Hinweisgeberschutzgesetz: Unternehmen mit über 49 Beschäftigten müssen handeln

Erklärt das deutsche Hinweisgeberschutzgesetz, das Unternehmen verpflichtet, interne Meldestellen einzurichten.
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Die Schon­frist für einen Großteil der Un­ter­neh­men in Deutsch­land läuft im De­zem­ber 2023 ab dann wird der letzte Teil des Hin­weis­ge­ber­schutz­ge­set­zes „scharf“ ge­schal­tet. Das Ge­setz soll es Be­schäftig­ten ermögli­chen, Straf­ta­ten und Ord­nungs­wid­rig­kei­ten aus ih­rem Ar­beits­um­feld zu mel­den, ohne Re­pres­sa­lien befürch­ten zu müssen. Der Ge­setz­ge­ber ver­pflich­tet da­her fast alle mit­tel­großen und großen Un­ter­neh­men ak­tiv zu wer­den und den Be­schäftig­ten Mel­dun­gen über in­terne Hin­weis­ge­ber­sys­teme zu ermögli­chen. Tun die be­trof­fe­nen Un­ter­neh­men dies nicht oder nicht rich­tig, dro­hen emp­find­li­che Bußgelder.

Wel­che Un­ter­neh­men sind be­trof­fen?

Das Hin­weis­ge­ber­schutz­ge­setz (HinSchG) hat einen sehr wei­ten An­wen­dungs­be­reich: Ab dem 17. Dezember 2023 gilt es auch für alle Un­ter­neh­men mit „in der Re­gel“ mehr als 49 Be­schäftig­ten (§§ 3 Abs. 9 i. V. m. 12 Abs. 1 und 2 HinSchG). Da­mit sind etwa be­reits größere Brauhäuser, Ein­zelhänd­ler oder Re­stau­rants von die­sem Ge­setz un­mit­tel­bar be­trof­fen. Aus­nah­men gibt es kaum; für be­stimmte Un­ter­neh­men des Fi­nanz­sek­tors gilt das Ge­setz so­gar un­abhängig von der Be­schäftig­ten­zahl (§ 12 Abs. 3 HinSchG).

Wer als „Be­schäftig­ter“ zählt, hat der Ge­setz­ge­ber nicht ein­deu­tig ge­re­gelt. Es ist da­her ak­tu­ell un­geklärt, ob eine „Pro-Kopf-Zählung“ zu er­fol­gen hat oder ob bei­spiels­weise Teil­zeit­be­schäftigte nur an­tei­lig zu berück­sich­ti­gen sind. Das Ge­setz spricht außer­dem von Un­ter­neh­men mit „in der Re­gel“ mehr als 49 Be­schäftig­ten. Aus­weis­lich der Ge­set­zes­begründung soll mit die­ser For­mu­lie­rung die An­zahl der Be­schäftig­ten an­hand ei­nes Rück­blicks auf die bis­he­rige per­so­nelle Stärke und ei­ner Ein­schätzung der zukünf­ti­gen Ent­wick­lung er­mit­telt wer­den. Da­mit be­steht keine „Stich­tags­re­ge­lung“, und für die Be­stim­mung der Be­schäftig­ten­an­zahl bleibt zwangsläufig ein ge­wis­ser Er­mes­sens­spiel­raum.

Al­lein schon we­gen die­ser recht­li­chen Un­si­cher­hei­ten soll­ten sich vor al­lem Mit­telständ­ler recht­li­che Un­terstützung ho­len, um sich vor al­lem vor mögli­chen Bußgel­dri­si­ken zu schützen.

Was müssen die ver­pflich­te­ten Un­ter­neh­men tun?

Das Ge­setz ver­pflich­tet die Un­ter­neh­men, eine in­terne Mel­de­stelle für Hin­weis­ge­ber ein­zu­rich­ten (§ 7 HinSchG). An diese sol­len sich Be­schäftigte wen­den können, wenn sie In­for­ma­tio­nen zu Straf­ta­ten, Ord­nungs­wid­rig­kei­ten oder an­de­ren Rechts­verstößen im Un­ter­neh­men ha­ben, die von dem Ge­setz er­fasst sind (§ 2 HinSchG).

