Erfolgsfaktoren und Auswirkungen von Carve-outs

Warum Ausgliederungen in schwierigen Zeiten wie diesen Sinn machen

Foto: © Xaver Klaussner_AdobeStock

Die Anzahl der Krisen, technologischen Umwälzungen und Herausforderungen, die urdeutsche Branchen und damit unsere ganze Wirtschaft unter Druck setzen, hat massiv zugenommen. Neben klassischen Performance- und Cash-Improvements müssen Corporates heute auch in Betracht ziehen, selektiv nicht oder nicht ausreichend profitable Geschäftsaktivitäten zu verkaufen. Solche Carve-outs sind ein wichtiger Bestandteil von Fusionen und Übernahmen, aber auch komplexe Prozesse, die vielerlei Herausforderungen mit sich bringen. Wir sprachen mit Curt-Oliver Luchtenberg, Leiter der Transformationsberatung mit Fokus auf Strategy & Operations bei Eight Advisory in Köln. INTERVIEW EVA RATHGEBER

Unternehmeredition: Herr Luchtenberg, welche Reaktionsmöglichkeiten haben Corporates, die im Rahmen der vielfältigen globalen Umwälzungen in die Krise geraten sind?

Curt-Oliver Luchtenberg: Zuallererst natürlich, teils unangenehme Themen anzugehen, die in guten Zeiten „liegen geblieben sind“. Ein Großteil der aktuell an uns gerichteten Anfragen zielt darauf ab, die Unternehmensleitung hands-on in der Optimierung des Working Capital Management zu unterstützen, Effizienzen in Prozessen zu heben, Organisationsstrukturen zu verschlanken, die Assetstruktur zu optimieren, Verkaufsstrategien neu zu denken und ungenutzte Umsatzpotenziale zu heben.

Sind diese „Hausaufgaben“ erledigt, die Unternehmenssituation verbessert sich aber dennoch absehbar nicht, muss das Portfolio auf den Prüfstand gestellt werden. Gibt es Aktivitäten, von denen man sich trennen kann oder vielleicht sogar muss, um die Verluste zu minimieren und/oder die Profitabilitäts- und Liquiditätssituation signifikant zu verbessern? So schwer es auf den ersten Blick fallen mag, sich von altangestammten Geschäftsaktivitäten zu trennen, sollte man darin auch eine Chance zur Umorientierung und Erschließung neuer Geschäftsfelder sehen.

Welche Branchen müssen sich vor allem verändern? 

Ich bin selbst in einer Automobilzuliefererfamilie aufgewachsen – so fällt es mir unglaublich schwer, zu sagen, dass die Automobilindustrie hier weiterhin im Fokus steht. Nicht nur die mechanische Zulieferindustrie bleibt massiv unter Druck, auch innovative Produktanbieter, zum Beispiel im Infotainment bis hin zu den OEMs selbst, geraten in einen immer stärkeren Wettbewerb. Derzeit ebenfalls in Schwierigkeiten ist eine weitere typisch deutsche Industrie: die Chemiebranche. Einige wesentliche Spieler unterziehen sich derzeit schmerzlichen Restrukturierungsprogrammen oder stehen gar in Verkaufsverhandlungen. Weit gefasst müssen auch andere Branchen des „Industrial Manufacturing“, von der Möbel- und Haushaltgeräteindustrie bis hin zum Maschinenbau, schnell umfassende Maßnahmen ergreifen.

Was sind die wichtigsten Erfolgsfaktoren bei der Durchführung von Carve-outs?

Carve-outs bieten Chancen für Prozessoptimierung und Wertsteigerung, was sich aufseiten des Targets in einem höheren Verkaufspreis, aufseiten des Käufers in einer Senkung der laufenden Kosten niederschlagen kann. Es ist wichtig, neue, optimierte Prozesse zu modellieren, anstatt einfach bestehende Prozesse zu kopieren oder beizubehalten.

Carve-out-Programme bringen immer eine gewisse Komplexität für die Business Units und die beteiligten Zentralfunktionen mit sich. Unabhängig davon, wie viel Planung und Vorbereitung in den sogenannten Day One nach Closing einfließen, ist eine gewisse Nervosität im Rahmen eines Eigentümerwechsels unvermeidlich. Ein gut strukturiertes Programm mit entsprechendem Fokus verringert jedoch das Risiko und gewährleistet die Geschäftskontinuität ohne Umsatzbrüche oder Prozessdisruptionen.

Abb. 1 Global M&A: Divestment- versus Non-Divestment-Volumen 2023
(lineare Hochrechnung basierend auf dem ersten Quartal)

Foto:© Eight Advisory

Wie aus Abb. 1 ersichtlich ist, betrug der Anteil von Veräußerungen (Carve-outs) historisch in den Jahren 2005 bis 2020 etwa 2% des globalen Gesamtvolumens. Ab 2021 stieg der Anteil der Veräußerungsdeals signifikant an und liegt derzeit bei etwa einem Viertel des Gesamtvolumens. Quelle: Eight Advisory

Nicht alle Ausgliederungen sind gleich − einige sind relativ einfach und erfordern eine begrenzte Übergangsunterstützung am ersten Tag. In den meisten Fällen sind die Unternehmen jedoch noch viele Monate oder sogar Jahre nach dem ersten Tag verbunden.

Eine klare Strategie, eine sorgfältige Auswahl des Carve-out-Teams, eine frühzeitige Identifizierung von Risiken, die Definition von Transitions Service Agreements und eine klare Kommunikation mit den betroffenen Mitarbeitern sind die wichtigsten Erfolgsfaktoren.

Welche Besonderheiten weisen Carve-outs in unsicheren Zeiten auf?

