Die Inzidenzwerte sinken bundesweit – die dritte Welle der Corona-Pandemie scheint gebrochen. Nun beginnt die juristische Aufarbeitung der verschiedenen Maßnahmen der Bundesregierung seit Ende des Jahres 2020. Über 400 Verfahren wurden bis Ende Mai dieses Jahres vor dem Bundesverfassungsgericht eingereicht, um gegen die sogenannte Corona-Bundesnotbremse zu klagen. Die Zahl der Beschwerdeführer addiert sich inzwischen auf annähernd 8.000. Bisher wurden alle Eilanträge abgelehnt – das ist aber keine Aussage zu den Erfolgsaussichten im jeweiligen Hauptsacheverfahren. Die Unternehmeredition sprach mit Marcus Diekmann, CEO von Rose Bikes und Intersport-CEO Alexander von Preen, die Klagen eingereicht haben.
„Wir werden gewinnen“, ist sich Marcus Diekmann sicher. Der Rose-CEO ist einer der treibenden Köpfe hinter der Pro-Bono-Initiative „Händler helfen Händlern“. Zehn große Fachhandelsunternehmen, darunter Engelhorn, Ernsting’s family, Rose Bikes, Tom Tailor sowie die Sportverbundgruppe Intersport haben Ende Mai Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht gegen die Novelle des Infektionsschutzgesetzes, der sogenannten bundeseinheitlichen Notbremse eingelegt.
Wer kauft schon einen Skianzug im Mai?
Es gibt drei Ansatzpunkte der Klage vor den Karlsruher Richtern: Die Fachhändler-Initiative sieht sich gerade im Rahmen der Berufsfreiheit durch das Bundesgesetz stark eingeschränkt. Studien des Robert Koch Instituts (RKI) würden belegen, dass ein etwaiges Ansteckungsrisiko durch die bestehenden Hygienekonzepte im Fachhandel gering ist. Ähnlich geäußert hat sich auch der Virologe Prof. Christian Drosten in seinem NDR-Podcast Mitte Mai dieses Jahres: „Und klar, ein Laden, in dem Leute mit Mundschutz kurze Zeit zum Einkaufen sind, das wird nicht die primäre Übertragungsquelle dieser Erkrankung sein im Vergleich zu bestimmten Arbeitsstätten, wo Mitarbeiter in einer Halle vielleicht körperliche Arbeit verrichten, ganztags. Das liegt vollkommen auf der Hand. Aber das sind rein politische Entscheidungen. Das hat mit Wissenschaft nichts zu tun.“ Zweiter Ansatzpunkt der Klage von „Händler helfen Händlern“ ist der Eingriff in das Eigentumsrecht der Betreiber von Geschäften. Dies gilt insbesondere für Saisonware, die überhaupt nicht mehr verkauft werden kann. Denn wer kauft schon einen Skianzug im Mai?
Gartenmarkt offen – Baumarkt zu?
Das vermutlich stärkste Argument der Klagen dürfte aber die mögliche Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes aus Art. 3 GG sein. „Es ist für uns völlig unverständlich, warum ein Gartencenter unabhängig vom Inzidenzwert öffnen darf, und der danebenliegende Baumarkt schließen muss. Aus Infektionsschutzgesichtspunkten macht diese unterschiedliche Behandlung keinen Sinn”, erklärt Rose-CEO Diekmann. Intersport-CEO Alexander von Preen sieht das ähnlich: „Wenn Discounter, Vollsortimenter oder Drogeriemärkte weiter geöffnet bleiben und dort die gleichen Artikel verkaufen können wie ein Fachhändler, dann gehen die Kunden eben dort hin. Diese Läden waren sehr gut besucht und trotz voller Flächen gab es dort keine Infektionen. Warum hat man dann überhaupt geschlossen?“
Kein Discounter-Bashing
Diekmann und von Preen wollen ausdrücklich kein Discounter-Bashing betreiben, aber für zukünftige Pandemien müsse es eine transparente und faire Lösung geben – in der aktuellen Bundesnotbremse sehen sie das nicht. „Der Fachhandel hat ein Sonderopfer gebracht – wir haben das auch gerne getan zum Schutz der Bevölkerung“, sagt Intersport-Chef von Preen. Dafür müsse es nun aber auch einen fairen Ausgleich geben. Er zieht dabei Parallelen zur Entschädigung der Energieversorger nach dem spontanen Atomausstieg der Bundesregierung im Jahr 2011. „Der stationäre Fachhandel musste in der Pandemie seine Rücklagen einsetzen, um die Krise zu überstehen. Dieses Geld fehlt nun für Investitionen. Wir sehen unsere Zukunftsfähigkeit in Frage gestellt, denn die Digitalisierung gibt es nicht zum Nulltarif“, sagt von Preen. In Gesprächen mit Banken sehe man sich immer wieder der Frage gegenüber, wie es mit der Zukunftsaussicht eines Fachhandelsunternehmens aussieht.
