Nachfolger stehen vor einer doppelten Leadership-Aufgabe: Sie müssen sowohl das Unternehmen führen als auch die Mitgesellschafter. Wieso es dafür eine gesunde Feedbackkultur braucht und wie diese entstehen kann.
Klassische Thronfolgerlösungen, bei denen der Vater sein Unternehmen im hohen Alter an den Sohn oder die älteste Tochter übergibt, sind heute nicht mehr die Norm. Viel häufiger werden Familienunternehmen an mehrere Gesellschafter aus der Familie übertragen.
Wenn der neue geschäftsführende Gesellschafter dann seine Stelle antritt, wird er oder sie sich zunächst auf die klassischen Leadership-Aufgaben konzentrieren: eine entwerfen, die Mitarbeiter hinter sich scharen und für die gemeinsamen Ziele begeistern. Wenn aber weitere Geschwister oder Familienangehörige wie Cousins und Cousinen als Mitgesellschafter Verantwortung übernehmen (wollen), wird die Führungsaufgabe komplexer: Dann muss der oder die Neue im Chefsessel nicht nur die Belegschaft für sich gewinnen, sondern auch die Gesellschafter von sich und seinen Vorstellungen zur Zukunft des Unternehmens überzeugen.
Während sich die indirekte Führung der Familie über Familienverfassungen und Nachfolgestrategien längst etabliert hat, ist die direkte Führung der Mitgesellschafter für die nachfolgende Generation häufig noch Neuland. Diese doppelte Leadership-Aufgabe – die Führung nach unten und nach oben also – müssen geschäftsführende Gesellschafter jedoch erkennen und aktiv angehen.
So entsteht eine belastbare Feedbackkultur
Damit das gelingt, kommt es auf einen Baustein ganz besonders an: eine belastbare Feedbackkultur. Doch wie kann der geschäftsführende Gesellschafter den Mitgesellschaftern wertschätzendes Feedback geben – und im Gegenzug auch einfordern? Denn besonders bei familiären Beziehungen ist die Gefahr groß, dass das Feedback von emotionalen Aspekten aus der Vergangenheit überlagert wird.
Zunächst einmal ist es wichtig, den richtigen Rahmen zu schaffen und regelmäßige Gesellschafter-Feedbackgespräche zu institutionalisieren: Mindestens zwei Mal pro Jahr sollten sich Mitgesellschafter und Unternehmenschefs einige Stunden Zeit nehmen und sich an einen passenden Ort zurückziehen. Ein neutraler Konferenzraum ist dafür in der Regel besser geeignet als das Büro des geschäftsführenden Gesellschafters. Im Gespräch heißt es dann: Lob und Kritik äußern, aber auch einholen – denn Feedback ist keine Einbahnstraße, sondern sollte gegenseitig erfolgen.
Beim Gesellschafter-Feedback gelten die gleichen Regeln wie in anderen Feedbackgesprächen im Unternehmenskontext: So ist es beispielsweise sinnvoll, positiv zu beginnen und die Punkte zu nennen, die man am Gegenüber schätzt. Konstruktives Feedback bedeutet aber auch, sich an die Fakten zu halten und möglichst konkret zu formulieren, wobei Ich-Botschaften im Vordergrund stehen sollten. Dabei ist viel Empathie und Fingerspitzengefühl nötig, denn gerade in Geschwisterbeziehungen und anderen familiären Konstellationen kann es schnell emotional werden.
Wer in einem solchen Gespräch kritisches Feedback erhält, ist gut beraten, nicht direkt zu reagieren. Besser ist es, zu sagen: „Ich nehme diesen Punkt mit und denke darüber nach.“ Im Anschluss kann der oder die Kritisierte das Gesagte dann mit einem guten Freund oder einer engen Kollegin spiegeln und besprechen, ob er oder sie das genauso sieht. Wenn das der Fall ist, dann wird wohl etwas dran sein am Feedback der Schwester oder des Bruders.
