Inflationsspirale dreht sich immer schneller

Kapitalmarkt-Standpunkt von Kai Jordan, Vorstand der mwb Wertpapierhandelsbank AG

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Europa und als Leader-Nation Deutschland schienen Anfang 2022 die große Coronakrise überwunden zu haben, als Wladimir Putin am 24. Februar entschied, die Welt in eine neue Krise zu stürzen. Russland marschierte in die Ukraine ein und versuchte schnellstmöglich bis Kiew vorzurücken, um seine Ansprüche als Weltmacht deutlich zu machen – gegenüber Europa und auch den USA. Das Ziel: Putins Russland wird sich nicht auf eine kleine Regionalmacht reduzieren lassen. Von Anfang an reagierten Europa und die USA mit Sanktionen gegen Putin, und versuchten die Ukraine mit Waffenlieferungen zu unterstützen. Was auch nachweislich zumindest teilweise zum Erfolg führte. Denn die Ukraine wehrt sich erfolgreich. Inwieweit die wirtschaftlichen Sanktionen zum Erfolg führen, wird unterschiedlich beurteilt. Zumindest sitzt Putin am Gashahn für Europa und damit insbesondere für Deutschland, das überproportional von den Gaslieferungen abhängig ist. Noch ist nicht sicher, ob die durch Detonationen ausgelösten Lecks in den Pipelines Nordstream I und Nordstream II überhaupt repariert werden können und wenn ja, wie lange eine solche Reparatur wohl dauern wird. Es stellt sich auch die Frage, inwieweit Russland Nordstream I dann wieder für Gaslieferungen nutzen würde.

“Exportnation” Deutschland auf dem Prüfstand

Nicht nur große energieintensive Unternehmen, sondern auch viele kleine und mitteständische Unternehmen (KMU), letztendlich die Hauptarbeitgeber in Deutschland, stehen vor einem extrem herausfordernden Winter. Für viele Industriebetriebe gilt: müssen Gasöfen abgeschaltet werden, können sie oft nicht wieder in Betrieb genommen werden. Für alle Unternehmen, die auf Zulieferungen angewiesen sind, gilt: Nicht nur die nach der Pandemie unterbrochenen und notdürftig geflickten Lieferketten für Rohstoffe und Materialien sind ein Problem, sondern auch die stetig steigenden Kosten durch Währungsverluste gegenüber der Leitwährung „Dollar“ und eine Verteuerung der gesamten Produktionskosten. Damit steht auch die „Exportnation“ Deutschland auf dem Prüfstand.

Kapitalmarktfähigkeit als Mittel zur Krisenbewältigung

Diese Probleme lassen sich nur durch ein Bündel von Maßnahmen lösen. Eine Maßnahme gerade für KMU wird es sein, kapitalmarktfähig zu werden. Unternehmen werden durch ihre Produktionskosten in höhere Vorleistung gehen. Dafür benötigen sie zusätzliches Kapital, was Ihnen die Banken, um nicht ihr Eigenkapital zu belasten, nicht zur Verfügung stellen werden – erst recht nicht zu den notwendigen Konditionen. Die EZB hat die nächste Zinserhöhung angekündigt. Damit wird die Kreditaufnahme von mittelständischen Unternehmen sicherlich nicht einfacher und mühsam erwirtschaftetes Eigenkapital löst sich ganz schnell in Luft auf. Deswegen, um nicht die unternehmerische Existenz zu gefährden, werden KMU strukturell stärker an den Kapitalmarkt kommen müssen.

Die steigenden Energiekosten für Privathaushalte und insbesondere auch für die Industrie haben der sowieso schon durch die Pandemie bedingten hohen Inflation noch einmal einen nachhaltigen Schub gegeben. Selbst die Falken in der EZB mussten nun reagieren und haben am 8. September zum zweiten Mal die Basiszinsen um 75 Basispunkte angehoben. Weitere Zinserhöhungen sind zu erwarten. Für die EZB ist es im Gegensatz zur FED kaum möglich eine Rezession zu verhindern, denn wir werden es in Europa – solange der Angriffskrieg in der Ukraine andauert – weiterhin mit hohen und wahrscheinlich auch immer noch steigenden Energiekosten zu tun haben.