Immer wieder Erfolg vor Gericht
Betreut werden die Verfassungsklagen durch die Kanzlei Heuking Kühn Lüer Wojtek. Michael Schmittmann, Rechtsanwalt und Partner der Kanzlei hat bereits viele Unternehmen der Initiative bei Klagen gegen Corona-Maßnahmen betreut. Inzwischen wurden bundesweit rund 20 Normenkontrollverfahren geführt. Dabei gab es nach seiner Aussage immer wieder kleine Erfolge. In Mecklenburg-Vorpommern wurde beispielsweise erreicht, dass Kunden im Geschäft keinen Personalausweis vorzeigen müssen, um nachzuweisen, dass sie nicht aus einem Gebiet mit hoher Inzidenz kommen. Weiterhin gab es einige erfolgreiche Kostenentscheidungen, wonach die Gerichte Corona-Regelungen für unwirksam erklärt hätten, wenn sie noch gelten würden. Diese Entscheidungen rechtfertigen dann auch nach Ansicht von Schmittmann in späteren Verfahren einen möglichen Schadensersatzanspruch. Für die aktuelle Verfassungsklage holte sich die Initiative „Händler helfen Händlern“ auch Unterstützung beim Verfassungsrechtler Prof. Dr. Josef Franz Lindner von der Universität Augsburg. „Unser Ziel ist es, eine Entscheidung zu erreichen, dass die neuen Regelungen des Infektionsschutzgesetzes (sogenannte Notbremse) gegen die Art. 3, 12 und 14 des Grundgesetzes verstoßen“, sagt Schmittmann. „Eine Verfassungsbeschwerde ist nach unserer, von Professor Lindner bestätigten Auffassung der einzige Weg, gegen die Notbremsengesetzgebung vorzugehen. Zugleich ist sie Voraussetzung für spätere Entschädigungsansprüche, denn nach der Rechtsprechung darf keiner etwas erwarten, der sich nicht gewehrt hat. Unfassbar, dass die Kanzlerin das Bundesgesetz damit rechtfertigte, dass dann endlich keine störenden Verwaltungsgerichtsurteile zu den vorherigen Länderverordnungen ergehen könnten. Gewaltenteilung ist ein hohes Gut – wurde hier ebenso missachtet, wie Grundrechte der Unternehmen und Bürger“, fährt Schmittmann fort.
Schlechte Noten für die Politik
„Die Regelungen für Kurzarbeit und die KfW-Schnellkredite haben sicher geholfen. Aber ab der zweiten Jahreshälfte 2020 gab es aus meiner Sicht immer mehr Fehler der Regierung. Der Fachhandel stand bei den Prioritäten leider hinten an und wir mussten viel um Verständnis kämpfen. Wir haben uns mehrfach für eine Verbesserung der Überbrückungshilfe III eingesetzt“, erklärt von Preen. Ähnlich äußert sich auch Rose-CEO Diekmann, denn aus seiner Sicht waren die Maßnahmen in der ersten Pandemie-Welle „gut“. In der zweiten und dritten Welle habe es dann aber viele Fehler gegeben – vor allem aufgrund einer schlechten Vorbereitung. Überhaupt kein Verständnis hat er für die Geschäftspraktiken einiger Politiker bei der Beschaffung von Schutzmasken: „Ich verkaufe innerhalb von Rose auch nicht an mich selber – auch wenn es hier die Möglichkeit von schnellem Geld gibt – so etwas widerspricht meinen Werten.“
„Ich mag keine Ungerechtigkeit“
Die Pro-Bono-Initiative “Händler helfen Händlern” startete am 19. März 2020. Fachhändler wie Rose Bikes, MediaMarkt, Saturn, TomTailor und Intersport unterstützen die Initiative. „Ich mag keine Ungerechtigkeit. Und ich gewinne nicht gern, wenn der Torwart nicht im Tor steht“, sagt Rose-CEO Diekmann zu seinen Beweggründen, die Initiative mitzugründen. Es sollte eine Plattform geschaffen werden, auf der man sich angesichts der außergewöhnlichen Krise gut austauschen kann. Nicht jeder kleine Fachhändler habe die gleichen Möglichkeiten, wie ein großer Konzern. Aus diesem Grunde wird die Vorlage für die Klageschrift auch anderen Unternehmen zur Verfügung gestellt.
Intersport: „Run auf die Geschäfte“
Mit den sinkenden Corona-Inzidenzwerten kommen auch die Lockerungen der verschiedenen Maßnahmen. Intersport-CEO von Preen berichtet im Gespräch von einem „Run auf die Geschäfte“. Er gibt das ehrgeizige Ziel aus, auch weiterhin stationärer Marktführer zu bleiben. Zeitgleich treibt seine Gruppe den Ausbau zu einem „Omni-Channel-Anbieter“ weiter voran. Im Herbst gibt es ein umfangreiches Rebranding.
Digitalisierung geht auch ohne Webshop
Wie wichtig digitale Vertriebswege sind, sollte nach Ansicht von Rose-CEO Diekmann nach der Pandemie nun auch der Letzte kapiert haben. Dabei müsse es nicht ein Hochglanz-Webshop sein – einfache Mittel reichen aus seiner Sicht auch aus. Als Stichwort nennt er unter anderem eine Kundenberatung per Messenger – dafür gebe es bereits sehr einfache und praktikable Lösungen. Auch bei Rose habe man diese erfolgreich praktiziert. Am Ende komme es immer darauf an, unterscheidbar zu sein und nicht mit der Masse zu schwimmen. Und bei vielen Produkten würde sich nach Diekmanns Ansicht auch eine Lieferung durch den Fachhändler anbieten: „Wenn die Dönerbude um die Ecke so etwas auf die Beine stellt, dann sollte ein Händler das auch können.“
Als Redakteur der Unternehmeredition berichtet Alexander Görbing regelmäßig über Unternehmen und das Wirtschaftsgeschehen. Zu seinen Schwerpunkten gehören dabei Restrukturierungen, M&A-Prozesse, Finanzierungen sowie Tech-Startups.