Er­leich­te­run­gen be­ste­hen hier­bei grundsätz­lich nur für mit­tel­große Un­ter­neh­men mit ei­ner Be­schäftig­ten­zahl von 50 bis 249 Mit­ar­bei­tern. Nach § 14 Abs. 2 HinSchG können diese Un­ter­neh­men für die Ent­ge­ge­nahme von Mel­dun­gen und für die wei­te­ren nach die­sem Ge­setz vor­ge­se­he­nen Maßnah­men eine ge­mein­same Stelle ein­rich­ten und be­trei­ben. Ob­wohl sie sich dem­ent­spre­chend mit an­de­ren Un­ter­neh­men eine Mel­de­stelle tei­len können, blei­ben sie aber wei­ter­hin ver­pflich­tet, Verstöße ab­zu­stel­len und den Hin­weis­ge­bern Rück­mel­dung zu er­tei­len.

Für kon­zern­an­gehörige Ge­sell­schaf­ten ist in­so­weit eine Er­leich­te­rung vor­ge­se­hen, als dass auch bei ei­ner an­de­ren Kon­zern­ge­sell­schaft eine un­abhängige und ver­trau­li­che Stelle als „Drit­ter“ ein­ge­rich­tet wer­den kann, die auch für meh­rere selbständige Un­ter­neh­men in dem Kon­zern tätig sein kann. Auch hier be­steht die Möglich­keit, sich eine ge­mein­same Mel­de­stelle zu tei­len. Durch die Be­auf­tra­gung ei­ner zen­tra­len Mel­de­stelle bei ei­ner Kon­zern­ge­sell­schaft dürfen keine zusätz­li­chen Hürden für hin­weis­ge­bende Per­so­nen auf­ge­baut wer­den.

Geht ein Hin­weis bei der Mel­de­stelle ein, muss sie diese in einem mehr­stu­fi­gen Pro­zess be­ar­bei­ten (§ 17 Abs. 1 HinSchG):

  • Zunächst muss die Mel­de­stelle den Ein­gang des Hin­wei­ses nach spätes­tens sie­ben Ta­gen bestäti­gen.
  • Im An­schluss prüft sie, ob der An­wen­dungs­be­reich des Hin­weis­ge­ber­schutz­ge­set­zes über­haupt eröff­net ist und die Mel­dung plau­si­bel er­scheint. Ge­ge­be­nen­falls kann die Mel­de­stelle den Hin­weis­ge­ber um wei­tere In­for­ma­tio­nen bit­ten.
  • Ist der An­wen­dungs­be­reich eröff­net und die Mel­dung stich­hal­tig, müssen an­ge­mes­sene Fol­gemaßnah­men nach § 18 HinSchG er­grif­fen wer­den.
  • Die in­terne Mel­de­stelle muss dem Hin­weis­ge­ber in­ner­halb von drei Mo­na­ten nach Bestäti­gung des Ein­gangs der Mel­dung eine Rück­mel­dung er­tei­len. Die Rück­mel­dung um­fasst die Mit­tei­lung ge­plan­ter so­wie be­reits er­grif­fe­ner Fol­gemaßnah­men so­wie die Gründe für diese.

Was droht Un­ter­neh­men, die nicht recht­zei­tig eine Mel­de­stelle ein­rich­ten?

Un­ter­neh­men, die nicht recht­zei­tig eine in­terne Mel­de­stelle ein­rich­ten (las­sen), können nach Ab­lauf der Schon­frist mit emp­find­li­chen Bußgel­dern sank­tio­niert wer­den.

Für kleine und mit­tel­große Un­ter­neh­men mit 50 bis 249 Be­schäftig­ten läuft diese Frist am 17. Dezember 2023 ab, für Un­ter­neh­men mit mehr als 249 Be­schäftig­ten en­dete diese be­reits am 01. Dezember 2023.

