Lockdown – dann vermeintliche Entspannung und nun wieder Lockdown – die Unternehmen in Deutschland haben es seit einem Jahr nicht leicht. Der Staat eilt zwar mit einem Unterstützungsprogramm nach dem anderen zu Hilfe, aber trotzdem wird es immer schwieriger, eine passende Finanzierung zu finden. Welche Auswirkungen hat die aktuelle Krise auf den M&A-Sektor? Wie haben die Dealmaker die vergangenen Monate erlebt? Wie blicken sie in die Zukunft? Unternehmeredition befragte einige erfahrene Manager zu ihren Einschätzungen. Frank Hüther, Vice President of Services Central Europe bei SNP Schneider-Neureither & Partner SE, im Gespräch mit Alexander Görbing.
Unternehmeredition: Auf Ihrer Kundenveranstaltung Transformation World hat SNP von einem wachsenden Geschäft bei M&A berichtet. Warum wächst der Markt für Carve-outs?
Frank Hüther: Die Zeiträume für die operativen Tätigkeiten der Unternehmens-IT sind bei M&A-Transaktionen aufgrund der Verschwiegenheitsvereinbarungen während der Deal-Vorbereitung kurz. Und sie werden immer kürzer. Die IT-Abteilung wird oft erst nach Vertragsabschluss im Rahmen des Transition Service Agreements (TSA) eingebunden. Die IT-Abteilung muss dann kurzfristig die Übernahme der IT-Infrastruktur und insbesondere der Systeme und Daten in die bereits vorhandene Unternehmens-IT gewährleisten. Bei TSAs sind für Verzögerungen häufig hohe Strafzahlungen festgelegt. An diesem Punkt benötigen die Unternehmen schnelle und kompetente Unterstützung von erfahrenen Experten und kommen deshalb auf uns zu. Wir bei SNP sind der Spezialist für Carve-outs im SAP-Umfeld. Wir können auf das Wissen und die Erfahrung aus Tausenden Projekten zurückgreifen.
Unternehmeredition: Können Sie uns Anwendungsfälle für solche Projekte beschreiben?
Hüther: Wir haben zum Beispiel ein globales IT-Unternehmen in zwei 60-Milliarden-US-Dollar-Firmen aufgespalten. Hier war der Börsengang der beiden neuen Firmen beschlossen und verkündet, als die Workshops zur Erstellung des Migrationskonzeptes noch nicht einmal terminiert waren. Ein anderes Beispiel: zwei Konzerne werden zu einem neuen zusammengeführt und gleichzeitig in drei Konzerne aufgeteilt. Diese müssen dann zum selben Zeitpunkt an die Börse gehen. Ein drittes Beispiel ist der Carve-out eines Unternehmensteils in einem multinationalen Konzern in über 40 Ländern mit mehr als 40 involvierten SAP-Systemen. Aufgrund von unterschiedlichen rechtlichen und länderspezifischen Vorgaben musste der Carve-out in einzelnen Ländern in einem Ein- oder Zwei-Schritt-Verfahren erfolgen. Alle Zeitzonen mussten bedient werden und teilweise konnten zusätzliche Geschäftsanforderungen, die schon länger auf dem Plan standen, direkt mit umgesetzt werden.
Diese kleine Auswahl an Beispielen zeigt gut, warum die Nachfrage bei Carve-out-Projekten steigt. Die Unternehmens-IT hat die Aufgabe, bei M&A-Projekten schneller denn je neue Organisationen abzubilden. Wenn es also schnell gehen muss, es enge Zeitvorgaben in einem dazu auch noch sehr komplexen Projektumfeld gibt, dann hat sich auf dem Markt herumgesprochen, dass die SNP der richtige Partner ist. Oder wie unser Gründer einmal sagte: „Das kann keiner außer uns.“
Unternehmeredition: Die Auswirkungen der Coronapandemie scheinen nicht so stark zu sein, wie ursprünglich befürchtet. Wie schätzen Sie die künftige Entwicklung des M&A-Marktes ein?
Hüther: Die Auswirkungen der Coronapandemie sind auch nach einem Jahr immer noch nicht richtig einschätzbar, da schlicht und einfach bisher das Ende fehlt. Es werden sicherlich marktbedingt in Zukunft zusätzliche Übernahmeoptionen vorhanden sein. Andererseits wird das M&A-Geschehen von einem Grundrauschen begleitet, dem Brot-und-Butter-Geschäft. Dafür ändern sich Marktbedingungen, Geschäftsideen und Player immer schneller. Hier ist auch die fortschreitende Digitalisierung ein weiterer Treiber. Übernahmen und Carve-outs benötigen Schnelligkeit in der Umsetzung zu einem fest vereinbarten Endtermin. Genau dafür bieten Plattformen für die Datentransformation mit einem hohen Automatisierungsgrad einen erheblichen Qualitäts-, Zeit- und Preisvorteil.
Unternehmeredition: Aus dem Markt ist immer wieder zu hören, dass die Bedingungen für Transaktionen aufgrund der Unsicherheiten durch die Coronapandemie schlechter beziehungsweise schwieriger werden. Beobachten Sie das in Ihrem Umfeld auch?