Fokus auf die Stärken
Grundsätzlich lässt sich beobachten, dass sich alle Beteiligten in familiären Konstellationen zu stark auf die Schwächen des Bruders, der Schwester oder der Cousine konzentrieren. Das ist nachvollziehbar: Die jeweiligen Defizite rufen oft sehr starke Gefühle hervor. Zielführend ist es aber nicht – viel sinnvoller ist es, die Stärken des anderen zu sehen und für sich und das Unternehmen zu nutzen.
Hat einer der Mitgesellschafter etwa eine besondere Begabung im Umgang mit Menschen? Kann er oder sie mit Leichtigkeit Kontakte knüpfen und Menschen verbinden? Dann könnte diese Person etwa damit beauftragt werden, zwischen den Geschwistern, Cousins oder Cousinen zu vermitteln. Bringt einer der Mitgesellschafter starke analytische Fähigkeiten mit und kann damit vielleicht den Prüfbericht des Abschlussprüfers besonders unter die Lupe nehmen? Wenn solche Überlegungen einsetzen, ist der Moment erreicht, an dem alle weiterkommen und profitieren.
Drei Brüder, drei Weltanschauungen, ein Ziel
Das eben Gesagte zeigt sich im Fall eines Unternehmens, in dem drei Brüder als Gesellschafter agieren: Einer der Brüder ist in der Position des geschäftsführenden Gesellschafters tätig, die beiden anderen als Mitgesellschafter. Das Problem: Die drei Brüder bringen sehr unterschiedliche Persönlichkeiten und Wertvorstellungen mit. Der Geschäftsführer ist sehr bodenständig, sein älterer Bruder ein Freigeist, der jüngste exzentrisch veranlagt.
In der Vergangenheit stand beim geschäftsführenden Gesellschafter das Unverständnis für die Lebensweise seiner Brüder im Vordergrund. Im Rahmen eines Coachings hat er gelernt, die Vergangenheit ruhen zu lassen und die Situation analytisch zu betrachten: Wer bringt welche Stärken mit? Und wie kann er diese im Sinne des Unternehmens einbringen? Nun liegt der Fokus darauf, einen Rahmen zu schaffen, in dem konstruktives Feedback möglich wird und in dem alle Beteiligten die Dinge offen ansprechen können. So nimmt er im positiven Sinne Einfluss auf seine Mitgesellschafter und damit auf die künftige Entwicklung des Unternehmens.
Führung setzt Leistung und Loyalität voraus
Führung nach oben baut nicht auf hierarchischer Macht auf, sondern auf Einflussnahme. Ob diese gelingt, hängt davon ab, weshalb der Geschäftsführer seine Mitgesellschafter führen will: um die Firma noch erfolgreicher zu machen? Dann werden sich die Mitgesellschafter gerne führen lassen. Hat ein Mitgesellschafter das Gefühl, manipuliert zu werden, wird er sich sehr wahrscheinlich nicht führen lassen.
Damit die Führung nach oben funktioniert, sollte der Geschäftsführer seinen Mitgesellschaftern zwei Dinge schenken: Leistung und Loyalität. Wer gute Leistung bringt, trägt dazu bei, dass alle Gesellschafter ihre Ziele erreichen. Aber auch Loyalität und Anerkennung sind unabdingbar. Nur wenn die Mitgesellschafter spüren, dass sie sich auf den Geschäftsführer verlassen können, und sich in ihren Stärken gesehen fühlen, werden sie sich und ihre Talente in den Dienst der gemeinsamen Sache stellen.
Dieser Beitrag erscheint in der Unternehmeredition 1/2022.
Alexander Koeberle-Schmid
Dr. Alexander Koeberle-Schmid ist lizenzierter Mediator (BM®), zertifizierter Nachfolge- und Executive Coach (PCC-ICF) sowie Experte für Unternehmensnachfolge, Familienverfassung, Beirat, Governance und Leadership bei PwC Deutschland. Seit 2005 berät er Geschäftsführer und Unternehmerfamilien in Deutschland, Österreich und der Schweiz.