Höhere Energiekosten befeuern Schuldenkrise

Es liegt auch auf der Hand, dass höhere Energiekosten und die von der EZB vorgegebenen Zinserhöhungen zu einer gesamteuropäischen Schuldenkrise führen. Jedes Land der EU ruft Hilfsprogramme ins Leben, um die schlimmsten Auswirkungen dieser Energiekrise, Privat-, Firmeninsolvenzen und damit verbundene Armut, abzufangen. Die öffentliche und private Verschuldung aller großen EU-Volkswirtschaften liegt bei über 200% ihres jeweiligen Bruttoinlandproduktes. Was auch als ein Signal für die Schwäche der Eurozone gesehen werden muss, ist die deutliche Abwertung des Euros gegenüber dem Dollar von über 10% seit Anfang dieses Jahres. Die Energiekrise, ausgelöst durch die Sanktionen Putins gegen die EU, zeigt eindeutig Wirkung. Somit müssen deutsche Unternehmen ihre Rohstoffe zu höheren Preisen einkaufen – man betrachte u. a. die Bauindustrie – was zu höheren Preisen führt und final die Inflation weiter anheizt. Die Inflationsspirale dreht sich immer schneller.

Die Bundesregierung hat bisher drei Hilfspakete insbesondere für Privathaushalte als Nutznießer über rund 100 Mrd. EUR beschlossen. Bundeskanzler Scholz hat vor ein paar Tagen, den sogenannten Doppel-Wumms in Aussicht gestellt. Ein Hilfspaket über 200 Mrd. EUR. Zusätzlich soll noch eine Gaspreisbremse implementiert werden. Gleichzeitig wird die höchstumstrittene Gaspreisumlage gestrichen.

Gefahr einer Rezession steigt weiter an

Einige internationale Finanzexperten sehen die fiskalischen Kennziffern aber in einer ganz anderen Dimension. Die zusätzlichen Energiekosten in diesem Winter könnten mehr als 1 Bio. EUR betragen. Was die Inflation und die massive Gefahr einer Rezession weiter ansteigen lässt, egal welche Maßnahmen die EZB ergreift. Dass die Regierung preisauftriebssenkende Maßnahmen wie das 9-Euro-Ticket oder den Benzinpreisdeckel streicht, um dann der Bevölkerung ein Hilfspaket über 65 Mrd. EUR anzubieten, mit dem diese wiederum die gestiegenen Preise weiter treibt, kann ja nur noch mit Kopfschütteln betrachtet werden. Die Wahl in Italien hat gezeigt, dass die Menschen Angst haben – ob berechtigt oder nicht ist dabei gar nicht so wichtig. Denn nur so lassen sich Ergebnisse wie in Italien erklären. Populisten, die in jede Richtung Versprechen abgeben, die den nationalen Stolz ansprechen, verzeichnen in der gesamten Welt massiven Zuspruch.

FAZIT

Das alles zeigt: Die Zyklen drehen sich für Unternehmen immer schneller. Wer seine Hausaufgaben nicht gemacht hat und sich nicht auf einen ordentlichen Finanzierungsmix eingelassen hat, ist nicht gut aufgestellt und fliegt aus der Kurve.

Autorenprofil
Kai Jordan

Bis 1998 war Kai Jordan stellvertretender Leiter des Aktienhandels der Commerzbank Frankfurt und später Abteilungsdirektor Equity Capital Markets. Dann wechselte er in den Sektor der Wertpapierfirmen zu einem Frankfurter Finanzdienstleister und begleitete die Entwicklung zu einer erfolgreichen und diversifizierten Wertpapierhandelsbank. 2007 wurde er dort in den Vorstand berufen. Seit August 2016 zeichnet Jordan bei der mwb als Vorstand für den Bereich Corporates & Markets verantwortlich.

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