Hüther: Schon vor Beginn der Pandemie erwarteten Experten gegenüber 2019 einen Rückgang der M&A-Aktivitäten. Ursachen waren die zunehmende Unsicherheit in Bezug auf die Weltwirtschaft, im Brexit-Verfahren, in Handelsspannungen zwischen den USA und China sowie den bevorstehenden Präsidentschaftswahlen in den USA. Das Virus und seine Auswirkungen bremsten die M&A-Aktivitäten zusätzlich und führten zu einem Rückgang des Geschäftsvolumens im ersten Halbjahr 2020 gegenüber dem Vorjahr um
13 Prozent. Doch zum Ende des ersten Halbjahres erholte sich der Markt und die Anzahl der Transaktionen stieg in der zweiten Jahreshälfte 2020 wieder an: viele Geschäftsprozesse, die wegen der COVID-19-Krise ausgesetzt waren, wurden erneut aufgenommen. Weltweit haben Unternehmen den M&A-Markt in den vergangenen Monaten genau beobachtet und Käufer sich zurückgehalten. Doch angesichts sinkender Bewertungen von Übernahmekandidaten wird es im Jahr 2021 zu einem deutlichen Anstieg der M&A-Aktivitäten kommen.
Das ist die Lehre aus der Finanzkrise 2008, nach der viele aus Vorsicht Fusionen und Übernahmen gemieden hatten. Jetzt zeigt sich auch, welcher Konzern sich rechtzeitig als Portfoliounternehmen aufgestellt hat und damit besser durch die Krise kommt. Im Vergleich zu eng miteinander verwobenen Konzernen, sind sie flexibler, offener für Kooperationen, Joint Ventures und den Verkauf oder die Abspaltung von Unternehmensteilen. Doch die Pandemie hat vieles verändert oder Entwicklungen, wie die Digitalisierung, schneller vorangetrieben. Auch die Transaktionspraxis hat sich in den letzten Monaten gewandelt. Die Coronakrise hat viele Defizite in Unternehmen offengelegt und wirkt als wahrer Innovationstreiber.
Unternehmeredition: Welche Branchen profitieren aus Ihrer Sicht von der Krise?
Hüther: Welche Branchen weltweit profitieren werden, ist nicht sicher vorhersagbar, das wäre der Blick in die Glaskugel. Mit Sicherheit haben viele Unternehmen ihren notwendigen Schritt in die Cloud oder nach SAP S/4HANA auch auf Grund der Krise zurückgestellt. Dieses Vorgehen ist aus unserer Sicht unabhängig von den Branchen. Somit existiert in diesem Bereich bereits ein Stau an Projekten, bei dessen Auflösung die SNP sicherlich helfen und die vorhandenen SAP-Systeme konsolidieren und optimieren wird.
Unternehmeredition: Gibt es seitens SNP bestimmte Branchen, in denen Sie besonders erfolgreich sind?
Hüther: Unsere Datentransformationsplattform CrystalBridge agiert branchenunabhängig auf Basis von vorgefertigtem Content für SAP-Systeme sowie Nicht-SAP-Systeme. Auf Basis unserer Erfahrung und langjährigen Marktführerschaft sind Migrationsobjekte für zahlreiche SAP Add-ons wie auch branchenspezifische Lösungen bereits vorkonfektioniert verfügbar.
Unternehmeredition: Worin liegen die besonderen Vorteile der SNP-Lösungen für die Durchführung einer Firmenübernahme?
Hüther: Unsere Plattform CrystalBridge kann vom Beginn eines M&A-Projekts bis zur Übernahme der SAP-Systeme in die Systeme des Käufers unterstützen. In der Vorbereitungs- und Due-Dilligence-Phase helfen Software und regelbasierte Analysen bei der Einschätzung der Komplexität, des Zeitplans und der Kosten für die SAP-Migration und einer eventuellen Post-Merger-Integration. Mithilfe vordefinierter Services und Packages werden Planungssicherheit und Risikominimierung erreicht. Über die Interface Discovery sind die Schnittstellen zu den Umsystemen erkennbar, die bei der Übernahme zu berücksichtigen sind. Hier hat SNP auch schon erfolgreich als neutraler Dritter zwischen Verkäufer und Käufer auf den Systemen agiert. Auf Basis der Informationen aus der Analyse kann die IT-Abteilung des Käufers viel schneller und qualifizierter „up-to-speed“ kommen als ohne maschinelle Unterstützung. Die IT-Abteilung wird oft von einem Transaktionsprozess überrascht und muss die zusätzlichen Aufgaben unerwartet schultern. Die Reduktion des manuellen Aufwandes, eine daten- und faktenbasierte Planung und Simulation sowie die maschinell unterstützte optimale Roadmap-Erstellung entlasten alle Beteiligten.
