Die deutschen Unternehmen sind gut durch das Jahr 2022 gekommen. Lediglich 217 Unternehmen mit einem Umsatz größer 10 Mio. Euro mussten einen Insolvenzantrag stellen. Die Pleiten wuchsen zwar um ein Drittel gegenüber dem Vorjahr, jedoch entsprechen sie dem Niveau vor der Pandemie, so die Insolvenzanalyse der Unternehmensberatung Falkensteg. „Damals hatten wir historische Tiefstände. Nun erleben wir eher einen leichten Aufwärtstrend. Aber noch ist keine Insolvenzwelle zu sehen“, erklärt Jonas Eckhardt, Partner bei Falkensteg. Der Gesamtumsatz aller insolventen Großunternehmen summiere sich auf 11,6 Mrd. Euro gegenüber 7,7 Mrd. Euro im Jahr 2021.
“Verzerrtes Bild” der Wirtschaft
Insgesamt zeigen sich die deutschen Unternehmen nach der aktuellen Studie angesichts der vielen Krisen robuster als erwartet. Das “Gießkannenprinzip” der staatlichen Hilfsprogramme, die stetigen Eingriffe in das Insolvenzrecht und nicht zuletzt, die Hoffnung auf den Retter in der Not, „verzerren jedoch das reale Bild der Wirtschaft“, findet Eckhardt.
Die Chipkrise, die Lieferkettenabrisse durch die chinesische Null-Covid-Politik und die explodierenden Energie-, Beschaffungs- sowie Verbraucherpreise nennen die Krisenunternehmen laut Falkensteg als Hauptursache für wirtschaftliche Schieflagen. Deutschland stehe laut Weltbank im Ranking der besten Sanierungs- bzw. Insolvenzsysteme in der Welt auf Rang 4. Die Eigenverwaltung, höhere Insolvenzquoten und die Rettung von rund 50 Prozent der insolventen Großunternehmen führen zu dieser Topplatzierung. „Mit den Sanierungsmöglichkeiten lässt sich der gesunde Kern aus einem Unternehmen herauszuschälen und der lebensfähige Bereich erhalten“, sagt Eckhardt. Erste Unternehmen denken hier um, stellen frühzeitiger einen Antrag und nutzen die auf Fortführung angelegte Eigenverwaltung. Vor Corona lag der Anteil der Eigenverwaltung gegenüber der Regelinsolvenz bei lediglich 34 Prozent. In 2022 ist er auf 40 Prozent gestiegen.
Weiterer Druck durch Zinseffekte
In diesem Jahr dürften neue Krisenursachen für weiteren Druck sorgen. Nicht nur die geringe Kauflaune und weiterhin hohe Energiepreise, sondern der Zinseffekt wird bei Finanzierungen kräftig durchschlagen. „Frisches Geld kostet wieder deutlich mehr Geld. Ein relevanter Teil der Umsätze wird künftig wieder für Finanzierungskosten aufgewendet werden müssen. Geschäftsmodelle, die bisher kaum Rendite erwirtschafteten, werden das nicht schaffen“, so Eckhardt weiter. Eine Insolvenzwelle hält der Sanierungsexperte dennoch für unwahrscheinlich. „Die Zunahme wird sich in 2023 fortsetzen, jedoch nicht plötzlich, sondern als dauerhaft ansteigenden Wasserstand“, so Eckhardt. Es werde vor allem Unternehmen treffen, die einerseits die Energie- und Rohstoffpreise nicht an die Kunden weitergeben können oder andererseits unter der Konsumzurückhaltung leiden. „Ferner sehen wir einen Anstieg im Handel, Immobilien- und Baubereich sowie bei Automobilzulieferern, die aufgrund des tiefgreifenden Transformationsprozesses in der Dauerkrise stecken. Es wird in einigen Branchen proportional mehr Insolvenzen geben“ erwartet der Sanierungsexperte.
Kranker Patient: Gesundheitswesen
Erstmals könnten im Gesundheitssektor, speziell die Krankenhäuser, die Insolvenzzahlen steil ansteigen. Coronabedingte Umsatzeinbußen, teure Energie und bisher vernachlässigte aber nun unaufschiebbare Investitionen in die Immobilien bringen die Häuser in schwieriges Fahrwasser. Gleich drei große Kliniken, die Imland Kliniken, das Marien Hospital in Papenburg und das Spremberger Krankenhaus, stellten sich in 2022 unter den Schutzschirm. Ferner meldeten die katholische Nord-Kreis Kliniken in Linnich und Jülich sowie die Reichenbacher Paracelsus-Klinik in den vergangenen sechs Monaten Insolvenz an.
Als Redakteur der Unternehmeredition berichtet Alexander Görbing regelmäßig über Unternehmen und das Wirtschaftsgeschehen. Zu seinen Schwerpunkten gehören dabei Restrukturierungen, M&A-Prozesse, Finanzierungen sowie Tech-Startups.