Global Player aus Ostwestfalen

Serie Unternehmerdynastien: Gerry Weber International AG


Sicheres Gespür für Mode, Märkte und Marken
Die Ehefrau und die 17-jährige Tochter schauen nur ganz kurz missmutig von ihren Tellern auf. „Ja ja, Gerhard Weber wirst du jetzt portraitieren. Gerhard Werbitte? Is’ ja interessant.“ Doch schnell dreht sich die gespielte Langeweile in größtes Interesse, als im Gespräch klar wird, dass der Gerhard in der Modebranche Gerry heißt und Gerry Weber sowohl für die Tochter als auch die Angetraute ein Top-Label ist. Mit weltweit mehr als 500 Houses of Gerry Weber, über 2.300 Shopflächen und erfolgreichen Marken-Onlineshops ist die Gerry Weber International AG heute eines der bekanntesten und erfolgreichsten deutschen Fashion- und Lifestyleunternehmen.
Global Player aus Ostwestfalen
Auch international gehört Gerry Weber zu den ganz Großen: Mit rund 3.400 Mitarbeitern weltweit setzt Gerry Weber auf internationales Trendscouting, Vertriebsstrukturen in 62 Ländern, internationale Partner wie die amerikanische Kaufhauskette Bloomingdale’s und Spaniens größte Kaufhauskette El Corte Inglés, Department Stores in Hongkong und Jakarta oder Partner in Kairo, Moskau und Toronto. Auch Karstadt gehört zu seinen beliebten Abverkaufsstätten. Ein Karstadt-Manager aus dem Hessischen sagt: „Wenn bei uns einer rufen würde ,Gerry Weber raustreten‘, sähen bei uns viele Kleiderständer leer aus.“ Damit gehört Gerhard Weber, Mitbegründer, Chef und größter Einzelaktionär der ostwestfälischen Bekleidungsgruppe Gerry Weber, zu den erfolgreichsten Modeunternehmern Europas. Sein Unternehmen lebt von seinem sicheren Gespür für Märkte, Marken und Mode. Im Sommer feierte er seinen 70. Geburtstag. Doch ans Aufhören denkt er nicht. „Solange ich körperlich fit bin, ist das schlecht vorstellbar“, sagt er. Zwei Jahre lang noch will Weber die Geschicke des Unternehmens führen.
Nachfolger in Sicht
Von 2013 an wolle er dann etwas kürzertreten und aus dem Vorstand ausscheiden, verrät er. Sohn Ralf ist BWLer und hat sich schon als Geschäftsführer der Gerry Weber World und als Leiter des Controlling bewährt. Wird er Nachfolger? Gerhard Webers Antwort: „Da gibt es gleich mehrere mögliche Schultern, auf die sich die Verantwortung verteilen lässt. Mein Sohn hat bestimmt auch das Zeug dazu, aber das entscheidet der Aufsichtsrat.“ Auch in Jahren, in denen die Bekleidungsbranche stark zu kämpfen hatte, konnte sich die Gerry-Weber-Gruppe in einer eigenen Firmenkonjunktur sonnen und stets ansehnliche Zuwachsraten bei Umsatz und Ergebnis präsentieren. Wachstumstreiber ist der eigene Einzelhandel mit den Flaggschiffläden „Houses of Gerry Weber“, die inzwischen auch in zahlreichen internationalen Metropolen zu finden sind. Aber auch den klassischen Einzelhandelskunden verhelfen seine offenbar den Geschmack vieler Damen treffenden Kollektionen zu erfolgreichen Abverkaufsstatistiken und guten Margen. Mit dem Aufbau seiner eigenen Ladenkette „Houses of Gerry Weber“ hat Weber sich unabhängiger vom Einzelhandel gemacht. „Man muss wissen, was der Endverbraucher will“, sagt Weber im Gespräch mit der „Unternehmeredition“. „Das ist entscheidend.“ Modische Teile verkauften sich derzeit am besten. Woher er das weiß? „Indem wir Informationen direkt am Point of Sale in unseren Houses of Gerry Weber sammeln. Diese fließen direkt wieder in die Kollektionserstellung ein.“ Abverkaufsdaten und die Erfahrungen aus den eigenen Läden wertet eine ausgeklügelte IT täglich aus. Weber: „Dadurch haben wir einen guten Überblick, welche Ware draußen im Handel läuft oder nicht. Daraus ziehen wir die Schlüsse für unsere Kollektionserstellung und können schnell reagieren.“
Gerry“ steht im Sommer um 4.45 Uhr auf