Zahl­rei­che be­trof­fene Un­ter­neh­men erfüllen die ho­hen und kom­ple­xen An­for­de­run­gen des Hin­weis­ge­ber­schutz­ge­set­zes der­zeit noch nicht. Ins­be­son­dere können be­reits be­ste­hende Sys­teme, bei­spiels­weise ein se­pa­ra­tes E-Mail-Post­fach, in fast al­len Fällen nicht den ge­setz­li­chen Vor­aus­set­zun­gen ei­nes Hin­weis­ge­ber­sys­tems ge­recht wer­den. Sie müssen sorgfältig geprüft und an die neuen Vor­ga­ben an­ge­passt wer­den.

Wer­den Bußgelder verhängt, können diese schnell eine fünf­stel­lige Summe er­rei­chen. Die dro­hen­den Bußgelder können da­bei nicht nur für die Un­ter­neh­men teuer wer­den, auch die Un­ter­neh­mens­ver­ant­wort­li­chen können persönlich sank­tio­niert wer­den.

Da­her soll­ten die Un­ter­neh­mens­ver­ant­wort­li­chen zeit­nah han­deln.

Wie müssen Mel­de­stel­len kon­kret aus­ge­stal­tet wer­den?

Das Ge­setz lässt den Un­ter­neh­men bei der Aus­ge­stal­tung der in­ter­nen Mel­de­stelle einen ge­wis­sen Spiel­raum (§§ 12 ff. HinSchG). Zu­meist bie­tet sich die Ein­rich­tung ei­ner di­gi­ta­len Mel­demöglich­keit an. Un­ter­neh­mens­in­terne phy­si­sche Briefkästen können theo­re­ti­sch auch aus­rei­chen, sind je­doch auf­grund der ge­setz­li­chen Vor­ga­ben mit einem er­heb­li­chen or­ga­ni­sa­to­ri­schen Auf­wand ver­bun­den. In der Pra­xis können al­ter­na­tiv Aushänge mit QR-Codes ge­nutzt wer­den, über die Mit­ar­bei­ter die di­gi­tale Mel­de­stelle ab­ru­fen können. In Be­trie­ben mit in­ter­na­tio­na­len Mit­ar­bei­tern soll­ten die Aushänge ent­spre­chend sprach­lich er­wei­tert wer­den, da al­len Be­schäftig­ten der Zu­gang ermöglicht wer­den muss.

Letzt­lich kommt es in der kon­kre­ten Aus­ge­stal­tung auf den Ein­zel­fall an, u. a. die Größe, Struk­tur und Weiträum­ig­keit der Un­ter­neh­mens­or­ga­ni­sa­tion.

Je­doch trifft alle Un­ter­neh­men glei­chermaßen die Pflicht, die in­terne Mel­de­stelle mit ei­ner oder meh­re­ren Per­so­nen zu be­set­zen, wel­che über die „not­wen­dige Fach­kunde“ verfügen (§ 15 Abs. 2 S. 1 HinSchG). Während größere Un­ter­neh­men mit de­zi­dier­ten Rechts­ab­tei­lun­gen hier ohne größere Schwie­rig­kei­ten auf ei­gene Res­sour­cen zurück­grei­fen können, ste­hen viele Mit­telständ­ler vor er­heb­li­chen Pro­ble­men. Die Be­ar­bei­tung ein­ge­hen­der Mel­dun­gen er­for­dert ins­be­son­dere weit­rei­chende straf­recht­li­che Ex­per­tise, die klei­nere Be­triebe schwer­lich vor­hal­ten können.

So­gar er­fah­rene Straf­recht­ler ste­hen vor Her­aus­for­de­run­gen, von recht­li­chen Laien ge­schil­derte Kurz­sach­ver­halte auf ihre Re­le­vanz zu prüfen. Die zwangsläufig er­for­der­li­chen Kennt­nisse über steu­er­li­che Kor­rek­tur­ver­pflich­tun­gen, mögli­che An­zei­ge­pflich­ten oder sons­tige sich aus der Mel­dung er­ge­ben­den Maßnah­men wer­den nur we­nige Mit­telständ­ler in den ei­ge­nen Rei­hen ha­ben.