Mit unserer tabellenbasierten Migration lassen sich lange Downtimes der traditionellen Methoden vermeiden und selbst sehr große Datenmengen an maximal einem Wochenende migrieren. Zusätzlich können Konsolidierungsschritte wie die Zusammenlegung von Werken oder Vereinheitlichung des Kontenplans in einem Schritt durchgeführt werden. Diese Flexibilitäten verbunden mit mehr als 25 Jahren Migrationserfahrung kennzeichnen die besonderen Vorteile der SNP-Lösung, die von der SAP und Wirtschaftsprüfern zertifiziert ist.
Unternehmeredition: Was sind Ihre persönlichen „lessons learned“ nach fast einem Jahr im Zeichen von Corona?
Hüther: Gerade am Anfang des ersten Lockdowns hatten viele Kunden noch Bedenken und ausgesprochene Skepsis, den Go-live in einer Migration remote durchzuführen. Menschen wollten Menschen in kritischen Situationen in ihrer Nähe, direkt ansprechbar und greifbar haben. Da es aber nun mal nicht anders ging, ohne den Termin verschieben zu müssen auf damals unbekannte Zeit, mussten alle Tätigkeiten, Absprachen, Meetings remote durchgeführt werden. Und es hat sich gezeigt, dass es geht. Absprachen sind vielleicht etwas aufwändiger geworden. Die Beteiligten müssen präziser miteinander arbeiten, weil sie nicht „mal eben“ zu ihren Ansprechpartnern gehen können. Die Konferenzlösungen haben einen Boom erlebt. Für uns als SNP hat sich eigentlich nicht viel geändert. Wir haben schon immer den überwiegenden Teil der Arbeit remote durchgeführt. Das bedingt allein schon der Inhalt unserer Arbeit. Wir können nicht den ganzen Tag im Rechenzentrum neben den SAP-Systemen sitzen.
Insgesamt sehe ich einen Wandel hin zu einem ergebnisorientierten Arbeiten. Es ist weniger die Zeit am Tag, wann etwas abgearbeitet wird, sondern dass das Ergebnis zum Zeitpunkt X in korrekter Form vollständig vorliegt. Das Vertrauen ineinander ist wichtiger geworden. Die Flexibilität hat zugenommen. Aufgrund vieler Corona-bedingter Beschränkungen mussten Privat- und Berufsleben besser in Einklang gebracht werden. Da kommt in einer Videokonferenz schon mal der Nachwuchs rein und braucht Hilfe bei einer Schulaufgabe oder der Hund bellt, wenn die Post kommt.
Unternehmeredition: Arbeiten wir zukünftig nur noch im Homeoffice und lassen uns das Essen liefern?
Hüther: Dass wir künftig nur noch im Homeoffice arbeiten und uns nicht mehr persönlich begegnen, glaube ich nicht. Die Menschen wollen sich wieder treffen. Im Büro hätten wir uns mal eben zusammensetzen und ans Whiteboard stellen können. Ideen am Flip-Chart zu entwickeln und zu visualisieren ist einfacher. Viele haben auch keine optimale Infrastruktur zu Hause, um permanent von dort aus zu arbeiten. Die KollegInnen und Kunden merken in den Gesprächen immer wieder an, dass sie sich auf das nächste physische Treffen enorm freuen. Ich denke, dass eine Mischung aus Homeoffice und Präsenzarbeit die Zukunft sein wird. Inwieweit sich das Verhältnis zwischen den beiden Komponenten verschieben wird, werden wir sehen. Das Büro der Zukunft wird anders sein.
Unternehmeredition: Hat die Krise nicht auch der – fast schon verschlafenen Digitalisierung – einen gewaltigen Schub gegeben?
Hüther: Die Digitalisierung in unserem Geschäft war schon immer größer als in anderen Bereichen. Einige Firmen haben allerdings aufgrund der aktuellen Umstände sehr schnell aufgeholt, ihre Infrastruktur angepasst und einen Teil der Digitalisierung nachgeholt. Firmen haben im letzten Jahr teilweise ihre Standortpolitik überdacht und setzen bereits fest vereinbart auf mehr Homeoffice. Digitalisierung ist aber nicht nur das Ermöglichen von Remote-Arbeit. Digitalisierung bedeutet viel mehr. Wenn es nur eine E-Mail-Adresse für ein ganzes Finanzamt gibt, beim E-Mail-Empfang der Anhang aus Sicherheitsgründen gelöscht wird und anschließend die E-Mail dem zuständigen Sachbearbeiter ausgedruckt gebracht wird, zeigt sich noch einiges an Potenzial in der Digitalisierung.
Herr Hüther, vielen Dank für das interessante Gespräch!
ZUR PERSON
Frank Hüther ist Vice President of Services Central Europe bei SNP Schneider-Neureither & Partner SE und leitet die Delivery Services für Central Europe mit dem Schwerpunkt auf SAP Transformationen. Als Programm Manager hat er mehrere globale Programme im Bereich SAP Unternehmens Carve-out durchgeführt.
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Als Redakteur der Unternehmeredition berichtet Alexander Görbing regelmäßig über Unternehmen und das Wirtschaftsgeschehen. Zu seinen Schwerpunkten gehören dabei Restrukturierungen, M&A-Prozesse, Finanzierungen sowie Tech-Startups.