Durch die Ausweitung der regulatorischen Anforderungen wie die EU-Taxonomie-Verordnung vom 18. Juni 2020 und die CSRD (Corporate Sustainability Reporting Directive, CSR-RUG vom April 2021) hat die Bedeutung von Umwelt-, Sozial- und Governance-Themen (ESG) im Unternehmenskontext deutlich zugenommen. Die Corporate Sustainability Reporting Richtlinie wurde 2017 in deutsches Recht überführt und im Jahr 2022 im Lichte der EU-Taxonomie-Verordnung von 2021 erweitert und überarbeitet.
Der von der EU anvisierte „Green Deal“ wird derzeit umfassend operationalisiert und in Richtlinien und zahlreiche Standards überführt. Auch in der Sanierungspraxis gewinnt die Berücksichtigung von ESG-Faktoren zunehmend an Bedeutung. So hat der Fachausschuss Sanierung und Insolvenz den neuen Entwurf der Anforderungen an Sanierungskonzepte am 27. September 2022 beschlossen. In der Bankenpraxis ist bei der Ausreichung von (Sanierungs-)Krediten die Konsultationsfassung der Mindestanforderungen an das Risikomanagement von Banken (MaRisk) vom 26. September 2022 von Relevanz. Im Folgenden wird aufgezeigt, welche Rolle ESG in Sanierungsgutachten spielt und welche Herausforderungen sich in diesem Zusammenhang ergeben können.
Berücksichtigung von ESG-Faktoren in Sanierungsgutachten
Kommen Unternehmen in operative und finanzielle Schwierigkeiten, können neue Finanzmittel von den Kreditgebern nur nach Vorlage eines Sanierungsgutachtens mit der Bestätigung der Sanierungsfähigkeit vergeben werden. Neben der Fortführungsfähigkeit (Stufe 1) ist auch die Wettbewerbs- und Renditefähigkeit (Stufe 2) mit überwiegender Wahrscheinlichkeit vom Konzeptersteller zu bestätigen. Das Merkmal der Renditefähigkeit drückt zusätzlich aus, dass die noch bestehenden Kredite am Markt refinanzierungsfähig sind und das Unternehmen seinen Kapitaldienstverpflichtungen nachkommen kann.
Die Aufarbeitung von Verlustursachen, die Bestimmung des Krisenstadiums und die Erarbeitung eines Leitbildes für das sanierte Unternehmen einschließlich eines überzeugenden Sanierungskonzepts stehen im Vordergrund der Arbeiten zur Erstellung eines Sanierungsgutachtens.
Das Institut der Wirtschaftsprüfer in Deutschland (IDW) hat mit dem Entwurf des Standards IDW ES6 n.F. ‚Anforderungen an Sanierungskonzepte‘ (September 2022) u.a. klargestellt, dass ESG-Aspekte, welche für das Geschäftsmodell eines Unternehmens oder für dessen weitere Entwicklung relevant sind, in Sanierungskonzepten detailliert zu erörtern sind. Allerdings stellt dies keine neue Anforderung an den Inhalt des Sanierungsgutachtens dar. Wenn ESG-Aspekte für das Geschäftsmodell eines Unternehmens von Bedeutung sind, mussten sie auch schon nach den Vorgänger-Standards berücksichtigt werden. Neu ist allerdings, dass das Leitbild des zu sanierenden Unternehmens neben den Eckdaten des zukünftigen Geschäftsmodells jetzt auch die langfristigen Grundstrategien, neben der Digital- auch die ESG-Strategie, beinhalten muss. So ist im besagten Abschnitt des IDW ES 6 n.F. aufgeführt, dass „die Einhaltung der ESG-Anforderungen eine angemessene Kommunikation mit den Stakeholdern, erweiterte Berichterstattungspflichten und die Integration von ESG-Risiken in den allgemeinen Risikomanagementprozess bedingt“.
Es besteht heute weitgehend Einigkeit darüber, dass die Berücksichtigung von ESG-Faktoren einen wachsenden Transformationsbedarf in oft traditionellen Geschäftsmodellen von Unternehmen verursacht. Darüber hinaus gibt es immer häufiger Fälle, in denen ESG-Anforderungen eine wesentliche, gegebenenfalls sogar sanierungskritische Bedeutung beikommt. So überrascht es nicht, dass Anforderungen im ESG-Kontext häufig von Seiten der Stakeholder gestellt werden, die somit den Transformationsbedarf in Bezug auf die Nachhaltigkeit von Geschäftsmodellen befördern. Als wesentliche Treiber sind u.a. zu nennen:
- Kunden: orientieren sich an ESG-Kriterien als Vergabekriterium, um sicherzustellen, dass ihre Zulieferer und Partner nachhaltig arbeiten. Kunden fordern von Zulieferern in ihrer Supply Chain zunehmend die Einhaltung von ESG-Standards. Dies ist beispielsweise in der Automobilindustrie bereits heute sehr ausgeprägt. Die in Ausschreibungsprozessen geforderten Reports und Nachweise sind umfassend und vergabekritisch. Die funktionierende Verankerung einer Nachhaltigkeitsstrategie im eigenen Geschäftsmodell wird somit für Automobilzulieferer immer wichtiger. Der Restrukturierungsbezug und somit die Berücksichtigung im Sanierungskonzept liegen hier auf der Hand.
