Die Stimmung in der deutschen Wirtschaft hat sich auf niedrigem Niveau stabilisiert. Heute wurde mitgeteilt, dass der ifo Geschäftsklimaindex im April ganz leicht auf 91,8 Punkte gestiegen ist. Mit dieser etwas erfreulichen Nachricht beginnen wir die Übersicht über aktuelle Wirtschaftsprognosen.
Nach Einschätzung der ifo-Wirtschaftsexperten sei die Stabilisierung vor allem auf die weniger pessimistischen Erwartungen der Unternehmen zurückzuführen. Die aktuelle Lage würden die Befragten minimal besser bewerten. „Nach dem ersten Schock über den russischen Angriff zeigt die deutsche Wirtschaft sich widerstandsfähig“, erklärt Clemens Fuest, Präsident des ifo Instituts.
Im Verarbeitenden Gewerbe hat sich nach den ifo-Zahlen die Stimmung etwas gebessert, vor allem die Geschäftserwartungen seien gestiegen. In der chemischen Industrie sei die Stimmung allerdings sehr schlecht. Im Dienstleistungssektor hat sich das ifo-Geschäftsklima merklich verbessert. Die Dienstleister seien deutlich zufriedener mit den laufenden Geschäften. Zudem blickten sie weniger pessimistisch auf die kommenden Monate. Schlechte Nachrichten gibt es vom Bauhauptgewerbe, denn dort ist das Geschäftsklima auf den niedrigsten Wert seit Mai 2010 abgestürzt. Insbesondere große Materialengpässe belasten laut ifo-Befragung das Geschäft.
IW befürchtet eine Rezession
Hohe Energiepreise und Unsicherheiten infolge des Ukrainekonflikts haben die Geschäftserwartungen der meisten Unternehmen nach einer aktuellen Konjunkturumfrage des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) für 2022 verschlechtert. Demnach schauen besonders die Bauwirtschaft und die Industrie sehr pessimistisch in die Zukunft. Die Erhebung hat zudem ergeben, dass in Deutschland die Dienstleistungsbranche aus dem Coronatief klettert. Neben den steigenden Preisen werden die Betriebe auch durch die hohen Personalausfälle infolge der Coronapandemie behindert. Hinzu kommen kontinuierliche Probleme mit den Lieferketten – neu angeheizt durch den Lockdown in Shanghai. Und der Krieg in der Ukraine sorge für zusätzliche Unsicherheiten. Im Zuge der jüngsten IW-Konjunkturumfrage wurden fast 3.000 Unternehmen zwischen Anfang März und Mitte April befragt.
Nur noch gut 30% der Unternehmen in der Bauwirtschaft rechnen demnach mit einer Produktionszunahme im Jahr 2022. Mehr Baufirmen gehen außerdem von sinkenden Investitionen und wenig Beschäftigungsimpulsen aus. In der Industrie sind laut IW 28% der Unternehmen pessimistisch gestimmt – doppelt so viele wie im November 2021. Besonders die hohen Energiepreise, die zuletzt durch den Krieg weiter gestiegen sind, würden der Industrie zu schaffen machen. Hinzu komme die Angst vor zusätzlichen Material- und Lieferschwierigkeiten. Im Dienstleistungssektor haben nach den IW-Zahlen die Optimisten mit fast 50% weiter die Oberhand. Hier erwarten viele Unternehmen durch das Ende der Coronaeinschränkungen bessere Geschäfte. Die überwiegende Mehrheit rechnet sogar mit steigenden Investitionen und zunehmender Beschäftigung. „Die optimistischen Produktionserwartungen der Unternehmen in Deutschland lassen insgesamt nicht auf eine Beschäftigungs- und Investitionskrise schließen. Angesichts einer sich abrupt ändernden geopolitischen Lage kann sich die Stimmung der Unternehmen jedoch schnell ändern“, sagt IW-Konjunkturexperte Michael Grömling.
S&P Global sieht Produktionsrückgang
Gravierende Lieferunterbrechungen und eine sinkende Nachfrage sorgten nach einer aktuellen Befragung des Wirtschaftsforschungsinstituts S&P Global in Deutschland im April für einen Rückgang der Industrieproduktion. Gleichzeit habe es eine kräftige Erholung des Servicesektors infolge der nachlassenden Auswirkungen der Pandemie gegeben. Der Inflationsdruck auf die Unternehmen steige unaufhörlich weiter. Diese Faktoren führten nach der Untersuchung dazu, dass die Geschäftsaussichten auf den tiefsten Wert seit zwei Jahren eingebrochen sind. Der Auftragseingang in der Industrie habe zudem erstmals seit knapp zwei Jahren wieder ein Minus ausgewiesen. Laut Umfrageteilnehmern habe dies vor allem an der zunehmenden Unsicherheit unter den Kunden, den Wirtschaftssanktionen und den anhaltenden Lieferengpässen gelegen. „Die Entwicklungen in Industrie und Dienstleistungssektor in Deutschland laufen zunehmend auseinander. Während der Servicesektor dank der zurückgehenden Coronarestriktionen und der daraus resultierenden Aufholjagd weiter an Dynamik gewonnen hat, ist die Industrieproduktion wegen der Kombination aus erneuten Lieferunterbrechungen und rückläufiger Nachfrage nach Industrieerzeugnissen gesunken. Die Geschäftsaussichten binnen Jahresfrist sind seit Jahresbeginn auf breiter Front und insbesondere in der Industrie stark gesunken – ein Ausdruck großer Besorgnis hinsichtlich steigender Preise, anhaltender Materialknappheit und wachsender Zurückhaltung der Kunden“, erklärt dazu Phil Smith, Economics Associate Director bei S&P Global.
Als Redakteur der Unternehmeredition berichtet Alexander Görbing regelmäßig über Unternehmen und das Wirtschaftsgeschehen. Zu seinen Schwerpunkten gehören dabei Restrukturierungen, M&A-Prozesse, Finanzierungen sowie Tech-Startups.