Auch die Möglich­keit, je nach Aus­ge­stal­tung des Sys­tems Rück­fra­gen an den Hin­weis­ge­ber stel­len zu können, wird an die­ser Pro­ble­ma­tik we­nig ändern, zu­mal auch die Be­fra­gung von Zeu­gen bzw. Op­fern (min­des­tens eine die­ser Rol­len wird der Hin­weis­ge­ber in der Re­gel ha­ben) er­heb­li­che Er­fah­rung vor­aus­setzt.

Vor die­sem Hin­ter­grund ist ins­be­son­dere den klei­ne­ren Un­ter­neh­men zu emp­feh­len, die in­terne Mel­de­stelle mit ex­ter­nen Rechts­anwälten zu be­set­zen. Dies gilt umso mehr, als auch ein fal­scher Um­gang mit Mel­dun­gen un­ter Umständen ein Bußgeld nach sich zie­hen kann – in ei­ner Höhe von bis zu 500.000 EUR.

Hin­weis­ge­ber­schutz als Chance

Bei all den Pflich­ten wäre es nun na­he­lie­gend, in dem Ge­setz aus­schließlich eine wei­tere Be­las­tung für Un­ter­neh­men zu se­hen, einen „Petz­kas­ten“ ein­rich­ten zu müssen. Doch er­ste Er­fah­run­gen aus der Pra­xis mit Hin­weis­ge­ber­sys­te­men las­sen Hoff­nung schöpfen. Meist geht we­der eine Flut an Mel­dun­gen ein, noch wer­den pri­vate Strei­tig­kei­ten der Mit­ar­bei­ten­den über die Sys­teme aus­ge­foch­ten.

Statt­des­sen sind die we­ni­gen ein­ge­hen­den Mel­dun­gen meist seriös und schwer­wie­gend. Mel­de­stel­len sind da­bei in der Re­gel die letzte An­lauf­stelle für Be­schäftigte, wenn an­dere Kom­mu­ni­ka­ti­ons- und Kon­fliktlösungs­wege im Un­ter­neh­men dem Pro­blem keine Ab­hilfe schaf­fen konn­ten.

Ab­ge­se­hen von der Ver­bes­se­rung des po­si­ti­ven Ar­beit­ge­be­ri­mages durch die Im­ple­men­tie­rung ei­nes Hin­weis­ge­ber­schutzssys­tems stellt es auch eine Chance für Un­ter­neh­men dar, schwe­lende Missstände in­tern auf­zu­ar­bei­ten und so Ri­si­ken zu ent­schärfen. Wenn es eine Mel­de­stelle gar nicht erst gibt oder die Mit­ar­bei­ter kein Ver­trauen in das ein­ge­rich­tete Sys­tem ha­ben, be­steht de­ren ein­zige Al­ter­na­tive oft darin, sich di­rekt an die Behörden zu wen­den. In die­sem Fall kann der Scha­den für das Un­ter­neh­men groß sein, wenn Er­mitt­lungs­ver­fah­ren ein­ge­lei­tet und in die­sem Zu­sam­men­hang bei­spiels­weise Ge­schäftsräume durch­sucht wer­den. Die Ein­rich­tung ei­nes Hin­weis­ge­ber­sys­tems vor Ab­lauf der Schon­frist ist hier si­cher­lich die deut­lich güns­ti­gere Va­ri­ante.

Autorenprofil
Philipp Külz

Philipp Külz ist Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht, Zertifizierter Berater für Steuerstrafrecht (DAA) und Partner bei RSM Ebner Stolz in Köln. Er berät Unternehmen und Führungskräfte in allen Fragen des Wirtschafts- und Steuerstrafrechts. Ein weiterer Arbeitsschwerpunkt des ehemaligen Staatsanwaltes liegt in der Beratung von Unternehmen bei der Implementierung bzw. Verbesserung von Compliance Management Systemen sowie der Durchführung unternehmensinterner Sonderuntersuchungen.

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