Die Durchführung von Separationen in unsicheren Zeiten birgt ein zusätzliches Risiko, da das Betriebsumfeld nicht stabil ist: Es gibt weniger Management Attention, größere Bedenken seitens der Belegschaft, langwierigere Due-Diligence-Prozesse, aufwendigere Preisverhandlungen und bei volatiler Ertragslage natürlich auch eher plötzliche Abbrüchen auch schon weit fortgeschrittener Transaktionen.

Welche Empfehlungen lassen sich daraus für Unternehmen ableiten?

Aufgrund des derzeitigen makroökonomischen Umfelds sind die Vermögenswerte einem größeren Risiko des Wertverlusts ausgesetzt. Eigentümer von Vermögenswerten, die besser vorbereitet und in der Lage sind, schnell zu handeln, werden dem Wertverlust entgegenwirken. In fünf Jahren werden viele Investoren, Führungskräfte und Betreiber wissen, dass sie in dieser Zeit Werte auf dem Tisch liegen gelassen haben – Werte, die entweder während der Transaktionsverhandlungen, der unmittelbaren Ausgliederung oder Integration, während der Jahre der Eigentümerschaft und/oder im Vorfeld des Ausstiegs verloren gingen.

Es besteht jedoch die Möglichkeit, während dieser Zeit starke Vermögenswerte zu erlangen. Kluge Investoren erwerben preisreduzierte Vermögenswerte, die im Laufe der Zeit wieder an Wert gewinnen werden, wenn sich der Markt verbessert. Diejenigen Vermögenswerte, die nicht zum Kerngeschäft gehören und nicht im Fokus der Muttergesellschaft standen, können sich unter dem neuen Eigentümer oft gut entwickeln.

Unsere Methodik für die Ausgliederung von Vermögenswerten in Notlagen zielt darauf ab, die Dinge auf Anhieb und frühzeitig richtig zu machen, damit alle Parteien gemeinsam schnell und wertmaximierend voranschreiten können. Besonders wichtig dabei sind: eine klare Vision und Abgrenzung des Carve-outs, agile, flexible und entscheidungsfähige Teams, eine enge, transparente und vertrauensvolle Zusammenarbeit von Verkäufer und Käufer nach Signing und die klare Strukturierung, Priorisierung und Umsetzung sämtlicher wichtiger Day-One-Aktivitäten.

Wie können Unternehmen einen reibungslosen Übergang für Mitarbeiter und Interessengruppen sicherstellen?

Carve-outs können erhebliche Auswirkungen auf die Mitarbeiter haben. Die meisten Mitarbeiter sind besorgt über ihre Zukunft und ihre Arbeitsbedingungen nach dem Carve-out. Es ist wichtig, sie frühzeitig und umfassend zu informieren, ihnen aufzuzeigen, welche Karrierechancen der Carve-out bietet, und ihre Bedenken und Meinungen ernst zu nehmen. Darüber hinaus sollte man ihnen, soweit erforderlich und möglich, Unterstützung und Schulungen anbieten, um den Übergang so reibungslos wie möglich zu gestalten.

Wie stellen Sie als Berater sicher, dass Sie in dieser ohnehin angespannten Zeit für die Unternehmen nicht nur mehr Arbeit hervorrufen, sondern schnell und umfassend helfen?

Erstens: indem wir von Beginn an den richtigen Fokus setzen. Bevor einzelne Probleme angegangen werden, muss schnell, aber verlässlich ein Gesamtbild erstellt werden, weil es nur bedingt sinnvoll ist, zum Beispiel monatelang Verhandlungen zur Verbesserung der Zahlungsbedingungen zu führen, wenn die zugrunde liegenden Produktgruppen absehbar unprofitabel bleiben werden, oder aufwendige Restrukturierungen in Geschäftsfeldern vorzunehmen, die aus strategisch langfristiger Sicht keine Zukunft im eigenen Unternehmen haben werden. Mit unserem Programm „Acceler8or“ stellen wir sicher, dass das Management in drei bis vier Wochen weiß, welche Herausforderungen in welcher Reihenfolge anzugehen sind.

Zweitens: indem wir der Unternehmensleitung nur eine kleine, aber hochseniore und ‑erfahrene Anzahl an Beratern an die Seite stellen; Kollegen, die selbst schon in der Automobilbranche, Chemieindustrie oder im Industrial Manufacturing in leitender Position tätig gewesen sind.

Und drittens: indem wir die Probleme funktional holistisch betrachten. Eine Umstellung der Systemlandschaft ist nicht allein Aufgabe der IT-Organisation. Ohne die Hilfe des Vertriebs, der Operations, der HR- und Finanzabteilung ist auch der beste Informatiker oft machtlos.

Herr Luchtenberg, wir danken Ihnen für das interessante Gespräch!


ZUR PERSON

Foto: © Eight-Advisory

Curt-Oliver Luchtenberg ist Head of Transformation in der DACH-Region und Partner Strategy & Operations bei Eight Advisory Germany. Er leitet das Büro in Köln und verfügt über mehr als 20 Jahre Erfahrung in der Strategie‑, Transformations- und Restrukturierungsberatung.

www.8advisory.com

 

 

Dieser Beitrag erscheint in der aktuellen Magazinausgabe 3/2023 der Unternehmeredition mit Schwerpunkt “Unternehmensverkauf”.

Autorenprofil

Als Chefredakteurin der Unternehmeredition berichtet Eva Rathgeber regelmäßig über Unternehmen und das Wirtschaftsgeschehen. Sie verfügt über langjährige Erfahrung im Wirtschaftsjournalismus und in der PR.

Vorheriger ArtikelStark unter Strom: die uesa Group wächst durch Zukäufe und Investitionen
Nächster ArtikelUnternehmensnachfolger vermissen Kompetenz in politischen Parteien