Dass Weber Senior noch viel Power hat, sieht der, der ihn durchs Gerry-Weber-Designzentrum in Halle begleitet. Im schnellen Marsch stürmt der Firmenpatriarch durch die hohen, hellen Räume. Er hält aber alle paar Meter an, gibt Anweisungen, lässt sich Bericht erstatten oder kontrolliert. Im Sommer beginnt sein Tag oft um 4.45 Uhr. Um 5.15 Uhr ist Abschlag auf dem Golfplatz. 18 Löcher. Um 7.45 Uhr sitzt er am Schreibtisch. Nach einer Lehre als Industriekaufmann eröffnete Weber schon 1965 sein erstes Geschäft. „Niemand hat mir zugetraut – mit 24 Jahren und gerade Vater von Zwillingen geworden –, das Geschäft erfolgreich zu führen“, blickt er zurück. Doch das neue Unternehmen expandiert schnell. „Die ersten vier Läden wurden von mir in der Freizeit gemanagt. Hauptberuflich war ich in einem Bekleidungsunternehmen beschäftigt.“ Er wollte der Familie eine monetär sichere Grundlage bieten. „Das war schon hart. Aber daraus ist Gerry Weber entstanden“, berichtet er.
Ich hatte Glück“: Steffi Graf als noch Unbekannte angeheuert
Bald betreibt Weber nicht nur Modegeschäfte, sondern steigt mit seinem Partner Udo Hardieck auch in die Textilproduktion ein. Bei seinem Siegeszug hat der gelernte Kaufmann Glück: „Wir haben 1986 die damals 17-Jährige Steffi Graf als Werbeikone engagiert. Ein Jahr später stand sie bereits an der Weltspitze. Das konnten wir zwar nicht ahnen, aber der Schachzug hat der Firma gut getan. Und heute stehen wir mit Stefanie und ihrem Mann André immer noch in Kontakt.“ Im vergangenen Jahr konnte Weber den Tennisstar für ein Showmatch an der Seite von Henri Leconte verpflichten. Auch 2012 wird sie bei den 20. Gerry Weber Open einen Schaukampf bestreiten. Dass Gerhard Weber und sein Partner Anfang der 90er Jahre das Gerry-Weber-Stadion in Halle/Westfalen gebaut haben, zählt zu seinen vielen glücklichen Schachzügen und war eine güldene Entscheidung. Dort finden seither Großveranstaltungen wie andere Sportwettkämpfe und Konzerte statt. Allein das Gerry-Weber-Tennisturnier wird in 120 Ländern übertragen. „Dadurch haben wir in vielen Ländern einen Bekanntheitsgrad erreicht, den wir allein mit dem Werbebudget des Unternehmens niemals erreicht hätten, und einen Werbewert für die Modemarke, der nicht zu beziffern ist. Man kennt uns in den Ländern, bevor wir dort mit Partnern oder in Eigenregie überhaupt ein Geschäft eröffnen.“ Zu seinem geschäftlichen Siegeszug gehörte auch die Modernisierung und Straffung der Kollektionen. Das löste eine kleine Revolution im Unternehmen aus. Über mehrere Saisons wurde Schritt für Schritt der Modegrad der Themen erhöht und auf starke Outfits konzentriert.
Kollektion und damit Komplexität um 80% verringert
„Wir bieten heute 21 Themen mit je 35 Teilen im Jahr an. Das heißt, den Kollektionsumfang haben wir um 80% reduziert, sind so schneller und für den Handel noch interessanter geworden.“ Weniger Themen mit weniger Teilen bedeuten eben auch niedrigeren Materialaufwand – das hält die Produktionskosten niedrig. Zudem produziert Gerry Weber in kostengünstigen Beschaffungsländern wie China, wo alle Fertigungsorte vor Ort betreut und ständig kontrolliert werden. Zu dem Zweck hat das Unternehmen in Shanghai ein Büro mit eigenen Technikern aufgebaut, die die Qualitätsstandards überwachen. Ware wegen geringer Qualität zurückschicken war gestern. Heute wird am Produktionsstandort nötigenfalls Ware abgewiesen. Der Firmenboss ist auch wegen seiner markigen Stimme bei Mitarbeitern gefürchtet, wenn er sie bei Fehlern ertappt. Grundsätzlich ist dem 70-Jährigen aber sehr wichtig, dass sich seine Belegschaft wohl fühlt. Im Augenblick wird der Unternehmenssitz in Halle/Westfalen komplett umgebaut. Weil die Logistik an externe Dienstleister outgesourct wurde, konnte eine ehemalige Logistikhalle zu einem Kreativcenter auf zwei Etagen ausgebaut werden.
Logistik outgesourct: Platz für Showrooms und Kindergarten
So sind Showrooms für fünf Marken und attraktive Großraumbüros für die Mitarbeiter entstanden. Im Augenblick plant das Unternehmen einen betriebseigenen Kindergarten auf dem Gelände. Weber: „Wir möchten die Vereinbarkeit von Familie und Beruf verbessern und dafür sorgen, dass unsere Mitarbeiter ideale Bedingungen haben, um nach der Elternzeit ihre Karriere fortzuführen.“ Schlussbemerkung: Der Artikel ist geschrieben. Ehefrau wie 17-jährige Tochter haben ihn gelesen, bringen ihre Gerry-Weber-Teile zum Schreiber dieser Zeilen ins Büro. Sie sind von dem Modelabel beeindruckt. Wirklich.

Thomas Grether
redaktion@unternehmeredition.de

Autorenprofil

Thomas Grether ist Gastautor.

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