken entnommen werden. Auch Stiftungen, die Ausschüttungen zu persönlichen Zwecken nicht vorsehen, sind von der Erbersatzsteuer befreit.

Frau Prof. Dr. Achleitner, vielen Dank für diesen spannenden Dialog.


ZUR PERSON

Prof. Dr. Dr. Ann-Kristin Achleitner ist Professorin an der Technischen Universität München mit dem Fachgebiet Entrepreneurial Finance. Als Mitglied des Kuratoriums unterstützt sie die 2019 gegründete Stiftung Verantwortungseigentum.

Autorenprofil

Als Redakteur der Unternehmeredition berichtet Alexander Görbing regelmäßig über Unternehmen und das Wirtschaftsgeschehen. Zu seinen Schwerpunkten gehören dabei Restrukturierungen, M&A-Prozesse, Finanzierungen sowie Tech-Startups.

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