- Finanzierer: Banken beziehen ebenfalls bei der Neukreditvergabe ESG-Faktoren ein. Bei der Bewertung der langfristigen Existenzberechtigung und Überlebensfähigkeit des zu finanzierenden Geschäftsmodells werden Risiken reflektiert, die aus den EU-Umweltzielen resultieren. Obgleich der Informationsbedarf der einzelnen Banken heute noch inhomogen und teilweise generisch ist, ist zu erwarten, dass sich in Zukunft eine systemhafte Erfassung von ESG-relevanten Sachverhalten in Form eines standardisierten ESG-Assessments im Markt durchsetzen wird. Für Banken steht bei der Begleitung von Sanierungsfällen weiterhin die Minimierung des Kreditrisikos und die Wiederherstellung der materiellen Kreditwürdigkeit des Unternehmens im Vordergrund.
- Regulatorik: die Corporate Sustainability Reporting Richtlinie regelt für große (ab 2024) sowie mittlere und kleine (ab 2026) kapitalmarktorientierte Unternehmen die nicht-finanzielle Berichterstattung, die gemeinsam mit dem Lagebericht zu veröffentlichen ist. Insofern müssen auch Unternehmen in der Transformation beginnen, ihre Prozesse an die neuen Vorschriften zur CSR-Kommunikation anzupassen, da spätestens ab 2026 umfangreiche Berichtspflichten und externen Prüfungspflichten anstehen. Dieser Umstand ist in der Konzepterstellung zu reflektieren. Bei einer Nicht-Umsetzung der Reporting-Standards können empfindliche Strafzahlungen drohen.
Mangels ausreichender Liquidität und Rentabilität wird sich eine 100%-ige ESG-Konformität für Sanierungsfälle im Sanierungszeitraum nicht unbedingt herstellen lassen. Entscheidend ist daher die Unterscheidung der ESG-Kriterien in solche, die sanierungskritisch sind und die Beurteilung der Sanierungsfähigkeit direkt beeinflussen, und solche, die das Geschäftsmodell des Krisenunternehmens mit Hinblick auf seine Nachhaltigkeit ergänzen und stabilisieren. In der Praxis ist es daher sinnvoll, ESG-Faktoren in das Sanierungsgutachten aufzunehmen und diese in die Handlungsempfehlungen und Sanierungsmaßnahmen mit einzubeziehen (z.B. mittels ESG-Assessment). Durch die Analyse einzelner ESG-Kriterien können einzelne Risikokanäle in ihre Bestandteile aufgeschlüsselt werden, was im Kontext der doppelten Materialität ermöglicht, spezifische Risiken frühzeitig zu identifizieren und Maßnahmen zur Verbesserung zu ergreifen. Gegebenenfalls ist die Sanierungsplanung um eine Transformations- und Optimierungsphase als Grobkonzept bis zur Erreichung der ESG-Konformität zu ergänzen.
ESG und Mindestanforderungen an das Risikomanagement von Banken (MaRisk)
Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) hat einen Entwurf für die Neufassung der Mindestanforderungen an das Risikomanagement (7. MaRisk-Novelle) für Banken am 26. September 2022 veröffentlicht. Der Entwurf verfolgt die Umsetzung der Leitlinien der Europäischen Bankenaufsichtsbehörde (EBA) für die Kreditvergabe und Überwachung. Erstmals wird das Management von Nachhaltigkeitsrisiken aufgenommen und verpflichtet die Banken dazu, ESG-Risikofaktoren im Risikomanagement zu berücksichtigen. Darin heißt es unter Abschnitt BTO 1.2. Anforderung an die Prozesse im Kreditgeschäft ganz konkret: „Branchen- und ggf. Länderrisiken sowie die Auswirkungen von ESG-Risiken sind in angemessener Weise zu berücksichtigen“. Die Datenmodelle der Banken werden zukünftig zu einem großen Anteil durch die CSR-Reportings der Unternehmen gefüttert werden müssen, um Risiken frühzeitig sichtbar zu machen und entsprechende Kreditkonditionen unterlegen zu können. Ebenso werden die Banken verpflichtet, die Green Asset Ratio (GAR) des Kreditportfolios in ihren Nachhaltigkeitsreports zu berichten. Damit wird die Notwendigkeit zur Beachtung von ESG-Faktoren für die Banken aber auch die Unternehmen zur Sicherstellung der Finanzierung offensichtlich.
Fazit und Ausblick
Die Effekte von Nachhaltigkeitsrisiken werden bedeutender und konterkarieren bestehende Geschäftsmodelle. Sowohl der IDW-Standard als auch die MaRisk-Novelle reflektieren grundsätzlich die Berücksichtigung von ESG-Faktoren für die Sanierungspraxis und die allgemeine Kreditvergabe. Sanierungsgutachten zielen hauptsächlich auf finanzielle Faktoren ab. Die Integration von ESG-Kriterien kann hier dazu beitragen, ein umfassenderes Bild des Unternehmens zu liefern, da der Einfluss von ESG auf Geschäftsmodelle, Geschäftsbeziehungen und Finanzierungsmöglichkeiten die Resilienz eines Unternehmens signifikant beeinflusst. Eine ausführliche Beleuchtung materieller ESG-Kriterien wird somit als Teil der Analyse der Sanierungsfähigkeit eines Unternehmens in einem Sanierungsgutachten immer wichtiger. Zudem bekommt die Aussage der Refinanzierbarkeit und Nachhaltigkeit am Ende des Sanierungszeitraum eine höhere Relevanz.